EWR 1 (2002), Nr. 1 (Januar bis März 2002)

Jürgen Wittpoth (Hrsg.)
Erwachsenenbildung und Zeitdiagnose
Theoriebeobachtungen
Bielefeld: Bertelsmann Verlag 2001
(180 Seiten; ISBN 3-7639-1831-0; 14,90 EUR)
Erwachsenenbildung und Zeitdiagnose Mit dem vorliegenden Band - einer überarbeiteten Sammlung von Vorträgen, die auf dem Göttinger Kongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft im Jahre 2000 diskutiert wurden - unternimmt die Erwachsenenbildung erneut den Versuch, ihr Selbstverständnis als Wissenschaft in paradigmatisch unsicheren Zeiten zu klären. In sechs Beiträgen wird jeweils eine der jüngsten sogenannten "Zeitdiagnosen" - von der "Risiko"- zur "Transformationsgesellschaft", von der "Erlebnis"- zur "Wissensgesellschaft", von der "Arbeitsgesellschaft" zur "Reflexiven Moderne" - aufgenommen, dargestellt und hinsichtlich ihrer Möglichkeiten, der Erwachsenenbildung (neue) Forschungsfragen und -konzepte anzubieten, geprüft. Abschließend lässt der Herausgeber dann in einem eigenen Beitrag die Analysen, Perspektiven und Befunde einer zeitdiagnostisch inspirierten Erwachsenenbildung Revue passieren und kommt zu dem - schon im Vorwort erwähnten - ernüchternden Resultat: "Das Ergebnis ist zwiespältig" (Wittpoth, S. 8) - nicht zuletzt wohl auch, weil der Parforceritt durch die Gefilde der "Zeitdiagnosen" nur den (seinerseits zeitdiagnostisch geprägten) Erkenntnisgewinn einer unüberwindbaren "theoretischen Mehrsprachigkeit" (Wittpoth, S. 176), der so neu nicht ist, abgeworfen hat.

Dabei korrespondieren zunächst sowohl das Ausgangsinteresse - die Wirkungsweisen und Verwendungsformen von "Zeitdiagnosen" in der Erwachsenenbildung zu analysieren - wie dann auch die Erwartung - neue Forschungsperspektiven zu gewinnen - durchaus dem Anspruchshorizont von "Zeitdiagnosen": nämlich das aus ihrer je spezifischen Perspektive die gegenwärtige Gesellschaft kennzeichnende Merkmal pointieren zu können, um daraus Beschreibungen der sich verändernden Anforderungen an Lebensweisen zu entwerfen. Soziologische Diagnosen, die genau dies zu ihrem Gegenstand erheben, treffen damit einen traditionell empfindlichen Nerv der Erwachsenenbildung: den der "Adressatenorientierung". Orientierung an den Teilnehmern von Erwachsenen- und Weiterbildung verstand sich dabei stets entweder als Aufklärung, Anpassung oder Begleitung autonomer Selbstgestaltung. Allen hier zur Diskussion stehenden "Zeitdiagnosen" ist nun freilich - bei aller Differenz untereinander - gemeinsam, dass sie von Unbestimmtheit und Ungewissheit , Pluralität und Relativität des "Sozialen" ausgehen, mithin den Kern der drei erwachsenenbildnerisch kultivierten Topoi der "Adressatenorientierung" nachhaltig irritieren müssen. Zugleich aber muss man auch die problematischen Eigentümlichkeiten der jeweiligen "Zeitdiagnosen" beachten: Jede von ihnen tritt mit einem - gemessen am Pluralitätsgebot eigentlich paradoxen - Gestus der ihr allein zugehörigen Deutungsrelevanz des Typischen an zeitgenössischer Gesellschaft in die (mediale) Öffentlichkeit. Sie wären aber nicht "Zeitdiagnosen", wenn sie sich nicht überdies durch ihren "Hang zum Spektakulären", ihre Neigung zur "Zuspitzung" (Wittpoth, S. 7) profilieren würden. Genau dadurch aber lassen sie die, im Wissenschaftskontext gebotenen, "notwendigen Differenzierungen" (Wittpoth) vermissen. Ein unvermittelter Anschluss der Erwachsenenbildung an "Zeitdiagnosen" wäre daher nicht möglich. Das legt ein schwieriges Verhältnis zwischen beiden nahe: Am rhetorischen Glanz von "Zeitdiagnosen" vermag Erwachsenenbildung nicht umstandslos zu partizipieren, doch muss sie sich auf jene einlassen, weil sie die Befürchtung hegt, ansonsten den Kontakt mit ihrer Klientel preiszugeben.

