Mit diesem Buch legt das Prenzlauer Berg Museum eine weitere Publikation zur Geschichte des Schulwesens im Bezirk vor. Um sich – so die selbstgewählte Zielsetzung – der Schulgeschichte des Bezirks "durch die Darstellung und Problematisierung einzelner zeitlicher und inhaltlicher Aspekte zu nähern" (VII), werden hier Beiträge zu einzelnen Schulen, verdienten Lehrern und unterschiedlichen Phasen schulischer Entwicklung über den weitgespannten Zeitrahmen der letzten 150 Jahre hinweg versammelt. Die Autorinnen und Autoren unternahmen ihre diesbezügliche Forschungsarbeit im Rahmen eines öffentlich geförderten Projekts, das von 1998 bis 2000 andauerte. Dabei sichteten sie eine Fülle von Archivmaterialien und führten zahlreiche Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die zum Teil geschickt in die Texte einfließen. Zusätzlich sammelten sie diverse Materialien, die von Privatpersonen und Schulen überlassen wurden, wodurch das Prenzlauer Berg Museum seine öffentlich nutzbare schulgeschichtliche Sammlung ergänzen konnte. Zahlreiche Fotos, die die Texte veranschaulichen, sowie ein ausführliches Schulverzeichnis machen das Buch für ein (lokal)schulgeschichtlich interessiertes Publikum zur anregenden Lektüre, die zudem relativ kostengünstig ist.
Betrachtet man das Buch allerdings durch die Brille des Bildungshistorikers, finden sich einige Kritikpunkte, die der Erwähnung bedürfen. Ein erster Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigt, dass es den Aufsätzen an einem übergreifenden Konzept mangelt. Unter der Überschrift "Schule und Schulalltag in Prenzlauer Berg gestern und heute" findet sich im ersten Teil des Buches ein Sammelsurium an Themen, die durch keinerlei Verklammerung zusammengehalten werden außer dem der lokalen Verortung. Darin unterscheidet sich das Werk z.B. grundlegend von einer ähnlichen Veröffentlichung des Heimatmuseums Neukölln, die 1993 unter Konzentration auf die Frage nach schulreformerischen Bemühungen das "Versuchsfeld Berlin-Neukölln" in den Blick nahm [1].
Hier geht es dagegen im ersten Teil in einer Art Galopp durch die Jahrzehnte, wobei immer wieder an bestimmten Zeitpunkten der Geschichte angehalten wird. Eine Aufzählung der berührten Themen mag die Beliebigkeit andeuten: Schule im Ersten Weltkrieg (Matthias Schreyer), das Schicksal jüdischer Schüler und Lehrer an der Königstädtischen Oberrealschule (Larissa Dämmig), Schule vom Kriegsende bis zur Spaltung Berlins (Gert Geißler), Neulehrer (Petra Gruner), Hilfsschulen in der frühen DDR (Peter Haase), Schulfeiern und -ausstellungen in der DDR (Anke Wieland), außerschulische Einrichtungen des Bezirks (Heike Eifler), Umstrukturierung des Schulwesens nach 1990 unter besonderer Berücksichtigung der Erfahrungen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen (Kirsten Dietrich/Bernt Roder, Bernhard Thomas Streitwieser), die Montessori-Schule in Prenzlauer Berg (Kirsten Dietrich/Bernt Roder) sowie Projektwochen im Prenzlauer Berg Museum (Kirsten Dietrich/Heike Eifler). Hinzu kommt ein eher journalistisch als wissenschaftlich zu nennender Aufsatz über sogenannte ‚staatsfeindliche’ Aktionen von Schülern der Kurt-Fischer-Oberschule von Annette Leo, der qualitativ besonders gegenüber den fundierten Beiträgen von Geißler, Gruner oder Haase abfällt. Fragwürdig ist auch die recht unreflektierte Darstellung der Montessori-Grundschule im Bezirk, die sich mehr als Werbetext für Montessori-Pädagogik denn als wissenschaftlicher Beitrag liest.
