Lehrerbildungsforschung fand seit etwa Mitte der 1990er Jahre eine zunehmende Beachtung – vor allem wegen der damals überfälligen Novellierungen der Lehrerausbildung. Auch deutete sich eine zaghafte Hinwendung des Diskurses zu Ergebnissen einer empirisch fundierten Professionsforschung an. Empirische Ergebnisse der Berufsbiographieforschung flossen z.B. in die Arbeit der KMK-Kommission ein, die 1999 einen bundesweit stark beachteten Bericht zur Lehrerbildung vorlegte. Gleichwohl muss heute noch immer ein Mangel an empirischen Ergebnissen zur Lehrerbildung konstatiert werden. Der von Seifried und Abel herausgegebe Sammelband „Empirische Lehrerbildungsforschung“ zeigt aber Ansätze auf, mit denen dieses empirische Defizit gegenwärtig abgebaut wird. Er vereint Beiträge zur Herbst-Tagung der Arbeitsgruppe für Empirische Pädagogische Forschung (AEPF) aus dem Jahr 2005. Die Veröffentlichung soll „empirisch gestützte Hinweise geben, wie man die Lehreraus- und Lehrerweiterbildung verbessern kann und wie Studierende bzw. Referendarinnen und Referendare eine höhere Unterrichtskompetenz erwerben können“ (7).
Methodennutzung bei Lehrern: Zwei Beiträge gehen auf die Sichtweisen von Lehrern auf Unterrichtsmethoden ein. So berichtet Mammes über eine Untersuchung zur Kenntnis und zur Nutzung von Methoden unter bayrischen Gymnasiallehrkräften im Unterrichtsbereich „Natur und Technik“. Seifried widmet sich einer Online-Befragung von bayrischen Handelslehrern zu Überzeugungen über Unterrichtsmethoden und über die Vermittlung von Inhalten im Buchführungsunterricht. Befragt wurden Lehrer kaufmännischer Schulen und Bamberger Studierende der Wirtschaftspädagogik.
Beide Studien bringen empirische Belege dafür, dass es hinsichtlich der Methodennutzung in der Schulpraxis „objektivistische“ Traditionalisten und reformorientierte „Konstruktivisten“ gibt. Mammes Beitrag offenbart eine Gruppe von Lehrern, die traditionelle Demonstrationsmethoden einsetzen, und eine Gruppe von Lehrern, die stärker reformorientierte Methoden nutzen. Seifried zeigt, dass Berufspraktiker frontale Unterrichtsmethoden anwenden, wohingegen Studierende gegenüber handlungsorientiertem Unterricht aufgeschlossener sind. Ältere lassen sich eher von der objektivistischen und Jüngere eher von der konstruktivistischen didaktischen Perspektive leiten. Leider diskutieren weder Mammes noch Seifried die Ergebnisse hinsichtlich der Gestaltung der Lehrerbildung. Ergeben sich aus ihnen nicht klare Konsequenzen für die Lehrerfort- und Lehrerweiterbildung? Eine entsprechende Thematisierung hätte sich unter dem Titel des Sammelbandes ohne Zweifel angeboten.
Voraussetzungen von Studienanfängern: Der Artikel von Förster stellt eine empirische Untersuchung zu den Voraussetzungen von Studienanfängerinnen vor. Es sollte herausgefunden werden, welche Persönlichkeitsmerkmale Studienanfängerinnen in das Studium für das Grundschullehramt einbringen und wie sich Studienanfängerinnen voneinander unterscheiden, die über unterschiedliche Wege zum Lehramtsstudium gekommen sind. Bezüglich der Zugangswege (über Abiturnote, Auswahlgespräch usw.) konnten keine wesentlichen Unterschiede in den Persönlichkeitsmerkmalen festgestellt werden. Allerdings zeigte die Untersuchung Persönlichkeitsmerkmale, die mit Blick auf den Lehrerberuf bedenkenswert sind. So fallen die Merkmale geringe emotionale Stabilität, die geringe Offenheit bzw. die konservativ-konformistische Grundhaltung auf. Förster bringt zum Ausdruck, dass man die Persönlichkeit bei der Auswahl der Studierenden stärker berücksichtigen müsse. Er geht aber nicht in ähnlicher Weise auch auf Optionen ein, wie die Lehrerbildung gestaltet werden könnte, um die Persönlichkeit für den Grundschullehrerberuf zu fördern.
