âUnterwegs zu einer Bildungstheorie des Sprachspielersâ, so hĂ€tte Norbert Meders 2004 erschienenes Buch âDer Sprachspieler. Der postmoderne Mensch oder das Bildungsideal im Zeitalter der neuen Technologienâ auch heiĂen können, versteht es sich doch als retrospektiv und zugleich prospektiv angelegte Ăberschau des seit 1984 vom Autor eingeschlagenen wissenschaftlichen Weges. Die 17 Jahre nach der ersten Auflage (1987) vorgelegte zweite, wesentlich erweiterte Auflage setzt sich aus VortrĂ€gen und AufsĂ€tzen fĂŒr SammelbĂ€nde zusammen, die weitgehend in der Reihenfolge ihrer Abfassung abgedruckt werden, so dass dadurch gleichzeitig die Genese der Theorie des Sprachspielers deutlich wird. Mit dem vorliegenden Gesamttext ist nun eine nahezu komplette Sammlung von Meders philosophisch-pĂ€dagogischen AufsĂ€tzen verfĂŒgbar. Darin wird eine an den RĂ€ndern offene, höchst aktuelle Bildungstheorie vorgelegt, die um die Frage kreist, wie ein Bildungsideal fĂŒr die derzeit im Wandel begriffene Gesellschaft konzipiert werden kann und muss.
Weil das Buch ĂŒber keine aus der Sache sich ergebende explizite Gliederung verfĂŒgt, gibt Meder bereits in der Einleitung (9-29) einen grĂŒndlichen Ăberblick, indem er drei Kernbereiche beschreibt, die jede Konzeption deutscher GegenwartspĂ€dagogik auszeichnen sollte und die er im Hinblick auf seine Bildungstheorie ausformuliert: (i) den Theoriestatus, (ii) die Argumentationslinien und (iii) die Verortung in der Allgemeinen PĂ€dagogik.
(i) Die Theorie des Sprachspielers ist ein Bildungsideal und damit fĂŒr Meder eine normative Theorie oder eine Werttheorie. Als solche verwendet sie SollenssĂ€tze und Werturteile â sie sagt, wie es sein sollte und wie es richtig sein könnte. Damit liegt ihr Fokus gerade nicht auf der Beschreibung eines empirischen, sondern im Entwurf eines idealen Zustands. Sie ist keine expositorische Analyse, sondern eine fiktionale Konstruktion, und obwohl sie sich Ă€sthetischer Mittel bedient, kann sie niemals lâart pour lâart werden, weil sie sich "im vorstrukturierten Raum von Diskursformationen" (13; Hervorhebung im Original) im Widerstreit mit anderen Positionen befindet.
(ii) Will eine Bildungstheorie in einer Diskursgemeinschaft also Geltung beanspruchen und Anerkennung finden, so muss sie Argumente vorbringen, die auf Zustimmung zielen. Argumente verlangen zu ihrer Formierung komplexes, sachlich geordnetes Wissen. Da Wissen jedoch von sich aus noch kein Argument bildet, ist zudem die Verbindung mit allgemeinen Gesichtspunkten, den topoi, notwendig. Erst durch die Zusammennahme von Wissen und allgemeinen Gesichtspunkten können ĂŒberzeugungsstiftende Argumente kreiert werden â so die gĂ€ngige Auffassung der Rhetorik, deren Theoriepotenzial von verschiedenen erziehungswissenschaftlichen Fachvertretern derzeit auch fĂŒr die PĂ€dagogik fruchtbar zu machen versucht wird. Meder greift diesen Gedanken auf und versucht an vier originĂ€ren topoi der Bildungstheorie des Sprachspielers â âWissenâ, âReflexion auf Wissen und die Konstitution von Wissenâ, âSprache und Medienâ sowie âInformationstechnologien und ProduktionsverhĂ€ltnisseâ â die Frage nach dem Bildungsideal im Zeitalter der neuen Technologien auf zweifache Weise zu verhandeln: Zum einen werden historische Entwicklungslinien aufgezeigt, die sich von der AufklĂ€rung ĂŒber den Neukantianismus bis hin zur postmodernen Gegenwart erstrecken und dabei zahlreiche philosophische Referenzen in Anspruch nehmen, wie etwa Kant, Hönigswald, Wittgenstein, Plessner, Lyotard u.a. Zum anderen werden die in den historischen Entwicklungslinien sich zeigenden Bedeutungsbeziehungen systematisch reflektiert und als Stadium der Generierung von Argumenten fĂŒr die Bildungstheorie des Sprachspielers genutzt.
