In der Folge der Diskussion um die Reform der Lehrerbildung gibt es eine in dieser Intensität wohl nur von wenigen erwartete Renaissance des allgemeindidaktischen Diskurses [1]. Das hier zu besprechende, von Franzjörg Baumgart, Ute Lange und Lothar Wigger herausgegebene Studienbuch zu den „Theorien des Unterrichts“ fügt diesem Diskurs eine weitere Facette hinzu, insofern es beansprucht, sowohl in den Diskurs selbst durch die Systematisierung der unterschiedlichen historischen und aktuellen Ansätze einzugreifen als auch – eben als Buch, das das Studium der Didaktik an den Universitäten anleitet (vgl. 22) – die Ausbildung von zukünftigen Lehrern entscheidend zu beeinflussen, indem es ihnen die Voraussetzungen für ein selbstverantwortliches wissenschaftliches Studium liefert (vgl. 7).
An dieser Stelle soll nicht der Frage nachgegangen werden, ob die Systematisierung gelungen ist. Da sich die Herausgeber unter der Hand an der von Blankertz schon 1969 in seinem „ Theorien und Modelle der Didaktik“ [2] entwickelten Einteilung nach den leitenden wissenschaftlichen Erkenntnisinteressen des jeweiligen didaktischen Modells orientieren – wohl kaum von ungefähr befassen sie sich ja ebenfalls mit den Theorien des Unterrichts und den Modellen der Didaktik (vgl. 4, Umschlagseite) – wird die Einteilung nach den Modellen, die den Unterricht eher technologisch sehen, nach solchen, die Unterricht eher als die (bildende) Vermittlung von Kultur und solchen, die in emanzipativer Absicht das selbständige Lernen begreifen, erweitert um ein Kapitel, in dem Texte, die den kommunikativen, erziehenden Aspekt von Unterricht betonen, kaum in Frage gestellt werden.
Auch der Frage, ob die Auswahl der Texte vollständig ist oder ihre historische und systematische Zuordnung disziplinspezifischen Kriterien Stand hält, soll hier nicht gestellt werden. Es sind im Wesentlichen die gleichen, auf die sich seit Blankertz fast alle Darstellungen der Didaktik beziehen. Wenngleich dabei eine definitorische Unsicherheit über den Begriff der Didaktik aufscheint. Denn aus dem Titel des Buches „Theorien des Unterrichts“ wird zwischen den Deckeln unversehens eine Darstellung von allgemeindidaktischen Ansätzen. Die Gleichsetzung von Didaktik und Theorie des Unterrichtes wird indessen kaum thematisiert. Dabei war die Verengung des didaktischen Sujets auf ausschließlich Belange des Unterrichts schon in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts ein Grund für das Scheitern der Unterrichtswissenschaften.
Vielmehr soll hier zwei Fragestellungen nachgegangen werden, weil sie den Besonderheiten des Buches als Studienbuch, das vor allem für die Hand der Studenten in den Seminaren der Lehrerbildung bestimmt ist und hochschuldidaktische Markierungen setzen will (vgl. 7), eher gerecht werden. Nämlich: Wird das Buch den Erwartungen und Interessen seiner Adressaten gerecht? und erfüllt das Buch die besonderen (hochschul) -didaktischen Anforderungen, die an die Lehrerbildung gerichtet sind?
Die Erwartungen, die junge Leute, die sich für Lehrerberuf entschieden haben, sind eindeutig. Sie wollen, dass ihnen der professionspezifische Teil des Studiums Hilfestellung zur Bewältigung des schulischen Alltags, der als zunehmend unübersichtlich und schwierig wahrgenommen wird, gibt. Das gilt zumal für den Unterricht. Die Erwartungen richten sich hier deshalb in erster Linie auf eine Einführung und Einübung in didaktisches Handeln, das ein Mindestmaß an professionellen Kompetenzen und die mit ihnen verbundene Sicherheit bei der Bewältigung der zukünftigen unterrichtliche Aufgaben gibt. Zumeist artikulieren sich diese Erwartungen in Fragen wie Was mache ich, wenn .... (beispielsweise) der Unterricht gestört wird?
Es gibt nun eine Tradition in der Lehrerbildung, die diese Fragen als unwissenschaftlich, praktizistisch und wenig ergiebig beiseite schiebt. Auch die Autoren dieses Studienbuches reihen sich dort ein: „Die vorliegende Einführung kann zwar theoretisches Wissen über Unterricht, nicht aber berufspraktische Kompetenzen in einem engeren Sinne vermitteln“ (7). Als ob nicht signifikantes Theoriewissen sich gerade dadurch auszeichnen würde, dass es sich an konkreten Fragestellungen und realen Problemlagen entwickelt. Die Gründe für die gewollte Abstinenz zumal universitärer Lehrerbildung von den Anforderungen des Alltags können hier nicht im einzelnen aufgeführt werden, liegen aber in ihrem Kern wohl in einer falschen Gegenüberstellung von Theorie und Praxis, die schon immer eine Theoriefeindlichkeit praktischen Handelns unterstellt hat. Die Haltung hat schon in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts die Didaktik an den Rand der Bedeutungslosigkeit geführt. Denn wer über Jahre lediglich verspricht, den Unterricht mit Hilfe des neuesten didaktischen Modells entscheidend zu verbessern, ohne den Beweis auch nur antreten zu wollen und wer sich zunehmend mit sich selbst beschäftigt und schließlich nur noch metadidaktische Reflexion betreibt – auch die Herausgeber dieses Bandes lassen ihr Buch in einem Epilog über das Verhältnis von Allgemeiner Didaktik und Lehr-Lernforschung münden (290 ff) – darf sich nicht wundern, wenn seine Adressaten schließlich die Sache selbst betreiben und ihre eigenen Unterrichtskonzepte entwickeln (vgl. dazu Heursen, 1998 [3].
