EWR 3 (2004), Nr. 2 (MĂ€rz/April 2004)

Christian Ritzi / Gert Geißler
Wege des Wissens
125 Jahre Bibliothek fĂŒr Bildungsgeschichtliche Forschung
Berlin: Weidler Buchverlag 2003
(274 Seiten; ISBN 3-89693-228-4; 29,00 EUR)
Wege des Wissens Im Jahre 2001 feierte die zweitgrĂ¶ĂŸte pĂ€dagogische Spezialbibliothek Europas, die Bibliothek fĂŒr Bildungsgeschichtliche Forschung (BBF) in Berlin (rund 700.000 BĂ€nde, ein großer Bestand an Archivalien und etliche Sondersammlungen), ihr 125jĂ€hriges Bestehen. Aus diesem Anlass fand ein Kolloquium statt, bei dem die Geschichte dieser Institution – von ihrer Vorgeschichte in der ersten HĂ€lfte des 19. Jahrhunderts ĂŒber die GrĂŒndung des "Deutschen Schulmuseums" (1876) bis zur Integration in das "Deutsche Institut fĂŒr Internationale PĂ€dagogische Forschung" (1992) – dargestellt und kritisch gewĂŒrdigt wurde. Der nun in 2. Auflage vorgelegte Band enthĂ€lt neben den BeitrĂ€gen als wesentliche Zugabe ein ZeitzeugengesprĂ€ch zum Prozess der Integration der Bibliothek nach 1989.

Was dieses Buch nicht nur lesenswert, sondern auch bildungshistorisch interessant macht, ist die Tatsache, dass die Geschichte dieser Einrichtung nicht nur im Sinne einer "institutionellen Selbstvergewisserung" (so Christian Ritzi, Direktor der Bibliothek, im Vorwort) behandelt wird. Vielmehr "spiegelt" diese Geschichte vor dem Hintergrund gravierender gesellschaftlicher und politischer VerĂ€nderungen in Deutschland "exemplarisch das VerhĂ€ltnis zwischen einer Spezialbibliothek und deren Kundschaft, die sich wandelt und verĂ€ndert und die mit stets neuen Erwartungen und Anforderungen an ,ihre‘ Bibliothek herantritt, wider" (7). Auch der Einfluss der verschiedenen vor- und ĂŒbergeordneten TrĂ€gerinstitutionen sowie die Wirkung einiger mit der Bibliothek eng verbundener Persönlichkeiten werden in die kritische Betrachtung einbezogen und dabei neben "Erfolgsgeschichten" auch Irrwege nicht ausgespart.

Um die VerĂ€nderung der "Kundschaft" geht es beispielsweise im Beitrag von Heidemarie Kemnitz, die der "Vorgeschichte" der Bibliothek, der Entwicklung "vom Lesezirkel zur Lehrerbibliothek", nachgeht. Kemnitz zeigt auf, wie organisiertes Lesen einerseits zur Verberuflichung des Lehrerstandes beitrug und wie andererseits Fortschritte in diesem Verberuflichungsprozess sich in einem Wandel der Organisationsformen des Lesens niederschlugen: Lesezirkel von Volksschullehrern wurden ursprĂŒnglich aus Mangel an Geld und an Zugang zu den bereits bestehenden Bibliotheken gegrĂŒndet. Mit ihrer strengen Form des organisierten Lesens – nach einer festgelegten Reihenfolge wanderten die gemeinsam angeschafften BĂŒcher in bestimmten ZeitabstĂ€nden von Hand zu Hand – trugen die Zirkel erheblich zur besseren Ausbildung der sehr unterschiedlich vorbereiteten Lehrer bei: "Das Prinzip, nach dem jeder alle zirkulierenden BĂŒcher lesen konnte und sollte, versprach in absehbarer Zeit eine Angleichung des pĂ€dagogischen Wissens" (15). Die 1813 gegrĂŒndete Berlinische Schullehrergesellschaft, die im Mittelpunkt der Darstellung von Kemnitz steht, gab allerdings bereits nach wenigen Jahren den Lesezirkel auf, da mit rasch wachsender Teilnehmerzahl die Nachteile des strikten Umlaufverfahrens ĂŒberwogen, und richtete eine allen zugĂ€ngliche Bibliothek ein. Mit diesem Schritt vollzog sie – so Kemnitz – den Übergang von einer verbindlichen zu einer freien, individuell bestimmbaren Form organisierten Lesens. Durch die Entwicklung der seminaristischen Lehrerbildung verloren die Vereinsbibliotheken allerdings ihre Ausbildungsfunktion. Die BĂŒchersammlung der Gesellschaft fand schließlich 1874 im neugegrĂŒndeten Deutschen Schulmuseum eine sinnvolle Unterbringung. Aus aktuellen BildungsgĂŒtern waren – so Kemnitz – in nur 60 Jahren bereits museale BildungsgegenstĂ€nde geworden: "Nicht Mangel an Bildung, sondern Muße fĂŒr Bildung war das Merkmal dieser Bibliothek, die damit die Haben-Seite der Lehrerberufsgeschichte reprĂ€sentierte" (20).

