Während in den vergangenen beiden Dekaden der Multikulturalismus die angemessene Antwort auf gesellschaftliche Differenzierung und Pluralisierung zu geben schien und die Interkulturelle Erziehung als die diesem Gesellschaftsprogramm entsprechende pädagogische Antwort galt, sind seit etwa Mitte der 1990er Jahre, verstärkt aber nach den Terroranschlägen in den USA und wenige Jahre später in Madrid und London sowie der Ermordung des umstrittenen niederländischen Filmemachers Theo van Gogh, verstärkt Zweifel am Erfolg des multikulturellen Paradigmas laut geworden.
In den Fokus der politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzungen rückte zunehmend die Beschäftigung mit den Bedingungen und Kriterien für erfolgreiche Integration – wobei „Integration“ nach einem einflussreichen angloamerikanischen Beitrag zur Debatte auch oft synonym mit „Assimilation“ gebraucht wird. Sowohl in den wissenschaftlichen als auch den politischen Auseinandersetzungen ist der Fokus weniger auf Pluralität und Differenz, sondern auf Gemeinsamkeit und Teilhabe gerichtet. (Es sei an dieser Stelle zumindest festgestellt, dass hinter den Begriffen, Integration, Inklusion, Assimilation, Partizipation höchst unterschiedliche Traditionen und Perspektiven stehen, die Begriffe also keineswegs so leicht austauschbar sind, wie es gerade die aktuelle Integrations-/Assimilationsdebatte nahe legt). Seitens des wissenschaftlichen Diskurses geht es zumeist um die so genannte strukturelle Integration, d.h. – differenzierungstheoretisch gesprochen – um die Erhöhung der individuellen Chancen, von den gesellschaftlichen Teilsystemen in Anspruch genommen zu werden. Ein besonderer Akzent wird dabei auf die Vermittlung von Sprachkenntnissen in der Verkehrssprache des Aufnahmelandes gelegt. Statt den muttersprachlichen Unterricht zu betonen, fokussiert man nun eher die Sprachkurse, gelten Sprachkenntnisse doch als unabdingbare Voraussetzung für die soziale und strukturelle Integration. Diesem vielstimmigen Diskurs, in dem über die Zuwandernden gesprochen wird, steht das Schweigen der Betroffenen gegenüber: Nur selten kommen diese zu Wort, um über ihre konkreten Integrationserfahrungen zu sprechen.
Mit der durch einen Druckkostenzuschuss der Hans-Böckler-Stiftung unterstützten Veröffentlichung ihrer Dissertationsschrift legt Barbara Schramkowsi einen wichtigen Beitrag zur Differenzierung und Präzisierung der Diskussion vor. Ihre These: Eine Konzentration auf Integrationsindikatoren, wie Bildungserfolg, Erwerbstätigkeit, materielle Eigenständigkeit etc. greifen zu kurz. Sie nehmen die subjektiven Perspektiven nicht hinreichend in den Blick und damit entgeht ihnen eine bedeutsame Dimension der Integration: die eigene Erfahrung. Anhand qualitativer Interviews, die sie mit jungen türkischstämmigen Migranten und mit Aussiedlern geführt hat, kommt sie zu dem Ergebnis, dass strukturell als erfolgreich verbuchte Integration mit den subjektiven Erfahrungen keinesfalls übereinstimmen muss. Gerade die alltagsrassistischen Erfahrungen, das Verwiesensein auf „Fremdheit“ beleuchten die Kehrseite der „Integration“. Diese Erfahrung wird auch von einigen jungen Erwachsenen geteilt, deren Status als (Spät-)Aussiedler und der damit verbundenen, recht schnell erfolgenden rechtlich umfassenden Eingliederung eigentlich nicht zu Integrationsproblemen führen sollte – schließlich galt die Festschreibung des Ausländerstatus im Falle der Nachkommen der Arbeitsmigranten lange Zeit als signifikantestes Integrationshemmnis.
Die vierhundert Seiten umfassende Arbeit ist in sechs große Teile untergliedert. Im ersten Teil entfaltet Barbara Schramkowski die Fragestellung, klärt zentrale Begriffe und Konzepte, diskutiert deren Verwendungsweise und erläutert den Aufbau der Arbeit. Ihre Forschungsfrage formuliert sie wie folgt:
„Ziel der vorliegenden Studie ist die Rekonstruktion subjektiver Erfahrungen und Sichtweisen junger Erwachsener mit Migrationshintergrund mit bzw. auf Integration, deren Integrationsverläufe von Experten des Forschungsfeldes als positiv bewertete werde, sowie mit ihnen verbundener subjektiver Empfindungen, Interpretations- und Orientierungsmuster und Handlungsspielräume. Somit soll die Innenperspektive Eingewanderter vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Kontextes und den mit ihnen einhergehenden Integrationsmöglichkeiten exploriert und dargestellt werden“ (17).
Im zweiten Kapitel diskutiert sie unterschiedliche theoretische Zugänge zu den Themenkomplexen ‚Migration’ und ‚Integration’. Hier werden die historischen und politischen Rahmenbedingungen ebenso behandelt wie die unterschiedlichen Aspekte des Migrations- und Integrationsprozesses sowie dessen sozialwissenschaftliche Theoretisierung. Außerdem werden die einschlägigen traditionellen wie aktuellen Positionen zur Sprache gebracht.
