EWR 1 (2002), Nr. 1 (Januar bis März 2002)

Wolfgang Melzer/Uwe Sandfuchs (Hrsg.)
Was Schule leistet
Funktionen und Aufgaben von Schule
Weinheim und MĂĽnchen: Juventa Verlag 2001
(272 Seiten; ISBN 3-7799-1310-0; 20,50 EUR)
Was Schule leistet Vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen um internationale schulische Leistungsvergleiche und notwendige Qualitätssicherungen im bundesdeutschen Bildungssystem stellt der von Wolfgang Melzer und Uwe Sandfuchs herausgegebene Sammelband pädagogisch, psychologisch und soziologisch kontextualisierte Bezüge zwischen gesellschaftlich bedingten Funktionen und pädagogisch formulierten Aufgaben der Institution Schule her. Dabei sind die Themen der Einzelbeiträge sowohl auf Beschreibungen des Ist-Zustandes als auch auf die Entfaltung von Zielvorstellungen und Realisierungsmöglichkeiten schulischer (Innovations-)Prozesse fokussiert und nach übergreifenden und speziellen Inhaltsschwerpunkten gebündelt.

Ausgehend von einem einleitend dargelegten Grundverständnis, das Schule im Rahmen einer sozialwissenschaftlich angelegten "Theorie der Schule" als gesellschaftlich verantwortete Institution betrachtet (Uwe Sandfuchs), deren zentrale Aufgabe innerhalb eines integrativen Bildungs- und Erziehungsauftrags in der Vermittlung von Fachleistungs-, Handlungs-, Sozial- und Selbstkompetenzen besteht (Wolfgang Melzer/Sabine Al-Diban), umfasst der erste Teil Beiträge zu "grundlegenden Funktionsbereichen und Aufgaben schulischen Lernens". In diskursiver Argumentation werden vielschichtige Perspektiven entwickelt, wobei die implizit affirmative Verständigung auf einen gesellschaftlich legitimierten schulischen Auftrag eine gemeinsame Positionierung erlaubt, ohne Differenzen zu nivellieren. Der Fokus richtet sich dabei auf jene Divergenzen, die sich aus einer Bildungsexpansion einerseits und einer offensichtlich geringeren Leistungsförderung und -qualität bei zugleich entwerteten, d.h. ihre berufswahlbezogene Legitimationsfunktion einbüßenden Schulabschlüssen ergeben. Tenor in allen Beiträgen ist die Forderung, den Erwerb von Sozial- und Persönlichkeitskompetenzen gleichrangig neben jenen des inhaltlichen Wissens zu stellen. Nuancierungen der Positionierungen dokumentieren sich in der expliziten Betonung einer stärker psychologischen Grundlegung von Lern- und Unterrichtsprozessen (Franz E. Weinert), einer Berücksichtigung der pädagogischen Interessentheorie bei der inhaltlichen und didaktischen Gestaltung (Andreas Hartinger/Maria Fölling-Albers), einer "sozialräumlich" orientierten Vermittlung von Schule und schüler/innenbezogener Lebens(um)welt (Lothar Böhnisch) und einer kritischen Betrachtung des gesellschaftlich begründeten Selektionsproblems, das im Zuge zukünftig womöglich lebenslanger individualbiographischer Bildungs- und Allokationsprozesse u.U. eher durch eine "Dekonzentration von Selektion" gekennzeichnet sein könnte (Ewald Terhart).

Der zweite Themenkomplex bezieht sich mit "schulspezifischen und schulorganisatorischen Entwicklungen" auf veränderte Statuszuweisungen und – insbesondere mit dem Abitur verbundene – Übergangsproblematiken sowie einem damit einhergehenden Funktionswandel des Gymnasiums (Werner Wiater; Karl Lenz/Andrä Wolter), beschreibt am Beispiel der Niederländischen "Basisschule" die Kompensation sozialer Ungleichheit als Aufgabe der Schule (Paul Jungbluth) und diskutiert die Schulautonomie am Beispiel von Erfahrungen in der Bielefelder Laborschule (Klaus-Jürgen Tillmann). Positiv hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass es den Herausgebern gelungen ist, die Einzelbeiträge beider Schwerpunktsetzungen in einen inhaltlichen Kontext zu stellen, so dass sich generelle Aussagen auch in den Spezialthemen widerspiegeln. Dabei werden als Konsequenzen einer notwendigen Schulreform übereinstimmend eine Verbesserung der Lehreraus- und -fortbildung, eine Förderung aller, d.h. der leistungsschwachen und -begabten Schüler/innen, die Schaffung einer motivationsanregenden und persönlichkeitsfördernden Lernkultur, eine Befähigung zum kompetenten Umgang mit erworbenem Wissen sowie die Entwicklung eines pädagogischen Qualitätsmanagements an jeder Einzelschule als zukunftsorientierte Veränderungsmomente benannt. Sie sind in zwei abschließenden Artikeln in Reflexionen über den tatsächlichen Erfolg intendierter schulischer Wirkungen auf Lernprozesse und Identitätsgenerierungen (Heinz-Elmar Tenorth) sowie in den schultheoretisch grundgelegten Versuch der Entwicklung einer Systematik schulpädagogischer – zur bewussten Wahrnehmung und Analyse neuer Orientierungen beitragender – Alternativen (Harm Paschen) eingebunden.

"Was Schule leistet": implizite und konkrete Fragestellungen sowie Antworten zur Situation von Qualifikationsansprüchen und -realisierungen im deutschen Schulwesen werden in dem Versuch, Funktionen und Aufgaben von Schule neu zu bestimmen, unter schultheoretischer, -praktischer und -politischer Perspektive in den Blick genommen. Dabei ist es das besondere Verdienst, brisante Diskussionen um Bildungs- und Leistungs(rück)stände kritisch aufzuzeigen, die Beschreibung von gegenwärtigen Situationen und Zukunftsprojektionen im deutschen Schulwesen – unter Einbindung neuer Forschungsprojekte – und durch eine Aufnahme thematischer Bezüge zur Professionstheorie neue Zugänge zu einer Schulreform zu skizzieren, die gerade auch unter den aktuellen Aspekten einer Neustrukturierung von Lehramtsstudiengängen von hoher bildungstheoretischer und -politischer Relevanz sind.
Renate Hinz (Oldenburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Renate Hinz: Rezension von: Melzer, Wolfgang / Sandfuchs, Uwe (Hg.): Was Schule leistet, Funktionen und Aufgaben von Schule, Weinheim und MĂĽnchen: Juventa Verlag 2001. In: EWR 1 (2002), Nr. 1 (Veröffentlicht am 01.01.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/77991310.html