Lernarrangements: Der Sammelband enthält drei Veröffentlichungen zur Wirksamkeit von Lernarrangements in der Lehrerbildung, deren Gestaltung eher an der konstruktivistischen als an der traditionell objektivistischen Perspektive auf Lernprozesse anknüpft. Strobel und Faust berichten über eine Pilotstudie zur Erfassung der Wirksamkeit von Workshops für die Förderung des selbstgesteuerten, strategischen Lernverhaltens unter Studierenden des Grundschullehramts an der Universität Bamberg. Die Autoren konnten die gefundenen Veränderungen des Lernverhaltens der Studierenden aber nicht eindeutig auf die Workshops zurückführen. Als Grund führten sie methodische Grenzen der Studie an. Allerdings hätten sie in diesem Zusammenhang auch die Bedingungen der Workshops noch etwas kritischer reflektieren können. Handelte es sich doch um eineinhalbtägige obligatorische Wochenendveranstaltungen innerhalb des Semesters, welche von Studentinnen betreut wurden, die erst kurz zuvor diese Workshops selbst durchliefen. Die von den Autoren eher am Rande geäußerte Vermutung, dass die Erfahrungen während des Lehramtsstudiums den Lernstrategiegebrauch stärker fördern als die Workshops (22), spricht eigentlich gegen Lernstrategieworkshops, welche ohne direkten inhaltlichen Bezug zu den „traditionellen“ Lehrveranstaltungen angeboten werden.
Auf die Wirkung eines Lernarrangements, bei welchem unterstützende Lehrveranstaltungen auf traditionelle Veranstaltungen inhaltlich bezogen sind, gehen Hafizovic, Hartinger und Fölling-Albers ein. Das zentrale Erkenntnisinteresse lag in der Frage, ob unterstützende Lehrveranstaltungen den Studienerfolg erhöhen, die nach Kriterien des situierten Lernens zur Förderung flexibler, anwendbarer Wissensstrukturen aufgebaut sind. Zu diesem Zweck wurden die Teilnehmer einer Vorlesung untersucht, die gleichzeitig auch an Interventionssitzungen teilnahmen. Die Experimentalgruppe durchlief Sitzungen, die nach Kriterien des situierten Lernens organisiert waren. Die Kontrollgruppe nahm an Sitzungen teil, in denen traditionell text-basiertes rezeptives Lernen im Vordergrund stand. Mit der empirischen Studie konnte nachgewiesen werden, dass ein Lernarrangement aus Vorlesung und Interventionssitzungen nach Kriterien des situierten Lernens sehr wirksam ist. Der recht anregende Beitrag reflektierte darüber hinaus auch noch die Eignung des situierten Lernens für unterschiedliche Lernergruppen.
Wolf und Rausch stellen eine Untersuchung vor, mit der die Wirksamkeit eines Online-Seminars in der Handelslehrerausbildung überprüft wurde. Diese Evaluation dient dem Finden wirksamer didaktischer Gestaltungsformen von E-Learning. Deswegen wird das Online-Seminar „Planung und Vorbereitung selbstorganisationsoffenen Unterrichts am Beispiel Rechnungswesen“, welches im Rahmen der virtuellen Hochschule Bayern (vhb) stattfand, von den Autoren zunächst recht ausführlich beschrieben. Das didaktische „Design“ steht vor einem konstruktivistischen Hintergrund. Merkmale des Seminars sind Lernerzentrierung, Lernen als aktiver, sozialer und selbst gesteuerter Prozess. Die Seminarevaluation, bei der auch die Problemlösefähigkeit der Teilnehmer untersucht wurde, zeigt in erster Linie die besonders Lernmotivation fördernde Wirkung des Seminars.
Studienangebot: Eine Kritik am Lehramtsstudium ist seine zu geringe Relevanz für die berufliche Praxis. Hierbei wird z.B. auf die geringe Abstimmung der Lehrveranstaltungen des Studienangebots hingewiesen und darauf aufmerksam gemacht, dass dadurch die Kompetenzentwicklung nicht optimal gefördert wird. Zwei Beiträge des Sammelbandes wenden sich diesem Problemkomplex auf empirischer Grundlage zu.
Abel stellt eine Studie vor, die verdeutlicht, wie Studierende die Abstimmung des Lehrveranstaltungsangebots innerhalb der Bamberger Grundschullehrerausbildung retrospektiv beurteilen. Die Studie wies nach, dass Studierende die Studienelemente Fachwissenschaft, Fachdidaktik, Erziehungswissenschaft und Schulpraxis als nicht gut aufeinander abgestimmt wahrnehmen. Relativierend wird darauf verwiesen, dass Studierende ihren Studiengang auch so weit wie eben möglich individuell gestalten.
