Kunst und Pädagogik, ein aufschlussreiches Verhältnis. – Wer gelegentlich seine kostbare Zeit und Aufmerksamkeit für die Botschaften der Werbung aufbringt und sich wundert, wie oft und wie präzise darin pädagogische Szenen in fotografische Bilder umgesetzt werden, mag sich fragen, was vor diesen Darstellungen als Bildvorlage für Pädagogik gedient haben mag. Teilen wir außerdem die Auffassung, dass alles Aktuelle als ein Gewordenes verstanden werden kann, als etwas also, das sich in irgend einer Weise auf einen historischen Hintergrund bezieht, Anschluss sucht, so finden wir im vorliegenden Buch eine Darstellung in Wort und Bild, eine Ikonologie, die durchaus Schlüsse auf die gegenwärtigen Bildquellen von Erziehungssituationen ziehen lässt. Dies ist freilich weder die Absicht des Autors – Gruschka ist ein profunder Kenner des holländischen Barock und der historischen Pädagogik – noch würden sich die aktuellen Fotografen mit einem Maler der Konstitutionsphase der bürgerlichen Erziehung der Niederlande in Verbindung bringen lassen wollen. Interessierte aus dem kunsthistorischen Bereich wie ästhetische Neugierige aus dem Bildungsbereich erhalten jedoch in diesem Band vielfältige Anregung.
Die Maler des holländischen Barock haben sich – das zeigen die vielen Bilder von Steen und anderen Künstlern – mit Kindheit und Jugend beschäftigt, was vermuten lässt, dass die pädagogische Formung der Kindheit und Jugend, ihre Erziehung und Bildung bereits im 17. Jahrhundert öffentliche Themen waren oder dank der Bilder zu diesen wurden. Wohl wurden die Bilder vor religiösem Hintergrund angeschaut, aber fromme Kinder finden sich in ihnen keine, vielmehr zeigt sich das, was heute in Italien erlebt werden kann: Kinder spielen in der Kirche und dies sogar während der Messe. Oft finden sich bei Steen Bilder von Menschen bei der Arbeit, vorzugsweise werden Frauen bei der Hausarbeit dargestellt, Kinder in ihrer Nähe. Das Hausleben thematisiert den Stolz auf die Kinder, aber auch erzieherische Szenen als Spiel, als Wunsch des Kindes auf Früchte, Umarmung, Teilhabe an der Welt der Erwachsenen, die es genau zu beobachten scheint. Auch Tiere haben einen wichtigen Stellenwert, allerdings können wir feststellen, dass die späte Einsicht, dass Tiere psychische Wesen sind, in der barocken Darstellung völlig fehlt: Katzen und Hunde werden nicht gequält, aber doch zu Spielkameraden gemacht und so ihrem Naturell entfremdet.
Die Bilder lassen auf die barocke Moral schließen: Gruschka beschreibt diese im Kontext der privaten Lebensführung. Im Zeitgeschmack sind es die Frauen, die zur moralischen Gefährdung des ordentlichen Lebens beitragen, was die pädagogisch Absicht kontrastiert: die rechte religiöse Formung des Menschen. So lange der Habitus mit der bürgerlichen Erwartung übereinstimmt – so die ikonologische Deutung – darf jeder und jede den ihm oder ihr gemäßen Vorteil erringen. Die subtilen bis drastischen Darstellung von überschwänglichem Luxus, von sexuellem Begehren und Betäubung der Sinne durch Drogen dienen als Mahnung. Es sind bildhafte Lehrstücke des guten Lebens, der passenden Erziehung. Allerdings – Veronese sei Dank – gestalten die holländischen Maler zunehmend auch eine unabhängige Bildsprache und erschließen damit neue Bildwelten, die der Sachlichkeit heutiger Fotografen durchaus nahe stehen. Die intellektuelle Aneignung der Phänomene durch die Maler beschäftigt sich mit Fragen des Generationenverhältnisses, mit pädagogischen Institutionen, dem psychischen Erleben und den sozialen Milieus. Subtil oder derb, mittelbar oder direkt gestalten die Maler das Weltverhältnis des Nachwuchses.
Gruschka gewährt Jan Steen einen Sonderstatus innerhalb der niederländischen barocken Maler, die auch gestreift werden, weil dieser ein umfassendes modellhaftes Interesse an Erziehungsfragen seiner Gesellschaft zum Ausdruck bringt. Seine Bilder zeigen die Widersprüche zwischen dem erzieherischen Anspruch der Erwachsenen und ihrer Vorbildfunktion, sie spiegeln nicht selten eine Distanz zum Erziehungszwang, indem Kinder wie Erwachsene spielen oder Kinder die Erwachsenen dabei beobachten, wie sie sich wie Kinder verhalten. Steen malt spielende Kinder, die beiläufig lernen, was gut und böse ist. Damit erhält die Nachsicht einen hohen Stellenwert und der Hedonismus wird anerkannt – in humorvoller, ironischer Art. Ein erkennendes Lachen spiegelt den Ernst der Erziehung. Es fragt sich, warum das Spiel so häufig dargestellt wird. Das Spiel fordert Kinder wie Erwachsene gleichermaßen heraus, zeigt, wie Generationen miteinander ins Gespräch kommen (Niels Postman hat diese Bilder vermutlich nicht studiert). Die aktuellen Werbefotografen vermutlich auch nicht. Trotzdem regen Gruschkas Texte, die Auswahl und die Systematisierung der Bilder im Buch dazu an, über heutige Erziehungsdarstellungen in der Werbung, über die Bilder der Bilder, nachzudenken. Wichtiger und entsprechend der Absicht des Buches dürfte sein: Sich anhand dieses Textes und dessen Bilder über die Konstitutionsphase des Projektes bürgerlicher Erziehung in den nördlichen Provinzen der Niederlande schlau zu machen.
EWR 5 (2006), Nr. 4 (Juli/August 2006)
Der heitere Ernst der Erziehung
Jan Steen malt Kinder und Erwachsene als Erzieher und Erzogene.
Eine Entdeckungsreise durch die Bildwelten Jan Steens und seiner Zeit
Eine Entdeckungsreise durch die Bildwelten Jan Steens und seiner Zeit
MĂĽnster: BĂĽchse der Pandora 2005
(182 S.; ISBN 3-88178-389-X; 24,00 EUR)
Li Mollet (Bern)
Zur Zitierweise der Rezension:
Li Mollet: Rezension von: Gruschka, Andreas: Der heitere Ernst der Erziehung. Jan Steen malt Kinder und Erwachsene als Erzieher und Erzogene. Eine Entdeckungsreise durch die Bildwelten Jan Steens und seiner Zeit. MĂĽnster: BĂĽchse der Pandora 2005. In: EWR 5 (2006), Nr. 4 (Veröffentlicht am 27.07.2006), URL: http://klinkhardt.de/ewr/88178389.html
Li Mollet: Rezension von: Gruschka, Andreas: Der heitere Ernst der Erziehung. Jan Steen malt Kinder und Erwachsene als Erzieher und Erzogene. Eine Entdeckungsreise durch die Bildwelten Jan Steens und seiner Zeit. MĂĽnster: BĂĽchse der Pandora 2005. In: EWR 5 (2006), Nr. 4 (Veröffentlicht am 27.07.2006), URL: http://klinkhardt.de/ewr/88178389.html