Kernstück der Arbeit ist die in der Formulierung der Fragestellung angekündigte empirische Untersuchung, die in den Kapiteln drei bis sechs dargestellt wird. Ausgangspunkt ist die am Ende des zweiten Kapitels getroffene Feststellung, dass die Perspektive der Betroffenen selbst bislang in der wissenschaftlichen Debatte keine signifkante Rolle spiele. Im Kontext ihrer ausführlichen methodischen Deliberationen zu Datenerhebung und Auswertungsverfahren in den Kapiteln drei und vier, werden zunächst die ExpertInneninterviews zur Sprache gebracht. Insgesamt wurden acht Experten und Expertinnen beiderlei Geschlechts, unterschiedlichen Nationalitäten angehörend und in unterschiedlichen Bereichen tätig, zu gelungenen Integrationsprozessen befragt. In diesen Interviews und den gleichzeitig begonnen Befragungen junger Erwachsener, die ihre Migrationserfahrungen schildern sollten, kam es zu einer Verschiebung im Forschungsfokus. Die insgesamt sechzehn Interviews mit jungen Menschen zwischen 19 und 26 Jahren, deren familiäre Kontexte und Bildungshintergründe sich unterscheiden, lassen klar erkennen, dass sich nicht unproblematisch über gelungene Integration reden lässt; denn dem, was als gelungen bezeichnet wird, liegt eine Wertung zugrunde, deren Kriterien alles andere als eindeutig und konsensuell sind. Der unter Punkt 6.4 resümierte Befund lautet: „Sowohl die Aussagen der Experten als auch der jungen Erwachsenen türkischer Herkunft und einiger (Spät-)
Aussiedler verdeutlichen, dass Integration als ein negativ konnotierter Begriff wahrgenommen wird. Dabei lehnen vor allem die schon lange in Deutschland lebenden Interviewpartner das Integrationskonzept ab, da sie sich – obwohl sie für ihre Integration Verantwortung übernommen haben und im Sinne wissenschaftlicher Indikatoren integriert sind – immer noch nicht als selbstverständlich zugehörig angenommen fühlen“ (340).
Auch wenn, wie bei qualitativen Studien grundsätzlich, diese Befunde nicht unproblematisch zu verallgemeinern sind, so lassen sich doch, so die Autorin in ihrem Resümee, einige wichtige Punkte benennen: Besonders bedeutsam sind alltagsrassistische Erfahrungen, auf die bereits Mark Terkessidis aufmerksam machte. Der Integrationsforderung seitens der Mehrheitsgesellschaft stünde gegenüber, dass die unterschiedlichen gesellschaftlichen Zuständigkeitsbereiche, darunter auch die Wissenschaft und die pädagogische Praxis, an den Konstruktionen und Festschreibungen von „Fremdheit“ unmittelbar beteiligt sind. Eine größere theoretische Reflexion, eine „dekonstruktive“ Herangehensweise sei daher ebenso notwendig wie politische Weichenstellungen.
Barbara Schramkowski hat einen wichtigen Beitrag zu einer aktuellen Diskussion geliefert, der in zentraler Weise auch die erziehungswissenschaftliche Reflexion und die pädagogische Handlungspraxis betrifft. Ihr sehr stark auf Handlungsbedarf und Handlungsvorschlägen ausgerichteter Schluss ist vielleicht insofern etwas voreilig, als ihre Untersuchung in aller Deutlichkeit ein zentrales gesellschaftliches Spannungsfeld beleuchtet hat: Wie konstituiert sich das moderne (noch) nationalstaatlich verfasste gesellschaftliche Kollektiv? In welchem Verhältnis stehen universale, kulturunabhängige Dimensionen zu den partikularen? Wer befindet über die jeweilige Zuordnung? Wann wird „Kultur“ zum Gefängnis und für wen? Solche Fragen, das verdeutlicht die Untersuchung, können nicht dezisionistisch, sondern nur deliberativ geklärt werden.
EWR 6 (2007), Nr. 3 (Mai/Juni 2007)
Integration unter Vorbehalt
Perspektiven junger Erwachsener mit Migrationshintergrund
(Reihe: Beiträge zur Regional- und Migrationsforschung, Bd. 8)
(Reihe: Beiträge zur Regional- und Migrationsforschung, Bd. 8)
Frankfurt am Main: Verlag fĂĽr Interkulturelle Kommunikation 2007
(410 S.; ISBN 3-88939-836-7; 26,90 EUR)
Karin Amos (TĂĽbingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Karin Amos: Rezension von: Schramkowski, Barbara: Integration unter Vorbehalt, Perspektiven junger Erwachsener mit Migrationshintergrund (Reihe: Beiträge zur Regional- und Migrationsforschung, Bd. 8). Frankfurt am Main: Verlag fĂĽr Interkulturelle Kommunikation 2007. In: EWR 6 (2007), Nr. 3 (Veröffentlicht am 12.06.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/88939836.html
Karin Amos: Rezension von: Schramkowski, Barbara: Integration unter Vorbehalt, Perspektiven junger Erwachsener mit Migrationshintergrund (Reihe: Beiträge zur Regional- und Migrationsforschung, Bd. 8). Frankfurt am Main: Verlag fĂĽr Interkulturelle Kommunikation 2007. In: EWR 6 (2007), Nr. 3 (Veröffentlicht am 12.06.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/88939836.html