Dem Lehrerstand, dessen Bildungsniveau sich bis in die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts deutlich verbessert hatte, entstammte eine der Persönlichkeiten, deren Wirken die weitere Entwicklung der "Deutschen LehrerbĂŒcherei" entscheidend beeinflusste. In ihrem akribisch recherchierten Beitrag wĂŒrdigt Christa Förster "das Wirken Adolf Rebhuhns fĂŒr die Deutsche LehrerbĂŒcherei". Rebhuhn wurde 1879 in den Vorstand des Deutschen Schulmuseums gewĂ€hlt und zum BĂŒcherwart bestimmt. Das Ziel des jungen Lehrers – nach Seminarausbildung seit 1874 im Schuldienst, 1882 bereits Ablegung der RektoratsprĂŒfung – war neben der Bereitstellung von altem Schriftgut zur Erforschung der Geschichte des Unterrichts- und Erziehungswesens die UnterstĂŒtzung der Volksschullehrer bei ihrer Weiterbildung. Aus diesem Grunde trieb er den Ankauf aktueller Literatur voran. Förster dokumentiert die vielseitigen Facetten von Rebhuhns Wirken, darunter die Erstellung von Bestandsverzeichnissen und die Öffentlichkeitsarbeit. 1907 wurde seinem Antrag auf öffentlichkeitswirksame Umbenennung des Schulmuseums in Deutsche LehrerbĂŒcherei zugestimmt und er selbst zum Bibliotheksleiter ernannt. 1908 zog die Einrichtung in das neue Vereinshaus des Berliner Lehrervereins um. Bis zu seinem Tode 1924 wuchs der Bestand der Bibliothek auf fast 120.000 BĂ€nde. Trotz eines kritischen, durchaus angebrachten Seitenblicks auf Rebhuhns Neigung zur SelbstĂŒberschĂ€tzung kommt Förster zu dem Fazit, dass er sein "Ziel, eine Bibliothek zu schaffen, die dem Volksschullehrer wissenschaftliches RĂŒstzeug fĂŒr eine vollwertige Bildung gab, erreicht" (40) hat. Angesichts eines 45jĂ€hrigen Wirkens fĂŒr dieses Ziel bezeichnete er selbst die Bibliothek wohl zu Recht als sein "Schicksal"; doch Förster zeigt auch, dass das Wirken eines Einzelnen in bestimmten Konstellationen zum Schicksal einer solchen Einrichtung werden kann.

