Der Band ist Zeugnis einer offensichtlich sehr rege und in gegenseitiger Befruchtung geführten Tagung des Instituts für Pädagogik an der Universität Erlangen, in der es darum ging, die Anschlussfähigkeit des aus den Kulturwissenschaften bekannten Konzepts der „Transkulturalität“ für die Pädagogik zu prüfen. Angesichts der tendenziellen Auflösung monokultureller Gesellschaften durch die Globalisierung wendet sich Transkulturalität konzeptuell gegen die homogenisierende Tendenz traditioneller Auffassungen von Kultur (z.B. Herder). Im Gegensatz zum Konzept der Multikulturalität, das letztlich für eine Multiplizierung als homogen missverstandener Monokulturen stehe und die vormals zwischen Gesellschaften ausgetragenen Konflikte nur in deren Inneres überführe, sei Transkulturalität Ausdruck eines bedeutungsorientierten Kulturbegriffs. Wie die Herausgeber im Anschluss an Wolfgang Welsch verdeutlichen, kann mit dem Begriff der Transkulturalität das einzelne Subjekt als eines gedacht werden, „das an verschiedenen Wissens- und Symbolsystemen oder gesellschaftlichen Praxen partizipiert“ (12). Kommunikation und Verständigung können in solchen Gesellschaften nur durch die „Suche nach der gemeinsamen Sprache“ (8) erreicht werden. Aus äußerst unterschiedlichen Perspektiven ist der vorliegende Band Ausdruck eben dieser Suchbewegung.
Im ersten Teil sind Beiträge zusammengestellt, die sich vorrangig theoriebildend und begriffskritisch mit dem Konzept der Transkulturalität auseinandersetzen.
Ingrid Gogolin stellt transkulturelle Phänomene (Transmigration, transnationale Sozialräume, Sowohl-als-auch-Identitäten) als unumgängliche Bedingung des heutigen Aufwachsens dar: Wahrnehmung, Erfahrung, Lebensform, Lebensstil und Bildung unterliegen einer faktischen Beeinflussung durch die von Gogolin zur Diskussion gestellten Entwicklungen, woraus sich schon empirisch deren erziehungswissenschaftliche Relevanz ergibt. Skepsis sei allerdings gegenüber der Erwartung angebracht, die Einführung des neuen Begriffs der Transkulturalität könne die aus der Interkulturellen Pädagogik bekannten Probleme umgehen. „Die Gefahr der Kulturalisierung durch die wissenschaftliche Befassung mit Phänomenen, die als kulturell identifiziert werden können“ (39), bleibt für Gogolin stets gegeben.
Stephan Sting problematisiert anhand konkreter Fallstudien von Transmigranten die Verlagerung einer kulturellen Orientierung an territorial begrenzten kollektiven Identitäten hin zu einer kulturellen Orientierung an transkulturellen Räumen. Aus der Perspektive einer die Fluidität, Hybridität und Pluralität kultureller Identitäten betonenden Migrationsforschung bricht er mit essentialistischen Kulturauffassungen zugunsten eines konstruktivistischen Konzepts, nach dem „kulturelle und kollektive Orientierungen einem Prozess wechselseitiger Selbst- und Fremdzuschreibungen und symbolischer Grenzmarkierungen entspringen“ (46). Transkulturalität deutet Sting in der Folge als Weiterentwicklung dieses konstruktivistischen Zugangs, da die kulturelle Bedeutung von Differenzen, Fremdheitskonstruktionen und Austauschprozessen im Innenverhältnis einer Kultur besonders deutlich werde. Die zukünftigen Felder pädagogischer und sozialer Arbeit sieht Sting in dem problematischen Umstand, dass transkulturelle Lebensprojekte und Identifikationsmuster „sich unterhalb und neben“ den nationalen Integrationsmustern entfalten (54) und zur Vermittlung drängen.
Micha Brumlik zeigt ausgehend von These, dass die dichotomische Grundstruktur der lebensweltlichen Perspektive zwischen Eigenem und Fremdem allenfalls kurzfristig suspendiert werden könne an einem historischen Fall, wie unser soziales Zusammenleben letztlich bis zur Menschenvernichtung durch diese Deutungsmuster geführt worden ist. Der „pädagogisch so unvermeidlichen Stärkung beliebiger Herkunftsmilieus“ begegnet Brumlik mit der daraus gebotenen Skepsis und schlägt vor, die „prekäre Doppelstruktur der abendländischen Subjektivität, in der vernünftige Selbstbestimmung und blinde Selbstbehauptung scheinbar unauflöslich miteinander verschränkt sind“ (68), ins Zentrum trankultureller Forschungen zu stellen.
Im Mittelpunkt des zweiten Teils steht die Rekonstruktion der Beziehungen von Subjektivität und Individualität zur Transkulturalität.
