Eine Tagung zum Thema Europa und ein diese dokumentierender Band - was darf die Leserin bzw. der Leser davon erwarten? Geht es um eine Dokumentation über den Stand der Forschung oder darum, den Blick stärker gen Europa zu richten, um die davon ausgehenden Veränderungen wahrnehmen und gestalten zu können? Gerade unter dem zuletzt genannten Aspekt kann die Leserin und der Leser einige Impulse finden, von denen ich einige herausgreife.
Die Einführungsrede von Hamburger, insbesondere aber der Abschlussartikel von Lorenz geben einen detaillierten und pointierten Einblick in die Hauptdiskussionsstränge der Tagung und können als ein Versuch verstanden werden, die Heterogenität der Beiträge etwas zu systematisieren.
Den große Rahmen der Erörterungen bilden die im Kontext der EU sich vollziehende ‚Globalisierung’, mit der eine neoliberale Ökonomisierung einhergehe, auf welche die Soziale Arbeit kritisch zu reagieren habe, da das Soziale bedroht sei. Ziel sei nicht eine Anpassung an die Ökonomisierung, sondern eine Neugestaltung des Sozialen in Europa. Die Einbindung der Sozialen Arbeit in sozialpolitische Interessen müsse reflektiert werden, um sie im Umgang mit dem Klientel und in politischen Entscheidungsprozessen umzugestalten (vgl. Lorenz, S. 300f.).
Hradil vergleicht Gemeinsamkeiten und Differenzen der einzelnen Nationalstaaten in Europa und arbeitet sehr geschickt Muster heraus, aus denen sich ein Profil der EU erkennen lässt. Er betont wie auch Lorenz, dass es keinesfalls um eine Vereinheitlichung des Sozialen geht. Standardisierung und Essentialisierung seien schlechte Kriterien für die Entwicklung der Sozialen Arbeit. Diese müsse vielmehr als Produkt nationaler sich historisch entwickelnder Kulturen verstanden werden, wodurch die bestehenden Differenzen nicht einfach nivelliert werden können.
Pfaffenberger stellt zum einen ein Analyseschema dar, auf welchen Ebenen der 'EUisierungsprozeß' zu betrachten sei, und schildert zum anderen ausführlich die Auswirkungen dieser Prozesse auf die Ausbildung, die in Deutschland auf Grund der Einführung der Masterstudiengänge zu einer Ausfransung der Sozialen Arbeit führe. Damit würden alerdings eher hochschulpolitische und Partikularinteressen der Fachhochschulen befriedigt werden, berufspolitisch aber erweise sich diese Entwicklung als problematisch.
Ein großer Komplex von Beiträgen beschäftigt sich mit der Anerkennung der Menschenrechte. Hierzu zählt der Beitrag von Noerr, die den Zusammenhang zwischen Sozialer Arbeit, Ethik und der Anerkennung der Menschenrechte in der EU darstellt, der Beitrag von Kopper-Reifenberg, die sehr differenziert die Reform des Kindschaftsrechts in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Hintergrund europäischer Rechtssprechung analysiert, sowie der Beitrag von Apitzsch, indem es um die politische Entleerung der Vorstellung der europäischen Staatsbürgerschaft geht. Bürger ‚denizens’, die ein Anspruch auf soziale Rechte hätten, aber keine Staatsbürger seien, würden durch die aktive Inanspruchnahme ihrer Rechte ihre Integration gefährden (vgl. Apitzsch, S. 201). Sowohl für diese als auch für sogenannte ‚Überflüssige’, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden, gelte es Schutzmöglichkeiten bereitzustellen, auch wenn sie sich dazu entschließen, als Selbstunternehmer tätig zu werden.
Einige Beiträge gehen hingegen nicht näher auf Europa ein. Die Ausführungen von Bitzan/Struck/Thiersch über ‚Lokale Sozialarbeitspolitik’ und Eggert/Heinen, die sich mit der Bedeutung der Netzwerkorientierung in der Sozialen Arbeit auseinandersetzen, zeigen die Notwendigkeit der Kooperation aller Akteure auf lokaler Ebene auf und wie diese zu gestalten sei. Sie sollen als Instrumente gegen eine Beschleunigung der mit der Globalisierung einhergehenden Ausgrenzung angesehen werden. Mit dem Thema der Ausgrenzung, aber auf Rassismus bezogen, beschäftigt sich der Beitrag Alfonsos, der die Gestalt des latenten Rassismus und Formen ihrer Entgegnung herausarbeitet. Brückner hingegen beschreibt die Einflüsse der Europäischen Union auf die Geschlechterverhältnisse und die Kultur der Sorge. Hier ist eine Ausgrenzung von Frauen zu erkennen, welche sich aus der Doppelbelastung von Beruf und Familie ergebe. Darüber hinaus sei insbesondere in der Pflege eine Entfachlichung der Fürsorge zu erkennen, welche sich aus einem wachsenden quantitativen Bedarf bei geringer Wertschätzung dieser Arbeit ergebe.
Der große Anteil an nicht spezifisch auf das Tagungsthema ausgerichteten Beiträgen ist ein Indiz dafür, dass die Forschung sich noch etwas schwer mit der Erörterung des europäischen Einflusses auf die Soziale Arbeit tut, so dass von einigen Ausnahmen abgesehen (Hamburger, Hradil, Pfaffenberger, Noerr, Kopper-Reifenberg, Apitzsch und Lorenz) hier noch ein großer Bedarf besteht. Es bleibt zu hoffen, dass die Tagung und der Band hierzu einen Anstoß gibt.
EWR 1 (2002), Nr. 4 (September 2002)
Gestaltung des Sozialen - eine Herausforderung fĂĽr Europa
Bundeskongress Soziale Arbeit 2001
Opladen: Leske und Budrich 2002
(310 Seiten; ISBN 3-8100-2994-7; 16,80 EUR)
Bettina HĂĽnersdorf (Trier)
Zur Zitierweise der Rezension:
Bettina HĂĽnersdorf: Rezension von: Hamburger, Franz / Eggert, Annelinde / Heinen, Angelika / Luckas, Helga / May, Michael / MĂĽller, Heinz (Hg.): Gestaltung des Sozialen - eine Herausforderung fĂĽr Europa, Bundeskongress Soziale Arbeit 2001, Opladen: Leske und Budrich 2002. In: EWR 1 (2002), Nr. 4 (Veröffentlicht am 01.09.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/81002994.html
Bettina HĂĽnersdorf: Rezension von: Hamburger, Franz / Eggert, Annelinde / Heinen, Angelika / Luckas, Helga / May, Michael / MĂĽller, Heinz (Hg.): Gestaltung des Sozialen - eine Herausforderung fĂĽr Europa, Bundeskongress Soziale Arbeit 2001, Opladen: Leske und Budrich 2002. In: EWR 1 (2002), Nr. 4 (Veröffentlicht am 01.09.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/81002994.html