EWR 1 (2002), Nr. 3 (Juli 2002)

Thomas Gabriel
Forschung zur Heimerziehung
Eine vergleichende Bilanzierung in Großbritannien und Deutschland
Weinheim und München: Juventa Verlag 2001
(232 Seiten; ISBN 3-7799-1258-9; 23,00 EUR)
Forschung zur Heimerziehung Der grenzüberschreitende Vergleich ist eine mögliche, zudem eine sehr interessante und in meinen Augen auch äußerst geeignete Methode des Erkenntnisgewinns und der Qualifizierung der eigenen Arbeits- und Denkweise. Dadurch, dass man einen Einblick in das Andere, Fremde bekommt und versucht, es in seiner eigenen Logik zu verstehen, wird man in die Lage versetzt, sich mit dem Eigenen auf eine andere Art und Weise auseinanderzusetzen und den eigenen Reflexionshorizont zu erweitern bzw. die eigene Sicht- und Arbeitsweise kritisch zu betrachten und weiterzuentwickeln.

Dies ist – bezogen auf den Bereich der Heimerziehungsforschung – das explizite Ziel des Autors: Er möchte anhand der Darstellung der britischen Forschung zur Heimerziehung Perspektiven für eine deutsche Forschung zur Heimerziehung gewinnen.

Nach einer knappen, aber sehr informativen einführenden Darstellung der Heimerziehung in Großbritannien, die auch einen Vergleich der Entwicklung der Heimerziehung in Deutschland und Großbritannien beinhaltet, zeichnet Gabriel in fünf Kapiteln die Forschung zur Heimerziehung in Großbritannien nach. Er berichtet über Formen, Inhalte, Entwicklung und Struktur der Forschung. Dabei betont er vor allem die Verbindung von theorie- und anwendungsorientierter Forschung in Großbritannien sowie den im Vergleich zu Deutschland hohen Anwendungsbezug der Forschung für Politik und Praxis.

Zentrales und zugleich umfangreichstes Kapitel bildet dabei die Beschreibung der "Looking after Children"-Initiative – ein in Großbritannien eigens für den Bereich der Heimerziehung geschaffenes Evaluationsinstrument, das den Transfer vorhandenen Wissens in die Praxis sicherstellen soll und neues Wissen über die Entwicklung junger Menschen in der Heimerziehung sowie über die Wirkungen der Hilfeformen generieren soll. Gabriel unterstreicht die zwei zentralen Funktionen dieser Initiative: die Beurteilung des Erfolgs professioneller Interventionen und die Verbesserung der gängigen Praxis.

Gabriel zeigt den in Deutschland bestehenden Mangel an empirischer Forschung zur Heimerziehung auf und plädiert dafür, die "Looking after Children"-Initiative auf Deutschland zu übertragen sowie den deutschen Theorie- und Forschungsbegriff in der Heimerziehung zu überdenken.

Eine resümierende Abschlussbetrachtung, in der der Autor seinem eigenen Anspruch, nämlich für den Bereich der Heimerziehung aus der britischen Forschung Perspektiven für die deutsche Forschung zu gewinnen, Rechnung trägt und die auch aufgrund der im Untertitel angekündigten "vergleichenden Bilanzierung" zu erwarten gewesen wäre, bleibt leider aus. Stattdessen endet die Arbeit mit einem sehr elaborierten Theorieexkurs über die Verwendbarkeit wissenschaftlicher Deutungsmuster in der Praxis, der Giddens’ Strukturierungstheorie als zentralen Bezugspunkt reflektiert. Dieses Kapitel wirkt jedoch in seiner inhaltlichen Anbindung an die voranstehenden Abschnitte unscharf und dadurch etwas "übergestülpt".

Es muss allerdings deutlich herausgestellt werden, dass es bisher sehr wenig ländervergleichende Forschung im engeren Sinne für den Bereich der Sozialen Arbeit gibt und dass diese ein sehr schwieriges Unterfangen darstellt (es gibt zwar einige Publikationen, die einen komparatistischen Anspruch erheben, jedoch werden sie ihm zumeist nicht gerecht). Das Forschungsdesiderat in Bezug auf die vergleichende Soziale Arbeit wird von vielen Autorinnen beklagt. Insofern leistet Gabriel mit seiner Arbeit, die gleichzeitig seine Dissertation darstellt, einen sehr wichtigen und auch wertvollen Beitrag. Und sein Ansatz, die Forschung selbst zum Vergleichspunkt zu machen, stellt sozusagen ein Novum dar.
Katrin Brandhorst (Trier)
Zur Zitierweise der Rezension:
Katrin Brandhorst: Rezension von: Gabriel, Thomas: Forschung zur Heimerziehung, Eine vergleichende Bilanzierung in Großbritannien und Deutschland, Weinheim und München: Juventa Verlag 2001. In: EWR 1 (2002), Nr. 3 (Veröffentlicht am 01.07.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/77991258.html