Seit geraumer Zeit wird der beruflichen Weiterbildung und der Weiterbildungsforschung im Betrieb vermehrt Aufmerksamkeit zu Teil. Ein verstärkter Ausstoß an entsprechenden Veröffentlichungen ist nicht zuletzt der zu Beginn der 90er Jahre gegründeten Arbeitsgemeinschaft Qualifikations-Entwicklungs-Management (QUEM) zu verdanken. QUEM publiziert neben einem regelmäßig erscheinenden Bulletin ausführliche Arbeits- und Forschungsergebnisse in QUEM-Reports. Seit 1996 erscheint jährlich ein voluminöser Band betitelt mit "Kompetenzentwicklung" mit Hinzufügung der aktuellen Jahreszahl, daneben ist in einer gesonderten "edition QUEM", die inzwischen 13 Bände aufweist, die Möglichkeit geboten und genutzt, Studien zur beruflichen Weiterbildung zu publizieren.
Ein solch beeindruckend umfangreicher Output nahm seinen Anfang in Ost-Berlin 1992, als dank tatkräftiger finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft für drei Jahre ein Projekt bewilligt wurde, das die qualifikatorische Transformationsproblematik beim Übergang vom Plan zum Markt in den neuen Ländern "klären" sollte. Diese politisch umrissene Aufgabenstellung konnte natürlich nicht in dem vorgesehenen Zeitraum gelöst werden, so dass sich weitere Fortsetzungen in Projekten anboten, die bis heute Bestand haben. Bereits in den ersten Veröffentlichungen wurde allerdings eine thematische Ausweitung sichtbar, die nicht nur das Management in der Planwirtschaft und die Arbeitslosigkeit und Qualifikationsentwicklung oder den Umbruch des Weiterbildungssystems in den neuen Bundesländern umfasste, sondern allgemeiner die Kompetenz, die Innovation und das Lernen ins Zentrum rückten.
So auch "Kompetenzentwicklung 2002", dessen Untertitel "Auf dem Weg zu einer neuen Lernkultur", ĂĽber eine sachlich nĂĽchterne Feststellung hinaus auf den programmatischen Anspruch der Arbeitsgemeinschaft verweisen soll.
Im ersten Beitrag, demjenigen von Peter Meyer-Dohm, wird ein Rückblick auf zehn Jahre QUEM geleistet. Insofern verwundert das knapp einleitende Vorwort von Johannes Sauer, Leiter des Referats "Berufliche Kompetenzentwicklung" im Bundesministerium für Bildung und Forschung schon, wenn er feststellt, dass im ganzen Band kein historischer Abriss auffindbar sei. Zwei Seiten weiter wird eben dies versucht: Peter Meyer-Dohm skizziert aus der Sicht eines zentralen Akteurs Vorgeschichte, Verlauf und Perspektiven. Er zeichnet den steilen Anstieg des Interesses an den QUEM-Tagungen nach und führt sie auf die Aktualität des Themas und im besonderen auf die Expansion der betrieblichen Weiterbildung zurück. Danach geht er auf den Wandel der ideellen Grundlagen von QUEM ein: es habe sich herausgestellt, dass auf zweierlei Art Transformation stattfinde: diejenige vom Plan zum Markt in den neuen Bundesländern und diejenige auf mikroökonomischer Ebene, die die Qualifikationsentwicklung in allen Betrieben, alte Bundesländer inklusive, miteinschließe. Im Verlauf der Projektdurchführung hätten die traditionellen Konzepte der Qualifikation und Weiterbildung jedoch an Bedeutung eingebüßt. Das QUEM-Memorandum 1995 zeigt bereits im Titel dieses gewandelte Verständnis an: "Von der beruflichen Weiterbildung zur Kompetenzentwicklung". Die mit dem Begriff Kompetenzentwicklung verknüpften Erwartungen und Aufgaben wurden hiermit nicht reduziert, sondern im Gegenteil ausgeweitet. Gleichzeitig sei es um eine Integration unterschiedlicher Forschungsfelder gegangen, denn es habe sich im Verlaufe der Jahre ein interdisziplinärer "think tank" entwickelt. Im weiteren Verlaufe gewann zudem der Begriff der "neuen Lernkultur" an Bedeutung. In ihm sei der angemessene und verschiedene Anliegen integrierende Ausdruck gefunden worden, der zudem sich auf wirtschaftlichen Wandel und die soziale und politische Dynamik beziehe. In der Berliner Erklärung von 1999 sei der enge Zusammenhang von "Lernen im Wandel und Wandel durch Lernen" hervorgehoben worden. Das im Verlaufe der Jahre entfaltete Forschungs- und Entwicklungsprogramm wird von Meyer-Dohm als Erfolgsgeschichte dargeboten, zu einem guten Teil wohl zu Recht, wenn man Wirkung und Verbreitung im Blick hat.
