Der Band dokumentiert Beiträge des 4. Treffens der Europäischen Freiwilligenuniversität, die 2001 in Freiburg stattfand: Vorlesungen sowie in Auswahl die Praxispräsentationen, Seminare usw. Die Texte sind in der Sprache der jeweiligen ReferentInnen aufgenommen worden, zumeist wurden für die Publikation Fassungen in zwei weiteren Sprachen (deutsch, englisch oder spanisch) beigefügt. Allerdings handelt es sich dabei in vielen Fällen nur um Zusammenfassungen.
Damit sind bereits einige Charakteristika des Bandes angerissen:
Für viele LeserInnen sind nicht alle Texte mangels vollständiger Übersetzung lesbar.
Breiten Raum nehmen Grußworte, Danksagungen und Beschreibungen zur Veranstaltung ein – wen dies nicht interessiert, könnte auch erst auf S. 72 einsteigen.
Caritaswissenschaftliche und kirchliche Sichtweisen stehen in weltanschaulicher und institutioneller Hinsicht oft im Vordergrund.
Teilweise finden sich lediglich verschriftlichte Formen der Vorträge, teilweise werden Ergebnis- und Verlaufsprotokolle wiedergegeben, teilweise handelt es sich um dichter für die Dokumentation ausgearbeitete Aufsätze.
Zunächst werden nach einem langen Einführungsteil zum Charakter der Veröffentlichung und der Veranstaltung vier Vorlesungen zu Grundlagen dokumentiert. In einem zweiten größeren Block geht es um internationale Praxispräsentationen: 1) Zugänge zur Freiwilligentätigkeit, 2) Soziales Engagement von Firmen, 3) Caritasarbeit als Bürgerengagement im lokalen Raum, 4) Wider die Ausgrenzung – Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, 5) "Wohlfahrtsmix": Freiwillige/Ehrenamtliche und Berufliche und 6) Freiwilligendienste – Solidarität lernen und leisten. Es folgen acht Seminare zu Forschungsprojekten und Rahmenbedingungen, in denen zumeist knappe Einleitungs- bzw. Zusammenfassungstexte geboten werden, gefolgt von Skizzen oder Kurzaufsätzen der ReferentInnen.
Die Vorträge: R. Dahrendorf macht sich Gedanken über zivilgesellschaftliche Perspektiven im neuen Jahrhundert, das ihm zufolge ein Jahrhundert des Staates abgelöst hat, über europäisches Bewusstsein, über Transformationsprobleme gerade erfolgreicher wachsender bürgerschaftlicher Organisationen sowie über die Notwendigkeit von Unabhängigkeit bürgergesellschaftlicher Initiative.
K. Deufel (Deutscher Verein) variiert nochmals eher einführend, wie Freiwilligentätigkeit Zivilgesellschaft fördert. Er nimmt Stichworte des Freiwilligensurveys und der BT-Enquetekommission zum Bürgerschaftlichen Engagement auf, weist auf die Bedeutung des Lokalen und Kommunalen ebenso hin wie auf die vielbeschworenen Wandlungsprozesse des sozialen Engagements und streift verschiedenste Kampagnen zugunsten des Engagements usw. – eher eine Stichwortsammlung, die die sehr vielgestaltige Landschaft von Aktivitäten und Diskursen an prägnanten Eckpunkten jeweils sehr knapp einzufangen vermag, aber nirgends präziser wird.
A. Grosser beschreibt Freiwilligenarbeit als kulturelle Herausforderung. Dieser Text ragt in der sozialwissenschaftlichen Diskussion wie derjenige von Dahrendorf durch unkonventionelle querdenkende Nachdenklichkeit heraus. Das eindrücklichste ist gewiss die Dimensionierung des bürgerschaftlichen Elements von Völkerwiederannäherung nach Völkerverbrechen, die jeweils den anderen zugefügt wurden.
Leo J. Penta geht es um Kirchen als Akteure in der Zivilgesellschaft und hier um internationale Aspekte. Es geht um Beispiele aus der Arbeit in sozialen Brennpunkten, um das spezifische Potenzial von gemeindlicher Arbeit und von community organizing (CO) und um deren Verhältnis. Er beschreibt eine amerikanische Sonderform des community organizing, das faith-based CO und macht nachvollziehbar, wie entschieden, wirkungsvoll, parteilich diese Form lokaler Basisbeteiligung ist.
