Der Mensch ist in der technologischen Moderne in der Lage, Dinge zu produzieren, deren Folgen und Wirkungen er sich nicht vorstellen kann. Sie bleiben unberücksichtigt, weil sie zum einen nicht mehr darstellbar sind, zum anderen zugunsten einer ökonomischen Zweckrationalität aus dem Bewusstsein des inzwischen zum Objekt degradierten – vormals aufgeklärten – Subjekts verdrängt werden.
Der Verfasser versteht die vorliegende Untersuchung „als Beitrag der Neustrukturierung der Erziehungswissenschaft auf dem Boden der Diskussion um die technologische Moderne, die seit dem 20. Jahrhundert vor allem durch technologische Entwicklungen determiniert und durch Widersprüche gekennzeichnet ist“ (15). Den Hintergrund seiner Ausführungen bildet die „Wissensexplosion“, die zu einer „Produktionsexplosion“ geführt hat. Der Mensch weiß, wie man produziert, aber nicht, was er letztlich (mit)produziert (ebd.). In Anbetracht wenig kalkulierbarer Nebenwirkungen versagen die Instanzen sinnlicher Wahrnehmung. Die Erkenntnistheorie „wirkt“ nicht mehr angesichts des Nicht-mehr-Vorstellbaren und Nicht-Darstellbaren. Dem Problem gilt es laut Drews anders als erkenntnistheoretisch zu begegnen, und er sieht das erziehungswissenschaftliche Denken vor die Herausforderung gestellt, „ihre [die der fortgeschrittenen Moderne, A. Z.] zentralen Begriffe wie Subjekt, Erfahrung, Erkenntnis und Vernunft vor dem Hintergrund dessen, was sich nicht darstellen lässt, zu reflektieren und neu zu bestimmen“ (16). Grundsätzlich geht es dem Autor um das Verhältnis des Menschen zum Undarstellbaren und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die erziehungswissenschaftliche Theoriebildung, deren Aufgabe darin bestehe, die ihr zugrunde liegenden Bedingungen zu analysieren. Die Auswirkungen der technologischen Moderne haben nach Drews die Fragen nach dem Erkenntnissubjekt, den Grenzen der Erkenntnis, der Autonomie, den Grenzen des Erkenntnisvermögens und den Grenzen des Wissens neu aufgeworfen (22). Damit richtet sich das Erkenntnis leitende Interesse der Arbeit darauf, „die ‚Schatten’ in der technologischen Moderne, das Nicht-Darstellbare sowie deren Implikationen für erziehungswissenschaftliches Denken in den Blick zu nehmen“ (ebd.).
Die Untersuchung ist systematisch angelegt. Die hermeneutische Aufgabe versteht Drews als Ausgangspunkt und in Anlehnung an Gadamer als Vor-Urteil, das bestimmt wird „durch die Situation der technologischen Moderne, die als Vorverständnis, im 21. Jahrhundert durch die Ereignisse und Erfahrungshorizonte des 20. Jahrhunderts maßgeblich geprägt worden ist und die es zu verstehen gilt, wenn es darum geht, die Voraussetzungen für erziehungswissenschaftliches Denken im 21. Jahrhundert zu bestimmen“ (23).
Im ersten Teil der Arbeit geht der Verfasser auf das Problem des Wissens ein. Zunächst erläutert er den emanzipatorischen Anspruch der Moderne (32-37) und führt deren Merkmale der Rationalität und der Universalität, der Selbstbegründung, des Fortschritts und der Dominanz der Naturwissenschaften und Technik aus. Die Aufklärung sei keineswegs obsolet geworden, vielmehr seien die Kantischen Fragen: „Was kann ich wissen?“ „Was soll ich tun?“ „Was darf ich hoffen?“ im Hinblick auf die gegenwärtige technologisch-ökonomische Situation neu und auch anders zu stellen (37). Im zweiten Teil des ersten Kapitels reflektiert Drews die Moderne unter dem Aspekt ihrer technologischen Beherrschung und diskutiert das Problem der ungebundenen Rationalität vor dem Hintergrund der Auflösung des Metadiskurses der Emanzipation. Diesen Prozess verdeutlicht der Autor an drei Punkten, nämlich den Einflussgrößen der Ökonomie, am Wandel in der Wissenschaft sowie an den Folgen technologischer Entwicklung (39-44). Insgesamt dient dieses Kapitel dazu, auf die Grenzen des Wissens zu verweisen, um im Anschluss drei Perspektiven auf die technologische Moderne zu untersuchen.
