Die von Frau Stauber verfasste Habilitationsschrift ist, um es vorweg zu sagen, sehr empfehlenswert für alle diejenigen, die sich für Kultur- und Jugendfragen interessieren. Die Arbeit ist sozialwissenschaftlich zentriert und mehrperspektivisch interdisziplinär angelegt. Man kann mit Fug und Recht sagen, dass die nunmehr in Buchform mit nahezu 300 Seiten präsentierte Arbeit nicht nur lesenswert, sondern auch noch vergleichsweise lesefreundlich geschrieben ist. Auf der einen Seite ist sie in dem Sinne jugendkultursoziologisch fokussiert, dass sie den jugendkulturellen Phänomenen, Lebensstilen, Zeichen, Symbolen, Inszenierungen und Trends in einer Art subjektbezogenen Handlungstheorie besondere Aufmerksamkeit schenkt. Auf der anderen Seite ist die Autorin freilich (selbst)reflexiv genug, dass sie keineswegs jenseits struktur- und institutionenbezogener Logiken jugendkulturelle Idealisierungen, Übertreibungen und Dramatisierungen verdinglicht. Bei aller Faszination für subjektaffine jugendkulturelle O-Töne, Relevanzen, Stilisierungen, Inszenierungen und Themen bleiben diese Beobachtungen, Wahrnehmungen und Betrachtungen, so die Autorin, an die "strukturelle Analyse angebunden – an die Analyse des Wandels von (– mittlerweile aufgeweichten, pluralisierten und fragmentierten institutionalisierten/Hinzuf. W.F. -) Übergängen in seinen unterschiedlichen Facetten: Übergang von der Schule in den Beruf, Übergänge von der Herkunftsfamilie zu einem eigenständigen Leben als junge Frau/junger Mann mit vielfältigen teilautonomen bzw. –abhängigen Situationen, Übergänge als komplexe Yo-yo`s" (35)
Mit der vorgelegten Arbeit wird im Medium einer handlungstheoretisch angereicherten Theorie sozialer Integration ein "doppeltes Forschungsinteresse" angezielt: Im Anschluss an grundlegende Ăśberlegungen von Anthony Giddens im Kontext von Struktur und Handeln werden von Stauber die "strukturellen Bedingtheiten des Erwachsenwerdens" und die verschiedenen subjektiven Verarbeitungs- und Handlungsstrategien gleichermaĂźen und gerade nicht dichotomisierend in den Blick genommen (14).
Die Autorin möchte eine Brücke schlagen zwischen der gewandelten Struktur der biographischen Übergänge ins Erwachsenenleben (bspw. Schule und Beruf, Arbeit und Bildung, Familie und Wohnen, Geschlecht und Identität, Körperlichkeit und Sexualität, Partnerschaften und Familiengründung, Lebensstil, Konsum und Jugendkultur) und den konkreten Bewältigungsstrategien und Selbstgestaltungsprozessen der Subjekte (der jungen Männer und jungen Frauen). Dabei widmet die Autorin sich in theoretisch kategorialer und zugleich auch in empirischer Hinsicht einer Thematik, die den Strukturwandel der prolongierten (post)modernen Jugendphase vornehmlich qua geschlechtsspezifisch unterschiedlicher jugendkultureller Ausdrucksformen und Selbstinszenierungen facettenreich ausbuchstabiert. Die heutigen strukturellen Veränderungen in Bezug auf die komplexen – nicht nur ausbildungs- und arbeitsmarktbezogenen – und flexiblen Übergänge von jungen Frauen und Männern zwischen Jugend und Erwachsensein sind auf der Subjektebene als eigenständige, dynamisch-selbstinszenierende Yo-Yo-Bewegungen zu betrachten. Junge Frauen und junge Männer werden im Kontext der Vermittlung zwischen institutionellen Logiken und individuellen Bewältigungs- und Handlungsstrategien zu Experten und Expertinnen des Übergangs. Im Rahmen der Beschreibung dieses Bewältigungsprogramms wird immer wieder deutlich, dass klassische Sozialisationsinstanzen wie Schule und Familie ihre Funktion zwar nicht verloren, aber verändert haben, und andere hinzugekommen sind (Stichworte sind z.B. peer-learning, neue Lernkontexte wie z.B. Mediennutzung" (26) und informelles Lernen).
Barbara Stauber möchte mit ihrer Arbeit im Lichte einer "gegenstandsbegründeten Theoriebildung" die stark institutionalisierte Übergangsforschung mit der eher lebensweltaffinen Jugendkulturforschung zusammen bringen und beide im Medium eines doppelten Blickwechsels –"von den (eigenständigen, z.T. auch kollektiven) Subjektleistungen hin zur Ebene der Gesellschaft und wieder zurück" (49)- handlungstheoretisch vor allem mit dem entwickelten Konzept der jugendkulturellen Selbstinszenierungen versöhnen.
Das Buch gliedert sich in drei große Teile: Zunächst werden im Teil A die erwähnten theoretischen Perspektiven zu den jugendkulturellen Selbstinszenierungen erörtert und gleichsam der analytische und forschungspraktische Gehalt des Konzepts der jugendkulturellen Selbstinszenierungen im "Spannungsfeld zwischen imaginärer Lösung für gesellschaftliche Konflikte und dem Generieren eigener Bedeutungen" (62) entwickelt. Sodann kommt es zur Operationalisierung der Fragestellung auf der Grundlage von vier Dimensionen der Selbstinszenierungen (Handlungsgemeinschaften; Körper, der "verkörperte Sinn", Raumaneignungen, Prozesse des Lernens und der Identitätsbildung). Schließlich wird methodologisch und methodisch der Boden für die empirische Untersuchung vorbereitet.
