
Das markiert auf weite Strecken der Arbeit die Vorgehensweise von Karin Kortschack-Gummer. Es ist zunächst ihr klar herausgestelltes Anliegen, „der Thematik des Kosmischen historisch und systematisch auf den Grund zu gehen, und deren bildungstheoretische Tragfähigkeit auf dem Boden fundierter philosophischer und pädagogischer Positionen zu reflektieren“ (13). Im ersten Teil ihrer Schrift (27-84) wehrt sie sich, wie bereits erwähnt, gegen alle vorliegenden (deutschsprachigen) Auslegungen der „Kosmischen Erziehung“ in der Sekundärliteratur. Überdies wirft sie der Forschung vor, Montessori in eine positivistische (W. Böhm) und biologistische (B. Fuchs) Ecke gedrängt zu haben. Ebenso wehrt sie sich gegen die „evolutionär-entwicklungstheoretischen“ bzw. ökologischen wie auch gegen die „metaphysisch-spekulativen“ Kosmosmodelle: Mit ihnen sei das Kosmosverständnis Montessoris nicht zu begreifen, das sie in einer spezifischen Ausprägung des Theorie-Praxis-Verhältnisses entfalten will (16). Um dies leisten zu können, greift sie im zweiten Teil (85-101) auf drei „wegweisende pädagogische Positionen für eine neue Sichtweise des Bildungsverständnisses“ zurück: 1. die bildungsphilosophischen Überlegungen F. Fischers; 2. den Gedanken der „Poiesis“, der als vergessenes Mittelglied zwischen Theorie und Praxis gilt; 3. die mikrokosmische pädagogische Anthropologie H. Tschamlers. Fischer entlehnt die Autorin die (wohlfeile) Kritik an einer bloß kognitiven Sinnvermittlung, mit der Pädagogik ihre eigentliche Aufgabe, den „vorprädikativen Sinn“ als wahren „Bildungssinn“ reflektiv zu „vermitteln“, verfehlte. Weil die Autorin annimmt, dass die unterstellte „Kosmische Erziehung“ etwas mit „ästhetischer Erziehung“ zu tun habe, lehnt sie für den Bildungsbegriff eine bloß kognitive Wissensvermittlung ab. Aber man kann sich heute an anderen Interpretationen eines die Bildung der Sinne unterstützenden bildungstheoretischen Verständnisses orientieren, um nicht über das Lob des „Vorprädikativen“ in ähnliche Aporien zu geraten, wie es Adorno mit dem „Nicht-Identischen“ widerfuhr. Vom Gewinn, den sich die Autorin von Fischers Bildungsreflexion erhofft, lässt sich aber die Aura des Esoterischen nicht abstreifen, wenn denn „Bildungssinn“ impliziert: „Das Angesprochenwerden des Selbst durch den aufgegebenen Sinn der Wirklichkeit bewirkt, dass das Selbst sich in den Dienst einer kosmischen Ordnung gestellt sieht“ (94). Hiermit wird suggeriert, dass Bildung des Individuums nur in kosmischer Abfederung zu haben sei. Ähnlich suggestiv wird mit dem Poiesis-Begriff operiert, der gewiss Qualitäten im Bildungsprozess und in der Bildungstheorie herauszustellen vermag, die im traditionellen Theorie-Praxis-Verständnis der Pädagogik übersehen worden sind. Die Autorin möchte ihr Montessori-Verständnis, weil auch an der Transformation von der Antike bis in die Neuzeit ästhetisch-kreative Bedeutungselemente am Poiesis-Begriff immer stärker in den Vordergrund getreten sind, mit diesem in Beziehung bringen, obwohl sie richtig sieht, dass Montessori sich an keiner Stelle ihres Werkes darauf bezogen hat. Ihr Poiesisverständnis ist denn auch ein vollkommen anderes, insofern es auf „die dialogische Verbundenheit von Mensch und Welt“ gerichtet ist (98). Hier ließe sich m. E. an Humboldt anschließen – mit dem sich die Autorin gar nicht befasst, sondern sie zentriert sich auf M. Bubers dialogische Philosophie (119-131), weil sie einem Verständnis der heute noch aktuellen griechisch-antiken Mikrokosmostheorie folgt, dem Tschamler mit dem Begriff der „Konkreativität“ von Mikro- und Makrokosmos neue „Aktualität“ verliehen habe (98ff.). Der „philosophische Horizont“ Montessoris sei denn auch ganz in der Kosmologievorstellung der griechisch-antiken Welt eingelassen – weshalb im dritten Teil (103-178) der „MikroMakrokosmosgedanke“, wie ihn G. Picht und Korvin-Krasinski interpretiert haben, breit entfaltet wird, um daran anknüpfend M. Bubers „dialogisches Prinzip“ im Sinne einer Berücksichtigung der „ganzen leibseelischen Person“ so auszulegen, dass damit das Prinzip der „Kosmischen Erziehung“ gemeint sei. