Das erklärte Ziel von Agnieszka Dzierzbicka und Alfred Schirlbauer als Herausgeber besteht darin, vermittels des vorliegenden Glossars die „Einschleusung von Neologismen“ (11) in den pädagogischen Sprachkorpus und somit auch in den pädagogischen Diskurs kritisch zu hinterfragen. Was Ulrich Bröckling im Vorwort so treffend als den Versuch bezeichnet, den neu geprägten Schlagwörtern „ihren Nimbus fragloser Plausibilität“ (7) zu nehmen und dabei zugleich die hinter den Begriffen stehenden gesellschaftlichen Wandlungsprozesse zu entlarven, erweist sich im Verlauf der Lektüre als durchweg gelungenes Unternehmen. Jene Prozesse als solche zu erkennen, das ihnen immanente erzieherische Moment für und durch die Pädagogik zu extrahieren und somit die Möglichkeit zu generieren, gegenüber den Wandlungsprozessen Stellung zu beziehen, ist als ein besonderer Beitrag des 318 Seiten umfassenden Buches zu bemerken.
Kennzeichnend für die 34 Beträge ist eine jeweils stattfindende Zweiteilung in einen erläuternden und einen von kritischen Kommentaren und Anmerkungen durchzogenen Teil. Von Autonomie über Flexibilität, Soft Skills bis hin zu Unlearning und Wissensmanagement werden mit einer teilweise ganz unkonventionellen und dabei erfrischenden sprachlichen Direktheit neue Zugangsweisen zu scheinbar ganz selbstverständlich gebrauchten Schlagwörtern hergestellt. Auf einige soll im Folgenden exemplarisch näher eingegangen werden.
Den nicht zuletzt infolge der Ergebnisse der PISA-Studie verstärkten Ruf nach Bildungsstandards in seiner argumentativen Spannweite zu präsentieren, gelingt Barbara Schneider, indem sie die Schwierigkeit bildungstheoretischen Bemühens aufzeigt, dem empirisch untermauerten Vorwurf einer ineffizienten Bildung zu begegnen. Wenngleich die Forderung nach Messbarkeit von Bildung mit dem Bestreben nach ergebnisorientierter Modifikation der Bildungsproduktion korrespondiert, was unter dem „Postulat der Inklusion“ (34) die „Ausschöpfung der humanen Ressourcen“ (34) und das bildungsmäßige Erfassen „Kinder bildungsferner Milieus“ (34) beinhaltet, täuscht dies nicht über die Kurzatmigkeit einer „verordneten Implementierung outputorientierter Standards“ (37) hinweg. Diese bedürfen, so Schneider, „weiterhin [einer] theoretische[n] Fundierung“ (37) und sollten dabei – so könnte man hinzufügen – nicht diametral zu einem als mehrdimensional aufgefassten Bildungsbegriff stehen.
Wolfgang Horvath greift mit seinem Beitrag zur PISA-Studie besagte Outputorientierung im Bildungswesen auf und verweist auf ein der Studie zugrunde liegendes Bildungskonzept, welches sich durch ein funktionelles Verständnis von Bildung im pragmatischen Sinne auszeichnet (vgl. 208). Das Bestreben, eine „objektiv gewordene Bildungsnorm“ (209) zu formulieren, erscheint nicht zuletzt aufgrund eines unausgewiesenen und dennoch stets bemühten Allgemeinbildungsbegriffs als defizitär. Eine Vorstellung von Allgemeinbildung, deren bedeutsamste Aspekte Situationsanalyse, logisches Denken und effektive Kommunikationsfähigkeit darstellen, liegt – so Horvath – im ökonomischen Fortschrittsbestreben begründet (vgl. 210). Zugleich, so könnte man ergänzen, zielt eine derartige Vorstellung wiederum auf eben jenes Forschrittbestreben ab. Die Nivellierung „der Differenz von Bildung und Ausbildung“ (211) respektive die Verabschiedung der Vorstellung eines Bildungsideals, das Bildung und somit auch den Menschen als Zweck und nicht als Mittel versteht, muss demnach ebenso als Symptom bildungsmäßiger Funktionalität verstanden werden. Fundamental äußert sich diese Nuanceverschiebung innerhalb des (Allgemein-)Bildungsbegriffs in einer zunehmenden Entgrenzung, die sich im schulischen Bereich äußert. Schule, verstanden als ein „relativ geschützer[r] Raum“ (213), in dem Potenziale wirklich werden können, befindet sich immer schon in einem Spannungsfeld zwischen Freiheitsermöglichung einerseits und gesellschaftlich-ökonomischer Verwertung anderseits. Folglich erweist sich das Bild eines Möglichkeitsraumes, welches Horvath bemüht, als ein Ideal. Aber gerade dieses anzustrebende Ideal ist in dem Maße gefährdet, in welchem PISA die Outputorientierung forciert und somit die Verwertbarkeit zuungunsten der individuellen Freiheit beeinflusst.