In methodologischer Perspektive (Grundlagen sind hermeneutische Aspekte, lebensweltorientierte Perspektiven sowie das "Verstehen zweiter Ordnung") wird das empirische Vorgehen zu den riskanten Übergängen qua Selbstinszenierung analytisch begründet und damit intersubjektiv transparent gemacht. Methodisch gesehen kommen themenzentrierte Interviews mit biographischen Elementen zum Einsatz. Bei der Untersuchungsgruppe handelt es sich um 20-32jährige junge Frauen und Männer, die in der Techno-Szene eine aktive Rolle als DJs, Mitarbeitende in Clubs, Plattenläden, als Unternehmer und Unternehmerinnen: Clubwear, Graphik etc. in den späten 90er Jahren in vornehmlich ländlichen Räumen in Südwestdeutschland spielten. Die Themenfelder der Interviews bezogen sich auf mehrere Dimensionen: bspw. auf die subjektive Bedeutsamkeit von Techno im jugendkulturellen und biographischen Lebenszusammenhang, auf die (berufs-)biographische Entwicklung, auf die Vereinbarkeit verschiedener Lebensbereiche, auf Geschlechterrollen, auf Unterstützungsnetzwerke usw.
Das Herzstück des Bandes ist freilich der facettenreiche, mit vielen O-Tönen bestückte empirische Zugang zu den Selbstinszenierungen junger Frauen und Männer, der mit über 100 Seiten in Teil B von Barbara Stauber - stets auch mit fokussierten, generalisierbaren Aussagen durchsetzt - präsentiert wird.
Im Anschluss an die vorgestellten Kurzportraits der 12 Interviewten werden in vier zentralen Dimensionen Ergebnisse der qualitativen Interviews verdichtet. In den jeweiligen lesefreundlichen und kenntnisreichen Zusammenfassungen wird von der Autorin auch immer wieder auf in Teil A entwickelte theoretisch-kategoriale Elemente zurĂĽckgegriffen und Bezug genommen.
Zunächst geht es um die Qualität der Techno-Szenen, der Techno-Gemeinschaften. Der soziale Kontext (real und symbolisch) dieser sinnstiftenden Erlebnisgemeinschaften wird als familiäres setting, als professionelles Netzwerk, als loses setting – als Party/Rave und als strukturierendes Prinzip bzw. als Ressource unter die Lupe genommen. Sodann rückt das körperliche Inszenierungshandeln etwa der Tanz als leibliche Erfahrung, die verschiedenen Körper-Balancen sowie die Geschlechtsspezifiken der Körperebenen in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Die Raumbezüge (Identitäten, Dynamiken und Bühnen) der Selbstinszenierung schließen sich an. Die Bedeutung für eine post-moderne, patchworkartige Identitätsarbeit (Disparatheit, Zugehörigkeit, Bedürftigkeit, Balanceakte, Selbstsichten, berufliche Suchprozesse) in Übergangssituationen rundet den empirischen Ergebnisteil ab.
In Teil C werden im letzten Teil des Bandes die gewonnenen Einzelergebnisse der Selbstinszenierungen junger Frauen und Männer für das Verständnis der Übergänge ins Erwachsenenleben im Hinblick auf fünf zentrale Ergebnisperspektiven noch einmal fokussiert, systematisiert und generalisiert. Im ersten Schritt werden die "Potentiale einer subjektbezogenen Handlungstheorie zu jungen Erwachsenen und ihre Übergänge" (217) ausgelotet. In einem zweiten Schritt geht es um die strukturbildende Bedeutung jugendkultureller Selbstinszenierungen im Hinblick auf eine Theorie der sozialen Integration (227 ff.). Das (post-)moderne Geschlechterverhältnis im Rahmen jugendkultureller Selbstinszenierungen wird auf einer dritten Ergebnisebene (Friktionen und Potentiale) rekonstruiert (242ff.). Die vierte Ebene widmet sich den Generationsdiskursen im Rahmen jugendkultureller Inszenierungen (251 ff.). Ganz zum Schluss des Bandes werden fünftens in Pinselstrichen noch einige Folgerungen in einer Art "konsequenten Subjektorientierung auch zur Bewertung von Strukturvorschlägen" (265) für eine sozialpädagogisch motivierte Jugend- und Übergangsforschung gezogen.
EWR 3 (2004), Nr. 6 (November/Dezember 2004)
Junge Männer und Frauen in Jugendkulturen
Selbstinszenierungen und Handlungspotentiale
Opladen: Verlag fĂĽr Sozialwissenschaften
(287 seiten; ISBN 3-8100-3968-3; 24,90 )
Wilfried Ferchhoff (Bochum)
Zur Zitierweise der Rezension:
Wilfried Ferchhoff: Rezension von: Stauber, Barbara: Junge Männer und Frauen in Jugendkulturen, Selbstinszenierungen und Handlungspotentiale, Opladen: Verlag fĂĽr Sozialwissenschaften . In: EWR 3 (2004), Nr. 6 (Veröffentlicht am 30.11.2004), URL: http://klinkhardt.de/ewr/81003968.html
Wilfried Ferchhoff: Rezension von: Stauber, Barbara: Junge Männer und Frauen in Jugendkulturen, Selbstinszenierungen und Handlungspotentiale, Opladen: Verlag fĂĽr Sozialwissenschaften . In: EWR 3 (2004), Nr. 6 (Veröffentlicht am 30.11.2004), URL: http://klinkhardt.de/ewr/81003968.html