Alexandra Offermanns versteht Ihre Arbeit als einen Beitrag zu einem nur marginal bearbeiteten Bereich in der NS-Forschung: jenem der Ästhetisierung. Zwar gäbe es hier eindrückliche Forschungsarbeiten, denen aber gemein sei, dass sie sich vorrangig mit ästhetischen Strategieplänen der ‚Initiatorenseite’ auseinandersetzten. NS-Forschung in diesem Bereich widme sich hauptsächlich der propagandistischen Instrumentierung des Ästhetischen seitens des Herrschaftsregimes; die Rezipienten der Ästhetisierungsstrategien blieben jedoch in weiten Teilen unberücksichtigt. So schließt Offermanns an die geläufigere Fragestellung, "warum das Hitler-Regime sich nicht auf die ihm zur Verfügung stehenden Propaganda- und sonstigen Volkslenkungsmittel verliess und auf ästhetischem Wege in den ‚Volksgenossen’ einen ästhetisierten … weltanschaulichen Glauben wecken zu müssen glaubte" die interessanten Fragen an, "was denn eigentlich ästhetisiert wurde und welche Funktion das Ästhetische im gesamten Herrschaftskomplex einnahm" und, zentral: wie die Ästhetisierung seitens der ‚Adressaten’ aufzufassen sei (7).
Es ist das Interesse an dieser subjektiven Seite im Ästhetik-Empfinden, das Offermanns’ Forschung vorgeblich trägt. Dabei geht sie bedeutungsvoll von einem klassisch-neuzeitlichen Subjektverständnis aus, bei dem Vernunft und Sinnempfindung klar und hierarchisierend getrennt sind. Damit ist auch Offermanns dichotome These verstehbar, wonach in der Vernunftfeindschaft des Nationalsozialismus der "Hauptgrund für die Ästhetisierungsstrategien" zu sehen sei (8). Mit Offermanns zusammengefasst, richte sich Propaganda vornehmlich an den Verstand, Ästhetisierung an die Sinne. Und hierin verortet Offermanns den zentralen Unterschied zwischen bewusster, den Verstand ansprechender Propaganda und unbewusster, auf das Leiblich-Sinnliche abzielender Ästhetisierung.
Offermanns’ Forschung gliedert sich wie folgt: Sie widmet sich, nachdem sie die politischen Ziele der Nationalsozialisten überblicksartig darstellt (Kapitel 2 und 3) und dabei einen Schwerpunkt auf die Intentionen nationalsozialistischer Erziehung setzt (Kapitel 3.2), der Realisierung eben dieser auf ästhetischem Wege (Kapitel 4). Dabei versucht sie insgesamt zu klären, welcher Begriff von Ästhetik seitens der Protagonisten des NS-Regimes der Lenkung des Volkes zugrunde liegt. Ihre Erkenntnisse aus diesbezüglichen Durchgängen will Offermanns sodann anhand von Interview-Berichten ehemaliger Mitglieder des BDM (Bund Deutscher Mädel)-Werks ‚Glaube und Schönheit’ ausbauen und festigen (Kapitel 5). Die dabei gewonnen Ergebnisse "gestatten allgemeine Aussagen über die prinzipielle Problematik der ideologischen und erzieherischen Dienstbötigkeit von Ästhetik und Kunst im Nationalsozialismus" (11). Darauf basierend lasse sich nach Offermanns solcherart eine grundlegende Kritik an einem ausschließlich ästhetisch agierenden Erziehungskonzept festmachen.
In Kapitel 1 offeriert Offermanns einen Überblick zum Forschungsstand. Sie klammert dabei die übergreifenden und weit reichenden, vielfältigen und aussagekräftigen Diskurse in Sachen ‚Ästhetik’ aus. Stattdessen verbleibt sie in der klassischen NS-Forschung und kritisiert dabei die hier verbreitete Rezeptionsweise: Ästhetik = Kunst. Die Veröffentlichungen zum Bereich Ästhetik fassten diesen Begriff zumeist reduzierend als erwünschte bzw. unerwünschte Kunst und Kulturpolitik, was zu kurz greife - auch und gerade bezüglich nationalsozialistischer Intentionen. Offermanns konstatiert eine Forschungslücke, weil die Fragen nach dem "Innenleben" und dem "subjektiven Erleben der Mitglieder" (34) - nach dem, was "den jungen Frauen (Offermanns beforscht Frauen) gefiel" – ausgeblendet werden (35). Verstärkt wäre nach Offermanns nicht nach der ästhetischen Vermittlung einer Ideologie zu fragen, sondern nach dem verführerischen Gedanken, warum Menschen sich vorgeblich frei für diese ästhetisierte Ideologie entschieden haben.
