Untersuchungen zur Geschichte der Erwachsenenbildung in der DDR sind immer noch rar, wenn auch in den letzten Jahren einige neue erschienen sind wie die von Elka Pralle zur Kulturarbeit als kritischer Erwachsenenbildung (1994), von Aribert Rothe zur evangelischen Erwachsenenbildung (2000), von Georg Schmelzer zum Zusammenhang zwischen Betriebspädagogik und Erwachsenenbildung in der DDR (2001), oder die Untersuchung von Wiltrud Gieseke und Karin Opelt zur Entstehung und Entwicklung der Dresdner Volkshochschule (2003). Eine zusammenhängende Geschichte der Erwachsenenbildung der DDR steht noch aus, die erwähnten Untersuchungen liefern Ansätze und Zugänge, die als Grundlage für eine solche Geschichte dienen können.
Die Habilitationsschrift von Karin Opelt kann ebenfalls in diesen Kontext eingeordnet werden. Sie liefert wichtige Einblicke in die Entstehung und Genese der Volkshochschule der SBZ/DDR, deren bildungspolitische Zielsetzungen und Aufgabenstellungen innerhalb des Bildungssystems in den mehr als vier Jahrzehnten ihrer Existenz häufiger wechselten. Karin Opelts Untersuchung hat das Ziel, den Strukturbildungsprozess der Volkshochschule in der SBZ/DDR von 1946 bis 1990 nachzuzeichnen und dabei vor allem die Frage zu erörtern, welchen Anteil die Volkshochschule, die als Teil des Schulsystems der DDR definiert wurde, am Funktionieren der sozialistischen Gesellschaft hatte.
Die Arbeit ist übersichtlich in fünf große Kapitel gegliedert. Sie enthält ein Abkürzungsverzeichnis und ein Literaturverzeichnis. Leider wurde kein separates Archiv- und Quellenverzeichnis angelegt, das auch ohne Studium des ganzes Buches einen Überblick und den Zugang zu den genutzten Quellen ermöglicht hätte.
Um den Kontext ihres Untersuchungsgegenstandes zu bestimmen, stellt Karin Opelt im einleitenden Kapitel zunächst ihren Untersuchungsgegenstand vor und beschreibt das methodische Vorgehen. Dabei wird deutlich, dass die Autorin, die selbst in der DDR in der Erwachsenenbildung gearbeitet hat, nicht nur die Geschichte einer Institution aufarbeitet, sondern bewusst ihre eigene berufliche und politische Sozialisation reflektiert. Ihre Darstellung vergleicht – zumindest im ersten Kapitel – die Entstehungsbedingungen und Ziele der Volkshochschulen in der DDR mit denen in der Bundesrepublik. Diese Perspektive ist für LeserInnen, die sich zum ersten Mal mit einem Aspekt der Geschichte der Erwachsenenbildung der DDR beschäftigen, hilfreich, da sie Einordnungen vornimmt, die zum Verständnis der nachfolgenden Entwicklungen wichtig sind.
So hebt Karin Opelt hervor, dass der für die Entstehung der Volkshochschule in der Bundesrepublik betonte Rekurs auf die Idee der Volkshochschule in der Weimarer Republik und der Versuch, an entsprechende Vorbilder anzuknüpfen, in der DDR ab 1946 keine Bedeutung mehr hatten, nachdem die sowjetische Militärregierung die Richtung der Bildungspolitik festlegte. Vielmehr wurde die Volkshochschule zunächst in das Schulsystem der DDR integriert mit dem Auftrag, die Erziehung der Bevölkerung zu "sozialistischen Menschen" zu unterstützen. Dabei ist die Volkshochschule in "den Prozess der Umschichtung der Bevölkerung und in den Prozess der Neuverteilung von Bildungsprivilegien [...] aktiv einbezogen worden" (11). Diese Zielsetzung manifestierte sich in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung, die sich allerdings im Laufe der vier Jahrzehnte immer wieder veränderte. Karin Opelt stellt diese Veränderungen minutiös im vierten Kapitel ihrer Untersuchung dar, dem Hauptteil ihrer Arbeit.