Die Immunisierungsstragie der Herausgeber gegen diese Entwicklung ist einfach und fulminant zugleich. Einfach ist sie, weil sie den Adressaten, die sich nicht mit den Facetten von nur noch disziplinhistorisch interessanten Modellen auseinandersetzen wollen (Heimann, Klafki, Gaudig) mehr oder weniger ausdrücklich unterstellen, die „Anstrengung des Begriffes“ meiden zu wollen (vgl. 7) und damit ein schlechtes Gewissen erzeugen. Fulminant ist diese Haltung, weil sie an prominenter Stelle – nämlich zu Beginn des „Waschzettels“ auf der vierten Umschlagseite – keinen geringeren als Emanuel Kant gegen die unterstellte Theoriefeindlichkeit ins Feld führen: “Es kann niemand sich für praktisch bewandert in einer Wissenschaft ausgeben,“ liest man dort Kant, „und doch die Theorie verachten, ohne sich bloß zu geben, daß er in seinem Fache ein Ignorant sei.“ Richtig. Aber Kant zielt auf die bewusstlosen Praktiker, die meinen, ohne Theorie ihr wissenschaftliches Handwerk ausüben zu können. Die stehen hier aber nicht zur Debatte. Lehramtsstudenten sind in der Regel keine Theorieverächter, ganz im Gegenteil. Wohl aber wollen sie der Theorie einen Sinn abgewinnen. Der aber liegt eben in der Bewältigung erwarteter praktischer Probleme. Die Planung eines Unterrichts über „Den Wolf und die sieben Geißlein“ (41 ff) oder „Das biologische Gleichgewicht zwischen Feldmäusen und Mäusebussarden“ (130 ff) gehören wohl kaum dazu. Theoretisches Wissen bleibt „Totes Wissen“ wie Carl Rogers es nennt, wenn es nicht persönlich bedeutsam wird.
Dies leitet unmittelbar zur zweiten Frage, der nach der unterliegenden (hochschul) -didaktischen Konzeption, der das Studienbuch sich verpflichtet weiß, über. Denn eine der wichtigsten und zugleich schwierigsten didaktischen Aufgaben des Lehrers ist es, seinen Unterricht mit einem für jeden Schüler individuellen persönlichen Sinn zu versehen, ihn für den je Einzelnen bedeutsam zu machen. Die beispielhafte Anführung von Unterrichtsplanungsbeispielen zu vielen Texten, die übrigens viel traditioneller ist als die Herausgeber selbst wohl annehmen und die Erschließung der Texte mit Hilfe von beigefügten Fragen, sind ebenfalls didaktisch nicht so sehr revolutionär wie die Herausgeber ebenfalls suggerieren (vgl. 23), jedenfalls können diese individuelle Bedeutsamkeit kaum vermitteln. Das liegt in erster Linie an der Schwierigkeit aller Textsammlungen wie aller Schulbücher überhaupt, die ja prinzipiell nicht für eine konkrete Unterrichtssituation in einer konkreten Lerngruppe mit je individuellen Schülern und Lehrern ausgelegt werden können. Das liegt aber vor allem an der textorientierten Seminarkonzeption, für die dieses Buch geschrieben ist. Also für jene, nun wirklich traditionelle Form der Lehrerbildung, die nicht zuletzt dazu geführt hat, dass der Ruf nach einer Reform der Lehrerbildung immer lauter wird. Und wenn mit der Reform nicht nur alter Wein in neue Schläuche gefüllt werden soll, eine Entwicklung, für die es leider viele Anzeichen gibt – dieses Buch ist nur eines davon – dann muss das Verhältnis von Theorie und Praxis, von theoretischem Wissen und beruflicher Kompetenz in der Lehrerbildung neu gedacht werden.
[1] URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/40725356.html
[2] Blankertz, H. (1969): Theorien und Modelle der Didaktik. München.
[3] Heursen, G. (1994): Gebrochenes Herz: Didaktik zwischen Marginalisierung und Impulsivität. In: Neue Sammlung, S. 499-517.
EWR 5 (2006), Nr. 4 (Juli/August 2006)
Theorien des Unterrichts
Erläuterungen, Texte, Arbeitsaufgaben
(Studienbücher Erziehungswissenschaft)
(Studienbücher Erziehungswissenschaft)
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2006
(316 S.; ISBN 3-7815-1351-3; 17,90 EUR)
Gerd Heursen (Berlin)
Zur Zitierweise der Rezension:
Gerd Heursen: Rezension von: Baumgart, Franzjörg / Lange, Ute / Wigger, Lothar (Hg.): Theorien des Unterrichts, Erläuterungen, Texte, Arbeitsaufgaben. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2006. In: EWR 5 (2006), Nr. 4 (Veröffentlicht am 27.07.2006), URL: http://klinkhardt.de/ewr/78151351.html
Gerd Heursen: Rezension von: Baumgart, Franzjörg / Lange, Ute / Wigger, Lothar (Hg.): Theorien des Unterrichts, Erläuterungen, Texte, Arbeitsaufgaben. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2006. In: EWR 5 (2006), Nr. 4 (Veröffentlicht am 27.07.2006), URL: http://klinkhardt.de/ewr/78151351.html