In der Folge wendet sich Offermanns den mentalitätsgeschichtlichen Vorbereitungen des Nationalsozialismus zu (Kapitel 2). Sie beschreibt die "Vorläufer und Wegbereiter der nationalsozialistischen Weltanschauung" (37ff.), wobei sie in diesem Abschnitt in ‚der’ Romantik ansetzt. (Mit einer Beschreibung, die sich der dazumal vermeintlichen Auflösung des Intellektualismus der Aufklärung zuwendet, untermauert Offermanns implizit ihre für die Arbeit so bedeutsame Subjektsicht der binären Trennungslogik von Seele und Leib, Vernunft und Sinnlichkeit, Verstand und Gefühl, Rezeptivität und Spontaneität etc.). Im romantischen Denken sieht Offermanns die Rutsche für nationalsozialistische Vernunftfeindlichkeit gelegt, was später weiter durch Nietzsche ausgebildet werde. Darwin hingegen stehe mit seiner Evolutionstheorie Pate für ein nationalsozialistisches ‚Recht-des-Stärkeren’-Denken. Diesen bekannten – und streitbaren – Referenzen bzw. deren Auslegung folgen bei Offermanns Ausführungen zur Kulturkritik (46ff.) sowie die "Zeitzeichen: Die Konservative Revolution" (55f.). Hier anschliessend arbeitet Offermanns die Ideen der Jugend- und Kunsterziehungsbewegung heraus (57ff.), um sodann die Affinität von Kunsterziehung und Nationalsozialismus zu besprechen.
Nachdem Offermanns beginnt, die erzieherischen Bedeutungsmomente einzukreisen, schiebt sie einen ausholenden Abschnitt zu "Platon und die Nationalsozialisten" ein (Kapitel 3). Hierin stellt sich Offermanns die Frage, was von der Staatstheorie Platons auf welche Weise von den Nationalsozialisten aufgenommen und v.a. ‚modifiziert’ wurde. Es geht ihr dabei um die Analyse der nachträglichen Legitimation der nationalsozialistischen (Erziehungs-)Konzepte, wie sie, so Offermanns, besonders drastisch mithilfe der Tradition Platons vonstatten ging. Gerade dessen Erziehungstheorie in der ‚Politeia’ und den ‚Nomoi’ – hier die Poliserziehung, speziell aber die der sinnlich-ästhetischen Erziehung – bilde einen Rechtfertigungsboden für das "platonisch inspirierte nationalsozialistische" Diktum des Verbleibens "in der Masse", für das Festhalten des Einzelnen "in einem unmündigen Zustand mit Hilfe ästhetischer Mittel wie eben Musik und Gymnastik" (100). Doch während bei Platon noch die Erziehung des Verstandes und der Vernunft Ziel gewesen sei, zeichne sich nationalsozialistische Erziehung durch eine Verfremdung Platons aus, indem sie nur dessen "strenge Jugenderziehung übernimmt" (105). Die "Intentionen nationalsozialistischer Erziehung" (108f.) führt Offermanns näher aus, wobei sie dies mit dem Anführen der Sichtweisen federführender Protagonisten (Hitler, von Schirach, Krieck und Baeumler) zu bewerkstelligen versucht. Sie schliesst dieses lange Kapitel mit einer resümierenden Gegenüberstellung "Platons Paideia vs. nationalsozialistische ‚Erziehung’" (128ff.).
Bedeutend für Offermanns’ Forschung ist bei alledem der Stellenwert der platonischen musisch-gymnastischen Erziehung, wie sie von den Nationalsozialisten v.a. in eine Richtung missbräuchlich ausgelegt worden sei: "die Masse ihr ganzes Leben lang auf der Stufe des Anschaulich-Ästhetischen zu beherrschen" (131).
Dieser missbräuchlichen starken Betonung des Ästhetischen widmet sich Offermanns in Kapitel 4: "Die Funktion des Ästhetischen im Nationalsozialismus" (133ff.), in welchem sie die nationalsozialistischen Ziele und deren Realisierung auf ästhetischem Wege bespricht.
Die "Ästhetisierung des gesamten Lebens … soll den Menschen und die Gesellschaft auf das auf Ewigkeit ausgelegte ‚Tausendjährige Reich’ einschwören" (135). Diese Ästhetisierung aller Lebensbereiche führt Offermanns in Folge an den Feldern Politik (154ff), Menschenbild (155ff.), Freizeit (159ff.) und in der "Kumulation der ästhetischen Momente in der Reichsparteitagsfeier" (168ff.) aus.