Helmbrecht Breinig spricht sich für den Begriff der Transdifferenz anstelle des Begriffs der Transkulturalität aus. In diesem schwinge die fehlgeleitete Hoffnung mit, dass die Fremdheit des Fremden sich abschwäche und interkulturelle Probleme durch Transkulturation gelöst werden könnten. Breinig argumentiert, dass „das binäre Exklusions- bzw. Inklusionsdenken nicht hinreichend ist, um unserer Wirklichkeitserfahrung gerecht zu werden“ (71), weil – wie er am Beispiel indianischer Subjektkonstruktionen zeigt – das Phänomen der Transdifferenz auch jenseits von kulturellen Zugehörigkeiten auftritt.
Peter Ackermann untersucht am Beispiel eines deutsch-japanischen Austauschs die Rahmen für autonomes transkulturelles Handeln und betont dabei den pädagogisch interessanten Umstand, dass Begegnungen mit Fremden immer auch Begegnungen von durch unterschiedliche pädagogische Konzepte sozialisierten Individuen sind. Ackermann warnt vor den in schematisch abstrakten Typologisierungen transkultureller Begegnungsprozesse lauernden Missachtungen der Würde und Individualität der Einzelnen und spricht sich bezüglich der Handhabung solcher Begegnungen für Situationen des suchenden Sich-Herantastens aus, deren Ergebnis stets nur subjektive Interpretation bleiben könne, so sehr sich auch bestimmte kulturelle Merkmale zu über die individuellen Grenzen hinweg verdichtenden patterns zu verdichten scheinen. Die stark sinnlichen, vor- und außerreflexiven Prozesse innerhalb transkultureller Begegnungen zeigen deutlich, dass die Erwartung einer Vermittlung von Faktenwissen zwischen verschiedenen Kulturen eines Rahmens bedarf, „in dem eine Entwicklung ‚spielen’ kann“ (93).
Michael von Engelhardt beleuchtet das Phänomen der Transkulturalität vor dem Hintergrund der kulturellen Bedeutung biographischer Narration. Die menschliche Lebenswelt als eine maßgeblich erzählte und erzählende zeige sich kulturell durch jeweils eigene und fremde lebensgeschichtliche Narrative strukturiert. „Der Fremde ist der Mensch ohne Geschichte“ (95). Der Mensch, dessen Leben biographisch organisiert ist, ist nach von Engelhardt zugleich Subjekt und Objekt biographischer Erzählungen, da die Netze biographischer Erzählungen, in die er eingebunden ist, „sein biographisches Selbstverständnis prägen und eine entscheidende Bedingung für die biographische Organisation seines Lebens bilden“ (99). Aus dem Einfluss der Erzählfunktion gesellschaftlicher Institutionen ergibt sich die kulturelle Konnotation der selbst erzählten Lebensgeschichte. Kommunikative Vermittlung zwischen Kulturen ist daher nach von Engelhardt auf eine narrative Kompetenz angewiesen, die im Sinne von Transkulturalität vor allem verständliches Erzählen, verstehendes Zuhören und Fragen umfassen müsste, damit die Erzählenden einerseits in der Konfrontation mit den Erzählungen des Anderen fremdverstehende Zugänge zu diesen erhalten und andererseits sich dadurch der kulturellen Perspektivität ihrer eigenen lebensgeschichtlichen Narrative bewusst werden.
Im dritten Teil geht es – auch an Beispielen einzelner pädagogischer Einrichtungen – darum, wie die institutionelle pädagogische Praxis mit dem Phänomen der Transkulturalität umgeht.
Marianne Krüger-Potratz weist auf Ausblendungen innerhalb der Historischen Pädagogik hin, die einer transkulturellen Überwindung bedürften. Am Beispiel der pädagogischen Behandlung allochthoner und autochthoner Minderheiten arbeitet sie die Problematik tradierter Argumentations- und Handlungsmuster des deutschen Bildungswesens heraus. Krüger-Potratz betont, dass die Gefahr der Bestätigung politisch gewollter „Erinnerungslücken“ vor allem dann gegeben sei, wenn man weiterhin kontrafaktisch Transkulturalität als Sonderfall, anstatt als einen Teil des Regelfalls betrachte. Der zukünftige Beitrag der pädagogischen Historiographie zum angesprochenen Perspektivenwechsel besteht Krüger-Potratz zufolge mindestens darin, die „unreinheitsbezogene Begrifflichkeit“ (134) zugunsten einer Anerkennung der Unterschiede und des Heterogenen aufzugeben.