Eingeleitet wird dieser erste Teil durch eine Überblicksdarstellung zum "Werden und Wachsen des Schulstandorts Prenzlauer Berg" von Klaus Grosinski, dem es einerseits gelingt, schlaglichtartig die wichtigsten Entwicklungsphasen des dortigen Schulwesens zu beleuchten. Andererseits schreckt er nicht davor zurück, gerade die sensible Phase der nationalsozialistischen Herrschaft unter Rückgriff auf längst überholte DDR-Literatur darzustellen (A. Mahal: Zur Geschichte der Faschisierung des Berliner Schulwesens. In: Berliner Geschichte H. 4, 1983). Entsprechend ist die Rede von der "faschistische[n] Machtergreifung", vom ‚Nationalsozialistischen Lehrerbund’, "der seine Mitglieder für die weltanschauliche Ausrichtung der Schüler im faschistischen Sinne verantwortlich machte", sowie von "antifaschistischen Lehrern und Eltern", denen "letzte Wirkungsmöglichkeiten" durch die Auflösung von Sammelschulen und Elternbeiräten entzogen wurden (21ff.). Hier wäre mehr Zurückhaltung oder eine gründlichere Wahrnehmung des derzeitigen Forschungsstandes geboten gewesen.
An dieser Stelle sei jedoch gleich darauf hingewiesen, dass Grosinski im dritten Teil des Buches, der unter der Überschrift "Sie unterrichteten am Prenzlauer Berg" in zwei Aufsätzen und einem Interview markante Lehrkräfte des Bezirks vorstellt, ein sehr informativer und differenzierter Aufsatz über Paul Hildebrandt gelungen ist. Hildebrandt war insofern ein ungewöhnlicher Vertreter der Studienratszunft, als dass er sich nicht nur durch sein außerschulisches Engagement in der Deutschen Demokratischen Partei, sondern auch in seiner pädagogischen Arbeit als überzeugter Demokrat erwies. Unter Rückgriff auf eine Vielzahl von Quellen beschreibt Grosinski das Wirken Hildebrandts in der Weimarer Zeit, seine Verfolgung im Nationalsozialismus und seine Aktivitäten in der Nachkriegszeit sehr anschaulich.
Zuvor widmet sich der zweite Teil des Buches "Schulen, die anders waren". Hier untersucht Birgit Kirchhöfer die Geschichte von drei konfessionellen Privatschulen, nämlich die der evangelischen ‚Marthashofschule‘, der katholischen Theresienschule und der jüdischen Volksschule in der Rykestraße. Nele Güntheroth widmet sich den weltlichen Schulen des Bezirks in einem Beitrag, der offensichtlich auf ihrer 1990 fertig gestellten Dissertation fußt, und Wolfgang Helfritsch stellt die Entwicklung der Kinder- und Jugendsportschulen in Prenzlauer Berg dar.
Besonders reizvoll ist hier sicherlich der Vergleich der drei konfessionellen Privatschulen. Kirchhöfer verfasste hierzu drei informative Beiträge, die sehr unterschiedliche Schwerpunkte aufweisen. So steht bei der Betrachtung der evangelischen ‚Marthashofschule‘, einer 1859 gegründeten Elementarschule für Mädchen, die sich zu einer achtklassigen Volksschule entwickelte, deren Entstehungsgeschichte im Vordergrund. Die interessante Frage, wie die "mittlerweile einzige private Volksschule in Berlin" (305) auf die nationalsozialistische Schulpolitik reagierte, die ihre Existenz zunächst bedrohte und schließlich die Auflösung anordnete, bleibt dabei leider unbeantwortet.
Umfassender wird dagegen die Geschichte der katholischen Theresienschule behandelt, die 1894 gegründet, 1909 als Lyzeum und 1929 als Oberlyzeum anerkannt wurde. In einem ersten Abschnitt wird hier die Schulgeschichte von der Gründung bis zur staatlich verfügten Einstellung des Schulbetriebs 1941 beschrieben. Leider bleiben die Aussagen zur Schulgeschichte im Nationalsozialismus trotz der erhalten gebliebenen Chronik, der Schuljahresberichte und geführter Interviews vage und konstatieren lediglich, dass die erhaltenen Schilderungen "nicht nach bedingungsloser Zustimmung" klingen (322). Geradezu spannend ist dagegen im zweiten Abschnitt die Schilderung des Existenzkampfes der Schule in der DDR, als sich die Schulleitung immer wieder gegen staatliche Einflussnahme zu wehren hatte und dabei mit kräftiger Unterstützung der katholischen Kirche letztendlich erfolgreich blieb: unter altem Namen besteht sie an einem neuen Standort in Weißensee auch heute noch.
