Das Buch mit dem Titel "Pädagogik im Fokus feministischer Kritik" ist das Ergebnis eines an der TU Darmstadt durchgeführten Projekts, das es sich zum Ziel gesetzt hatte, "neue Kritikperspektiven" (9) im Hinblick auf die Allgemeine Pädagogik zu entwerfen. Ausgehend von der Feststellung, dass die Allgemeine Pädagogik das Besondere des Geschlechts in einer scheinbaren Neutralität auflöse, wird die Kategorie Geschlecht zum zentralen Bezugspunkt der Untersuchung. Dabei geht es den vier Autorinnen um eine grundlegende "Neufassung des Verhältnisses von Feminismus und Pädagogik" (10). Mit ihrer "pädagogisch situierte[n] Relektüre feministischer Theorien" (10) wollen sie den Anstoß geben zu einem geschlechtersensiblen Umgang in den grundlagentheoretischen Debatten der Pädagogik. Damit formulieren sie ein Desiderat, das auch nach Jahrzehnten feministischer Wissenschaft und Geschlechterforschung kaum in das Blickfeld pädagogischer Arbeiten gekommen ist. Zwar existieren bildungstheoretisch gewichtige Auseinandersetzungen über das Besondere im Modus des Anderen oder des Fremden. Indes ist es bis auf wenige Ausnahmen kaum gelungen, Geschlecht in den Horizont pädagogischer Theorie so einzurücken, dass es als systematisches, dabei machtvolles Ordnungssystem wahrgenommen wird.
Wenn nun aber die Autorinnen eine feministische Perspektive einnehmen, um ihre Kritik an der Allgemeinen Pädagogik zum Ausdruck zu bringen, so ist schon in der Wahl des Buchtitels eine Verkürzung enthalten. Denn eine naive Verwendungsweise des Begriffs "feministisch" verbietet sich angesichts der ausgreifenden Debatten, die in den letzten Jahren insbesondere im Zusammenhang mit identitätspolitischen Fragestellungen geführt wurden. Dass "Geschlecht" ein hoch umstrittener Begriff ist, insofern er mehr als zwei Geschlechtsidentitäten umgreift und nicht identisch ist mit Frau-Sein, ist heute in weiten Teilen der Geschlechterforschung Konsens. Für die Autorinnen indes steht die feministische Frage in einem engen Zusammenhang mit "der Frau und dem Geschlecht" (27). Auch wenn sich an späterer Stelle erweist, dass es ihnen nicht nur um das Frauen-Sein geht (Bsp. Butler), so zeigt dieses Beispiel doch eine gewisse Begriffsunsicherheit, die bisweilen für Unklarheiten sorgt. Nichtsdestoweniger gebührt der Veröffentlichung das Verdienst, dezidiert auf die Forschungslücke hingewiesen zu haben, zumal hier einer der wenigen Versuche vorliegt, sich dieser doch recht schwierigen Aufgabe zu stellen.
Die Autorinnen entscheiden sich allerdings für einen theoretischen und methodischen Zugang, der allenfalls als Auftakt einer im größeren Rahmen zu verfertigenden Forschungsarbeit zu sehen ist. Denn sie legen ihren Schwerpunkt nicht etwa, wie man aus dem Titel der Publikation schließen könnte, auf die Pädagogik. Den größten Raum nimmt die analytische Darstellung von vier Geschlechtertheorien ein. Es handelt sich dabei um die Theorien von Butler, Fausto-Sterling, Irigaray und Harding, denen sich die Autorinnen auf drei verschiedenen Ebenen annähern.
Eine erste Annäherung erfolgt im Medium von key-sentences. Diese sollen Aufschluss darüber geben, inwiefern die vorgestellten Theorien Antworten auf - pädagogisch durchaus relevante – Fragen nach der Dimension der Wirklichkeitsbestimmung, nach den Potenzialen kritischer Intervention und nach Zukunftsentwürfen bereithalten. In einer zweiten Annäherung werden die Begriffe Differenz, Politik, Subjekt, Sprache und Körper zum Muster der Analyse. In einer dritten Annäherung konstruieren die Autorinnen ein fiktives Gespräch, in dem sie selbst jeweils die Position einer der vier Wissenschaftlerinnen einnehmen.
