EWR 12 (2013), Nr. 2 (März/April)

Cornelie Dietrich / Dominik Krinninger / Volker Schubert
Einführung in die Ästhetische Bildung
Weinheim/Basel: Beltz Juventa 2012
(176 S.; ISBN 3-7799-2177-4; 19,95 EUR)
Einführung in die Ästhetische Bildung Die Einführung richtet sich an Studierende der Erziehungswissenschaft und Pädagoginnen mit einem professionell begründeten Interesse am Einbezug künstlerischer, kreativer, ästhetischer Gegenstände in das jeweilige pädagogische Feld. Die Autorinnen systematisieren ihre Einführung in das Feld der ästhetischen Bildung in vier Zugängen: Über erste erziehungswissenschaftliche „Annäherungen“ (Kapitel 1-3) stellen sie Zusammenhänge von Ästhetik, Erziehung und Bildung in Aussicht; eine Einführung ästhetik-theoretischer „Begründungsfiguren“ (Kapitel 4-6) unternehmen sie mit Friedrich Schiller und John Dewey; dieser schließen sie eine Inspektion „gegenwärtiger Herausforderungen“ (Kapitel 7-10) des pädagogischen Handelns im Kontext ästhetischer Bildung an; diese wird im Folgenden um eine heuristische Erkundung „pädagogischer Arrangements für ästhetische Bildung“ (Kapitel 11-14) ergänzt. Mit dieser Ordnungsbildung berücksichtigen die Autorinnen theoretische Grundlegungen und geben einem Bedürfnis der Bearbeitung von Fragen statt, die sich an konkrete pädagogische Handlungsfelder knüpfen.

In den „Annäherungen“ werden „ästhetische Weisen des Erkundens, Verstehens und Erkennens“ (9) als grundlegende Aspekte von alltäglichen Situationen generell und pädagogischen im Speziellen eingeführt. Dabei geht es um einen nicht genau bestimmbaren und ebenso wenig instrumentalisierbaren Einsatz affektiv verhafteter sinnlich-ästhetischer Erlebnisse, die im Individuum sowohl einen intensiven Selbstbezug als auch einen Bezug auf die symbolische Ordnung des Sozialen hervorbringen. Ästhetischer Erziehung sprechen die Autorinnen dabei eine Funktion der kulturalisierenden Ordnung generationaler Verhältnisse jenseits moralisierender Positionierungen zu, während Bildung wesentlich unbestimmter als prozessual verfasstes Ereignis zwischen Individuum und Gesellschaft gefasst wird, das sich wesentlich als Selbstbildung der Individuen und an konkreten Gegenständen vollzieht. Ästhetische Erziehung als Ermöglichungsbedingung ästhetischer Bildungsprozesse dimensioniert sich für die Autorinnen im Zusammenwirken von vier Aspekten: Fingerfertigkeiten (dem Erlernen spezifischer künstlerischer Techniken), Alphabetisierung (dem Erlangen von Kenntnissen über ästhetische Symbolbestände des sozialen Umfelds), Selbstaufmerksamkeit (die Erkundung der eigenen Sinnestätigkeit) und Sprache (die Ermöglichung sprachlicher Reflexion des Erlebten) (kurz FASS, vgl. 27).

Der zweite Teil wendet sich historischen Begründungsfiguren ästhetischer Bildung zu; hier entscheiden sich die Autorinnen für Friedrich Schillers Zugang, den er in „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ entfaltete, sowie John Deweys Ansatz, den er etwa in „Demokratie und Erziehung“ und „Kunst als Erfahrung“ zum Ausdruck brachte.

Die Lektüre Schillers arbeitet insbesondere dessen in seinen Augustenburger Briefen ausgeführtes Subjektkonzept im Spielfeld von Selbstbestimmung und Gesetz heraus, welches sich für Schiller wesentlich über die binäre und spannungsreiche Dynamik von „Stofftrieb“ und „Formtrieb“ fassen lässt. Dem Subjekt kommt hier die Aufgabe zu, sich zum einen seinen Eindrücken der Wirklichkeit hinzugeben und zum anderen diese Wirklichkeit mit zu formen, zu gestalten. Dieses nicht widerspruchsfreie Verhältnis entfaltet in ästhetischen Erlebnissen – wie etwa durch dem Spiel oder dem Kunsterleben – seine besondere Qualität.

