Als wissenschaftliche Qualifikationsarbeit folgt die Untersuchung einem differenzierten Aufbau, der sich aus der Forschungs-Methodologie herleitet. Einleitend werden Ziele und Fragestellungen vorgestellt, Begriffsdefinitionen vorgenommen, der aktuelle Forschungsstand zum Thema skizziert sowie der Hergang der Arbeit erläutert. Der erste Hauptteil (Kapitel II) stellt das theoretische Rahmenkonzept für die nachfolgende empirische Untersuchung dar. Darin wird einerseits der Professionalisierungsrad der Pflege ermittelt, andererseits die Weiterbildung auf ihren allgemeinen Beitrag zur Professionalisierung befragt. Das zweite Kernstück der Arbeit (Kapitel III) bildet eine Explorationsstudie, die die quantitative Datenerhebung der innerbetrieblichen Fort- und Weiterbildung an Baden-Württembergs Krankenhäusern zum Gegenstand hat. Der Abschluss-Teil der Studie (Kapitel IV) verhandelt die Ergebnisse aus den theoretisch-systematischen Arbeiten und den empirischen Daten in der Zusammenschau, bilanziert den untersuchten Fort- und Weiterbildungsbereich, nimmt eine Rückschau auf den Untersuchungshergang im Sinne einer Forschungsreflexion vor und benennt weiterführende Forschungsfragen.
Zur theoretischen Grundlegung wird der Zusammenhang von Professionalisierung und Weiterbildung entfaltet. Zunächst stellt die Autorin die soziologischen Professionsmerkmale vor und legt diese als Kriterien an, um den Professionalisierungsgrad der Pflege zu bestimmen: Zwar weise die Pflege eine Zentralwertbezogenheit auf – sie realisiert gemeinsam mit anderen Berufsgruppen den Wert „Gesundheit“ –, hinsichtlich der professionellen Autonomie bestehen jedoch Einschränkungen durch die Dominanz der Medizin und die Bürokratisierung der Tätigkeit. Aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive ist das Merkmal der „universellen Wissensbasis“ von besonderem Interesse: Da die Pflegewissenschaft hierzulande noch einen erheblichen Nachholbedarf habe, könne von einem eigenständigen Theoriebestand, der das Proprium der Pflege darstellt, noch nicht ausgegangen werden.
Diesem Befund folgt jedoch die kritische Analyse der Professionskriterien soziologischer Provenienz selbst, um diese dann durch einen Kontinuumansatz, Überlegungen zum Verhältnis von Professionalisierung und Professionalität sowie strukturtheoretische Perspektiven zu erweitern und zu ergänzen. Aus dieser Analyse wird deutlich, welchen Stellenwert Wissen – und somit auch Bildungsaktivitäten – als Basis von qualitativ hochwertigem Pflegehandeln für Professionalisierung und Professionalität haben.
Dies ist Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen, die behandeln, welchen Beitrag die Weiterbildung zur Professionalisierung der Pflege (Teil B, Kapitel II) leisten kann. Die theoretische Verortung der Weiterbildung erfolgt dabei über die Erwachsenen- (und nicht Berufs-)pädagogik, die vier grundlegende Aufgaben im Professionalisierungskontext erfüllt: Sie hat kompensatorische Aufgaben, dient der spezifischen Weiterqualifikation, zielt auf Kompetenzentwicklung sowie berufsbiographische Reflexion. Vor dem Hintergrund stetig steigender Qualifikationsanforderungen, denen durch veränderte Ausbildungsverordnungen Rechnung getragen wird, gibt es einen deutlichen Weiterbildungs-Bedarf bei ausgebildeten Pflegekräften. Hier gilt wie für alle anderen Berufe, dass die Erstausbildung lediglich eine Basis-Qualifizierung schaffen kann, die im Rahmen des lebenslangen Lernens ergänzt, erweitert und modifiziert wird (kompensatorische Funktion). Kompetenzentwicklung ist im Hinblick auf Schlüsselqualifikationen, insbesondere für selbstgesteuertes Lernen, erforderlich. Die spezifische Weiterbildung ist als „Fach-Weiterbildung“ für bestimmte Funktions- und Aufgabenbereiche zwar bereits etabliert; sie wird jedoch zunehmend durch die weitere Ausdifferenzierung des Tätigkeitsfeldes an Bedeutung gewinnen. Zuletzt stellt sich berufsbiographisch je länger je mehr die Aufgabe, die individuelle berufliche Laufbahn und Bildungsbiographie mit den gesellschaftlichen Entwicklungen und Anforderungen zur Passung zu bringen. Diese allgemein in der Erwachsenenpädagogik diskutierten Weiterbildungs-Funktionen gelten ganz besonders für die Pflege in ihrer herausragenden gesellschaftlichen Bedeutung und als Element eines Gesundheitswesens und sozialen Sicherungssystems, das von erheblichen Umwälzungen betroffen ist.
