Die "andere Hälfte der Hitler-Jugend" wird in diesem Band mit einer umfangreichen Quellenedition dokumentiert. Damit ist - dies sei vorweg schon festgestellt - der Herausgeberin und Autorin, seit langem bekannt für ihre Arbeiten zum Nationalsozialismus und dabei insbesondere zur Erziehung des weiblichen Geschlechts in der Zeit des Nationalsozialismus, ein grundlegendes Werk zum Bund Deutscher Mädel gelungen, an dem künftig niemand mehr vorbeikommt, der sich mit der Geschichte der Erziehung im nationalsozialistischen Deutschland befasst. Das frühe Lob schließt aber Kritik im Detail nicht aus. Dazu später mehr.
Eine Rezension einer Quellensammlung sieht sich vor das Problem gestellt, eine angemessene Bewertungsgrundlage zu formulieren. Im Falle des BDM kann man nun zuerst einmal festhalten, dass zwar seit einigen Jahren vermehrt Forschungsarbeiten vorliegen, dass aber anders als zum männlichen Teil der Hitler-Jugend eine Quellenedition noch ausstand. Diesen Mangel behebt der vorliegende Band.
Zugleich aber scheint es so viel Material zu geben, das an Vollständigkeit (die ohnehin nicht erreichbar wäre) der Dokumentsammlung nicht zu denken ist. Es war also eine Auswahl zu treffen, deren Exemplarität einzuschätzen nur der/dem möglich wäre, die/der einen ebenso breiten Einblick in die Quellenlage besitzt. Dies ist vom Rezensenten nicht zu behaupten. Im Blick auf die Forschungsliteratur und auf die versammelten Dokumente aber ist zu erkennen, dass die zentralen Themen und der gesamte Zeitraum der Existenz des BDM berücksichtigt wurden.
Thematisch ist der Band in sieben Kapitel gegliedert, die jeweils wieder in eine Einleitung und die Dokumentenwiedergabe geteilt sind. Im 1. Kapitel werden "Geschichte und Institution des BDM" im Überblick vorgestellt. In den folgenden Abschnitten werden unter den Stichwörtern "Jugendführung - politische Lenkung - pädagogische Propaganda" (Kap. 2), "Erziehung - Schulung - Berufsbildung und Berufslenkung" (Kap. 3), "Gesellschaftliche Ausbeutung - politische Instrumentalisierung" (Kap. 4), "Gesundheitspolitik, Rassenpolitik und Rasseideologie" (Kap. 5) sowie "Politische Ästhetik: Bilder der Frau und der weiblichen Jugend" (Kap. 6) Inhalte, Funktion und Deutungen der BDM-Arbeit thematisiert, wobei in dem zuletzt genannten Kapitel v.a. Bilddokumente im Mittelpunkt stehen. Ergänzt werden die sechs Kapitel zur Geschichte des BDM bis 1945 um ein Kapitel zur (Nach-)Geschichte des BDM nach 1945: "Die Betroffenheit der Subjekte: Einlassungen und Erinnerungen 1946-1999" (Kap. 7).
Zeitlich reichen die Dokumente von der "Anordnung zur Vereinheitlichung der Organisation der nationalsozialistischen Jungmädchenschaft" vom Juli 1932 (Dok.1, S. 26) bis zum Kriegseinsatz von BDM-Mädchen im Jahr 1945 (Dok. 94 und 95, S. 239ff.), nimmt man die "Einlassungen und Erinnerungen" aus den Jahren nach 1945 hinzu, sogar bis 1999.
Ein ausführliches Quellen und Literaturverzeichnis sowie biographische Angaben zu einzelnen Personen ermöglichen - unterstützt durch ein Personenregister - eigene Weiterarbeit mit dem Material.
Irritierend ist die thematische Gliederung, wenn man sich Aufschluss über die zeitlichen Abläufe wünscht, zumal auch innerhalb der Kapitel eine chronologische Ordnung nicht immer eingehalten wird. Auf diese Weise erhält man zwar einen sehr guten Einblick in die verschiedenen Problemfelder der BDM-Arbeit bzw. von dessen Deutung(en), aber die Gleichzeitigkeit der verschiedenen Bearbeitungsmuster wird nicht immer deutlich.
Dies überrascht umso mehr, als Miller-Kipp in der Einleitung zu den Dokumenten des 1. Kapitels eine Unterteilung der Geschichte des BDM in vier Phasen vornimmt: der "Entstehungs- bzw. ‚Kampfzeit‘" bis 1933 folgten danach die "Zeit der Durchsetzung" (1933-1936), die "Zeit der Jugendarbeit bzw. der ‚Erziehung‘" (1936-1939) sowie die Kriegszeit (1939-1945). Will man aber diese Einteilung nachvollziehen, muss man die Dokumente in einer gänzlich anderen Reihenfolge lesen, als sie in dem Band abgedruckt werden. Hier wäre eine chronologische Auflistung der Dokumente hilfreich.
Insgesamt fällt die Bewertung des Bandes trotz solcher Detailkritik positiv aus. Mit dem vorliegenden Buch wird nicht Material präsentiert, das den Abschluss der Forschung anzeigt, sondern die Fülle des Materials und die Verweise auf weitere Quellen zeigen an, dass es noch viel zu tun gibt bei der Erforschung der Geschichte des BDM.
EWR 1 (2002), Nr. 2 (April/Mai 2002)
"Auch Du gehörst dem Führer"
Die Geschichte des Bundes Deutscher Mädel (BDM) in Quellen und Dokumenten
Weinheim und München: Juventa Verlag 2001
(381 Seiten; ISBN 3-7799-1131-0; 38,00 EUR)
Klaus-Peter Horn (Berlin/Dortmund)
Zur Zitierweise der Rezension:
Klaus-Peter Horn: Rezension von: Gisela-Miller-Kipp, (Hg.): "Auch Du gehörst dem Führer", Die Geschichte des Bundes Deutscher Mädel (BDM) in Quellen und Dokumenten, Weinheim und München: Juventa Verlag 2001. In: EWR 1 (2002), Nr. 2 (Veröffentlicht am 00.04.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/77991131.html
Klaus-Peter Horn: Rezension von: Gisela-Miller-Kipp, (Hg.): "Auch Du gehörst dem Führer", Die Geschichte des Bundes Deutscher Mädel (BDM) in Quellen und Dokumenten, Weinheim und München: Juventa Verlag 2001. In: EWR 1 (2002), Nr. 2 (Veröffentlicht am 00.04.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/77991131.html