Um überhaupt eine inhaltliche Verbindung zwischen Pädagogik und Feminismus herstellen zu können, bedienen sie sich des Begriffs der "Regeneration", der im Anschluss an Schleiermachers Generationenbegriff erläutert wird, allerdings in einem allzu verkürzenden Rahmen und ohne Bezug zum Erziehungsbegriff von Johannes Gröll. Der nämlich entwickelt 1975 einen Regenerationsbegriff in Wechselwirkung mit dem gesellschaftlichen Reproduktionsprozess und kommt so der immanenten Fragestellung der Autorinnen sehr viel näher als dies Schleiermacher in seiner historisch besonderen Situation jemals hätte leisten können. Wesentlich scheint den Autorinnen die Tatsache zu sein, dass sich das Verhältnis der älteren zur jüngeren Generation im Spannungsfeld von Natur und Kultur abspielt und die Generationen stets einer "Wirkungsmacht" ausgesetzt sind, diese aber durch "Gestaltbarkeit" zu modifizieren sei. In den Konstellationen Natur vs. Kultur und Wirkungsmacht vs. Gestaltbarkeit sehen sie das entscheidende Scharnier zum Feminismus. Weil nämlich, so die Autorinnen, "Geschlechterverhältnisse und Regenerationsverhältnisse [...] gleichermaßen auf das Natur-Kultur-Verhältnis als ihren Begründungs- und Gestaltungskontext angewiesen" seien, unterstellen sie ein "systematisches Nahverhältnis" (27) zwischen den beiden Begriffen. Im Grunde geht es ihnen darum, Regeneration als ein Erziehungsverhältnis zu charakterisieren, das eingebettet ist in historisch-gesellschaftliche sowie geschlechtsspezifische Prozesse, die zu berücksichtigen sie als Aufgabe der Allgemeinen Pädagogik ansehen.
Aber schon das Beispiel Schleiermacher zeigt, dass sie ihr eigenes Programm unterlaufen, weil Schleiermacher zwar als Zeuge einer Allgemeinen Pädagogik aufgerufen wird, zugleich aber eine Kritik an seiner Geschlechterauffassung unterbleibt. Der spätere Schleiermacher glaubte immerhin kategoriale Unterschiede zwischen den Geschlechtern festzustellen (besonders in der Vorlesung von 1826) und erwartete entsprechend Unterschiedliches von der jüngeren Generation. Wenn der Regenerationsbegriff aber als "Ausgangspunkt für unsere Suche nach den pädagogischen Dimensionen feministischer Theoriebildung" verwendet wird, dann muss er durchgängig in seiner intrikaten Verschränkung mit Erziehung und Geschlecht sichtbar bleiben.
Irritierend wirkt die Verwendung des Regenerationsbegriffs auch deshalb, weil nicht klar wird, was mit Wieder(er)zeugung gemeint ist. Schließlich deutet ein "Wieder" stets auf etwas Vorausgegangenes hin, das wieder hergestellt wird. Dass Menschen intergenerativ ihr Leben sowohl biologisch wie auch historisch-gesellschaftlich im Interesse der Erhaltung der Gattung stets erneuern müssen, erklärt noch nicht, auf was dieses "Wieder" hindeutet. Unter machttheoretischen Vorzeichen – und das Problem der Macht taucht ja implizit auf - müsste die Frage lauten: Wer oder was bestimmt das Regenerationsverhältnis, wie also wird Tradition aufrechterhalten und welche Veränderungen werden zugelassen, und zwar den Feminismus genau so betreffend wie die Pädagogik. Erst in dieser dialektischen Verschränkung, die eine Kritik auch des Feminismus mit einschließt, ließen sich neue Theoriemodelle herausarbeiten.