Jochen Kade (S. 9-38) setzt sich mit der Risikogesellschaft als "Zeitdiagnose" auseinander und liest diese durch die Brille "riskanter Biographien"; überdies beabsichtigt er in seinem Beitrag, die "Wissensordnung der Erwachsenenbildung/Erziehungswissenschaft" zu erhellen. Es sei, so Kade, eine "nachhaltige Resonanz" der Begrifflichkeit von Risikogesellschaft und Risiko in Erwachsenenbildung und Erziehungswissenschaft festzustellen. Doch - und dies wird Kade als ein strukturierendes Moment der "Wissensordnung" wieder aufgreifen - überwiegend werde "Risiko" distanziert als externes Element wahrgenommen und weniger wäre schon registriert worden, dass die Praxen der Erwachsenenbildung selbst - also "intern" - riskant seien (S. 10). Es ließen sich drei Varianten von "Risikogesellschaft" unterscheiden: eine "objektivistische", die sich nur auf den industriell-technologischen Risikobegriff im Sinne unerwarteter Nebenfolgen konzentriert (U. Beck); eine "sozial-konstruktivistische", die das Motiv der "Entscheidung" so fundamentalisiert, dass Zukunft als prinzipiell unsichere und riskante, aber von unseren Entscheidungen abhängige, gedeutet wird (Luhmann); und schließlich eine "sozialstrukturelle", wonach Risiken in dem Maße entstünden, wie sich gesellschaftliche Teilsysteme ausdifferenzierten, deren Handlungsrationalitäten nicht mehr miteinander kompatibel und auch nicht durch eine übergreifende Rationalität zu steuern seien (S. 11-15). In den nächsten Schritten untersucht Kade die "charakteristischen Thematisierungsmuster im (Risiko-)Diskurs der Erwachsenenbildung" mittels der Unterscheidung von "Risikogesellschaft" und "riskanten Biographien", anhand derer er zwei verschiedene "Theoriesegmente" in der Erwachsenenbildung identifiziert und verknüpft diese dann mit zwei "Wissensordnungen". Schematisierend und exemplarisch ordnet Kade jedem der beiden Thematisierungsmuster ein Theoriesegment und eine Wissensordnung zu. So könnten seines Erachtens Arbeiten in der Erwachsenenbildung, die das Theorem der "Risikogesellschaft" aufgriffen, dadurch qualifiziert werden, dass sie Risiken eher extern verorteten, darauf traditionell pädagogisch-programmatisch reagierten (z. B. fordern sie "ein neues pädagogisches Engagement" oder eine "Intensivierung der Erwachsenenbildung", S. 18); damit gehörten sie einer "pädagogischen Wissensordnung" zu. Andere Arbeiten in der Erwachsenenbildung bezögen sich hingegen auf "riskante Biographien", holten so das Risikoproblem etwa des "lebenslangen Lernens" in die Erwachsenenbildung selbst hinein, reagierten darauf aber eher im Sinne von Forschungsambitionen und seien so einer "erziehungswissenschaftlichen Wissensordnung" zuzurechnen. Im ersten Segment ließen sich immer noch pädagogische Professionalisierungsabsichten mobilisieren, die aber das Risikoproblem für die Erwachsenenbildung nur blind weiter steigerten, während die erziehungswissenschaftliche Wissensordnung solche Ansinnen an die Erwachsenenbildung nicht mehr umstandslos herantragen könne (S. 20-31). Im letzten Schritt seiner Argumentation hebt Kade die Identifizierung verschiedener "Wissensordnungen" so markant hervor, dass der Eindruck entsteht, erst durch die von ihm vorgenommene Sortierung der verschiedenen Reaktionsweisen auf die "Zeitdiagnose Risikogesellschaft" könne der Erwachsenenbildung deutlich gemacht werden, dass es in ihr ein pädagogisch und ein erziehungswissenschaftlich zentriertes Denken gäbe. Wenn Kade abschließend dafür plädiert, die "Mehrheit von Wissensordnungen als Option für Analysen" (S. 36) aufzugreifen, dann stilisiert er dies zu einem herausgehobenen Befund, der zu ignorieren scheint, dass es in der allgemeineren erziehungswissenschaftlichen Diskussion schon länger - und unabhängig vom Risikodiskurs - gebräuchlich ist, zwischen Disziplin und Profession und daran gebundene je unterschiedliche Wissens- und Reflexionsformen zu unterscheiden. Allenfalls kann die Analyse verschiedener Reaktionen auf den Risikodiskurs an einem Beispiel und exemplarisch für die Erwachsenenbildung nur noch einmal besonders deutlich machen, dass das grundlegende Moment die differenten Wissensformen sind, die das Umgehen mit "Risiko" steuern - und nicht umgekehrt. Im übrigen würde es dann aber naheliegen, die "Zeitdiagnose Risikogesellschaft" mit der "Zeitdiagnose Wissensgesellschaft" (bzw. einer expliziten Theorie des Wissens in der /für die Erziehungswissenschaft) in eine engere analytische Beziehung zu bringen.

