EWR 3 (2004), Nr. 3 (Mai/Juni 2004)

Johann August SchĂĽlein
Autopoetische Realität und konnotative Theorie
Ăśber Balanceprobleme sozialwissenschaftlichen Erkennens
Weilerswist: VelbrĂĽck-Verlag 2002
(336 Seiten; ISBN 3-934730-51-5; 45,00 EUR)
Autopoetische Realität und konnotative Theorie Johann August Schülein ist Professor für Soziologie an der Wirtschaftsuniversität in Wien. Seine Monographie reflektiert den Bedarf konnotativer Theorie im sozial- und humanwissenschaftlichen Theoriegenerierungsprozess. Er wendet sich gegen ein konstruktivistisches Theorieverständnis und arbeitet eine differenztheoretische Perspektive im Theoriegenerierungsprozess aus.

Schülein grenzt die Verwendung konnotativen von denotativen Theorien ab, die beschränkt sind auf nomologische Realität, also gegenüber sozialer Realität geschlossen und unflexibel ist und sich algorithmisch erfassen lässt. Diese Unterscheidung, die sich im Kern durch die ganze Abhandlung zieht, unterscheidet Sozial- und Humanwissenschaft von Naturwissenschaft.

Ein Effekt der Monographie ist, dass sie sehr stringent die Besonderheiten sozial- und humanwissenschaftlicher Theorieproduktion und die Differenz zum naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozess beleuchtet. Schülein lässt keinen Zweifel darüber, dass sozialwissenschaftliche Theorie und ihre Gewinnung prinzipiell offen ist und nicht mit der naturwissenschaftlichen Arbeit an Problemen vergleichbar ist. Er postuliert in seiner Arbeit ein sozialwissenschaftliches Theoriegrundverständnis, das gleichsam aber in seiner Offenheit Probleme birgt. Die Balance sozialwissenschaftlichen Erkennens liegt insofern in der Notwendigkeit, offen zu sein und gleichzeitig Erkenntnis zu produzieren. Algorithmus vs. Autopoiesis bzw. Berechenbarkeit vs. Unberechenbarkeit verhandelt Schülerin unter anderem historisch. Stärken und Schwächen bei Dilthey, Weber und der kritischen Theorie werden dargelegt und ihre Grenzen im Balanceakt rekonstruiert.

Die Schwierigkeit des behandelten Themas liegt im Abstraktionsgrad der Materie. Schülein räumt ein, dass auf dem Gebiet der Theorieproduktion die rein denotative Theorie nachweisbar ist, rein konnotative Theorien jedoch nicht. Auch zeigen Aussagen wie "Theoriebalance bleibt eine unmögliche Kunst" die offene Zielsetzung seiner Ausführungen: Das Balanceproblem der Theoriebildung in den Human- und Sozialwissenschaften zu diskutieren, die Entwicklung und impliziten Zwänge der Theoriebildung aufzuzeigen und vom Vorwurf der Beliebigkeit und Willkür zu schützen, ohne eine Lösung des Problems anbieten zu können. Die Monographie dient vielmehr einem tieferen Verständnis der Logik gegenstandsbezogener Theorie und thematisiert z.B. das Problem der Versprachlichung von gegenstandsbezogenen Theorien, die eine eigene Symbolik brauchen, oder das der Einordnung von Untersuchungsgegenständen in rein dem akademischen Kontext entsprungenen Kategoriesystemen.

Die Argumentationen Schüleins sind vielschichtig, sie münden aber letztlich in die Forderung nach Entwicklung konnotativen Theorien zur Erfassung sozialer Realität. Diese Forderung und die Darlegung der Probleme konnotativer Theorie und –prozesse, sind gleichsam aus erziehungswissenschaftlicher Sicht vor allem in Theoriegenerierungsprozessen interessant, die sich der Grounded Theory verpflichten, so, wie es viele Arbeiten tun, die sich qualitativer Forschungsmethoden bedienen.

Insofern richtet sich die Publikation an im wissenschaftstheoretischen Diskurs vertraute Experten. Als Besonderheit ist allerdings das Kapitel 2 zu nennen, das sich explizit mit den Besonderheiten der Sozialwissenschaften beschäftigt und die Differenz zu einem naturwissenschaftlichen Verständnis von Theorieproduktion und Forschung deutlich macht.
Oliver Peters (Dortmund)
Zur Zitierweise der Rezension:
Oliver Peters: Rezension von: SchĂĽlein, Johann August: Autopoetische Realität und konnotative Theorie, Ăśber Balanceprobleme sozialwissenschaftlichen Erkennens, Weilerswist: VelbrĂĽck-Verlag 2002. In: EWR 3 (2004), Nr. 3 (Veröffentlicht am 02.06.2004), URL: http://klinkhardt.de/ewr/93473051.html