Die explorative Befragung ist geeignet, vergleichbare Studien anzuregen, die in ihrer Gesamtheit festhalten, wie sehr das Abstimmungsproblem verbreitet ist. Viele Modellversuche erbrachten bisher positive Erfahrungen mit aufeinander abgestimmten Studienangeboten. Weitere empirische Untersuchungen der „gängigen“ Realität wären deswegen für die Verbesserung des Studienangebots nützlich.
Das Thema Kompetenzentwicklung greifen Baer u.a. mit ihrer Beschreibung eines beachtlichen Forschungsprojekts zur Standarderreichung bzw. zur Wirksamkeit einer institutionalisierten, berufsfeldorientierten Lehrerausbildung auf. Es handelt sich um eine Längsschnittstudie, die von drei Pädagogischen Hochschulen (Deutschland, Schweiz) durchgeführt wird. Eine einzelne Facette des umfangreichen Erhebungsinstruments bildet die Online-Studentenbefragung zur Selbsteinschätzung der Lehrkompetenz. Die ersten Ergebnisse, die aus ihr präsentiert werden, weisen auf die Wirksamkeit der institutionalisierten berufsfeldorientierten Lehrerausbildung hin. Hierin deutet sich ein Unterschied zu Ergebnissen anderer veröffentlichter Studien an. Jedoch sollte man festhalten, dass die vorliegende Datenbasis für die getroffenen Aussagen – auch vor dem Hintergrund der vielen anderen im Erhebungsinstrument noch nicht abgeschlossenen Untersuchungen – relativ schmal wirkt.
Vorbereitungsdienst: Der Vorbereitungsdienst, eine im Vergleich zum Studium lange vernachlässigte Phase der Lehrerausbildungsforschung, wird im Sammelband mit zwei Beiträgen thematisiert. Schubert u. a. stellen erste Ergebnisse der Potsdamer Lehramtskandidaten-Studie (LAK-Studie) vor. Die Befragung von Referendaren – ein Element des umfangreichen Methodeninstruments – zielt auf die Kontext-, Prozess- und Ergebnisqualität des Vorbereitungsdienstes. Die gewonnenen Ergebnisse sind repräsentativ für das Bundesland Brandenburg. Insgesamt schneidet der Vorbereitungsdienst sehr positiv ab. Die Studie weist aber auch neuralgische Punkte des Vorbereitungsdienstes nach. Zudem wird die zweite Phase im Vergleich zum Studium beurteilt. Die Autoren ziehen aus den Ergebnissen eine Reihe von Schlussfolgerungen für die Verbesserung der Lehrerausbildung.
Die bisherigen Ergebnisse der LAK-Studie sind sehr ergiebig und gut fundiert. Insofern ist der Beitrag von Schubert u. a. im Rahmen des Sammelbandes nachdrücklich zu empfehlen. Es muss jedoch angemerkt werden, was die Autoren auch bereits selbst kritisieren, dass es sich lediglich um Einschätzungen von Referendaren handelt. Im umfangreichen Methodeninstrument der Studie sind aber noch weitere Untersuchungen vorgesehen, welche die aus der Referendarbefragung gewonnenen Ergebnisse absichern sollen. Weiterhin deutet sich in den Urteilen der Referendare eine Polarisierung im Hinblick auf die Qualität von Studium und Vorbereitungsdienst an, der man skeptisch gegenüber stehen sollte. Die Bewertung des Studiums erfolgt stark retrospektiv und ist aufgrund der zeitlichen Distanz möglicherweise zu stark verzerrt. Überzeugendere Aussagen für die Güte des Studiums ließen sich gewinnen, wenn auch die Perspektive der Lehramtsstudenten einbezogen würde.
Ein ähnlich umfangreiches Projekt zur Untersuchung des Vorbereitungsdienstes wie in Brandenburg wird im Bundesland Baden-Württemberg durchgeführt. Es geht hierbei um eine empirische Untersuchung zum Vergleich des alten und des neuen Vorbereitungsdienstes für das Lehramt an allgemein bildenden Gymnasien und beruflichen Schulen. Positiv kann man dem entsprechenden Beitrag von Schnaitmann abgewinnen, dass er sehr genau den theoretischen Rahmen und das Forschungsdesign der Untersuchung beschreibt. Allerdings enthält der Beitrag keine Vergleichsergebnisse, da diese zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung noch nicht vorlagen. Abgesehen davon lässt das Untersuchungsvorhaben offenbar sehr viel erwarten und man darf auf die Veröffentlichung der gesamten Ergebnisse gespannt sein.
