Lehrerbildung hat Konjunktur. - Nachdem unzählige Gremien, Ausschüsse und Kommissionen in der föderalen Republik Ende der 1990er Jahre tagten, beschlossen und verabschiedeten, erreichen die vorgelegten Ergebnisse mittlerweile die Hochschulen und verursachen, je nach Standort, die Ansetzung eines Stückes, dessen Textur bekannt ist, aber vermeintlich neu inszeniert werden muss. Zur gemeinsamen Signatur zählt dabei die Neuorganisation der 1. und 2. Phase der Lehrerbildung, als auch die Integration einer als 3. Phase beschriebenen Berufseinstiegssituation jenseits des Referendariats. Nicht allein das Lehrersein bleibt damit ein lebenslanges Stück, sondern auch das Lehrerwerden wird temporalisiert, Lehrerausbildung zum berufsbiographischen Entwicklungsprozess.
Organisational streiten sich die Regisseure der Inszenierung über den Weg, der zum Ziel führen soll. Plädieren die einen für eine Fortführung der sicher auch durch sie kritisierten studienbegleitenden Ausbildung, päferieren die anderen vor dem Hintergrund des Bologna-Prozesses für eine modularisierte, hinter der sich ein gestuftes Studienmodell verbirgt, das erst in seinem zweiten Teil auf die eigentliche Tätigkeit hin fokussiert (auch Mischformen werden diskutiert). Beide Extreme führen jeweils gute Gründe für ihren Weg an, müssen jedoch letztlich eingestehen, dass sie in einem prekären Ungleichgewicht zu unserem Wissen über die Wirkungen stehen, denn zwar hat Lehrerbildung Konjunktur, aber nicht Lehrerbildungsforschung.
Gabriele Bellenberg und Anke Thierack ist es nun sehr zu danken, dass sie, mit der nicht zu vermeidenden zeitlichen Brechung, ein Kompendium vorlegen, welches in der Lage ist, unser erratisches Wissen über die verschiedenen Lehrerbildungsmodelle in allen Bundesländern bis zum Anfang des Jahres 2002 so zu vervollständigen, dass jeder jetzt auf kurzem Wege lesen kann, was eigentlich in den Länder vorlag, bevor ein zunächst rhetorischer Wirbelwind die Fachbereiche erreichte. Bellenberg/Thierack werten weder den wind of change noch legen sie den bis dato vorgelegten Reformkonzepten ein weiteres hinzu. Vielmehr belassen sie es bei einer nüchternen Bilanz, die im synoptischen Vergleich der rechtlich unterschiedlich kodifizierten Ausbildungskonzepte darauf verweist, dass die "kritische Betrachtungsweise der aktuellen Prüfungsordnungen veranschaulicht, welche Handlungs- und Veränderungsbedarfe vorhanden sind. Insbesondere die Vorgaben für die erziehungswissenschaftlichen Studienanteile und die schulpraktischen Studien können als diffus und ungenau geregelt bezeichnet werden, so dass folglich ein ausdrücklicher Reformbedarf festgestellt werden kann" (43).
Den beiden Autorinnen ist ein Schnappschuss der Entwicklung gelungen, denn er zwingt uns, im Transfer darüber nachzudenken, was verloren geht, wenn altes zurückgelassen wird, um vermeintlich neues zu begründen. Er gliedert sich in zwei Teile, wobei der erste gleichsam die Zusammenfassung der synoptischen Auflistung der Lehreraus- und Fortbildungsgesetze des zweiten Teiles markiert. Teil 1 und 2 stehen dabei in einem Verhältnis von 1:2. Wer sich über die insgesamte Einschätzung der Lage inklusive erster Veränderungsversuche (Hamburg, NRW, Rheinland-Pfalz) informieren will, der ist mit dem ersten Teil gut beraten, wer genaueres wissen will, wird im zweiten Teil fündig. Besonders gut gefällt dabei die deutliche Scheidung zwischen dem, was die Juristen Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit nennen, denn den Autorinnen ist klar, dass die Veröffentlichung nicht widerspiegeln kann, "wie die einzelnen Regelungen von den Hochschulen der Länder umgesetzt bzw. ausgestaltet sind" (10).
Insgesamt liegt hier eine Arbeit vor, die hätte schon längst getan werden müssen, bevor oftmals auch uninformierte Akteure ihre Beratungstätigkeit für die Länderministerien aufgenommen haben. Denn es zeigt für sich eine einzige Tabelle, wie facettenreich allein der erziehungswissenschaftliche Anteil des Lehramtsstudiums in den Ländern bis dato ausfallen kann (27) und zwischen 20 Semesterwochenstunden (SWS) und 56 schwankt, wobei bei den 20 noch einmal bis zu 8 SWS für andere Sozialwissenschaften veranschlagt werden. Für die unterschiedlichen Ausbildungstypen gilt selbiges. Lehrer werden für Schularten und Schulstufen ausgebildet (25), integrierende Verbindungsstücke zwischen den Phasen fehlen, genauso wie rekursive Bewertungsstrukturen, um nicht zu sagen Evaluationen.
Zweifelsohne verbirgt sich mit der hier vorgelegten Darstellungsweise auch ein kleiner Bias. Der mit der Thematik nicht verschwisterte Leser bleibt ohne historische Herleitung der zur Kritik freigegebenen Entwicklung womöglich etwas hilflos, denn ihm fehlt sowohl der Resonanzboden für eine langfristige Archäologie der Lehrerbildung als auch gegenwärtigen Verortung im Kontext der allgemeinen Studienreformen an den Hochschulen. Hier wären ein paar klärende Seiten sicher hilfreich gewesen, um zu zeigen, dass mit einer Reform nicht bloß die Erziehungswissenschaft in Bewegung gebracht werden soll, sondern mit ihr alle Fächer hinterrücks in den Reformprozess eingespannt werde, die meinten, es ginge vermeintlich nur um die Schmuddelkinder der Universitäten. Nichtsdestotrotz: PFLICHTLEKTÜRE – ein hoffentlich bald erscheinender 2. Band, der die konkreten Reformanstrengungen seit Anfang 2002 zusammenfasst und bilanziert, sei hiermit nachdrücklich angeregt!
EWR 3 (2004), Nr. 2 (März/April 2004)
Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern in Deutschland
Bestandsaufnahme und Reformbestrebungen
Opladen: Leske und Budrich 2003
(294 Seiten; ISBN 3-8100-3678-1; 24,90 EUR)
Axel Gehrmann (Rostock)
Zur Zitierweise der Rezension:
Axel Gehrmann: Rezension von: Gabriele Bellenberg / Anke Thierack: Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern in Deutschland, Bestandsaufnahme und Reformbestrebungen, Opladen: Leske und Budrich 2003. In: EWR 3 (2004), Nr. 2 (Veröffentlicht am 31.03.2004), URL: http://klinkhardt.de/ewr/81003678.html
Axel Gehrmann: Rezension von: Gabriele Bellenberg / Anke Thierack: Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern in Deutschland, Bestandsaufnahme und Reformbestrebungen, Opladen: Leske und Budrich 2003. In: EWR 3 (2004), Nr. 2 (Veröffentlicht am 31.03.2004), URL: http://klinkhardt.de/ewr/81003678.html