Dies belegt auch der Beitrag von Christian Ritzi ĂŒber den Weg Hanns Beckmanns – Leiter der Deutschen LehrerbĂŒcherei fĂŒr lediglich zwei Jahre, 1942 bis 1944 – "vom Freikorps-KĂ€mpfer zum Bibliotheksdirektor". Ritzi verfolgt – mit einigen interessanten Exkursen zur Zeitgeschichte – den Lebenslauf dieses Mannes, der zunĂ€chst weder eine pĂ€dagogische noch eine bibliothekarische Karriere vermuten ließ. Der 1891 geborene Beckmann diente seit 1914 begeistert als Soldat und nach dem Ersten Weltkrieg noch bis 1820 in einem Freikorps im Baltikum. Aufgrund seiner kaufmĂ€nnischen Ausbildungen in Apotheke und Drogenhandel arbeitete er an verschiedenen Schulen als Gewerbelehrer, fasste aber nirgends richtig Fuß. Mehr Zugehörigkeit erfuhr er – so Ritzi – durch sein Engagement in der SA und im Nationalsozialistischen Lehrerbund, in dessen TrĂ€gerschaft sich auch die Deutsche LehrerbĂŒcherei seit Mitte der dreißiger Jahre befand. 1937 wurde er Mitglied der NSDAP. 1939 bewarb Beckmann sich erfolgreich auf eine feste Stelle in der LehrerbĂŒcherei; 1942 ĂŒbernahm er die Leitung. Zu dieser Wahl qualifizierte ihn weniger der berufliche Werdegang als die politische Einstellung und seine darauf aufgebauten Kontakte. Dass er die Aufgabe unter den gegebenen Herausforderungen annahm, schildert Ritzi anhand eines erhalten gebliebenen Tagebuches, das im Anschluss an den Beitrag wiedergegeben wird. Es zeigt den Kampf Beckmanns um den Schutz des BibliotheksgebĂ€udes und der BestĂ€nde. Die wertvollsten BĂ€nde und Sammlungen, darunter die alten Drucke, versuchte er durch Auslagerung vor der Zerstörung zu bewahren, wĂ€hlte dafĂŒr allerdings ein Schloss in Bensen (nach dem Krieg Tschechoslowakische Republik), aus dem nur Teile der BestĂ€nde Jahre spĂ€ter in den Besitz der Bibliothek zurĂŒckgelangten. Ritzi macht deutlich, wie dieser Mann, dessen Lebenslauf im Gegensatz zu dem Rebhuhns alles andere als der eines typischen Bibliotheksleiters war, sich in zwei krisenhaften Jahren ganz dem Erhalt dieser Institution widmete und wie er im vergeblichen Kampf um ihre SchĂ€tze zur "tragischen Figur" (61) wurde. Er meldete sich im Oktober 1944 freiwillig zum Volkssturm und kehrte nach dem Ende des Krieges nie mehr in die Bibliothek zurĂŒck. Trotz seines nur sehr kurzen Wirkens hat Beckmann ihr Schicksal ebenfalls insofern mitbestimmt, als er durch seinen Einsatz zum Erhalt der in Berlin verbliebenen BestĂ€nde ebenso wie zum Verlust von ausgelagerten entscheidend beigetragen hat.