Gabriele Pommerin-Götze weist in ihrem Beitrag auf den Zusammenhang zwischen einer gesellschaftspolitischen Akzeptanz kultureller wie sprachlicher Vielfalt und einer bildungspolitischen Auffassung von Heterogenität als Lernchance hin. Unter anderem anhand von Autorenberichten über ihren Schreibprozess zeigt sie, wie Schreiben in einer anderen Sprache Ausgangspunkt einer fremdverstehenden Perspektive nicht nur des Anderes-Denkens sondern des Andersdenkens sein kann. Hierbei arbeitet sie vier Grundfunktionen einer zukünftigen Schulkultur heraus: eine pragmatische Orientierungsfunktion, eine kommunikative Funktion, eine kognitiv-heuristische Funktion und eine ethnische Funktion. Die schwierige didaktische Aufgabe des Deutschunterrichts besteht nach Pommerin-Götze in der permanenten Verknüpfung und Vermittlung dieser Funktionen, was beispielhaft an interkulturellen Schreibprojekten konkretisiert wird.
Christoph Wulf begreift die Förderung und Herausforderung heterologischen Denkens als eine der Hauptaufgaben transkultureller Bildung, was er an der Instituts- und Programmgeschichte des Deutsch-Französischen Jugendwerks belegt. Das transkulturelle Setting dieses Austauschprogramms zeugt von den Chancen, die sich bieten, wenn institutionell eine Erfahrung des Fremden in sich selbst ermöglicht wird. Ein zentraler Aspekt ist nach Wulf die mimetische Alteritätserfahrung der Perspektivenübernahme. In der denkenden Konfrontation des eigenen logozentristischen, egozentristischen und ethnozentristischen Weltbildes mit dem Eigenen im Fremden werde die bildende Bedeutung transkultureller Begegnungen offensichtlich.
Annette Scheunpflug weist deutlich darauf hin, wie negativ sich ein homogenisierendes Kulturverständnis durch seine transkulturellen Ausblendungen auswirken kann. In ihrer Studie über die „Schule der Freundschaft“ in der DDR, die – ideologisch motiviert von der sozialistischen Bruderschaft – ein Lernort für 900 mosambikanische und 300 namibische Schüler war. Im Rahmen der Kompensation jeglicher Form von Differenz durch die Dominanzkultur der identitäts- und einheitsstiftenden Formel von der internationalen sozialistischen Solidarität nahm sich die Wiedereingliederung der Schüler in ihrer Herkunftsgesellschaft katastrophal aus und wurde auch noch durch den Zusammenbruch der Ideologie verstärkt. Scheunpflug zieht aus dieser Erfahrung wichtige Schlüsse für Bildungskarrieren in Zeiten internationaler Migration und Globalisierung, zu denen unter anderem ein Plädoyer für standardisierte Bildungsmärkte und eine inhaltlich breite und gefestigte Grundbildung zählt.
Der Band ist durchweg Ausdruck einer fruchtbaren Tagung und lässt in der interdisziplinären Breite die Möglichkeiten und Grenzen des kulturwissenschaftlichen Konzepts der Transkulturalität erkennen. Hervorzuheben ist generell die Konkretheit, mit der in den Beiträgen die Begegnung zwischen sich als fremd erkennenden Menschen dargestellt wird. Ob sich, wie die Autoren in ihrem resümierenden Ausblick fragen, „eine transkulturelle Kultur als Dominanz-Kultur etablieren wird“ (194), muss man dem Zeitfluss überlassen. Praktische Anknüpfungspunkte für ein begegnendes Verständnis eigener und noch fremder Denk-, Urteils- und Handlungsmuster bieten sich jedenfalls, das zeigen die Beiträge, für unterschiedlichste wissenschaftliche und soziale Zugriffe.
EWR 6 (2007), Nr. 5 (September/Oktober 2007)
Transkulturalität und Pädagogik
Interdisziplinäre Annäherungen an ein kulturwissenschaftliches Konzept
und seine pädagogische Relevanz
und seine pädagogische Relevanz
Weinheim, München: Juventa 2006
(196 S.; ISBN 3-7799-1265-1; 18,00 EUR)
Christoph Schäfer (Münster)
Zur Zitierweise der Rezension:
Christoph Schäfer: Rezension von: Zirfas, Michael Göhlich, Hans-Walter Leonhard, Eckart Liebau, Jörg (Hg.): Transkulturalität und Pädagogik, Interdisziplinäre Annäherungen an ein kulturwissenschaftliches Konzept und seine pädgogische Relevanz. Weinheim, München: Juventa 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/77991265.html
Christoph Schäfer: Rezension von: Zirfas, Michael Göhlich, Hans-Walter Leonhard, Eckart Liebau, Jörg (Hg.): Transkulturalität und Pädagogik, Interdisziplinäre Annäherungen an ein kulturwissenschaftliches Konzept und seine pädgogische Relevanz. Weinheim, München: Juventa 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/77991265.html