Die Leitfrage des empirischen Teils der Studie (Kapitel III) lautet: „Wie professionell ist die Weiterbildung in der Pflege?“ (120); der Professionalisierungsgrad der Weiterbildung wird also als Indikator für die Professionalisierung des Berufes selbst gemessen. Aus dieser Betrachtungsweise ergibt sich ein neuer Focus: Untersucht werden nun die Qualitätsanforderungen von Weiterbildung. Ohne nun ausführlich den Professionalisierungsdiskurs der Weiterbildung zu rekonstruieren, wird als Ergebnis einer systematischen Bezugnahme der Professionalisierungsdebatte auf die Qualitätsdiskussion in der Erwachsenenbildung „professionelles Handeln in der Weiterbildung“ als integratives Konzept gebraucht. Dieses setzt „die Handlungsaspekte des Professionalisierungskonstruktes mit den Handlungsdimensionen der Qualitätssicherung in Beziehung“ (127). Das Verhältnis der beiden Diskurse wird als Matrix mit den Professionalisierungsdimensionen Handlungskontext, Handlungskompetenzen, Handlungsressourcen I + II und den Qualitätsdimensionen Struktur, Prozess und Ergebnis der Untersuchung als Analyseschema zugrunde gelegt. Der Forschungsgegenstand wird auf die innerbetriebliche Fort- und Weiterbildung (IBFW) von Krankenhäusern in Baden-Württemberg eingegrenzt.
Die Datenerhebung erfolgte mittels einer schriftlichen, postalischen Vollerhebung; die Erhebungsgesamtheit beläuft sich auf 245 Kliniken mit IBFW. Das Erhebungsinstrument selbst wurde aus der beschriebenen Matrix abgeleitet, also aus dem Strukturgitter der Dimensionen der Professionalisierung der Weiterbildung und der Qualitätssicherung. Der Fragebogen ist standardisiert und in zwei Themenblöcke gegliedert: Erhoben werden zum einen die Professionalisierung der IBFW als Strukturqualität, zum anderen die Professionalität des Weiterbildungshandelns im Sinne der Prozess- und Ergebnisqualität.
Der Rücklauf lag bei einer beachtlichen Quote von 51,83 %; die Datenauswertung erfolgte mit dem Computer-Statistik-Programm SPSS. Die deskriptive Datenauswertung beruht auf der Häufigkeitsauszählung bei den standardisierten und skalierten Fragen; die Antworten zu den offenen Fragen wurden kategorisiert und quantifiziert. Die Auswertung war in Ableitung des o.g. Strukturgitters in drei Teile gegliedert:
- Professionalisierung der IBFW – Strukturqualität: Zuständigkeit für IBFW, strukturelle Autonomie, materielle und personelle Ressourcen;
- Professionelles Weiterbildungsmanagement I – Prozessqualität: Bedarfsermittlung, Programmplanung, Information/Beratung der Teilnehmer/innen, Betreuung der Dozenten/innen;
- Professionelles Weiterbildungsmanagement II – Ergebnisqualität: Veranstaltungsevaluation, Dokumentation und Transparenz der Weiterbildung.