Bevor näher auf die Befunde und Ergebnisse des vierten Kapitels eingegangen wird, zunächst ein Überblick über die einleitenden Kapitel der Untersuchung:
Kapitel 1 formuliert das Forschungsinteresse und führt die LeserInnen zum besseren Verständnis in die pädagogische Terminologie der DDR ein. Erläutert werden die Begriffe Bildungswesen, Schulsystem, Berufsbildung, Erwachsenenbildung, Aus- und Weiterbildung der Werktätigen, Weiterbildung, Erziehung und Volkshochschule (Kap. 1.2). In Kapitel 1.3 wird der Forschungsstand zur Erwachsenenbildung in der DDR referiert, wobei die Autorin vor allem auf die bis in die 1970er Jahre in der Bundesrepublik entstandenen Arbeiten von Gutsche (1958), Siebert (1970) und Niehuis (1973) rekurriert. Von DDR-Autoren werden die Arbeiten von Emmerling (1958), Günther/Uhlig (1962) und Schneider u.a. (1988) berücksichtigt. Opelt stimmt dem Befund Sieberts zu, dass die DDR-Gesellschaft eine "Erziehungsgesellschaft" war mit dem Ziel, über Erziehung den sozialistischen Umbau der Gesellschaft zu erreichen.
Die in ihrer Untersuchung verwendeten Quellen stellt Karin Opelt in Kap. 1.4 vor. Zur allgemeinen Entwicklung der Volksbildung wurden im Wesentlichen Archivalien des Hauptstaatsarchivs Sachsen sowie des Bundesarchivs Berlin genutzt. Dabei sind für die Einschätzung der politischen Entwicklung der Volksbildung für die frühe Zeit bis 1948 die Befehle und Verordnungen der sowjetischen Militärregierung von besonderer Bedeutung; für die Zeit ab 1949 die Entscheidungen der Parteitage der SED. Archivalien und Quellen zur Geschichte der Volkshochschule stammen vor allem aus den Stadtarchiven Jena und Dresden. Ihre Auswertung wird untermauert mit zahlreichen Zeitzeugeninterviews, die die Autorin sowohl mit ehemaligen Volkshochschulleitern als auch mit Vertretern anderer Volksbildungseinrichtungen wie der Urania, dem Kulturbund oder dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund führte.
Dieses Kapitel ist nicht nur im Hinblick auf die im Rahmen der vorliegenden Arbeit ausgewerteten Quellen von Interesse. Die Autorin erwähnt zahlreiche Archive von Verbänden und Vereinen, die in der Bildungsarbeit tätig waren, und deren Archivalien und Quellen darüber hinaus wertvolle Hinweise für weiterführende Fragestellungen geben könnten.
Kapitel 2 gibt einen Überblick über die Entwicklung des Bildungssystems der DDR von seinen Anfängen bis 1990, wobei für jede Epoche die Entwicklung der Volksbildung besonders berücksichtigt wird. Dieses Kapitel kann hier nicht in seinen Einzelheiten referiert werden. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es auch LeserInnen mit wenig Vorkenntnissen einen konzisen und kritischen Überblick über die bildungspolitischen Zielsetzungen und die Entwicklung des gesamten Bildungswesens der DDR gibt. Dabei wird zum einen deutlich, welche Veränderungen das Bildungssystem gegenüber dem der Weimarer Republik erfährt und wie die zielgerichtete Ausbildung von Erzieherinnen und Neulehrern aller Schulstufen die politische Umorientierung des Systems unterstützte. Zum anderen veranschaulicht die Darstellung, in welchem Maße bereits in der Zeit der sowjetischen Besatzung Bildungsprivilegien gezielt umverteilt wurden, indem Oberschüler und Studenten verstärkt aus den Reihen der Arbeiter- und Bauernschaft rekrutiert wurden, und welch großen Einfluss die SED ab 1949 auf die Ausgestaltung des Bildungswesens einschließlich des Volksbildungswesens entsprechend ihrer eigenen politischen Zielsetzungen ausübte.