Hinter dem zunĂ€chst nach reiner Bibliotheksgeschichte klingenden Titel "KontinuitĂ€t und Wandel der ErwerbungsgrundsĂ€tze und -politik der PĂ€dagogischen Zentralbibliothek in der DDR" von Christiane Griese verbirgt sich die Forschungsfrage, ob die "bibliothekarisch, nicht wissenschaftlich strukturierte und begrĂŒndete TĂ€tigkeit ,Erwerbung‘" (166) in bildungshistorischer Hinsicht von Interesse ist. Mit ihrem auf Quellen und Zeitzeugenbefragung beruhenden Beitrag beantwortet sie diese Frage eindeutig positiv. Sie zeigt ZusammenhĂ€nge auf zwischen dem BĂŒchererwerb der Bibliothek und der gesellschaftspolitischen Situation wie auch dem jeweiligen VerstĂ€ndnis der Aufgabe von "PĂ€dagogik", aber auch die SpielrĂ€ume fĂŒr willkĂŒrliches Handeln einzelner Akteure. So wurde in einer Analyse der Aufgaben der PĂ€dagogischen Zentralbibliothek (PZB) aus dem Jahre 1960 festgelegt, dass ihre BestĂ€nde insbesondere die Entwicklung von Schule und Erziehung in sozialistischen LĂ€ndern aufzeigen und sich mit der PĂ€dagogik "der westlichen Welt" kritisch auseinandersetzen (170) sollten. Dennoch versuchte Direktor Leo Regener (1952–1969) einen relativ gesamtdeutschen Anspruch umzusetzen. Mit der GrĂŒndung der PĂ€dagogischen Akademie der Wissenschaften der DDR (APW) im Jahre 1970 wurde die PZB zur Bibliothek der Akademie. Die Erwerbung hatte sich nun nach deren BedĂŒrfnissen, insbesondere den Forschungsschwerpunkten der Mitarbeiter, zu richten. Entsprechend der ideologischen Ausrichtung der Akademie rĂŒckten die Gesellschaftswissenschaften in den Rang des Hauptsammelgebietes auf, noch vor der PĂ€dagogik. Auch hier kann Griese zeigen, dass die Erwerbungen sich trotzdem keineswegs ausschließlich an ideologischen Vorgaben orientierten. So gelang es beispielsweise der Bibiliotheksleiterin Marion Bierwagen immer wieder durch unkonventionelle und nichtoffizielle Kontakte, auf dem Tauschweg Literatur aus dem kapitalistischen Ausland zu erwerben. Die Befragung von Zeitzeugen aus der Bibliothek legt außerdem nahe, dass zwischen den offiziellen Sammelschwerpunkten und den in den Akten ĂŒberlieferten Abrechnungen der "Abteilung Erwerbung" zahlreiche dezentrale Entscheidungen anzunehmen sind. Danach "ist zu vermuten, dass u.a. durch persönliche Privilegien und Machtpositionen von Personen oder Arbeitsgruppen allgemeine GrundsĂ€tze – jedenfalls zeitweise – konterkariert werden konnten" (183).

Ulrich Wiegmann, der den Übergang "Von der PĂ€dagogischen Zentralbibliothek zur Bibliothek fĂŒr Bildungsgeschichtliche Forschung 1989–1991" untersucht, weist gleich zu Beginn seines Beitrags auf die besondere Schwierigkeit hin, diese Phase als ein unmittelbar Betroffener, zumal aus relativ kurzer zeitlicher Distanz, darzustellen. So versucht er, durch die "Konzentration auf ĂŒberlieferte schriftliche Quellen" grĂ¶ĂŸtmögliche ObjektivitĂ€t zu erreichen. GestĂŒtzt auf eine Vielzahl von Protokollen, Briefen, Kurzberichten u.a. verfolgt Wiegmann die Irrungen und Wirrungen um die WeiterfĂŒhrung der PZB nach der "Wende". Als sich die Auflösung der APW abzuzeichnen begann, arbeitete die Leiterin, Marion Bierwagen, systematisch daran, der Bibliothek eine selbstĂ€ndige IdentitĂ€t zu vermitteln und durch Besinnung auf ihre DDR-ĂŒbergreifende Geschichte ideologische Vorbehalte abzustreifen. Wiegmann verfolgt im Detail die BemĂŒhungen von Politikern und Wissenschaftlern, darunter Vertretern der Historischen Kommission der Deutschen Geselschaft fĂŒr Erziehungswissenschaft (DGfE) und Mitgliedern der APW, die Bibliothek als geschlossene Einrichtung zu erhalten, vorzugsweise in Gestalt einer Stiftung. Die Bund-LĂ€nder-Kommission schließlich schlug eine Vereinigung mit dem Deutschen Institut fĂŒr Internationale PĂ€dagogische Forschung (DIPF) vor, um den Erhalt der Bibliothek durch ihren Nutzen fĂŒr die bildungshistorische Forschung zu legitimieren – eine Lösung, der beide Seiten zunĂ€chst ablehnend begegneten. Ohne Beschönigungen verfolgt Wiegmann den Weg der weiteren Verhandlungen bis zur endgĂŒltigen Einigung. Sein Beitrag zeigt deutlich, in welch großer AbhĂ€ngigkeit von politischen Entscheidungen die Bibliothek auch in dieser Phase ihrer Geschichte stand und wie stark der Einfluss verschiedener Gremien, aber auch einzelner HandlungstrĂ€ger (z.B. des StaatssekretĂ€rs im Hessischen Ministerium fĂŒr Wissenschaft und Kunst, Gerd Mangel) letztendlich war. Dass die BeschrĂ€nkung Wiegmanns auf schriftliche Quellen zwangslĂ€ufig auch eine solche des Gesichtsfeldes ist, wurde in der Diskussion nach seinem Beitrag deutlich.

