Die seit Januar 2006 für die Öffentlichkeit zugängliche ehemalige NS-Ordensburg Vogelsang in der Nordeifel zählte im ersten Jahr der Öffnung bereits ca. 140.000 Besucher. Seit dem Entscheid über die zivile Nutzung des nach Kriegsende zunächst von den britischen, dann von den belgischen Streitkräften als Truppenübungsplatz genutzten Geländes und der Einrichtung des Nationalparks Eifel im Jahr 2004 diskutieren die verschiedenen beteiligten Akteure die Möglichkeiten einer angemessenen Nachnutzung des unter Denkmalschutz stehenden Ensembles. Das große öffentliche Interesse an der einstigen Schulungsstätte für den Führernachwuchs der NSDAP verleiht der andauernden Debatte eine neue Dynamik und mahnt zur verantwortungsvollen Weiterentwicklung des sich im Aufbau befindlichen Informations- und Serviceangebots für die Besucher.
Zu dieser aktuellen Diskussion um die Zukunft von Vogelsang leistet der hier zu besprechende Sammelband einen Beitrag, indem er einerseits einen Rückblick auf die Nutzungsgeschichte des Areals bietet und andererseits die Chancen museums- bzw. gedenkstättenpädagogischer Konzepte für eine Folgenutzung erörtert. Die dreizehn Aufsätze gehen zum überwiegenden Teil auf eine Tagung zurück, die im Oktober 2004 vom Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten in NRW und der Landeszentrale für politische Bildung NRW sowie drei weiteren regionalen Initiativen und Forschungsinstituten mit dem Schwerpunkt der Erwachsenen- und politischen Weiterbildung veranstaltet wurde.
Auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung und der Gedenkstättenarbeit haben sich bisher auch die beiden Herausgeber Paul Ciupke und Franz-Josef Jelich durch eine Vielzahl von Veröffentlichungen – u. a. auch zum Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in Deutschland – ausgewiesen. In ihrer kurzen Einleitung machen sie vor allem auf die Defizite in der bisherigen bildungshistorischen Forschung zur Erziehungswirklichkeit und -wirkung in den zahlreichen NS-Schulungs- und Erziehungsstätten, insbesondere für den Bereich der Erwachsenenbildungsforschung, aufmerksam.
Der Hauptteil gliedert sich in drei Komplexe: „Nationalsozialistische Weltanschauung und Erziehung“, „NS-Architektur und Geschichte der Ordensburg Vogelsang“ sowie „Historisch-politische Bildung am ‚Lernort’ Ordensburg Vogelsang?“.
Der erste, ideengeschichtlich angelegte Beitrag von Lutz Raphael zur nationalsozialistischen Ideologie gibt vornehmlich auf der Basis neuerer Studien zur Wissenschaftsgeschichte und Elitenforschung einen guten Überblick über die Grundelemente, Erscheinungsformen und Entwicklungsphasen der nationalsozialistischen Weltanschauung sowie deren Anleihen bei wissenschaftlichen Schulen und politischen Strömungen der Zeit. Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen seien der ideologischen Indoktrination in unterschiedlich starkem Maße ausgesetzt gewesen; eine systematische und wiederholte Schulungsarbeit hätte in den Friedensjahren jedoch nur eine Minderheit erreicht, d.h. im Wesentlichen die Mitglieder der NSDAP, die Angehörigen der SS und der Polizei sowie die männliche Jugend in der HJ, im RAD und in der Wehrmacht. Wie Raphael zutreffend bemerkt, war auch die tatsächliche Zahl der Schulungsteilnehmer in den Ordensburgen relativ klein: bekanntlich herrschte ein Bewerbermangel und eine hohe Abbruchquote; insgesamt wurden bis Kriegsbeginn nur drei Jahrgänge ausgebildet, von denen letztlich kein Ausbildungsjahrgang zum Abschluss kam. Nicht korrekt sind allerdings die Jahreszahlen: der erste Schulungskurs fand nicht 1933, sondern erst im Jahr 1936 statt. Fragwürdig ist ebenfalls die angegebene Absolventenquote des ersten Lehrgangs von 17% (29); eine andere, sonst auch vom Autor genutzte Quelle verweist mit dieser Prozentzahl auf die Abbruchquote [1].