Die verschiedenen Beiträge im gleichen Band zeugen von der eingangs beschriebenen Vielfalt an disziplinären Herangehensweisen und thematischen Schwerpunktsetzungen. Der nachfolgende Aufsatz, verfasst vom renommierten Soziologen Martin Baetghe und Mitarbeitern geht dem Zusammenhang von Arbeitserfahrungen und lebenslangem Lernen nach, in dem empirische Ergebnisse präsentiert und diskutiert werden. "Arbeit – die zweite Chance" als Betitelung fasst das Lernpotential für Arbeitende – eruiert aus einer repräsentativen Befragung zum Weiterbildungsbewusstsein und –verhalten der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter prägnant zusammen. Durch die Dynamik der Arbeitswelt wird das Lernen subjektiviert: damit gewinnen die Erfahrungen in unterschiedlichen Arbeitskontexten eine bedeutsame Rolle für die Möglichkeit des Lernens und der Entwicklung von Kompetenzen. Lernförderliche Arbeitsorganisation und informelle Lernkontexte könnten demnach – so etwa ein von den Autoren interpretiertes Ergebnis – Versäumnisse früherer Lern- und Arbeitsphasen kompensieren.
Auch Rudolf Woderich und Mitarbeiter stützen sich in ihrem West-Ost-Vergleich zum Weiterbildungsbewusstsein auf eine breite empirische Datenbasis. Sie haben vor allem die Gemeinsamkeiten im Blick, bzw. sehen Unterschiede zwischen Ost und West vor dem Hintergrund eines sich schließenden Zeitfensters. Im Beitrag von Lothar Böhnisch und Wolfgang Schröer wird hingegen soziale Benachteiligung als Lebenslage in kritischer Sichtung mit Literatur und eigener Forschung thematisiert. Die Autoren plädieren dafür, diese Fragestellung im Zusammenhang mit Kompetenz nicht zu einem auf einzelne Personen oder Gruppen zu behandelndem "Sonderproblem" zu reduzieren. Ein weiterer Beitrag von Ernst A. Hartmann widmet sich dem Lernen in der Arbeit, wobei die Lerngestaltung vorwiegend in der CNC-Fertigung diskutiert wird, um abschließend konzeptionelle Generalisierungsmöglichkeiten zu prüfen. Internationale Erfahrungen im Hinblick auf Transformationsprozesse und Kompetenzentwicklung sind thematischer Schwerpunkt des Beitrages von Volker Heyse, der umgehend Strategiedefizite feststellt, wenn es darum geht, den Abstand zwischen West und Ost zu verringern. Selbstbewusst fordert er eine internationale Ausweitung von QUEM.
Der Professionalisierung der Weiterbildner widmen sich die Ausführungen von Jörg Knoll, betriebliches Transformationslernen aus einer betriebswirtschaftlichen Perspektive im Rahmen der Sanierung sächsischer Edelstahlwerke ist der Schwerpunkt des Beitrages von Ulrich Mignon und Manfred Adamski, Kompetenzentwicklung als arbeitsmarktpolitisches Instrument das Thema von Wilhelm Schickler. Der Ausbau von Infrastrukturen für neue Lernkulturen ist das Anliegen, das Johannes Sauer als Aufgabe einer Lernkulturpolitik formuliert, die sich von traditioneller Weiterbildung und ihrem Defizitansatz sowie ihrer mangelnden ökonomischen Effizienz abzuheben habe.
