Die Arbeit orientiert sich chronologisch an den zentralen Phasen der Bildungs- bzw. Berufsbiographie. In einem theoretischen Teil werden zunächst
- lehrerspezifische und allgemeine Befunde der empirischen Forschung zur Bildungs- und Berufsbiografie referiert (Kapitel 1);
- allgemeine Studien über die geschlechtsspezifische Segregation in Bildung und Beruf erläutert (Kapitel 2);
- die Grundlagen der Gesellschafts- und Habitustheorie von Pierre Bourdieu skizziert und daran anschlieĂźende Studien sowie die Ăśberlegungen aus Kapitel 2 vor diesem Hintergrund gedeutet (Kapitel 3).
- die Ableitung zentraler Forschungsfragen aus dem TheoriegerĂĽst und die Vorstellung der Forschungsmethoden (Kapitel 4);
- die Darstellung der Ergebnisse aus der empirischen Studie und deren Interpretation im Lichte der theoretischen AusfĂĽhrungen (Kapitel 5);
- die abschlieĂźende Zusammenfassung zentraler Ergebnisse und deren Diskussion (Kapitel 6).
Während Bourdieus Ansatz bei der Erhebung der sozialen Herkunft von Schülerinnen und Schülern im Rahmen von internationalen Leistungsvergleichsstudien schon länger Bedeutung zugemessen wird [2], ist seine Rezeption im Umfeld der bildungsbiografischen Lehrerforschung neu. Sie verspricht hier eine Zusammenschau der Ebene individuellen Handelns unter Berücksichtigung größerer Kontexte. Vor diesem Hintergrund ist jedoch zu fragen, ob der Begriff „Bildungsbiografie“ in der vorliegenden Arbeit nicht weitgehend ein Konstrukt wie „berufsspezifische Sozialisation“ meint und daher einer weiterführenden Erläuterung bedürfte.
Leider gelingt auch der Spagat zwischen der Bildungsbiografie und ihrem überaus komplexen Bedingungsgefüge in der empirischen Studie nur bedingt. Der Verweis, dass es sich im empirischen Teil nur um eine „explorative Studie“ (10) handelt, die „zugunsten der Übersichtlichkeit“ (155) lediglich Prozentwerte berichtet, rechtfertigt kaum den gänzlichen Verzicht auf die Offenlegung statistischer Kennwerte. Weder aus dem Text noch aus den Diagrammen geht hervor, auf welcher Grundgesamtheit die Ausführungen jeweils basieren. Es wird darauf verwiesen, dass die Studie keine Repräsentativität beansprucht (149) – die Gütekriterien Validität und Reliabilität bleiben unbestimmt. Methodisch fragwürdig ist aufgrund dieses Informationsdefizits der pauschale Verweis darauf, dass zur Hypothesenüberprüfung u.a. T-Tests und Chi-Quadrat-Verfahren eingesetzt wurden, die Ergebnisse dieser Verfahren aber nicht berichtet werden. Der Leser hat keinerlei Möglichkeit, die Güte der Daten und die daraus resultierenden Interpretationen zu prüfen. Aufgrund der fehlenden Angabe der Signifikanzniveaus bei den für die Arbeit so wichtigen Differenzierungen der Ergebnisse nach dem Geschlecht lässt sich anhand der Prozentangaben allenfalls erahnen, ob tatsächlich bildungsbiografische Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Lehrpersonen entlang der untersuchten Dimensionen bestehen.
Beim bewussten Einsatz von zwei Messzeitpunkten (t1: kurz vor Abschluss des zweiten Ausbildungsabschnitts, t2: 16 Monate später) erwartet der Leser ein pre-post-design, aus dem wertvolle Veränderungen ersichtlich werden könnten. Da die Items zwischen den Messzeitpunkten jedoch gänzlich variieren und die Erhebung zudem anonym erfolgte (152-154), ist ein Nachzeichnen von Veränderungen – das dem biografischen Denken besonders gerecht werden würde – ausgeschlossen, ebenso eine längsschnittliche Fortführung der Untersuchung. Ohne die Möglichkeit einer fallweisen Zuordnung der Daten aus beiden Erhebungszeitpunkten sind Berechnungen über den gesamten Datensatz kaum plausibel.