(iii) Die Bildungstheorie des Sprachspielers ist fĂŒr Meder zum einen eine Einzeldogmatik neben anderen Bildungstheorien, zum anderen will er sie aber auch in einer Disziplin âPĂ€dagogische Dogmatikâ verorten lassen, die es jedoch in der Erziehungswissenschaft bis dato nicht gibt â vielleicht allenfalls in den AnsĂ€tzen der sich zunehmend etablierenden Wissensforschung. In Analogie zur Systematik der Theologie legt Meder daher einen Entwurf zur Binnendifferenzierung der PĂ€dagogik vor. Er unterscheidet eine âSystematische PĂ€dagogikâ, die die Grundbegriffe und Ordnungsprinzipien behandelt und methodische Ăberlegungen anstellt, wie diese gleichsam als Basalstrukturen der erziehungswissenschaftlichen Theorie Geltung beanspruchen und Anerkennung finden können. Eine von ihm ins Feld gefĂŒhrte âPĂ€dagogische Dogmatikâ fragt danach, woran sich pĂ€dagogisches Handeln ausrichten soll und prĂŒft hierzu aktuell im Umlauf befindliche GeltungsansprĂŒche auf ihre Konsistenz. Unter dem Titel âPraktische PĂ€dagogikâ diskutiert Meder schlieĂlich eine Wissenschaft von den Erziehungsmitteln und MaĂnahmen des Initiierens von Bildungsprozessen sowie die Notwendigkeit einer dieser beigeordneten âPĂ€dagogischen Katechetikâ, die auch und gerade das zuweilen mitunter populĂ€rwissenschaftliche Feld pĂ€dagogischer Ratgeberliteratur an die Erziehungswissenschaft rĂŒckbinden könnte.
Mit diesen Vorab-ErlĂ€uterungen ist das SelbstverstĂ€ndnis der Bildungstheorie des Sprachspielers beschrieben, und es wird möglich, ihre Entwicklung von den AnfĂ€ngen bis zur gegenwĂ€rtigen Ausformung nachzuzeichnen. Hierzu stellt Meder in 15 AufsĂ€tzen sein postmodernes Bildungskonzept des Sprachspielers vor und beleuchtet es aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Wie in den Vorbemerkungen deutlich gemacht, steht dabei mal der historisch-genealogische Aspekt im Vordergrund, mal der systematische, mal eine Kombination aus beiden â immer aber unter BerĂŒcksichtigung einer zunehmenden Konkretisierung der vom Autor verhandelten Sache.
Den Auftakt der historisch-genealogisch orientierten AufsĂ€tze bildet âWittgenstein oder die Poetik der Postmoderneâ (31-43). In diesem Text versucht Meder deutlich zu machen, dass das von Jean-François Lyotard im âPostmodernen Wissenâ darlegte Urteil ĂŒber das endgĂŒltige Zerbrechen menschlichen Wissens sich vor allem der SpĂ€tphilosophie Ludwig Wittgensteins verdankt, ja die gesamte Philosophie Wittgensteins könne âals Antizipation jenes Wandels angesehen werden [âŠ], um dessen Beschreibung es Lyotard gehtâ (32). Um diese These zu verdeutlichen, zeigt Meder auf, dass die zwei zentralen Aspekte des âPostmodernen Wissensâ bereits in Wittgensteins Traktat thematisiert werden, nĂ€mlich die VerĂ€nderung der Pragmatik des Wissens infolge der maschinellen Verarbeitung und die aus der Informatisierung der Gesellschaft resultierenden Auswirkungen auf das SelbstverstĂ€ndnis des Menschen. Im Rahmen einer Darstellung des âPostmodernen Wissensâ werden GrundzĂŒge postmoderner Gesellschaften â allen voran Pluralisierung und Differenzierung â herausgestellt und von Meder mit Aussagen Wittgensteins im Traktat konfrontiert.