Der einzige Beitrag der über eine deutsche und mitteleuropäische Perspektive hinausweist ist derjenige von Margrit Osterloh und Mitarbeitern aus Zürich. Im Hinblick auf Wettbewerbsrelevanz bestimmen sie aus der wissenschaftlichen Sicht einer "modernen Managementlehre" Kompetenzen nicht als individuelle, sondern gehen von aggregierten Kompetenzen auf Unternehmensebene, so genannten "Kernkompetenzen" aus. Lernende Organisation und Wissensmanagement werden einführend thematisiert, um dann – überraschenderweise – auf Verteilungsgerechtigkeit und Fairness im Betrieb zu sprechen zu kommen. Management, das auf intrinische Motivation setzt, müsse Selbstbestimmung, Kompetenzerfahrung und soziale Zugehörigkeit der Mitarbeiter im Blick haben und erst in dieser Ergänzung zum Wissensmanagement werde "kollektive Kompetenzentwicklung" möglich.
Führt man sich die verschiedenen Beiträge kaleidoskopartig nochmals vor Augen, so beeindruckt einerseits der vielseitige und interdisziplinäre Zugriff auf den Bereich beruflich-betrieblicher Weiterbildung. Es besteht kein Zweifel, dass QUEM tatsächlich Anlass bot, mehr über Weiterbildung in Deutschlands Osten und Westen zu erfahren. Auch eine theoretische Infragestellung einer alltagssprachlichen Rede von Weiterbildung und bisheriger Konzepte der (kaum in QUEM vertretenen) Berufs- und Wirtschaftspädagogik ist greifbar und nachvollziehbar. Im Sinne einer bildungs- und forschungspolitischen Bewegung sind demgemäss die Erfolge kaum zu übersehen. Freilich ist das Beschwören von Innovation, Lernen und Kompetenz, wie es in beinahe jedem Beitrag erfolgt, keine Garantie, dass die Probleme die den Begriffen Qualifikation und (traditionell formaler) Weiterbildung unterstellt werden, gelöst werden. Eher ist es ein Omen, das darauf verweist, dass begriffliche Präzision und nüchterne Abwägung konzeptioneller Vor- und Nachteile im Lichte eines rationalen Diskurses nicht in Gang gesetzt worden sind und stattdessen eine programmatische Rhetorik bevorzugt wird. So weisen auch die verschiedenen Beiträge untereinander tatsächlich wenig Gemeinsamkeiten auf. Lernen und Kompetenzen werden in den verschiedensten begrifflichen Kombinationen polyphon bzw. kakophonisch entfaltet. Möglicherweise ist es daher symptomatisch, wenn im Vorwort eine fehlende Historie beklagt wird, die gleich im nächsten Beitrag an die Hand genommen wird. Eine genauere, kritischere und diskursive gegenseitige Zurkenntnissnahme würde dem Anspruch einer Neubestimmung von (Weiter-)Bildung und Lernen im beruflich-betrieblichen Kontext wohl weit nützlicher sein. Eine "neue Lernkultur" erfordert auch (selbst-)reflexive Schlaufen, vor allem dann, wenn man Erfolge verstetigen möchte.
EWR 2 (2003), Nr. 4 (Juli/August 2003)
Kompetenzentwicklung 2002 – Auf dem Weg zu einer neuen Lernkultur
Rückblick – Stand – Ausblick
MĂĽnster: Waxmann 2002
(540 Seiten; ISBN 3-8309-1236-6; 24,00 EUR)
Philipp Gonon (Trier)
Zur Zitierweise der Rezension:
Philipp Gonon: Rezension von: Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung - Qualifikations-Entwicklungs-Management (Hg.): Kompetenzentwicklung 2002 – Auf dem Weg zu einer neuen Lernkultur, RĂĽckblick – Stand – Ausblick, MĂĽnster: Waxmann 2002. In: EWR 2 (2003), Nr. 4 (Veröffentlicht am 01.08.2003), URL: http://klinkhardt.de/ewr/83091236.html
Philipp Gonon: Rezension von: Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung - Qualifikations-Entwicklungs-Management (Hg.): Kompetenzentwicklung 2002 – Auf dem Weg zu einer neuen Lernkultur, RĂĽckblick – Stand – Ausblick, MĂĽnster: Waxmann 2002. In: EWR 2 (2003), Nr. 4 (Veröffentlicht am 01.08.2003), URL: http://klinkhardt.de/ewr/83091236.html