Im dritten Kapitel wird der institutionelle und organisatorische Kontext der Erwachsenenbildung, der den Rahmen für die Arbeit der Volkshochschulen darstellte, erläutert. Es wird deutlich, dass Organisationen wie der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB), der Kulturbund, die Gesellschaft für die Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse und die Urania jeweils eigene Bereiche der Erwachsenenbildung abdeckten, die sich an den politischen Interessen der SED orientierten. Interessant und (west-)deutschen LeserInnen vielleicht wenig bewusst ist, in welchem Ausmaß versucht wurde, diese Organisationen zu nutzen, um der übergreifenden Zielsetzung der "Erziehung zum Sozialismus" näher zu kommen. Ihr Auftrag war es, über Kulturarbeit eine neue Intelligenz aufzubauen, die mit ihrer schriftstellerischen und künstlerischen Tätigkeit die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen unterstützen sollte. Aspekte dieses Wirkens waren beispielsweise die Ausbildung von Kulturfunktionären durch den FDGB, die in Betrieben tätig werden sollten; der Ausbau von Bibliotheken durch den Kulturbund, dem ebenfalls die Aufgabe zukam, die Gesamtbemühungen um Erwachsenenbildung zu strukturieren und zusammenzufügen; und die Arbeit der Urania, die über Nutzung der Massenmedien eine extensive Volksbildungsstrategie verfolgte.
Im vierten Kapitel als Hauptteil der Arbeit analysiert Karin Opelt minutiös die strukturellen Veränderungen, die die Volkshochschulen in ihrer 40-jährigen Existenz in der DDR erfuhren. Die Darstellung gliedert sich in neun Unterkapitel, die sich an den Epochen der Jahrespläne der SED orientieren. Opelt arbeitet eindrücklich heraus, wie sehr die strukturelle, aber auch die inhaltliche Entwicklung der Volkshochschule von den jeweiligen (bildungs-) politischen Zielsetzungen der Regierung abhängig war. Sie bezeichnet die Volkshochschule als "Spielball" der Politik, die wiederholt den Charakter ihres Bildungs- bzw. Qualifizierungsauftrages wechseln musste. Dieser reichte von einem politischen Erziehungsauftrag für den neu zu gründenden Staat unter sowjetischer Aufsicht in den späten 1940er Jahren über berufliche Fortbildung in den 1950er Jahren bis hin zur Etablierung als Schule des Zweiten Bildungswegs Ende der 1950er Jahre. In den 1970er Jahren wurde die Volkshochschule in das Bildungssystem der DDR integriert und zuständig für Allgemeinbildung wie für berufliche Weiterbildung. Ende der 1970er Jahre boten einige Volkhochschulen Kurse zur Fortbildung nebenberuflicher Erwachsenenbildner an. In den 1980er Jahren wurde der Allgemeinbildungsauftrag der Volkhochschulen gestärkt, sie sollte Angebote im Bereich des "lebenslangen Lernens" intensivieren, was sich sowohl auf den allgemeinen als auch den beruflichen Bereich bezog (219).
Kompliziert wird die Geschichte dieser Entwicklung durch die wechselnden politischen Interessen des Staates gegenĂĽber der Volkshochschule. So wird ihr zu bestimmten Zeiten (etwa in den 1950er Jahren) vorgeworfen, den politischen Erziehungsauftrag nicht genĂĽgend wahrzunehmen, was zur GrĂĽndung der Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse fĂĽhrte, die das Vortragswesen der Volkshochschulen ĂĽbernahm. Es ist an manchen Stellen etwas mĂĽhsam, der Darstellung zu folgen, doch die Verwobenheit der Geschichte der Volkshochschulen mit der staatlichen Bildungs- und Erziehungspolitik macht es notwendig zu zeigen, zu welcher Zeit die Volkshochschulen welchen Ministerien zugeordnet wurden und wie dies ihre jeweilige Ausgestaltung beeinflusste.