Das Kapitel 5 trägt den Titel: "Das BDM-Werk ‚Glaube und Schönheit’ als ausserschulische ästhetische Erziehungsinstitution" (173ff.). Nach einer Klärung der Organisation und der Intention des BDM-Werks, bei dem vor allem dessen implizite ästhetische Aufgabensetzung im Vordergrund steht, wendet sich Offermanns ihrem qualitativen Untersuchungsteil zu. Offermanns’ Probandinnen sind Frauen, die dereinst Mitglied dieser Organisation waren. Leitend ist für Offermanns die These, "dass das BDM-Werk ‚Glaube und Schönheit’ die Jugendinstitution war, die ihr Repertoire am stärksten ästhetischen Bereichen entlieh …" (187). An den Überlieferungen der von Offermanns befragten Frauen interessieren vier grosse Komplexe: "individuelle Vorbedingungen der Interviewten; individueller Werdegang in ‚Nazi-Deutschland’; Wissen der Frauen um die ‚grosse Politik’ und die Einstellung dazu; ‚Auswirkungen’ von ‚Glaube und Schönheit’ auf das spätere Leben" (197f.).
Offermanns fördert Aussagen der ehemaligen BDM-Mitglieder zu Tage, denen wesentlich gemein ist, dass sie die Mitgliedschaft als "schön", "locker" oder "nett" empfanden (202) und die sich nicht weiter darum kümmerten, was Inhalt und (End-)Ziel des Regimes war. "Ein KZ war Deutschland für die meisten Deutschen eben nicht" (Herrmann/Nasen 1987, 7; zit. auf 23), und Offermanns belegt, dass die "angenehmen Erinnerungen, die einer teilweisen Akzeptanz des Nationalsozialismus Vorschub geleistet zu haben scheinen", überwogen (214).
Insgesamt lässt sich festhalten, dass Offermanns durchaus ihrer eigenen Vorgabe gerecht wird, ideologische Funktionen des Ästhetischen anhand von Zeitzeugen-Befragungen herauszuarbeiten. Sie kann auch in weiten Teilen ihrem hohen Anspruch gerecht werden, entgegen der üblichen Forschung in diesem Bereich sich verstärkt den Rezipienten von Ästhetisierungsstrategien zuzuwenden, um deren jeweilige Rolle herauszuschälen. Zur Gänze gelingt ihr dieses Vorhaben dennoch nicht, weil Offermanns – sich vielleicht nicht vom bisherigen Forschungsstand ganz lösen könnend – zwischen strategischen Ästhetisierungsvorgaben und, so Offermanns, unbewussten Ästhetisierungsaufnahmen oszilliert. Auch wenn es um die Korrespondenz zwischen Strategien und Erleben ging, so meint Offermanns doch, sich – entgegen der herkömmlichen Forschung – verstärkt dem Zweiten: dem Erleben, widmen zu wollen (7). Das kommt nicht immer klar heraus. Vielleicht hätte man das, was Offermanns anspricht (226), d.i. das "Zusammenspiel von Wahrnehmung und der Einsicht darüber, wie man etwas wahrnimmt", samt der einhergehenden These, dass all das "im NS zugunsten einer rein affektiven Wahrnehmung negiert" wurde, mit einem anderen Zugang noch eindrücklicher durchleuchten können. Stattdessen findet sich oftmals ein bekanntes Aufrollen der Thematik, was insgesamt dem analytischen Interesse im Wege steht. Da es Offermanns doch zentral um die Konstituierung des Subjekts durch Ästhetisierungsstrategien geht (8), hätte man diesbezüglich eine ausführlichere Thematisierung erwarten dürfen.
EWR 4 (2005), Nr. 1 (Januar/Februar 2005)
Die wussten, was uns gefällt
Ästhetische Manipulation und Verführung im Nationalsozialismus, illustriert am BDM-Werk ‚Glaube und Schönheit’
MĂĽnster: Lit Verlag 2004
(254 Seiten; ISBN 3-8258-7832-5; 22,90 )
Ulrich Binder (Bern)
Zur Zitierweise der Rezension:
Ulrich Binder: Rezension von: Offermanns, Alexandra: Die wussten, was uns gefällt, Ă„sthetische Manipulation und VerfĂĽhrung im Nationalsozialismus, illustriert am BDM-Werk ‚Glaube und Schönheit’, MĂĽnster: Lit Verlag 2004. In: EWR 4 (2005), Nr. 1 (Veröffentlicht am 31.01.2005), URL: http://klinkhardt.de/ewr/82587832.html
Ulrich Binder: Rezension von: Offermanns, Alexandra: Die wussten, was uns gefällt, Ă„sthetische Manipulation und VerfĂĽhrung im Nationalsozialismus, illustriert am BDM-Werk ‚Glaube und Schönheit’, MĂĽnster: Lit Verlag 2004. In: EWR 4 (2005), Nr. 1 (Veröffentlicht am 31.01.2005), URL: http://klinkhardt.de/ewr/82587832.html