Den gänzlich anderen Zugriff auf die Geschichte der jüdischen Volksschule in der Rykestraße verrät schon die Überschrift "Für und wider eine neue Schule". Nicht die Darstellung von Schulalltag und -entwicklung steht hier im Vordergrund, sondern die Frage nach dem Sinn und Zweck der Einrichtung jüdischer Schulen, wie sie in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts in der jüdischen Gemeinde Berlins sehr ambivalent diskutiert wurde. Entsprechend beschreibt der Aufsatz den Zusammenhang zwischen Schulwahl auf der einen Seite und dem Grad an Assimilationsbereitschaft auf der anderen Seite, wobei die angeführten, häufig auf Interviews beruhenden Beispiele zwar anschaulich, aber nicht immer eindeutig sind. So wird die Schule in der Rykestraße von den einen als ‚zionistisch‘ bezeichnet, während andere, aus dem stark zionistisch geprägten jüdischen Waisenhaus stammende Schüler diese ‚nur‘ als jüdische Schule erlebt hatten. Dieses Problem der Interviewauswertung ist der Autorin bewusst und sie lässt längere Auszüge für sich sprechen, so dass die/der Leser/in sich durchaus ein eigenes Urteil bilden kann. Bis 1941 konnte die Schule ihren besonderen Aufgaben nachgehen, bevor sie von den Nationalsozialisten geschlossen wurde.
Den letzten Teil des Buchs bildet ein Epilog, der zwei Beiträge beinhaltet, die sich verstärkt Fragen der Schularchitektur widmen. Martin Albrecht und Brigitte Putzmann beschreiben darin die heutige Skandinavia-Oberschule, Sigrid Asseng äußert sich zum Umgang mit historischen Schulgebäuden unter denkmalpflegerischen Aspekten, wobei vor allem die Schulbauten der Architekten Hermann Blankenstein und Ludwig Hoffmann im Mittelpunkt stehen.
Mit diesen Texten endet ein Buch, das beim Rezensenten einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen hat. Grundsätzlich muss jedoch betont werden, dass sich mit der Vielfalt der Texte und den darin ausgewerteten sowie dokumentierten Archivalien und Quellen viele Anregungen für eine vertiefende Forschungsarbeit verbinden können. Insofern sollte das Buch zum größten Teil als Impulsgeber verstanden werden für noch zu schreibende Arbeiten. Seinen Wert als Beitrag zur Erforschung der lokalen Schulgeschichte in Prenzlauer Berg kann man der Publikation in keinem Fall abstreiten.
[1] Radde, Gerd u.a.: Schulreform — Kontinuitäten und Brüche. Das Versuchsfeld Berlin-Neukölln. 2 Bände. Opladen: Leske + Budrich 1993.
EWR 2 (2003), Nr. 4 (Juli/August 2003)
Schule zwischen gestern und morgen
Beiträge zur Schulgeschichte von Prenzlauer Berg
Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2002
(534 Seiten; ISBN 3-89676-534-5; 25,00 EUR)
Rüdiger Loeffelmeier (Berlin)
Zur Zitierweise der Rezension:
Rüdiger Loeffelmeier: Rezension von: Prenzlauer Berg Museum / Bezirksamt Pankow von Berlin (Hg.): Schule zwischen gestern und morgen, Beiträge zur Schulgeschichte von Prenzlauer Berg, Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2002. In: EWR 2 (2003), Nr. 4 (Veröffentlicht am 01.08.2003), URL: http://klinkhardt.de/ewr/89676534.html
Rüdiger Loeffelmeier: Rezension von: Prenzlauer Berg Museum / Bezirksamt Pankow von Berlin (Hg.): Schule zwischen gestern und morgen, Beiträge zur Schulgeschichte von Prenzlauer Berg, Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2002. In: EWR 2 (2003), Nr. 4 (Veröffentlicht am 01.08.2003), URL: http://klinkhardt.de/ewr/89676534.html