Im Zusammenhang damit ist es zudem manchmal schwierig zu erschließen, was unter den Termini "Aus- und Weiterbildung" bzw. "-qualifizierung" und "Allgemeinbildung" verstanden wird. Hier wäre eine inhaltliche Klärung der Begriffe hilfreich gewesen. LeserInnen, denen die Diskussionen um die Frage der "Allgemeinbildung" in den westdeutschen Volkshochschulen geläufig ist, haben vermutlich Probleme, den Begriff inhaltlich adäquat auszufüllen. Verwirrend ist, dass die offiziellen, von Opelt zitierten Dokumente unter Allgemeinbildung vor allem Schulabschlüsse und "einzelne Unterrichtsfächer" verstehen, also eher zweckgebundene Bildung (221), Opelt selbst aber das Allgemeinbildungsangebot mit dem in der Weimarer Republik vergleicht (218). Diese Interpretation wäre zu diskutieren, da in der Weimarer Republik zumindest von Vertretern der Neuen Richtung und der Arbeiterbildung als wichtigste Aufgabe der Volkshochschule die politische Bildung der HörerInnen bezeichnet wurde. Als Allgemeinbildung galten Kurse zu Literatur, Kunst, Philosophie usw. und gerade nicht beruflich verwertbare Kurse wie z.B. Steno- und Schreibmaschinenkurse, Sprachkurse oder Kurse zum Erwerb von Abschlüssen. Entsprechende Kurse werden dagegen von Karin Opelt als allgemeinbildende Kurse der Volkshochschulen in den 1980er Jahren definiert (224) – Dieses wertet sie als ein Indiz für die erneute Annäherung der Volkshochschule der DDR an die Ideen der Weimarer Republik.
Insgesamt ist die Arbeit von Opelt sehr interessant und hilfreich, sich der komplizierten Geschichte der Volkshochschulen der DDR zu nähern und sich mit ihr vertraut zu machen. Die zahlreichen Zitate aus Originalquellen ermöglichen es nicht nur Studierenden, sich in ein neues Gebiet einzuarbeiten. Sie sind auch für Spezialisten der Erwachsenenbildungsgeschichte interessant, da bisher unveröffentlichte Archivalien genutzt werden. Karin Opelt belegt mit ihrer Untersuchung, dass die These nicht zutraf, dass die Volkshochschule eine "Nische" im staatlichen Bildungswesen der DDR besetzte und damit offen war für alternatives politisches Denken: "Die Volkhochschule reagiert unmittelbar auf staatliche Vorgaben, die aus ökonomischen und anderen, selbst produzierten Zwängen des Sozialismus resultieren. ... Das Angebot der Volkshochschule ist keinesfalls nachfrageorientiert, sondern immer gesteuert und zweckbestimmt" (210).
EWR 4 (2005), Nr. 2 (März/April 2005)
Volkshochschule in der SBZ/DDR
Historische Quellenanalyse zur Strukturbildung
Opladen: Leske + Budrich 2004
(255 S.; ISBN 3-8100-3948-9; 24,90 EUR)
Christine Zeuner (Flensburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Christine Zeuner: Rezension von: Opelt, Karin: Volkshochschule in der SBZ/DDR, Historische Quellenanalyse zur Strukturbildung, Leske + Budrich: Opladen 2004. In: EWR 4 (2005), Nr. 2 (Veröffentlicht am 06.04.2005), URL: http://klinkhardt.de/ewr/81003948.html
Christine Zeuner: Rezension von: Opelt, Karin: Volkshochschule in der SBZ/DDR, Historische Quellenanalyse zur Strukturbildung, Leske + Budrich: Opladen 2004. In: EWR 4 (2005), Nr. 2 (Veröffentlicht am 06.04.2005), URL: http://klinkhardt.de/ewr/81003948.html