Mit Dewey wird im Folgenden ein Konzept der Erfahrung im Kontext einer demokratisierten Idee von Kunst entwickelt, die sich von einer Idee elitärer und in gewisser Weise vom alltäglichen Leben isolierter Kunstwerke distanziert und die Bedeutung des sozialen Umfelds der Akteurinnen für die Genese ästhetischer Erfahrungen, also eine enge Verbindung von Kunst und Leben hervorhebt. Erfahrungen besitzen für ihn ihr wesentliches Moment im Tätigwerden der Subjekte sowie im Erkenntnismoment der Wahrnehmung der Einzigartigkeit von Erlebnissen.

Die Synthese beider Ansätze arbeitet grundlegende Momente des Feldes ästhetischer Bildung, wie etwa das Verhältnis von „Demokratie und [...][der] Autonomie der Kunst“ oder die Bedeutung der Wahl ästhetischer Gegenstände im pädagogischen Setting heraus.
Der dritte Teil des Buches bündelt „Gegenwärtige Herausforderungen“ in den Topoi frühe ästhetische Erfahrungen, Geschmack, Interkulturalität und Marktförmigkeit kultureller Bildungsangebote und orientiert sich damit an den Differenzlinien Alter/frühe Kindheit, Milieu/Klasse/Kultur, Ethnizität bzw. der Frage nach den gesellschaftspolitischen Bedingungen der Realisierung ästhetischer Bildungsangebote.

Die Erlebnisdimensionen im Kontext der frühen Kindheit werden theoretisch über psychologische Ansätze – etwa den Begriff des intermediären Raums nach Winnicott – eingeführt und gelangen in der (an Schiller angelehnten) Figur ‚Ästhetik als das andere des Alltags‘ sowie der (an Dewey angelehnten) Figur von ‚Ästhetik alltäglicher Gegenstände‘ zu einem Konzept frühkindlicher ästhetischer Pädagogik, das wesentlich über das Unbestimmte des ästhetischen Geschehens entwickelt wird.

Die Autorinnen identifizieren im Diskurs der ästhetischen Bildung die Notwendigkeit, Bewertungspraxen sowie die Bedeutung natio-ethno-kultureller Unterschiede thematisch zu machen. Ästhetische Bildung vollzieht sich für sie in einem machtvoll geordneten sozialen Feld in der Spannung zwischen Distinktion, dem Kampf um Bedeutungen sowie der Teilhabe an gemeinsamen, aber dennoch strittigen Zeichensystemen; einem Feld, in welchem das Pädagogische als vermittelnder Einsatz zum Zuge kommt, wie anerkennungstheoretisch argumentiert wird. Daraus entwickelt sich ein Konzept kontextbezogener ästhetischer Bildung: Es geht um die Erkundung der eigenen Umwelt, auf deren Grundlage eine Kultur geteilter Erfahrung entstehen soll. Mit den ästhetisierenden Mitteln z.B. des Musizierens, Theaterspielens oder Tanzes soll ein Ermöglichungsraum eröffnet werden, der das Spiel mit Zugehörigkeiten, Selbstverortungen zulässt.
Dieser dritte Teil des Buches endet mit einer kritischen Inspektion des Verhältnisses von Kulturmarketing und Pädagogik. Hier werden spezifische Argumentationen des wesentlich politisch geführten und ökonomisch strukturierten Diskurses um Kulturvermittlung (im bundesdeutschen Kontext) herausgestrichen, welche Pädagogik bzw. die Perspektive der ästhetischen Bildung in gewisser Weise marginalisieren, etwa durch ökonomische Engpässe oder pädagogisch tätige Akteurinnen, die sich wesentlich über künstlerische Werks- denn pädagogische Prozessrationalitäten definieren.

Im vierten Teil des Buches geht es um eine Erkundung der Möglichkeiten und Grenzen „klassische[r] Bereiche ästhetischer Bildung“ (123), die hier exemplarisch an den „ästhetischen Gegenständen“ (124) Musik, Literatur und bildender Kunst entfaltet werden. An empirischen Beispielen – insbesondere aus dem Kontext schulischer Angebote – werden erprobende Zugänge zu diesen Gegenständen vorgestellt und auf der Grundlage des zuvor theoretisch Konturierten in ihren Möglichkeiten und Grenzen ausgelotet.