"Zur VergegenwĂ€rtigung und KlĂ€rung jener Prozesse und Stationen der Entscheidungsfindung, die (
) zur Integration der ,PĂ€dagogischen Zentralbibliothek‘ in das Deutsche Institut fĂŒr Internationale PĂ€dagogische Forschung als bildungshistorische Forschungsbibliothek fĂŒhrten" (Lutz H. Eckensberger in seiner EinfĂŒhrung, 220), fand zwei Jahre nach dem Kolloquium in der BBF ein ZeitzeugengesprĂ€ch statt, dessen Teilnehmer Eckensberger gleich zu Anfang in "Zeitzeugen", "ZeittĂ€ter", "Zeitrichter" und "Zeithistoriker" differenzierte und mit dieser "Gemengelage" die Brisanz des GesprĂ€ches pointiert zum Ausdruck brachte. Entsprechend interessant lesen sich die GesprĂ€chsbeitrĂ€ge von Christian Ritzi, Wolfgang Mitter, Christoph FĂŒhr, Hermann Zayer, Hermann Avenarius, Gerd Mangel, Ulrich Wiegmann, Ursula Basikow, Gert Geißler, Christine Lost, Dieter Lenzen und Heinz-Elmar Tenorth. Die von Wiegmann beschriebenen Schwierigkeiten bei der Integration werden auch nach mehr als zehn Jahren sehr unterschiedlich bewertet, selbst innerhalb des Forschungskollegiums des DIPF. Auch auf die Frage, ob eine sinnvolle Bewahrung und WeiterfĂŒhrung der ehemaligen Deutschen LehrerbĂŒcherei, zuletzt Bibliothek der APW, gelungen sei, geben die Teilnehmer höchst unterschiedliche Antworten: FĂŒr Tenorth wurde die "bildungswissenschaftliche Tradition der DDR" bei der Übernahme "total negiert" und stattdessen an Traditionen wiederangeknĂŒpft, "die vor der DDR legitim" waren (237); fĂŒr FĂŒhr besteht die APW in Gestalt der BBF "in Bonsaiform" fort, hat also ihren Kern bewahrt (ebd.); Lost hebt besonders hervor, dass durch die Übernahme der Zusammenhalt der vorhandenen KulturgĂŒter (Museum, Bibliothek und Archiv) gewĂ€hrleistet werden konnte (244). Gert Geißler weist im Hinblick auf die DDR-Bildungsforschung darauf hin, dass 15 Forscher, die bereits an der APW tĂ€tig waren, innerhalb des DIPF Gelegenheit und Freiheit finden, die BestĂ€nde nach 1945 intensiv zu bearbeiten (243).