Es folgt die Untersuchung von Kiran Klaus Patel, der die Konzeption der außerschulischen NS-Erziehungslager für Männer in Barackenform (Arbeitsdienst usw.) mit der Gestaltung der Ordensburgen vergleicht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Ziele beider Erziehungs- und Unterkunftsformen (Kontrolle und Disziplinierung, Militarisierung, Entindividualisierung und Inszenierung eines Naturbezugs) identisch waren, deren Umsetzung in der Raum- und Zeitordnung jedoch durchaus Unterschiede aufwies. Ähnlich stark ausgeprägt waren dagegen die inhaltlichen Strukturprobleme (Abweichung von den Vorgaben, Antiintellektualismus, Praxisferne u.ä.), die letztendlich eine wichtige Ursache für den Misserfolg der Ordensburgen darstellten. Patel weist darauf hin, dass sich dem heutigen Besucher diese Dysfunktionalitäten und Defizite beim Anblick der monumentalen Architektur nicht ohne entsprechendes Vorwissen oder pädagogische Handreichungen erschließen (50).
Gisela Miller-Kipp geht der Herstellung von Elite-Bildung und Elite-Bewusstsein aufgrund von Interviews mit den auf den Ordensburgen ebenfalls untergebrachten Adolf-Hitler-Schülern nach. Sie stellt fest, dass der „Raumeindruck Vogelsang“ (62) das Elitebewusstsein der Schüler zwar nachhaltig beförderte und bis in die Gegenwart nachwirkend stützt, die Schulen als Unterrichtsorte jedoch „bestenfalls ein Eliteversprechen“ (57) waren. Die bis heute behauptete „Elitebildung“ liege auch in der „kurzschlüssigen Verwendung“ des Elitebegriffs nach 1945 durch die historische Forschung begründet (55, 62). Dessen Gebrauch ist indes nicht zuerst 1964 bei Gamm, sondern schon bei Eilers nachzuweisen [2].
Nach einem Blick auf die Ordensburg Sonthofen im Allgäu – eine weitere der insgesamt drei errichteten NS-Ordensburgen – durch Gerhard Klein beschließt die bereits an anderem Ort veröffentlichte Untersuchung von Harald Scholtz [3] über die „Körpererziehung als Mittel zur Mentalitätsprägung an den Adolf-Hitler-Schulen“ den ersten Themenkomplex.
Der Beitrag von Monika Herzog zur Baugeschichte und Architektur von Vogelsang eröffnet den zweiten Abschnitt des Tagungsbandes. Sie kann aufzeigen, dass auf dem Gelände der nie vollendeten Ordensburg Vogelsang verschiedene architektonische Stilrichtungen ihren Eingang fanden, darunter Elemente des Heimatstils, des ‚Neuen Bauens’ und des mittelalterlichen Mauermassenbaus sowie Motive und Zitate aus der Herrschaftsarchitektur verschiedenster Kulturen und Epochen, wie beispielsweise der klassischen griechischen und römischen Antike oder der altgermanischen Führungsschicht. „Die NS-Architektur“ als eigenständige Bauaufgabe und Stilrichtung habe es nicht gegeben, gleichwohl seien die NS-Bauten durch diese Versatzstücke und bisweilen auch nahezu vollständige Kopien erkennbar (105). Die gut erhaltene Gesamtanlage besitze immer noch eine hohe Aussagekraft „für die in Stein gewordene Ideologie“, die es zu erhalten gelte, „um nicht zuletzt als Lehrstück und Anschauungsobjekt zu dienen für die facettenreichen und subtilen Einflussmöglichkeiten gefährlichen Gedankengutes auf den Menschen“ (109).
Michael Schröder reicht dagegen ein alleiniger „erlebnisorientierter Zugang“, der „lediglich die Inhumanität der dort stattgefundenen Ausbildung mittels Architekturanschauung vermitteln will“ (124), nicht aus. In seinen Ausführungen zur Nutzungsgeschichte des Ordensburggeländes seit 1945 zeichnet der Autor den Weg von der Errichtung eines britischen Truppenübungsplatzes bis zum Abzug der belgischen Streitkräfte nach. Er plädiert für eine „an Quellen nachvollziehbare Aufklärung über den historischen Kontext dieser Herrschaftsarchitektur“ unter Berücksichtigung der regionalen Naturschutz- und Umweltgeschichte (124f.).