Mit Hilfe der Methode der Kartographie, deren Spezifik allerdings weitgehend im Dunkeln, weil unausgeführt bleibt, versuchen die Autorinnen nun, die vier Theorien in ein Verhältnis zueinander zu setzen, das ihren jeweiligen Entstehungszusammenhang und mithin ihre besondere Situiertheit im Gesamt der feministischen Theorien berücksichtigt. Auf diese Weise gelingt es ihnen, Letztbegründungen zu vermeiden und die Aussagekraft jeder der Theorien zu relativieren, ein durchaus berechtigtes Anliegen. Gleichwohl aber bleiben kategoriale Unterschiede bzw. Unvereinbarkeiten eher unterbelichtet. Denn das Vorgehen der Autorinnen ist dort simplifizierend, wo sie die feministischen Theorien als einen "positiven Bezugspunkt kritischer Gegenentwürfe zur Pädagogik" (21) betrachten. Entsprechend werden die doch zum Teil sehr unterschiedlichen theoretischen Konzepte der feministischen bzw. geschlechtertheoretischen Wissenschaftlerinnen fast durchweg positiv besprochen.
Ist es aber nicht eher so, dass eine kritische Wissenschaft bzw. eine kritische Pädagogik stets auch den eigenen Voraussetzungen kritisch zu begegnen hat und es daher keine Entwürfe geben kann, die als Gegen-Entwürfe Geltung beanspruchen können? Mit anderen Worten: Ist Kritik nicht immer damit konfrontiert, dass sie stets selbst ein Teil des Kritisierten ist? Wird darauf nicht reflektiert, besteht die Gefahr der Ideologisierung; wiewohl dies von den Autorinnen gewiss nicht beabsichtigt wird. Viel zu leidenschaftlich ist ja ihr Plädoyer für ein fokussiertes Hinsehen, das heißt aber auch, den Blick auf Brennpunkte des eigenen Denkens zu richten.
So verdienstvoll auch die Darstellung der einzelnen geschlechtertheoretischen Positionen in einem vergleichenden Raster von Fragestellungen und Begrifflichkeiten ist, so problematisch erscheint die Auseinandersetzung mit der Allgemeinen Pädagogik. Denn nur zu konstatieren, dass sie geschlechtsblind ist, genügt wohl kaum in dieser Allgemeinheit. Der Forderung der Autorinnen, die Blockierungen gegenüber der Geschlechtertheorie aufzugeben und sich für ihre systematische Einbeziehung zu öffnen, ist ein ernstzunehmender Einwand. Gleichwohl aber müsste umgekehrt auch die Allgemeine Pädagogik in ihrer Differenziertheit wahrgenommen werden, um überhaupt fruchtbare Anschlüsse herstellen zu können. Ein solches Unterfangen bedürfte allerdings vieler Einzelstudien und vor allen Dingen: Zeit! Die ist aber in der Regel in einem befristeten Projekt wie diesem rar.
EWR 4 (2005), Nr. 2 (März/April 2005)
Pädagogik im Fokus feministischer Kritik
Frankfurt am Main: Brandes & Apsel 2004
(235 S.; ISBN 3-86099-313-5; 19,90 )
Eva Borst (Mainz)
Zur Zitierweise der Rezension:
Eva Borst: Rezension von: Schleicher, Barbara / Alt, Andrea / Lesch, Christiane / Piotrowska, Aleksandra: Pädagogik im Fokus feministischer Kritik, Brandes & Apsel: Frankfurt am Main 2004. In: EWR 4 (2005), Nr. 2 (Veröffentlicht am 06.04.2005), URL: http://klinkhardt.de/ewr/86099313.html
Eva Borst: Rezension von: Schleicher, Barbara / Alt, Andrea / Lesch, Christiane / Piotrowska, Aleksandra: Pädagogik im Fokus feministischer Kritik, Brandes & Apsel: Frankfurt am Main 2004. In: EWR 4 (2005), Nr. 2 (Veröffentlicht am 06.04.2005), URL: http://klinkhardt.de/ewr/86099313.html