Zum Thema Bildungsforschung sind in den letzten 40 Jahren im deutschsprachigen Raum eine Vielzahl von Monographien, Literaturberichten und Sammelbänden erschienen, stellt Rudolf Tippelt, der Herausgeber des Handbuchs Bildungsforschung, fest. Jedoch fehle eine umfassende Darstellung der wichtigsten Inhalte und Ergebnisse in Gestalt eines Handbuchs. Andererseits stelle eine derartige Herausgabe auch ein besonderes Wagnis dar, da dieses Forschungsgebiet aufgrund seines inter- und multidisziplinären Charakters nur unscharf abzugrenzen sei.
Der Herausgeber, der die Erziehungswissenschaft als zentrale Bezugsdisziplin der Bildungsforschung verortet, macht sechs Dimensionen aus, die fĂĽr die Bildungsforschung relevant sind und jeweils ein Kapitel bilden. Den Auftakt der Sammlung bildet ein Kapitel, das sich mit Theorien und Bezugsdisziplinen der Bildungsforschung befasst, das zweite stellt regionale und internationale BezĂĽge her, das dritte behandelt Institutionen, Professionalisierung und Bildungsplanung, das vierte konzentriert sich auf die Methoden in der Bildungsforschung, das fĂĽnfte nimmt unter der Ăśberschrift "Lebensalter" Bildungsprozesse ĂĽber die Lebensspanne in den Blick und das sechste setzt sich mit aktuellen Bereichen der Bildungsforschung auseinander. Den Abschluss des Handbuchs bildet eine informative Dokumentation ĂĽber Einrichtungen der Bildungsforschung.
Aus der Einleitung hätte Rudolf Tippelt mehr Kapital schlagen können: Dadurch dass sie im Verhältnis zum Umfang des Buches relativ kurz ausgefallen ist, bleibt der "Klammereffekt" jedenfalls gering. Gerade bei der von ihm selbst zu Recht angesprochenen - und reflexionsbedürftigen - Unschärfe des Forschungsgebietes wäre für den Leser eine inhaltliche Begründung der Kapiteleinteilung hilfreich gewesen.
Stellvertretend für die 44 Beiträge von zumeist bekannten Experten und Expertinnen in diesem voluminösen Sammelband über 800 Seiten seien hier zwei Beiträge aus unterschiedlichen Kapiteln herausgegriffen: Heinz-Elmar Tenorth fokussiert mit seinem Beitrag aus dem ersten Kapitel des Bandes den Wandel der alten, praxis- und professionsfixierten "Geschichte der Pädagogik" zur theorieorientierten historischen Bildungsforschung, indem er darauf verweist, dass die Geschichtsschreibung der Pädagogik ihre Funktion nicht mehr darin versteht, das Bewusstsein einer legitimen pädagogischen Aufgabe – etwa für Lehrer - zu erzeugen. Eine ähnlich gelagerte Ablösung der "ausländerpädagogischen" durch die interkulturelle Bildungsforschung kann Ingrid Gogolin noch nicht konstatieren. Sie streicht in ihrer Bestandsaufnahme aus dem zweiten Kapitel vor allem die Differenzierungen der interkulturellen Bildungsforschung heraus, die zwischen begegnungsorientierten und empirischen Ansätzen oszillieren. Gemeinsam ist den beiden hier angesprochenen Beiträgen, dass sie zunächst jeweils den Entstehungszusammenhang ihrer sektoralen Perspektive aufschlussreich rekonstruieren.
Das vom Herausgeber angesprochene Wagnis ist - so lässt sich resümierend feststellen - gelungen, da der interdisziplinäre Bereich der Bildungsforschung durch die Beiträge regelrecht ausgelotet wird. Die Nachteile, die sich einem thematisch so offenen Handbuch gegenüber einem geschlossenen Diskussionsband leicht vorrechnen lassen, kompensieren die Aufsätze durch ihre thematische Spannweite.
EWR 1 (2002), Nr. 2 (April/Mai 2002)
Handbuch Bildungsforschung
Opladen: Leske und Budrich 2002
(848 Seiten; ISBN 3-8100-3196-8; 39,00 EUR)
Andreas Hoffmann (Göttingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Andreas Hoffmann: Rezension von: Tippelt, Rudolf (Hg.): Handbuch Bildungsforschung, Opladen: Leske und Budrich 2002. In: EWR 1 (2002), Nr. 2 (Veröffentlicht am 00.04.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/81003196.html
Andreas Hoffmann: Rezension von: Tippelt, Rudolf (Hg.): Handbuch Bildungsforschung, Opladen: Leske und Budrich 2002. In: EWR 1 (2002), Nr. 2 (Veröffentlicht am 00.04.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/81003196.html