Eine vertiefende Betrachtung der durch die Postmoderne hervorgerufenen strukturellen VerĂ€nderungen fĂŒhrt der Autor in âBildung im Zeitalter der neuen Technologien oder der Sprachspieler als Selbstkonzept des postmodernen Menschenâ (45-58) zu der Bedeutung des Medialen. Hierbei greift er sowohl auf medientheoretische Ăberlegungen Marshall McLuhans zurĂŒck als auch auf âgrammatologischeâ Erkenntnisse im Sinne von Jacques Derrida, um den Ăbergang von der oralen zur literalen Gesellschaft zu erlĂ€utern und den Wandel in der Struktur des Wissens deutlich zu machen.
Die Hauptmotive des dritten historisch geprĂ€gten Aufsatzes mit dem Titel âDas Sprachspiel: Gödel, LetztbegrĂŒndung und neuzeitliche Philosophie oder Philosophie als kontingente Theorie der UnvollstĂ€ndigkeitâ (83-96) sind zum einen die argumentative Entfaltung des von Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen vollzogenen Schritts zu einem multiplen Netzwerk nebeneinander stehender Sprachspiele, bei dem jedes Sprachspiel fĂŒr jedes andere funktional und zeitbegrenzt die Aufgabe der Metasprache ĂŒbernehmen kann und zum anderen die Absage an jegliche Formen von Supersprachspielen. Illustriert werden die genannten Motive mit Hilfe des Cartesianischen sum cogitans, des nicht ausschlieĂlich fĂŒr die Mathematik relevanten Gödelschen UnvollstĂ€ndigkeitssatzes und der Systemtheorie Niklas Luhmanns, die als Gegenentwurf zur PluralitĂ€t der Sprachspiele prĂ€sentiert wird.
Das auf den ersten Blick kurios anmutende GesprĂ€chsprotokoll des fingierten âRoundtable mit Leibniz, Wittgenstein und Turingâ (155-164) ist aus einem geschickten Arrangement von Originalaussagen der Diskutanten komponiert und leistet nach Meder einen wichtigen Beitrag zur Diskussion um die Postmoderne und das Zeitalter der maschinellen Wissensverarbeitung (155; Hervorhebung im Original). Leitend sind in dieser Diskussion die Beziehung zwischen Dualzahl-Formalismus und Beschreibung bzw. ErklĂ€rung von Welt â also auch von nicht-mathematischen Dingen und Themen â, die Unterschiede zwischen Dualzahlsprache und chinesischer Bildersprache sowie die Möglichkeiten und Grenzen logischer Maschinerien.
Die VerknĂŒpfung von historischem und systematischem Erkenntnisinteresse wird in den beiden AufsĂ€tzen âDer Sprachspieler. Ein Bildungskonzept fĂŒr die Informationsgesellschaftâ (179-196) und âDekonstruktion als Bildungâ (249-271) realisiert. Der erstgenannte Aufsatz entwickelt die Figur des Sprachspielers als postmodernes Bildungsideal aus einer philosophischen Grundlegung heraus, um ĂŒber transzendentalphilosophische Traditionslinien sowie Ă€sthetische Grundlagen in eine transzendentale Medientheorie einzumĂŒnden, die den Sprachspieler als ein âfigurales Gebilde im medialen Raum der Codierung und Decodierung von Zeichenâ (179) ausweist. AusfĂŒhrlich diskutiert wird hierzu die Abwendung vom Kantischen Schematismus bei Richard Hönigswald und Ludwig Wittgenstein, die u.a. die Vorbereitung der Postmoderne nach sich gezogen habe. Entscheidend ist dabei, dass Wittgenstein gewissermaĂen ungewusst eine Abwendung von Kant vollzieht, indem er einerseits die Grammatik des Sprachspiels als einen Satz von Regeln der Verwendung zulĂ€ssiger Worte in SpielzĂŒgen zu beschreiben versucht, die gleichsam stumm und unreflektiert in Sprachspielen verwendet werden, und diese andererseits mit dem Ausdruck Lebensform erlĂ€utert, die âals die unbegrĂŒndbare und unvordenkliche Handlungsweise einer kulturell-mythisch verbundenen Sprachspielgemeinschaftâ (218) verstanden wird. Der zweite Aufsatz âDekonstruktion als Bildungâ erschlieĂt die Bildungstheorie des Sprachspielers von dem kritischen Verfahren der Dekonstruktion her, das auf die französischen Philosophen Jacques Derrida und Michel Foucault zurĂŒckgeht und von Judith Butler in den postfeministischen Diskurs eingebracht wurde. Angenommen wird, dass Dekonstruktion etwas mit Bildung zu tun hat, da es hier wie dort um AufklĂ€rung und Emanzipation geht: Bildung umschlieĂt die bewusstmachende Befreiung von Gewohnheiten, Meinungen, Vorurteilen, unreflektierten Lebensmustern und anderen GĂ€ngelungen; Dekonstruktion âist der Versuch, das Macht-FreiheitsverhĂ€ltnis in einem konkreten Machtspiel zu Gunsten der Freiheit zu verĂ€ndernâ (251). Ăber die unterschiedlichen AusprĂ€gungen des dekonstruktiven Verfahrens bei Derrida, Foucault, Butler und Haraway wird abschlieĂend der Sprachspieler in elf GrundsĂ€tzen als Dekonstrukteur beschrieben.