In einem zweiten Beitrag verfolgt derselbe Autor die Spuren von Teilen der Bibliothek auf Vogelsang seit Kriegsende bis in die ULB Bonn und versucht anhand dort vorhandener Bücherlisten ein Bibliotheksprofil zu rekonstruieren. Inwieweit sich dadurch auf mögliche Unterrichtsinhalte schließen lässt, ist zweifellos eine interessante Frage, die jedoch ohne eine entsprechende Gegenüberlieferung in den zeitgenössischen Quellen kaum zuverlässig zu beantworten ist.
Volker Dahm, Alfons Kenkmann, Manfred Struck und Bernd Faulenbach widmen sich im dritten Komplex der Entwicklung des ehemaligen „Täterorts“ Vogelsang zum „Lernort“ und seiner Verortung in der deutschen Erinnerungslandschaft, indem sie die verschiedenen Nutzungskonzepte unter inhaltlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten diskutieren sowie über den derzeitigen Planungsstand zum Dokumentations-, Bildungs- und Begegnungszentrum Vogelsang informieren. Dass solche Projekte auch Gefahr laufen zu scheitern, führt der abschließende Exkurs von Rainer Stommer über die Erfahrungen im Umgang mit dem ehemaligen „KdF-Seebad Rügen“ in Prora vor Augen.
Insgesamt erfährt der Leser relativ wenig über die im Titel des Buches angekündigte weltanschauliche Erziehung in den Ordensburgen im eigentlichen Sinn. Vielmehr werden anschaulich (Bau-)Geschichte, Funktion und Bedeutung der Ordensburgen sowie einzelne Aspekte der dort ursprünglich nur aus Raumnöten zusammengefassten Adolf-Hitler-Schulen dargestellt. Eine schärfere Abgrenzung beider Gegenstände, deren Behandlung sich auch im Titel widerspiegelt, wäre wünschenswert gewesen. Der Band ist großzügig bebildert, wobei die Bildauswahl besser auf die einzelnen Beiträge abgestimmt sein könnte. Auch hier ist die fehlende inhaltliche Abgrenzung zwischen Ordensburgen und Adolf-Hitler-Schulen kritisch anzumerken. Bei der Bildfülle hätte ferner auf die Verwendung themenfremder Fotos zur HJ allgemein verzichtet werden können. Ungeachtet dessen stellt der Band eine wichtige Ergänzung der bisher nur wenigen wissenschaftlichen Publikationen zu diesem Themenfeld dar, der für Studieneinsteiger und Fachkollegen gleichermaßen geeignet ist.
[1] Scholtz, Harald (1967): Die „NS-Ordensburgen“. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 15, S. 269-298, hier S. 291.
[2] Eilers, Rolf (1963): Die nationalsozialistische Schulpolitik: eine Studie zur Funktion der Erziehung im totalitären Staat. Köln u. a.: Westdeutscher Verlag, hier S. 41-49.
[3] Vgl.: Sozial- und Zeitgeschichte des Sports 3 (1989), H. 1. S. 33-49.
EWR 6 (2007), Nr. 3 (Mai/Juni 2007)
Weltanschauliche Erziehung in Ordensburgen des Nationalsozialismus
Zur Geschichte und Zukunft der Ordensburg Vogelsang
(Geschichte und Erwachsenenbildung, Bd. 20)
(Geschichte und Erwachsenenbildung, Bd. 20)
Essen: Klartext 2006
(190 S.; ISBN 3-89861-713-0; 19,90 EUR)
Anke Klare (Potsdam)
Zur Zitierweise der Rezension:
Anke Klare: Rezension von: Ciupke, Paul / Jelich, Franz-Josef (Hg.): Weltanschauliche Erziehung in Ordensburgen des Nationalsozialismus, Zur Geschichte und Zukunft der Ordensubrg Vogelsang (Geschichte und Erwachsenenbildung, Bd. 20). Essen: Klartext 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 3 (Veröffentlicht am 12.06.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/89861713.html
Anke Klare: Rezension von: Ciupke, Paul / Jelich, Franz-Josef (Hg.): Weltanschauliche Erziehung in Ordensburgen des Nationalsozialismus, Zur Geschichte und Zukunft der Ordensubrg Vogelsang (Geschichte und Erwachsenenbildung, Bd. 20). Essen: Klartext 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 3 (Veröffentlicht am 12.06.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/89861713.html