Den darauf folgenden allergrößten Teil des umfänglichen Bandes kann ich nur kursorisch zusammenfassen. So unbefriedigend an vielen Stellen der 115 Seiten die sehr knappen und manchmal nicht besonders farbigen Projektdarstellungen sein mögen, so groß ist doch deren Anregungspotenzial.
Der weitaus größte Teil ist der Seminarteil, dessen Gliederung teilweise mit den Projektdarstellungen übereinstimmt. Hier finden sich sowohl "Aufgüsse" altbekannter Argumentationen als auch manches sonst nicht so leicht auffindbare; erneut stehen knappe Skizzen neben tiefergehenden Texten. Beispielsweise sind mit den Themen des Corporate Citizenship, der Freiwilligendienste oder der Zusammenarbeitsformen in immer neu zu kultivierenden welfare mixes die Debatten dicht am Puls der bürgerschaftlichen Zeit. Es wird ein bunter Fächer an Erfahrungen aufgeklappt – und zumeist in seinen einzelnen Facetten kaum entfaltet – das ist allemal appetitanregend für weitere internationale Aktivitäten. Noch mehr Gewinn könnten allerdings jene LeserInnen haben, die – anders als der Rezensent – die englischen Texte nicht nur überfliegen und überhaupt Spanisch können.
Damit zu übergreifenden Einschätzungen. Angesichts der bislang für ein breiteres Publikum nur schwer zugänglichen Beschreibungen und Befunde zum europäischen Aspekt des bürgerschaftlichen Engagements ist die Herausgabe des Buches ein Verdienst. Der Charakter einer ambitionierten Tagungsdokumentation lässt ein durchaus lebendiges Panorama an Fragestellungen und Aktivitäten erkennen, bietet aber für systematischere Interessen letztlich nur Begrenztes. Hier könnte weiter genörgelt werden – darüber, dass einiges noch gründlichere Überarbeitung verdient hätte, darüber, dass manche Ansprache des sehr verehrten Freiwilligenuniversitätspublikums für die nicht dabeigewesenen eher fremd wirkt ebenso wie ... – solcherlei Kritik bringt aber nicht weiter. Natürlich hat der Band hier seine spezifischen Begrenzungen - ein Versuch, diese zu überwinden, hätte vermutlich dazu geführt, dass er nicht zustande gekommen oder viel später auf den Markt gekommen wäre.
Deshalb die Hauptaussage: Der Band ist für Initialzündungen gut, sei dies in der Sozialen Arbeit, bei Verbänden oder in der Wissenschaft. Aus deutsch(sprachig)er Sicht ist jeder Beitrag zu begrüßen, der europäische Erfahrungen originalsprachlich oder übersetzt zugänglich macht. Aus der Sicht des nichtdeutschsprachigen Auslands gilt entsprechendes.
EWR 1 (2002), Nr. 5 (Oktober - Dezember 2002)
Freiwilligentätigkeit gestaltet Europa: Kooperation in Theorie und Praxis
Freiburg: Lambertus Verlag 2001
(492 Seiten; ISBN 3-7841-1381-8; 15,00 EUR)
Ulrich Otto (Jena)
Zur Zitierweise der Rezension:
Ulrich Otto: Rezension von: Baldas, Eugen / Schwalb, Helmut / Tzscheetzsch, Werner (Hg.): Freiwilligentätigkeit gestaltet Europa: Kooperation in Theorie und Praxis. Voluntary Service forms Europe: Cooperation in Theory and Practice. El trab, Freiburg: Lambertus Verlag 2001. In: EWR 1 (2002), Nr. 5 (Veröffentlicht am 01.12.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/78411381.html
Ulrich Otto: Rezension von: Baldas, Eugen / Schwalb, Helmut / Tzscheetzsch, Werner (Hg.): Freiwilligentätigkeit gestaltet Europa: Kooperation in Theorie und Praxis. Voluntary Service forms Europe: Cooperation in Theory and Practice. El trab, Freiburg: Lambertus Verlag 2001. In: EWR 1 (2002), Nr. 5 (Veröffentlicht am 01.12.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/78411381.html