Zu den wichtigsten Ergebnissen hinsichtlich der Strukturqualität zählt, dass die Autonomie der IBFW erst in Ansätzen entwickelt ist, was Abhängigkeiten bei der Planung und Durchführung von Fort- und Weiterbildung mit sich bringen kann. Auch die materielle und personelle (quantitative) Ausstattung zeigt deutliche Professionalisierungspotenziale. Positiv zu bewerten ist hingegen das Qualifikationsprofil der Hauptamtlichen: Hier machen sich einerseits die Akademisierung der Lehr- und Leitungsfunktionen von Pflegeberufen, andererseits erwachsenenpädagogische Qualifizierungsmöglichkeiten bemerkbar. Interessant ist, dass mit einem genuin pädagogischen Qualifikationsprofil bestimmte Ausprägungen professionellen Handelns in der Weiterbildung korrelieren. So erweitert sich das Tätigkeitsprofil dieser Akteure neben der Planung und Organisation von Fort- und Weiterbildung auf eigene Lehrtätigkeit sowie Weiterbildungsberatung. Im Hinblick auf die Prozessqualität wirkt sich eine einschlägig pädagogische Qualifikation des Personals positiv auf die Systematisierung der Programmplanung aus, die ansonsten einen eher schwachen Methodisierungsgrad aufweist. Weiterhin wirkt sich dieses pädagogische Profil in der Programmplanung dergestalt aus, dass Angebote zur Förderung der personalen und sozialen Kompetenz sowie erwachsenenpädagogische Prinzipien stärker berücksichtigt werden. Mit Blick auf die Ergebnisqualität ist hervorzuheben, dass Evaluation als Standardverfahren der Qualitätssicherung bereits weit verbreitet ist. Interessant ist hier wiederum, dass unter pädagogisch qualifizierter Leitung in höherem Maße evaluiert wird.
Welche Empfehlungen lassen sich daraus für eine weitere Qualitätsentwicklung pflegebezogener Weiterbildung ableiten?
- Strukturqualität: Die Autorin macht sich für die Eigenständigkeit der IBFW als Professionalisierungsmerkmal stark und plädiert für die Bündelung von Fort- und Weiterbildungsaktivitäten. Zur Verbesserung der Rahmenbedingungen zählen adäquate materielle und personelle Ressourcen. In qualitativer Hinsicht werden noch einmal die pädagogische Qualifikation und erwachsenenpädagogische Kompetenz des hauptamtlichen Personals betont. Schließlich geht es um die Erschließung neuer Zielgruppen, um das Berufsfeld Pflege möglichst in ganzer Breite abzudecken.
- Prozessqualität: Weitere Desiderata liegen im Bereich der Bedarfserhebung und Programmplanung: Stärkere Systematisierung und Angebote zur Vermittlung von Schlüsselqualifikationen werden in ihrer prominenten Bedeutung für die Professionalisierung angeführt. Außerdem dient die pädagogisch-didaktische Unterstützung der Dozenten/innen (meist nebenamtlich, auf Honorarbasis) der Durchführungsqualität.
- Ergebnisqualität: Die bereits durchgängig eingeführten Verfahren der summativen Evaluation sind um formative Evaluation zu ergänzen, um ein zeitnahes Weiterbildungs-Monitoring zu gewährleisten. Einen wichtigen Beitrag zur Transparenz ist durch fortlaufende systematisierte Dokumentation der Weiterbildungs-Aktivitäten zu erreichen.
Gegenstand der Untersuchung ist das bisher von der Erziehungswissenschaft und Erwachsenenpädagogik wenig zur Kenntnis genommene Feld der „Berufsbildung Pflege“; hier schließt die Arbeit eine Forschungslücke und zeigt zugleich Ansatzpunkte für weiteren Forschungsbedarf auf. Die erwachsenenpädagogische Verortung der Arbeit ist für den Bildungsdiskurs, wie er innerhalb der Disziplin Pflege geführt wird, eine deutliche Bereicherung und Erweiterung, indem hier das einschlägige Wissen und die einheimischen Begriffe der Erziehungswissenschaft gebraucht werden. In diesem Sinne kann die Arbeit einen wichtigen Beitrag dazu leisten, zumindest auf der theoretischen Diskursebene aus möglichen Sackgassen und Sonderwegen, die die Pflege ja kennzeichnen, herauszuführen.