Von der Entwicklung zur Outputorientierung ist auch die Hochschule betroffen; dies legt Josef Bakic in seinem Beitrag zum ECTS nahe. Der Transparenz von Leistungsnachweisen dienlich ermöglicht das European Credit Transfer System (kurz: ECTS) die Vorgabe klarer Arbeitspensen für Lehrer und Schüler. Das System zielt u.a. auf Vergleichbarkeit und Mobilität der Studiengänge ab. Standardisierte Darstellungsformen, denen standardisierter Inhalt folgen muss, weist Bakic hierbei als essentiell aus (106). Begründet liegt dies für ihn im Selbstverständnis der Bildungseinrichtungen als Dienstleistungsanbieter. Informationen zum „konsumierenden Lehrgut“ (107) werden in einer möglichst transnational vereinheitlichten Form präsentiert. Unklar bleibt dabei allerdings, inwiefern es sich nicht als sinnvoller erwiese, in einem europaumfassenden Bildungsmarkt die Konkurrenzfähigkeit der einzelnen Bildungsanbieter gerade nicht durch Gleichschaltung, sondern durch die Hervorbringung von Spezifika in (Bildungs-)Form und (Bildungs-)Inhalt auszubauen. Bakics Kritik ist jedoch jenseits der Marktlogik (Effektivität, Rationalität, Funktionalität) angesiedelt, wenn er die dem ECTS immanente Idee einer im „Wenn-Dann-Verhältnis“(111) herstellbaren Leistung als pädagogisch bedenklich formuliert. Workload – verstanden als der Versuch, Lernergebnisse zu quantifizieren – steht so gesehen in enger Verbindung zur transnationalen Anpassung der Bildungsanbieter untereinander: Beides erweist sich als eine Komplexitätsreduktion.
Ob die ECTS-Struktur als ein reduktionsfordernder und -fördernder Pragmatismus bildungstheoretisch wünschenswert ist, darf bezweifelt werden, entspricht doch die Vorstellung einer herstellbaren Lernleistung einem eindimensionalen Bildungsverständnis. Ein solcher transitiver Bildungsbegriff impliziert das Bestreben (oder den Wunsch) nach beherrschbaren Bildungsprozessen. Ein derartiges Herrschaftsbegehren im Zuge des ECTS entlarvt m.E. Bakic, indem er die Zusammenarbeit bei der Einführung und Umsetzung des Systems als eine seitens der Bildungspolitik an die Bildungseinrichtungen gerichtete Verpflichtung charakterisiert (106f.).
Diese Überlegung korrespondiert wiederum mit denen Alfred Schirlbauers, der in seinem Beitrag zur Autonomie auch die Rolle der Bildungspolitik thematisiert. Schirlbauer bemerkt im Hinblick auf die Beziehung von Staat und Pädagogik eine Zurückhaltung im doppelten Sinne. Durch das Ermöglichen eines Freiraumes, in dem weder „objektive Mächte“ (15) auf Erziehungsinhalte einwirken noch der Staat vermittels Pädagogik seine Reproduktionsinteressen bestimmt, können pädagogische Inhalte formuliert und angewandt werden, die sich an der Kantischen Definition von Autonomie orientieren. Die Ermöglichung eines solchen Freiraums ist m.E. als eine Zielsetzung zu verstehen, die sich immer wieder an der Wirklichkeit bricht. So ist Pädagogik einerseits kein ideeller Raum, beseelt von dem Vermögen, eigene Ziele und Handlungsweisen unabhängig von ökonomischen und staatlichen Interessen zu bestimmen. Nicht zuletzt, weil Pädagogik in ihrem Verhältnis zu ihnen zugleich sich als eine von solchen Mächten (mit-)konstituierte erlebt. Andererseits, und dies bemerkt Schirlbauer in Anlehnung an Blankerz als ein wesentliches Moment, ist auch die Ermöglichung eines Freiraumes wiederum an freigebende Mächte gebunden, wodurch der Freiraum wiederum von äußeren Interessen eingeholt wird (vgl. 15).