Die ĂŒbrigen, eher systematisch orientierten AufsĂ€tze gehen Einzelfragen nach und komplettieren somit das Panorama der Bildungstheorie des Sprachspielers. In âDer Sprachspieler oder KreativitĂ€t als Selbstkonzept im Zeitalter der Informationâ (59-66) geht es im Rahmen einer vertiefenden Beschreibung des Selbstkonzepts des postmodernen Menschen um den Nachweis, dass KreativitĂ€t fĂŒr den Sprachspieler zu einer geradezu lebensnotwendigen Eigenschaft wird, weil sie ihm trotz der Vorherrschaft des technischen Dispositivs einen entscheidenden Vorteil gegenĂŒber der KĂŒnstlichen Intelligenz einbringt. Wird in diesem Aufsatz in gewisser Weise die DiametralitĂ€t von Mensch und Maschine aufgezeigt, so steht in dem Text âKĂŒnstliche Intelligenz als Wirkung der Klassifikation oder das Netzwerk von Sprachspielen als kognitives Paradigmaâ (67-81) das Zusammenwirken von Mensch und Maschine zur Disposition. Dabei geht es vor allem um die Fragen, wie Computer zu Rechenleistungen gebracht werden können, die menschlicher Intelligenz zum Verwechseln Ă€hnlich sind, und wie es möglich ist, durch die Konstruktion und Programmierung intelligenter Operationen neue Erkenntnisse ĂŒber die menschliche Kognition zu erlangen.
Der Aufsatz âSuperzeichensemantikâ (97-109) nĂ€hert sich aus sprachphilosophischer Sicht dem âmedial technologischen PhĂ€nomen der Sprachenkonstruktionâ (17). Computer werden dabei als hochvariable Sprachmaschinen verstanden, die Sprache im Kontext einer allgemeinen SprachfĂ€higkeit generieren und mittels der erzeugten Superzeichensemantik ihr eigenes operatives Spiel in der Sprache entwickeln. Wenn nun Bildung an die Vermittlungsfunktion von Sprache gebunden ist â was spĂ€testens seit Wilhelm von Humboldt anerkannt sein dĂŒrfte â, dann ist damit auch Bildung als das reflektierende und argumentierende VerhĂ€ltnis zu sich selbst, zu anderen Menschen und zu den Dingen und Themen der Welt betroffen. Auch der Beitrag âTechnik und Bildung, technische Bildungâ (165-177) geht von der sprachlichen Konstituiertheit von Selbst-, Fremd- und WeltverhĂ€ltnissen aus. Die fĂŒr Meder fĂŒnf wichtigsten Themen unserer Zeit, Computertechnologie, Medientechnologie und Massenkommunikation, Gentechnologie, Energietechnologie und Umwelttechnologie â warum eigentlich nur Technologien? â, sind allesamt sprachbezogen, wenn nicht sogar sprachbestimmte bzw. -bestimmende Themen. Im interdisziplinĂ€ren Verfahren der Technologie-Folgen-AbschĂ€tzung werden die unterschiedlichen Sprachspiele durch ein Metasprachspiel in einen Zusammenhang gebracht: âDieses Sprachspiel spielen zu können, soll Bildung im Zeitalter der Technologie, im Zeitalter des Logos der Technik heiĂenâ (175).