Resümee: Die Beiträge des Sammelbandes wenden sich sehr unterschiedlichen Aspekten der Lehrerbildung zu und sie beziehen sich auf sehr verschiedene Lehrämter (Grundschul-, Gymnasiallehramt, Handelslehrer). Das Spektrum der Beiträge ist insgesamt enorm heterogen. Die entsprechenden empirischen Ergebnisse stellen somit einzelne Bausteine in einem großen übergreifenden Komplex aus empirischen Daten zur Lehrerausbildung dar, der erst noch zusammengefügt werden muss und von dem ausgehend erst Vergleiche und Verallgemeinerungen zulässig wären. Den formulierten Anspruch des Sammelbandes, empirisch gestützte Hinweise für die Verbesserung der Lehrerbildung und für die Steigerung der Unterrichtkompetenz angehender Lehrer geben zu wollen, sollte man wörtlich verstehen. Es geht um Hinweise und um einen Beitrag. Der Band repräsentiert jedoch keineswegs eine Bestandsaufnahme der gesamten empirischen Lehrerbildungsforschung im deutschsprachigen Raum.
Einige der in den Beiträgen vorgestellten empirischen Projekte waren zum Veröffentlichungszeitpunkt noch nicht abgeschlossen, so dass entweder nur über die Vorhaben und über die Anlage der Projekte informiert wurde oder darüber hinaus allenfalls noch erste Ergebnisse vorab dargestellt wurden. Diese Information ist wichtig für die Erwartungshaltung mit der man an den Sammelband herangeht. Erwartungen an einige Beiträge hinsichtlich abschließend feststehender Fakten sind also etwas zu dämpfen. Unabhängig davon können die empirischen Untersuchungen in ihrer theoretischen Fundierung und in ihrer methodischen Ausrichtung eine Vorbildwirkung haben. Sie sind deswegen für die Anlage ähnlicher empirischer Untersuchungen (z.B. in anderen Bundesländern oder zu anderen Lehrämtern) sehr gute Orientierungspunkte, die nicht einfach ignoriert werden können.
Im Rahmen des Bologna-Prozesses drängten sich – nicht unwesentlich dem Handlungs- und Zeitdruck geschuldet – leider konzeptionelle Ansätze zur Umgestaltung der Lehrerbildung in den Vordergrund, bei deren Begründung empirische Fakten keine Rolle spielten. Die aufwendig an den Hochschulen umzusetzende Implementierung der BA/MA-Struktur, die in der Unausweichlichkeit eines politisch forcierten Trends liegt, lässt wenig Muße für die Berücksichtigung empirischer Ergebnisse. Dennoch erscheint die von Seifried und Abel herausgegebene Veröffentlichung „Empirische Lehrerbildungsforschung“ zu einem gut gewählten Moment. Sie erinnert an das nach wie vor bestehende empirische Defizit der Lehrerbildungsforschung und sie macht auf empirische Forschungsprojekte aufmerksam, die für eine vom Grunde her vorzunehmende Reform der Lehrerbildung bedeutsam sind. Der Sammelband stellt somit eine wertvolle Bereicherung des Lehrerbildungsdiskurses dar. Für alle, die sich mit Lehrerbildungsforschung oder mit der Gestaltung der Lehrerbildung befassen, ist er unbedingt zu empfehlen.
EWR 6 (2007), Nr. 3 (Mai/Juni 2007)
Empirische Lehrerbildungsforschung
Stand und Perspektiven
MĂĽnster: Waxmann 2006
(196 S.; ISBN 3-8309-1716-3; 24,90 EUR)
Jörn Schützenmeister (Münster)
Zur Zitierweise der Rezension:
Jörn SchĂĽtzenmeister: Rezension von: Seifried, JĂĽrgen / Abel, JĂĽrgen (Hg.): Empirische Lehrerbildungsforschung, Stand und Perspektiven. MĂĽnster: Waxmann 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 3 (Veröffentlicht am 12.06.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/83091716.html
Jörn SchĂĽtzenmeister: Rezension von: Seifried, JĂĽrgen / Abel, JĂĽrgen (Hg.): Empirische Lehrerbildungsforschung, Stand und Perspektiven. MĂĽnster: Waxmann 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 3 (Veröffentlicht am 12.06.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/83091716.html