Die Veränderung der bildungspolitischen Interessen über die 1968er hinaus bis in die Gegenwart aufzeigend hebt Schirlbauer den Zusammenhang von bildungspolitischer Einflussnahme und pädagogischen Inhalten hervor. Sowohl die „Autonomie [als] Demokratisierung der pädagogischen Institution“ (16) als auch die parlamentarisch beschlossene Hochschul(zwangs)autonomie erweisen sich jeweils als konstitutiv für pädagogische Zielsetzungen (vgl. 18). Eine Pädagogik, die sich anstelle einer am kategorischen Imperativ ausgerichteten Selbstbestimmung in den an sie herangetragenen Erwartungen („Sei demokratisch!“; „Sei selbstbestimmt!“ oder „Sei frei!“) das bestimmende Gesetz sucht, verpflichtet sich unweigerlich der Heteronomie (vgl. 14). Schirlbauers Argumentation ermöglicht es – und darin liegt die große pädagogische Bedeutung dieses Textes – die gesamte Ökonomisierung der Bildung und die damit verwobenen pädagogischen Implikationen als Variante einer falsch verstandenen Vorstellung von Autonomie zu erkennen. Nicht die Revokation einer als „bloße Selbstständigkeit“ (18) verstandenen Autonomie gilt es daher heraufzubeschwören, sondern den Begriff selbst neu zu hinterfragen – Kant jedenfalls böte sich hierbei als Inspirationsquelle an.
Erich Ribolitis konstatiert, dass das Schlagwort Flexibilität ein ins Gegenteil verkehrendes Freiheitsversprechen enthält (vgl. 120f.). Freiheit als Konnotation von Flexibilität wird zusehends in dem Maße obsolet, in dem der Begriff zum Synonym für Zwang und permanente Anpassung an einen stets kurzfristigen ökonomischen Wandel wird. Einhergehend mit der Aufgabe des Eigensinns beugt sich das Individuum den Anforderungen des Marktes, für den Wert und Profit sich als ein und dasselbe erweist (vgl. 124). Die Absolutsetzung des Wertes inkludiert gleichsam die Moral – allein das Profitable erscheint als richtig. Ribolitis bedient sich der Etymologie, um die Flektion als ein Beugen zu bestimmen. Das Zurückbeugen – die Reflektion – erscheint demnach als eine Abstraktion vom Seienden, ein Ausrichten an die qua Vernunft erlangten (oder erlangbaren) Prinzipien der Freiheit: „Das Gegenteil von Flexibilität ist eben nicht Unflexibilität, sondern Reflexibilität“ (123). Fasst man den Flexibilitätsbegriff in dieser Weise auf, so steht er vollkommen konträr zu einer Bildungsidee, welche von der Vorstellung einer "gereiften Persönlichkeit" und eines "stabilen Ich-starken Charakter[s]" (125) geleitet ist.
Es liegt auf der Hand, im Konnex des marktimmanenten Wertabsolutismus Flexibilität als Diktat aufzugreifen. Die Konsequenz hieraus, die Ribolitis keinesfalls entgeht, ist eine totale Bindungslosigkeit, die in ihrem Verlangen nach allzeit bereiter Wandlungsfähigkeit die Identitätslosigkeit des Einzelnen geradezu bedingt.