Die beiden AufsĂ€tze âMaschinen-Lernen als Problem der Ăberlieferung einer âGĂŒltigen Weltââ (111-118) und âDestruktion der öffentlichen Verbindlichkeit von Sprache durch Neue Technologienâ (119-131) thematisieren jeweils aus verschiedenen Perspektiven das Geltungsproblem. Im erstgenannten Aufsatz geht es im Rahmen des Maschinen-Lernens als einem Teilproblem im Forschungsparadigma der KĂŒnstlichen Intelligenz um die Ăbernahme der Speicherung von WissensbestĂ€nden und die Ăberlieferung von KulturgĂŒtern durch die Maschinen. Dass diese mit der Ăbernahme von Wissen zugleich auch die Definitionsmacht innehaben, also die GĂŒltigkeit und LegitimitĂ€t von Wissen bestimmen, hat einschneidende Folgen fĂŒr Erziehung und Bildung, etwa dann, wenn Lernen automatisiert und damit der Kontingenz menschlichen Handelns entzogen wird. Gleichwohl sieht Meder fĂŒr die Erziehungswissenschaft hier die Möglichkeit der besonderen Profilierung, auch und gerade weil â und dies nicht ohne den Beigeschmack von Zynismus â âeine neue Berufschance fĂŒr den zunehmend arbeitslos werdenden PĂ€dagogenâ (116) entworfen werde. Diese bestehe darin, im autodidaktischen Prozess der Maschinen eine Supervisor-Funktion einzunehmen. Der zweite Aufsatz macht deutlich, dass durch einen âStrukturwandel der Ăffentlichkeit ein Widerstreit um die Herrschaft ĂŒber den Code im Raum medialer VerstĂ€ndigung entsteht, wenn Dogmen öffentlicher Meinung produziert und gleichzeitig die Verbindlichkeit dieser aufgelöst werden: Ăffentlichkeit als die Weltgesellschaft im Modus sprachlicher Vernunft scheint aus empirischen GrĂŒnden nicht mehr möglich. Sie ist als Nebenfolge der technologischen und dogmatischen Produktion von Sprachen verloren gegangen (129; Hervorhebung im Original).
Im Kontext einer Auseinandersetzung mit gegenwĂ€rtigen pĂ€dagogischen EinsĂ€tzen stehen die AufsĂ€tze âSprachspiele und FamilienĂ€hnlichkeit â eine skeptisch-transzendentalphilosophische Positionâ (133-153) und âDas Sprachspiel der Vernunftâ (197-216). Im ersten Aufsatz geht es um den Stellenwert der pĂ€dagogischen Skepsis, wie sie ausgehend von Wolfgang Fischer vertreten wird; etwa um die Fragen, wie angesichts des Scheiterns des âProjekts der Moderneâ und des Pluralismus von Normen, Werten und Anschauungen Orientierungspunkte fĂŒr das erzieherische Handeln zu finden sind. Der zweite Aufsatz setzt sich mit Jörg Ruhloffs PĂ€dagogik des problematisierenden Vernunftgebrauchs auseinander und geht der Frage nach, ob und wie der Wechsel von der intentio recta in die intentio obliqua, d.h. der âWechsel vom unmittelbaren und unvermittelten Gebrauch des Verstandes in die reflektierende ErlĂ€uterung eben dieses Gebrauchesâ (197), möglich ist. Beide AufsĂ€tze haben damit trotz ihres dominanten Theoriebezuges eine deutliche Relevanz fĂŒr pĂ€dagogische HandlungszusammenhĂ€nge, weil sie jene Situation analysieren, âin dem es dem Erzieher möglicherweise nicht gelingt, mit dem Zögling angesichts einer misslungenen Praxis in einen reflexiven Diskurs ĂŒber eben diese misslungene Praxis zu kommenâ (199).