Die hier nĂ€her vorgestellten BeitrĂ€ge und das GesprĂ€ch zeigen die Wechselwirkungen zwischen Bibliotheksgeschichte und anderen Faktoren deutlich: Wandel der "Kundschaft", Wirkung zweier Bibliotheksleiter, die verschiedener kaum sein konnten, gesellschaftspolitische VerĂ€nderungen und – damit verbunden – Wechsel der TrĂ€gerinstitutionen. Die anderen BeitrĂ€ge des Bandes variieren und vertiefen das Thema fĂŒr weitere ausgewĂ€hlte Zeitabschnitte. Johannes Thomassen beschreibt "Die Deutsche LehrerbĂŒcherei im Ersten Weltkrieg" und kommt zu dem Ergebnis, dass letztendlich ĂŒberraschend wenig Verwerfungen zu verzeichnen waren. Ursula Basikow gibt in ihrem Beitrag "Zur Geschichte der Deutschen LehrerbĂŒcherei zwischen Kriegsende und ihrer Integration in die PĂ€dagogische Zentralbibliothek" einen auf Archivalien gestĂŒtzten Überblick ĂŒber einen brisanten Übergang; sie zeigt auf, wie in einer Zeit struktureller Unsicherheit und politischer Wendungen eine eben noch entscheidende Person (Direktor Edmund OprĂ©e) innerhalb kĂŒrzester Zeit zur Bedeutungslosigkeit verurteilt werden konnte. Gert Geißler vermittelt mit seinen AusfĂŒhrungen "Zum Umgang mit pĂ€dagogischen LiteraturbestĂ€nden in der frĂŒhen DDR" einen intensiv recherchierten, faktenreichen Einblick; interessant ist u.a. der Umgang mit politisch relevanten SonderbestĂ€nden, d.h. westdeutscher Buch- und Zeitschriftenliteratur, NS-Literatur und Teilen des Ă€lteren Bestands. Christian Ritzi wĂŒrdigt Marion Bierwagen, die 1983 bis 1996 als Direktorin der Bibliothek wirkte – einer "der wenigen FĂ€lle, wo ein leitender Angestellter einer DDR-Einrichtung seine leitende Position unter gewandelten VerhĂ€ltnissen behielt" (217) und zum Besten der Einrichtung nutzte. Christa Uhlig schließlich bietet in ihrem Beitrag ĂŒber "Die deutsche LehrerbĂŒcherei und ihre TrĂ€ger in politischen Umbruchzeiten" einen interessanten LĂ€ngsschnitt durch die Geschichte. Angesichts der zahlreichen politischen BrĂŒche, die die DLB als Institution ĂŒberstanden hat, fragt sie kritisch nach, inwieweit Anpassung der Preis fĂŒr das Überleben war – ein Zwiespalt, der "mit der Ambivalenz eines Berufsstandes zwischen professioneller Selbstorganisation und Verstaatlichung seiner Institutionen" korreliert (126). Insofern relativiert Uhlig die JubilĂ€umsfreude, was die Institution an sich betrifft, nicht aber deren Funktion als Bewahrerin von kultureller Substanz.

Verdienstvoll und nĂŒtzlich ist das von Viola BĂŒttner erstellte Verzeichnis der "Veröffentlichungen zur Geschichte der Bibliothek fĂŒr Bildungsgeschichtliche Forschung und ihrer VorgĂ€ngereinrichtungen", das etwa 170 Titel umfasst und zu weiterer LektĂŒre einlĂ€dt. Ein Personenverzeichnis schließlich erleichtert dem Leser das KnĂŒpfen von ZusammenhĂ€ngen zwischen einzelnen BeitrĂ€gen.

"BĂŒcher können letzte Orte von Freiheit sein. Das ist ihr Vorzug und eine Chance fĂŒr Bibliotheken" (Uhlig, 126) Es lohnt sich, den Band "Wege des Wissens" als die Institutionsgeschichte einer einzigartigen Spezialbibliothek zu lesen und darin zu verfolgen, welche historischen und gesellschaftspolitischen Entwicklungen, welche Gremien, welche individuellen EntscheidungstrĂ€ger und welche ZufĂ€lle an ihrem Werden und Erhalt mitgewirkt haben. Es lohnt sich auch, diese Geschichte einer fĂŒr die Aus- und Weiterbildung von Lehrern geplanten Einrichtung als Beitrag zur Bildungsgeschichte zu lesen und darin zu verfolgen, wie spezifische Literaturangebote – sowohl dem Inhalt als auch der VerfĂŒgbarkeit nach – der Profession des Lehrers und PĂ€dagogen eine jeweils spezifische AusprĂ€gung geben sollten. Es ist der Bibliothek fĂŒr Bildungsgeschichtliche Forschung unbedingt eine Fortsetzung ihrer Geschichte zu wĂŒnschen.
Sylvia SchĂŒtze (DĂŒsseldorf / Hannover)
Zur Zitierweise der Rezension:
Sylvia SchĂŒtze: Rezension von: Ritzi, Christian / Geißler, Gert: Wege des Wissens, 125 Jahre Bibliothek fĂŒr Bildungsgeschichtliche Forschung, Berlin: Weidler Buchverlag 2003. In: EWR 3 (2004), Nr. 2 (Veröffentlicht am 31.03.2004), URL: http://klinkhardt.de/ewr/89693228.html