Auf eine andere Weise greifen Gesa Heinrichs und Katharina Pewny im Hinblick auf das Stichwort Queere Bildung die Frage nach der Identität auf. Als theoretischer Entwurf, dessen Bestreben in der „Dekonstruktion scheinbar stabiler Geschlechtsidentitäten und Begehrensweisen“ (234) liegt, weißt Queere Bildung auf der einen Seite auf die im Zuge des Bildungsprozesses diskursiv produzierte Dichotomie der Geschlechter hin. Andererseits richtet sie sich gegen eine Theorie und Bildungspraxis, die sowohl performativ als auch signifikatorisch in der Subjektkonstitution immer auch eine Geschlechtsbestimmung vornimmt. Heinrichs und Pewny entlarven hierbei ein dem zugrunde liegendes „normatives Ideal“ (230), dessen Wirkung (auch) auf die kritische Bildungstheorie in ihrer „Hinführung zu einer Identität als Kernelement der [sic] erzieherischen Prozesses“ (232) nicht zu leugnen ist. Ein Ablehnen jeglicher normativer Vorgaben hinsichtlich der Geschlechtsidentität erscheint daher konsequent (vgl. 232).
Inwiefern innerhalb des Rahmens, den Queere Bildung steckt, „die Dichotomie der Zweigeschlechtlichkeit als langfristig zu verändernde gedacht werden kann“ (233), bleibt vorerst als Frage notwendig unbeantwortet. Offen bleibt auch, an was queere Bildung und queere Bildungstheorie in ihrem Widerspruchsverhältnis zwischen der „Pluralisierung der Geschlechtsordnung“ (233) und der „Idee der produktiven Verflüssigung jeglicher Bezeichnungsmacht“ (233) zwischen Moderne und Postmoderne sich orientieren kann. Womöglich wäre eine solche Orientierung im Hinblick auf eine Prävention einer sich ins Negative „verquerenden“ Normativität als sinnvoll zu erachten.
Das „Pädagogische Glossar der Gegenwart“ wird seinem Anspruch Aufmerksamkeit für die „begrifflichen Neuankömmlinge in der Sprache der Erziehungswissenschaft“ (11) zu erwecken nicht nur gerecht, sondern bietet darüber hinaus sowohl Studierenden, Lehrenden als auch PädagogInnen allgemein Grund und Anlass zu hinterfragen, was eine Pädagogik eigentlich will, die sich solcher Begrifflichkeiten scheinbar selbstverständlich bedient. Die AutorInnen, die im Wesentlichen aus einer kritischen und emanzipatorischen Pädagogik heraus argumentieren, legen ihren Beiträgen in der Regel einen klassischen Bildungsbegriff zugrunde, in dem Autonomie als Möglichkeit (und Ziel) des Subjekts normativ gesetzt wird. Inwiefern diese Schwerpunktssetzung im Zuge der Dezentralisierungsdebatte postmoderner und poststrukturalistischer Theorien als sinnvoll zu erachten ist, bleibt letztlich offen. Hervorzuheben ist die Konsequenz, mit der über eine Beschreibung der Ökonomisierung der Bildung hinaus Bedingung und Möglichkeit der Erlangung von Autonomie sowohl für das Subjekt als auch für die Gesellschaft im Ganzen thematisiert wird.
EWR 6 (2007), Nr. 3 (Mai/Juni 2007)
Pädagogisches Glossar der Gegenwart
Von Autonomie bis Wissensmanagement
Wien: Löcker 2006
(318 S.; ISBN 3-85409-438-8; 22,00 EUR)
Thomas Damberger (Darmstadt)
Zur Zitierweise der Rezension:
Thomas Damberger: Rezension von: Dzierzbicka, Agnieszka / Schirlbauer, Alfred (Hg.): Pädagogisches Glossar der Gegenwart, Von Autonomie bis Wissensmanagement. Wien: Erhard Löcker 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 3 (Veröffentlicht am 12.06.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/85409438.html
Thomas Damberger: Rezension von: Dzierzbicka, Agnieszka / Schirlbauer, Alfred (Hg.): Pädagogisches Glossar der Gegenwart, Von Autonomie bis Wissensmanagement. Wien: Erhard Löcker 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 3 (Veröffentlicht am 12.06.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/85409438.html