Der Text âZeit und Grammatik im Sprachspiel oder Zeit als Form topischer Argumentation in der Rhetorikâ (217-248) ist inspiriert von den Ăberlegungen, die der Autor bereits in seiner Habilitationsschrift (1983) verfolgt hat, und geht von der These aus, dass es eine Verwandtschaft der Sprachspieltheorie Wittgensteins mit der Rhetorik des ausgehenden Mittelalters und der Renaissance gibt. Unklar bleibt allerdings, warum sich die Verwandtschaft nicht auch auf die antike Rhetorik erstreckt. In Verlauf der ĂberprĂŒfung der Eingangsthese werden Fragen verhandelt wie: Was hat die in den Philosophischen Untersuchungen entfaltete PluralitĂ€t der Sprachspiele mit Lernen und Sozialisation zu tun, welche Bedeutung kommt den âAnfangssprachspielenâ zu, welche Rolle spielt die Didaktik bei der Konstitution topischer Argumentation, inwiefern gibt es BerĂŒhrungspunkte zu Piagets Entwicklungstheorie der Intelligenz, und welche Beziehung gibt es zwischen der Zeitgestalt in Sprachspielen und den Figuren der Argumentation in der Rhetorik? Fazit der Ăberlegungen ist, dass zahlreiche BerĂŒhrungspunkte und Ăbereinstimmungen zwischen der SpĂ€tphilosophie Wittgensteins und der Rhetorik nachgewiesen werden können.
Den Gebildeten im Zeitalter der neuen Technologien nennt Norbert Meder einen Sprachspieler und entwickelt dessen Profil auf einer Linie von Immanuel Kants Schematismus ĂŒber den Neukantianismus Richard Hönigswalds bis zur Sprachphilosophie Ludwig Wittgensteins. Obwohl sich der Autor bemĂŒht, seine âBildungstheorie des Sprachspielersâ auch mit Hilfe von Tabellen, Grafiken und Zeichnungen transparent zu machen, wird dem interessierten Leser der Mitvollzug nicht immer leicht gemacht, etwa wenn man mit Formulierungen wie âdas Ding-an-sich an sichâ (191) konfrontiert wird, oder wenn man liest, dass âder Sprachspieler zeigt, was er zeigt und was er nicht zeigt und zugleich die Differenz, die im Zeigen liegt, zeigtâ (167). Solchen und Ă€hnlichen GedankengĂ€ngen und entsprechenden Formulierungen mit gleich bleibender Konzentration zu folgen, ist fĂŒr den Leser oftmals kein leichtes Unterfangen. Gleichwohl bleibt die Auseinandersetzung mit Meders in vielerlei Hinsicht anspruchsvoller Bildungstheorie, deren Weg durch die Neuauflage nun ĂŒber annĂ€hernd 20 Jahre nachvollziehbar geworden ist, eine Herausforderung. Nicht nur, weil in der Zwischenzeit zahlreiche neue Untersuchungen und Analysen das Bildungsideal des Sprachspielers konkretisiert und ausformuliert haben, sondern vor allem deshalb, weil hier der Versuch unternommen wird, den Bildungsgedanken angesichts der technischen VerĂ€nderungen und ihren Auswirkungen nicht ad acta zu legen, sondern auf die Problematisierung der individuellen und sozialen Gestaltung des Menschen hin zu reformulieren und weiterzudenken.
EWR 4 (2005), Nr. 6 (November/Dezember 2005)
Der Sprachspieler
Der postmoderne Mensch oder das Bildungsideal im Zeitalter der neuen Technologien
WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann 2004
(271 S.; ISBN 3-8260-2624-1; 24,80 EUR)
Thorsten Fuchs (GieĂen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Thorsten Fuchs: Rezension von: Meder, Norbert: Der Sprachspieler, Der postmoderne Mensch oder das Bildungsideal im Zeitalter der neuen Technologien. WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann 2004. In: EWR 4 (2005), Nr. 6 (Veröffentlicht am 08.12.2005), URL: http://klinkhardt.de/ewr/82602624.html
Thorsten Fuchs: Rezension von: Meder, Norbert: Der Sprachspieler, Der postmoderne Mensch oder das Bildungsideal im Zeitalter der neuen Technologien. WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann 2004. In: EWR 4 (2005), Nr. 6 (Veröffentlicht am 08.12.2005), URL: http://klinkhardt.de/ewr/82602624.html