Die Stichprobe (N=142) ist relativ klein. Dies mag, neben der bewussten Schwerpunktsetzung der Arbeit, der Grund dafür sein, warum die Ergebnisse ausschließlich nach der unabhängigen Variable „Geschlecht“ differenziert wurden. Dabei ist anzunehmen, dass gerade das Alter im Zusammenhang mit der Bildungsbiografie eine wesentliche Rolle spielt. Weiterhin bleibt offen, welche Items im Fragebogen explizit abgefragt wurden (Formulierung, Antwortoptionen, Skalenniveau etc.). Dies erschwert eine kritische Rezeption der Ergebnisse.
Als Forschungsmethode wird ein teilstandardisierter Fragebogen eingesetzt, der aufgrund seiner teils offenen Fragen als „quantitativer Ansatz mit qualitativen Anteilen“ (151) beschrieben wird. Eine Auswertung der Antworten auf die offenen Fragen erfolgt lediglich implizit. Es handelt sich vorliegend also nicht um das intendierte mixed-methods-research-design [3], das z.B. ergänzende Interviews erfordert hätte.
Einige ausgewählte Ergebnisse:
- Das Buch bringt zum Ausdruck, dass eine Berufsbiografie als „Folge eines jahrelangen Bildungs- und Sozialisationsprozesses“ (261) verstanden werden muss. Diese Entwicklung kann im Bourdieuschen Sinne als ‚Selbstselektions-Prozess’ aufgefasst werden, der neben schulischen und außerschulischen Bildungserfahrungen auch durch habituelle Dispositionen geprägt ist. Im Anschluss an diese Beobachtung sollte die Lehrer(bildungs)forschung zunehmend auch die Auswirkungen der Kontexte institutionalisierter Lehrerbildung auf die Berufsbiografien von Lehrpersonen berücksichtigen.
- Einige Punkte haben sich, der Autorin folgend, für den erfolgreichen Abschluss der Lehramtsausbildung und den Berufseinstieg u.a. als förderlich erwiesen (262-274): ideale Familienstruktur (beide Eltern, Geschwister), Nähe der Eltern zur Erwerbstätigkeit im Bildungsbereich, Erwerb außerschulischer „kultureller Kompetenz“ und die positive Identifikation mit dem selbst durchlebten Bildungssystem. Es scheint fragwürdig, ob die genannten Punkte tatsächlich in einem korrelativen Bezug zu einer erfolgreichen Einmündung in das Berufsleben als Lehrperson münden, die an den Selbstauskünften der Lehrkräfte nach einem Jahr der Berufserfahrung gemessen wird. Zum einen sollte sich der Erfolg einer Lehrperson letztlich an der Qualität ihres Unterrichts [4] und damit auch an Fremdbildern messen; zum anderen können, wenn überhaupt, nur Längsschnittanalysen Auskunft über kausale Zusammenhänge zwischen bestimmten Bedingungen der Bildungsbiografie und dem beruflichen Erfolg herstellen [5]. Der vorliegende Querschnitt läuft hingegen Gefahr, die Angaben über die selbst wahrgenommene Bildungsbiografie zu verzerren, die sich nur aus der Erinnerung an die weit zurückliegenden Erfahrungen aus Schule und Elternhaus rekonstruiert.