Einzuwenden ist jedoch, dass nicht alle Systematisierungen, die die Arbeit vornimmt, zu überzeugen vermögen. So stellt sich beispielsweise bei den Aufgaben der Weiterbildung (Abbildung 2 auf Seite 99) die Frage, ob „Kompetenzentwicklung“ wirklich auf der gleichen Abstraktionsebene angesiedelt ist wie „kompensatorische Aufgaben“ oder „spezifische Weiterqualifizierung“. In anderer Lesart und angesichts der aktuellen Prominenz des Begriffes, der mitunter schon fast synonym zu „Bildung“ verwendet wird, könnte “Kompetenzentwicklung“ auch Oberbegriff oder Leitthema der anderen genannten Funktionen sein, zumindest jedoch quer zu ihnen liegen. Auch die Zuordnungen zu den drei Qualitäts-Dimensionen wären an der einen oder anderen Stelle zu diskutieren: Sind z. B. die Bedarfserhebung und Programmplanung ganz eindeutig der Prozessqualität zuzuordnen oder haben diese nicht auch erheblichen Einfluss auf die Strukturqualität? Ein drittes Beispiel: Die Vermittlung von personalen und sozialen Kompetenzen wird eigens dafür ausgewiesenen Veranstaltungen zugeordnet, die von fachlicher Weiterbildung abgegrenzt werden. Es spricht vieles für eine integrierte Betrachtungsweise der Kompetenzbereiche und ihrer Vermittlung; so schließt eine fachliche Weiterbildung die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen nicht aus.
Hier mag man zu Gute halten, dass derartige Systematisierungen in erster Linie heuristischen Charakter haben, Idealtypen darstellen und die Komplexität der realen Zusammenhänge und Interdependenzen nicht zu fassen vermögen. Forschungstechnisch sind diese Vereinfachungen geboten; in der Rezeption kann dies zu Irritationen führen.
Der Fragebogen ist als Erhebungsinstrument ebenso umfassend wie differenziert. Kritisch ist hier anzumerken, dass es Fragenkomplexe gibt, deren Antwortoptionen positive normative Vorgaben beinhalten (Fragen 26, 30 und 31). Die befragte Person mag auf den ersten Blick erahnen, dass hier genau die Handlungsweisen abgefragt werden, die eigentlich erforderlich wären für eine professionelle Weiterbildungspraxis. Es bedarf hier einer gewissen Reflexionsfähigkeit, um nicht gemäß „sozialer Erwünschtheit“ anzukreuzen. Welche/r Bildungsverantwortliche mag schon freimütig zugeben, dass die Bedürfnisse der Teilnehmer/innen bei der Programmplanung natürlich nicht berücksichtigt werden?
In lesedidaktischer Hinsicht kommt die Autorin den Leser/innen trotz des gehaltvollen Inhalts in dankenswerter Weise entgegen: Klare Strukturen, Advance Organizer und sinnvolle Redundanzen erleichtern das Lesen.
Insgesamt handelt es sich hier um eine überaus lesenswerte und ausgesprochen lesbare Studie, die den erwachsenenpädagogischen Theoriebestand bereichert und – so bleibt zu hoffen – ein neues und wichtiges Forschungsfeld erziehungswissenschaftlich erschließt: Das Berufsbildungssystem Pflege.
[1] Pflege wird hier und nachfolgend als Ober- und Sammelbegriff einzelner Berufsbezeichnungen verwendet, die Dienstleistungen fĂĽr pflegebedĂĽrftige Menschen erbringen, egal ob der Pflegebedarf aus einem altersbedingten oder krankheitsbedingten Hilfebedarf resultiert.