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass nach Meinung der Autorin alles, was bei M. Montessori als „kosmisch“ zu bezeichnen ist, in einer „Ich-Du“-Beziehung, wie sie paradigmatisch Buber beschrieben habe, aufgeht. Mehr und mehr muss man feststellen, dass die Interpretation der Autorin – und mit ihr ihr Gegenstand: Montessori – das Feld der wissenschaftlichen Argumentation preisgibt und auf Esoterik umschaltet. Weil die „Beziehung“ nun die gesamte Last des „Kosmischen“ zu tragen hat, muss ihr ein belastbares Fundament untergeschoben werden: Weil die „Beziehung“ einen „Akt der synthetischen Anschauung“ darstelle, schwenkt Kortschack-Gummer auf eine ausufernde Kant-Interpretation (132-178) um, in deren Ergebnis Kant als Philosoph stilisiert wird, der in der Rehabilitation der „Teleologie“ sein Eingeständnis der Ohnmacht des diskursiven Denkens formuliert: „Das Kausalprinzip unseres diskursiven Verstandes versagt vor der bildenden Kraft der Natur“ (154). Die Teleologie des Naturzweckes ist das, was von Kant einzig übrig bleibe. Dieses Kant-Verständnis ist die Grundlage für den vierten Teil (179-288), in dem die „Bildungs- und Erziehungskonzeption M. Montessoris vor dem Hintergrund der MikroMakrokosmostheorie“ ausgebreitet wird. Hierzu stilisiert die Autorin M. Montessori zur Erbin Kants: Sie „greift im 20. Jahrhundert das Kantsche Erbe auf“ (181). Aber dieser Kant ist ein auf die Teleologie des „Naturzwecks“ reduzierter Kant. Der Begriff der „Polarisation der Aufmerksamkeit“, aus dem sie den „Schlüsselbegriff“ ihrer Pädagogik – die „innere Bildung“ – herleitet, entspreche einem „an Kants ‚Kritik der Urteilskraft’ angelehnten Verständnis der Natur“, das aber auf Teleologie zurück geschnitten ist (183). „Innere Bildung“ im Modus der „Selbsttätigkeit“ orientiere sich, da darf man der Autorin durchaus zustimmen, muss es aber Montessori nicht zwangsläufig und allein zuschreiben, an „einer nicht-technologisch verstandenen Poiesis“ (190). Doch dieser weiterführende Gedanke, den man bildungstheoretisch entwickeln muss, wird sogleich wieder durch den Hinweis auf Erziehung als „Seelenkontakt“ (192) domestiziert. Über den Rest des vierten Teiles werden auf gut 90 Seiten nur noch Montessoris Aussagen über die Qualitäten der Entwicklungsphasen vom Embryo bis zum Adoleszenten referierend mitgeteilt (S. 195ff.). Auf diesem Wege wird dem Leser noch belehrend vor Augen geführt, dass M. Montessori natürlich auch die Erbschaft des Comenius (266) und die Herbarts (244ff.) angetreten hat. Schenkt man der Autorin Glauben, so ist überhaupt jegliche ernstzunehmende pädagogische und geistesgeschichtliche Reflexion seit der griechisch-antiken Welt in das Denken Montessoris derart aufgegangen, dass diejenigen, die in diesem wahrhaft „kosmischen“ Zugriff unerwähnt geblieben sind, das auch verdient haben. Erziehungswissenschaftliche Gegenwartsautoren, die nicht zugleich auch Sekundärautoren zur Montessori-Pädagogik sind, insbesondere solche, die sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten an dem Diskurs um eine neue Bildungstheorie beteiligt haben, tauchen hier nicht auf. Das ist um so bedauernswerter, als der Anspruch, eine poietische Begründung der Pädagogik als Wissenschaft zu bieten, vor dieser Selektion hätte zurückschrecken müssen. Und schließlich: Die Autorin wollte „Das Kosmische der ‚Kosmischen Erziehung’“ klären. Am Ende ist es wohl nicht mehr als das „Leibseelische in der Beziehung“. Bedurfte es dazu des gesamten Aufwandes, zumal die Grundlegung einer poietischen Bildungstheorie nicht eingelöst wurde, sondern weiterhin Aufgabe bleibt?
[1] So vor allem Marjan Schwegmann (2000): Maria Montessori 1870-1952: Kind ihrer Zeit, Frau von Welt. Darmstadt; Hélène Leenders (2001): Der Fall Montessori: Die Geschichte einer reformpädagogischen Erziehungskonzeption im italienischen Faschismus. Bad Heilbrunn.