Das zweite Kapitel eröffnet drei kritisch-philosophische Sichtweisen, und zwar die von Günther Anders, Jean-François Lyotard und Emmanuel Lévinas, und befragt diese hinsichtlich ihres Verständnisses der Ereignisse des 20. Jahrhunderts. Das Forschungsinteresse gilt hierbei den Aporien und Widersprüchen, die der Moderne inhärent sind (23). Zunächst beleuchtet der Verfasser die Kluft zwischen Herstellbarem und Vorstellbarem (45-70), um „die Grundzüge der technologischen Moderne auf[zu]zeigen, die mit dem anthropologischen Mangel korrespondieren, sich nicht mehr vorstellen zu können, was man herzustellen in der Lage ist“ (45). Diese Problematik kann als Leitmotiv der Arbeit aufgefasst werden. An die Ausführungen Günther Anders´ anschließend erläutert Drews die technologische Moderne in der lyotardschen Kritik des Nicht-Darstellbaren (71-100). Anders fokussiere, so Drews, auf die Auswirkungen einer entfesselten technologischen Entwicklung, deren Folgen nicht mehr abzusehen, geschweige denn zu kontrollieren seien. Lyotard hingegen geht es „um eine entfesselte Zweckrationalität, die den Emanzipationsgedanken der Aufklärung in Form eines ökonomisch-technologischen Metadiskurses abgelöst hat und das, was nicht darstellbar ist, negiert“ (71). Die Intention der Bemühungen um die Sichtweise Jean-François Lyotards gründet in der Annäherung an das Nicht-Darstellbare und damit an die Grenzen des Wissens und Nicht-Wissens. Diese Annäherung sucht der Verfasser durch die dezidierte Beschreibung des Weges eines universalistischen Einheitsdenkens hin zum Metadiskurs der Moderne als auch zu den Paradoxien in der technologischen Moderne zu erreichen. Der Bogen lässt sich zu Lévinas spannen, „wenn man seinen Gedanken der Exteriorität nicht auf den Anderen, sondern auf das Andere bezieht, das prinzipiell ohne Darstellung bleibt und eine Grenze darstellt, hinter der es keine Erkenntnis zu geben scheint“ (101). Im Mittelpunkt dieses Teilkapitels steht der Gedanke der Unverfügbarkeit des Anderen wie der Anderen: „wie der Andere scheint auch das Andere in der technologischen Moderne als das Unverfügbare“ (107).
Das dritte Kapitel ist mit den Grenzen des Wissens in der technologischen Moderne befasst (116-137). Im Rückgriff auf die Überlegungen von Anders, Lyotard und Lévinas zeigt Drews die Grenzen des Erkenntnisvermögens anhand des Anderen auf (116-123). Besonders hervorzuheben ist der Widerspruch in der technologischen Moderne, den es zu formulieren gilt, soll die Freiheit des Menschen als Vernunftwesens erhalten werden. Weiterhin geht der Verfasser auf den theoretischen Umgang mit dem Problem der Grenzen des Wissens ein (124-137), indem er erneut seinen Blick auf das Andere und dessen Bedeutung für das Subjekt richtet und zuvor konstatiert, dass das Andere „grundsätzlicher zu fassen [ist] als das Nicht-Darstellbare; es ist das Prinzip des Nicht-Darstellbaren und des verdrängten Darstellbaren und des Nicht-Synthetisierbaren und des zweckrational Nicht-Integrierbaren“ (124). Den Widerspruch in der technologischen Moderne aufgreifend, untersucht Drews zwei sich daraus ergebende Probleme und formuliert die entsprechenden Fragen wie folgt: „Wie kann das Subjekt das Nicht-Darstellbare thematisieren, wenn es keine Erkenntnisse von ihm besitzt?“ und „Wie kann das Subjekt seine Autonomie behaupten?“ (128f.). Er antwortet hierauf mit der Explikation der Urteilskraft, des Unbehagens und der Achtung.