Der Schluss des Buches entspannt zwischen den Polen des „Eigenwerts des Kulturellen“ (160) und des „Eigenwerts des Ästhetischen“ (161) in Kürze die zuvor vorgestellten Begründungsfiguren, knüpft die Identifikation verschiedener Aufgabenbereiche ästhetisch-pädagogischer Angebote an und schließt mit Orientierungsempfehlungen, welche insbesondere die zuvor genannten Spannungsverhältnisse, welche das Feld der ästhetischen Bildung durchziehen und somit im Kontext pädagogischen Handelns Berücksichtigung finden, ab.

Die Einführung legt eine umfassende Diskussion des Phänomens ästhetischer Bildung als ein disparates erziehungswissenschaftliches Feld vor. Es gelingt den Autorinnen, den Anspruch, einen Überblick über diesen Diskurs zu bieten, mit spezifischen Aufmerksamkeiten für sensible Details des Feldes zu verbinden. In besonderer Weise hervorzuheben ist, dass die konstitutiven und zugleich dilemmatischen Grenzen des Feldes ästhetischer Bildung zum Thema werden, artikuliert etwa in der Frage, inwiefern das paradoxale Verhältnis des spezifisch Unverfügbaren, der „Imponderabilität“ (158) der ästhetischen Erfahrung zum Konzept der Alphabetisierung bzw. einer ästhetischen Literalität eine besondere pädagogische Reflexivität notwendig macht, die letztlich nicht aufgelöst wird.

Der Kulturbegriff, der allerdings weitgehend implizit bleibt und dessen Bedeutung im Feld der Ästhetischen Bildung – wie eben im Rahmen der Auseinandersetzung etwa mit John Dewey deutlich wird – aufgrund der Vernähtheit von kultureller Praxis und Ästhetik einer intensiven Auseinandersetzung zu bedürfen scheint, wird im Text eher indirekt – etwa an ästhetischen Gegenständen – figuriert, die allerdings, so wird an den Beispielbezügen „Goethe“ bzw. „Bibel“ deutlich, ein grundlegendes Problem sichtbar werden lassen: Die Gegenstände verweisen stets auf bestimmte sprachliche und damit regional-geographische oder religiöse und damit eben auch je politische Zusammenhänge. Gegenstände ästhetischer Erfahrung, sofern sie mit dem Argument einer tradierenden Erziehung legitimiert werden, bergen damit ein doppeltes Risiko. Erstens reproduzieren sie bestimmte dominierende kulturelle – und hier ist immer noch offen, was das genau heißt – Zusammenhänge und führen damit Ausschlüsse herbei, die sich wesentlich über die Leitdifferenz der Erfahrung von Eigenem und Fremdem organisieren, und zweitens tendieren sie dazu, dieses Reproduktionsmoment zu verschleiern. Dieses problematische Konstituens ästhetischer Bildung, so wird im Text deutlich, bedarf weiterer Aufmerksamkeit sowie grundlegender begrifflicher Sensibilisierungen und der weiteren Erkundung entsprechender Konsequenzen für die pädagogische Praxis.

So entwerfen die Autorinnen dieser empfehlenswerten Einführung ästhetische Pädagogik als ein grundsätzlich widerspruchslogisches Feld. Wenn es allerdings in der ästhetischen Bildung auch und zentral um eine Idee kultureller Teilhabe geht, dann ist genau dies – nämlich die Reproduktion und Neuordnung kultureller Bedeutungen – zum einen ein Dilemma, dem eine ästhetische Pädagogik ihr Klientel auszusetzen gedenkt, und zum anderen eine Spannung, unter der sie sich selbst konstitutiv erst formiert, ohne sie lösen zu können.
Britta Hoffarth (Halle/Saale)
Zur Zitierweise der Rezension:
Britta Hoffarth: Rezension von: Dietrich, Cornelie / Krinninger, Dominik / Schubert, Volker: Einführung in die Ästhetische Bildung. Weinheim/Basel: Beltz Juventa 2012. In: EWR 12 (2013), Nr. 2 (Veröffentlicht am 03.04.2013), URL: http://klinkhardt.de/ewr/77992177.html