- Die geschlechtsspezifischen Differenzen fallen weit geringer aus, als eingangs erwartet. Entlang der zentralen Analysekategorien (Erwerb kultureller Kompetenz, außerschulische Bildungsbiografie etc.) werden keine signifikanten Geschlechtsunterschiede berichtet. Im Kern beschränken sich diese Differenzen auf die berufliche und private Zukunftsplanung, etwa die geringe Bereitschaft von Lehrern, die Erwerbstätigkeit im Sinne einer „Elternzeit“ vollständig auszusetzen. Zugleich streben Männer vermehrt eine berufliche Karriere an.
Die anfangs skizzierten Ziele werden insgesamt thematisch angegangen – zugleich trägt die empirische Studie aber weniger weit aus, als sich der Leser nach der Einführung erhofft. Das liegt im Wesentlichen daran, dass die Interpretation der empirischen Ergebnisse auf einer nicht ausreichend transparenten Datenbasis erfolgt und auch deren Rückbindung an den langen Theorievorlauf nicht immer plausibel ist. Hingegen der eigentlichen Schwerpunktsetzung auf Bildungsbiografien wurde auch ein großer Anteil an Vorannahmen, Einstellungen und Erwartungen (beliefs) Gegenstand der Untersuchung. Diese ohne Zweifel ganz zentralen Aspekte führen allerdings zu einer Verbreiterung des Forschungsfeldes, so dass sich die Arbeit implizit der Lehrerbildungsforschung widmet, wohingegen sie sich selbst „nur“ bildungsbiografischen Aspekten der Lehrerforschung verpflichtet sieht.
Insgesamt ist der Text gut lesbar und auch für Interessierte verständlich, die bislang keine oder nur wenig Erfahrung mit Literatur zur Lehrerforschung haben. Allerdings möchte das Buch keine Einführung sein, sondern sich einem Spezialgebiet widmen. Es enthält 48 Abbildungen, eine gut strukturierte Gliederung und eine knappe Übersicht über die Kapitelinhalte; ein Register ist nicht vorhanden. Wer Interesse an einem bildungsbiografischen Zugang zur Lehrerforschung hat, dem sei das Buch empfohlen. Wer hingegen einen Überblick über solide empirische Forschungsergebnisse zum Themenfeld sucht, sei auf andere Literatur verwiesen, die ebenfalls an dieser Stelle rezensiert wurde [6,7,8,9].
[1] Schwingel, M.: Bourdieu zur EinfĂĽhrung. Hamburg: Junius Verlag 1995.
[2] Baumert, JĂĽrgen u.a. (Hrsg.): PISA 2000. Basiskompetenzen von SchĂĽlerinnen und SchĂĽlern im internationalen Vergleich. Opladen: Leske + Budrich 2001, 326-333.
[3] Greene J.C.: The Generative Potential of Mixed Methods Inquiry. Paper presented at the American Educational Research Association (AERA) annual meeting in Montreal 2005.
[4] Helmke, A.: Unterrichtsqualität – erfassen, bewerten, verbessern. 3. Aufl. Seelze: Kallmeyer 2003.
[5] Terhart, E.: Wirkungen von Lehrerbildung. Perspektiven einer an Standards orientierten Evaluation. In: Journal fĂĽr LehrerInnenbildung 3, 2003, 8-19.
[6] Gehrmann, A.: Der professionelle Lehrer. Muster der Begründung – Empirische Rekonstruktion. Leske + Budrich 2003 (http://www.klinkhardt.de/ewr/81003803.html).
[7] Lipowsky, F.: Wege von der Hochschule in den Beruf. Eine empirische Studie zum beruflichen Erfolg von Lehramtsabsolventen in der Berufseinstiegsphase.
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2003 (http://www.klinkhardt.de/ewr/78151298.html).
[8] Blömeke, S. u.a. (Hrsg.): Handbuch Lehrerbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2004 (http://www.klinkhardt.de/ewr/78151344.html).
[9] Seifried, J./Abel, J. (Hrsg.): Empirische Lehrerbildungsforschung. Stand und Perspektiven. MĂĽnster: Waxmann 2006 (http://www.klinkhardt.de/ewr/83091716.html).