Im Schlussteil seiner Studie formuliert Wilfried Drews die Herausforderungen für erziehungswissenschaftliches Denken, die sich aus den vorangegangenen Erörterungen ergeben haben (138-144). Er weist darauf hin, dass es sich hierbei um Aspekte handelt, „die als Fragmente und Bruchstücke zu verstehen sind, um Anknüpfungsmöglichkeiten zu bieten, die sich aus der Reflexion herauskristallisiert haben“ (138). In einem ersten Teil des vierten Kapitels skizziert der Verfasser die Rahmenbedingungen des erziehungswissenschaftlichen Denkens, das den zentralen Begriff der Autonomie enthält, um daran anschließend und zugleich die Arbeit abschließend bildungstheoretische Überlegungen zur Analyse des Nicht-Darstellbaren anzustellen. Zur Behandlung der erkenntnistheoretischen Frage „Was kann ich wissen?“ fordert Drews, sich im Kontext des technologischen Determinismus mit den Grenzen des Erkenntnisprozesses auseinander zu setzen, um so die Bedingungen der Möglichkeiten von Erkenntnis neu zu thematisieren (140). Er konstatiert, dass „das Nicht-Darstellbare [...] dabei in der erziehungswissenschaftlichen Theoriebildung als Bedingungsgröße mit aufzunehmen [wäre]“ (ebd.). Die bildungstheoretische Frage „Was soll ich tun?“ lässt sich mit den Anschlussmöglichkeiten für eine ästhetische Bildungstheorie beantworten, „die nicht auf das Schöne, sondern das Erhabene fokussiert“ ist (ebd.). In der Folge sieht Drews eine mögliche bildungstheoretische Aufgabe darin, „eine Theorie der sensiblen Haltung zu entwickeln“ (141) und zu versuchen, erneut sprachfähig zu werden (ebd.). Hier erblickt er nicht zuletzt die Chance, die „Fremdformung des Anderen aufzudecken und eine Theorie der Selbstformung zu entwickeln [...], ohne den Anspruch zu erheben, vor neuer Fremdheitserfahrung zu immunisieren“ (ebd.). Als Fazit der Untersuchung ist festzustellen, dass „eine ästhetische Bildungsphilosophie in der technologisch dominierten und sich mit ihren heterogenen zweckrationalen, inkommensurablen An- und Widersprüchen auseinander setzenden Moderne [...] dem Gedanken der Aufklärung als einem unvollendeten Projekt verbunden [bleibt]“ (144). Erziehung zur Mündigkeit bedeutet schlussendlich, „Heranwachsende dazu zu befähigen, sich der unterschiedlichen Formen der Vernunft ohne Anleitung eines anderen zu bedienen“ (ebd.).
Die Arbeit von Wilfried Drews eruiert, auf welche Art und Weise das Nicht-Darstellbare den Menschen prägt (16). Sie überzeugt durch begriffliche sowie strukturelle Klarheit. Wichtig und gelungen erscheint sein Versuch, sich dem Nicht-Darstellbaren anzunähern, es gleichsam aufscheinen zu lassen. Obwohl er die technologische Beherrschung als Spezifikum der Moderne verstanden wissen will, sollte seine Arbeit nicht auf bloße Technologiekritik reduziert werden. Im Gegenteil: Die Forderung der Entwicklung einer Theorie der sensiblen Haltung gegenüber der Möglichkeit, etwas herzustellen, was zu überschauen man nicht mehr in der Lage ist, steht in der Fortführung von Theodor Adornos Kulturkritik, der mit gleicher Vehemenz die Menschen auffordert, die Maschinerie zu durchschauen, um ein kritisches Bewusstsein zu erzeugen, und nicht bereitwillig etwas als durch Schicksal oder Natur Gegebenes hinzunehmen [1]. Am Ende bleibt die Frage, und der Verfasser sieht sie, wie Kritikfähigkeit auch dann evoziert werden kann, wenn der Mensch in das zu kritisierende System eingebunden bleibt.
[1] Vgl. dazu: Adorno, Theodor W.: Theorie der Halbbildung. In: Ders.: Gesammelte Schriften Band 8, I. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M. 1972, 93-121.
EWR 6 (2007), Nr. 5 (September/Oktober 2007)
Die Grenzen von Vorstellung und Darstellung
Studie zur Bildungstheorie in der technologischen Moderne
Würzburg: Königshausen und Neumann 2006
(168 S.; ISBN 3-8260-3470-8; 24,80 EUR)
Alexandra Zippel (Duisburg-Essen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Alexandra Zippel: Rezension von: Drews, Wilfried: Die Grenzen von Vorstellung und Darstellung, Studie zur Bildungstheorie in der technologischen Moderne. WĂĽrzburg: Königshausen und Neumann 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/82603470.html
Alexandra Zippel: Rezension von: Drews, Wilfried: Die Grenzen von Vorstellung und Darstellung, Studie zur Bildungstheorie in der technologischen Moderne. WĂĽrzburg: Königshausen und Neumann 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/82603470.html