Ortfried Schäffter (S. 39-68) beschäftigt sich mit der "Zeitdiagnose Transformationsgesellschaft" unter den Aspekten einer "Temporalisierung der Zukunft" und der "Positivierung des Unbestimmten im Lernarrangement". Von den anderen Zeitdiagnosen hebt sich diese dadurch ab, dass Schäffter sie für sich erst konstruiert, also nicht auf vorliegende Grundschriften anderer Autoren zurück greifen kann; insofern wohnt der Leser hier einem Theoriebildungsprozess bei, der allerdings einer gewissen Akrobatik nicht entbehrt, denn an Schäffters Versuch gilt es zu verdauen, dass hier von der hohen Ebene der Gesellschaftsdiagnose ("Transformation") unvermittelt in die didaktischen Niederungen ("Lernarrangements") durchgriffen wird: keiner der anderen Autoren setzt seine "Zeitdiagnose" so direkt in Überlegungen zur Praxis von Weiterbildung um. Eine weitere Besonderheit, die der Autor zwar nicht explizit äussert, die aber im Duktus seiner Argumentation angelegt ist, besteht darin, dass mit dem zugleich undeutlichen und vielsagenden Begriff von "Transformation" trotz des Zurückweisens einer heute noch möglichen "Gesamtdiagnose" von Gesellschaft der Anspruch einer alle anderen "Zeitdiagnosen" zusammenfügenden Großdiagnose nahe gelegt wird: Was Risiko-, Wissens-, Arbeitsgesellschaft und alle anderen "Zeitdiagnosen" je für sich an aspekthaften Analysen vorlegen, kann tendentiell (aber erhellend?) unter "Transformation" gefasst werden. So bemerkt Schäffter etwa, dass "die Differenz konkurrierender Deutungen als die unentschiedene Gegebenheit genommen" werden könne, "aus deren produktivem Überschuss heraus sich ´Transformationsgesellschaft` als Voraussetzung ihrer vielfachen Möglichkeiten konstituiert" (S. 40). Das bleibt zwar recht unkonkret, legt aber nahe, dass der Surplus aus der Bündelung von Wissen, Arbeit, Risiko etc. eben etwas sich transformierendes sei. Und als Ferment dieses Wandels könne sich dann "Weiterbildung" verstehen als "konstitutiver Bestandteil der Transformationsgesellschaft" (S. 43). Transformation meint kurzgefasst die "Intensivierung ständigen Strukturwandels", in dem sehr verschiedene Prozesse zusammenkommen, sich überschneiden, "verstärken" und wiederum rückkoppeln (daher spricht Schäffter auch von "reflexiver Transformation", die er aber nicht mit Becks "reflexiver Moderne" vergleicht), woraus dann zwar in summa "Optionssteigerungen" resultierten (die erstaunlicherweise mit "Bildung" zu bearbeiten seien, S. 51 und 53), die sich aber nicht mehr ohne weiteres voraussehen lassen würden, also Ungewissheiten und Unsicherheiten im Hinblick auf Zukunft hervorbringen, die nur durch (nicht näher erläuterte) Bezüge auf "Wissen und Lernen" eingegrenzt werden können. Damit verknüpft seien sodann zwangsläufig auch pädagogische Konsequenzen insofern, als es zwischen diesem Strukturwandel und den gewohnten Weiterbildungsinstitutionalisierungen zu einem "gestörten Passungsverhältnis" käme (S. 47). Dies werfe dann die Frage nach dem spezifischen "Lernen in Transformationsprozessen" auf, provoziere eine "Neubestimmung der Funktion von Erwachsenenbildung und beruflicher Weiterbildung" und mache schließlich nichts weniger erforderlich als eine "pädagogische Theorie der Struktur-Evolution, der Entwicklung und der Transformation" (S. 47f.), in deren Rahmen Erwachsenenbildung/Weiterbildung "selbst zum symptomatischen Ausdruck eines dramatisch temporalisierten Epochenbewusstseins " werde (S. 49). Auf der Ebene von "Didaktisierung" entwirft Schäffter vier Modelle - Qualifizierungs-, Aufklärungs-, Suchbewegungs- und Selbstvergewisserungs-Modell -, die sich in ihrer Logik danach unterscheiden, welche Relationen zwischen Ausgangslage und Zielwert in Hinblick auf den Grad ihrer Bekanntheit bzw. Unbekanntheit bestehen (S. 54-63). Im Grunde korrespondiert nur das vierte Modell der "reflexiven Transformation", in dem sowohl die Ausgangslage wie der Zielwert unbekannt sind, der starken Beschreibung der "Zeitdiagnose Transformationsgesellschaft". Dies impliziert dann ein "Aufgabenverständnis" von Weiterbildung, dass sich als "Förderung von Selbstlernprozessen" versteht, jede "curriculare Verantwortung (..) für die persönlichen Lernziele und Inhaltsbereiche der Teilnehmer" ablehnt (S. 64), kurzum: sich nur noch einer "Positivierung des Unbestimmten" verpflichtet fühlt (S. 65). Schäffters Didaktisierung der Transformation in Lernarrangements wäre somit als Beispiel für Kades These vom Riskantwerden der Erwachsenenbildung selbst zu lesen.

Rudolf Tippelt und Manuela Petraß (S. 69-90) greifen den Topos der "Erlebnisgesellschaft", wie er von Schulze in die Diskussion gebracht worden ist, auf. Ihr Unternehmen, diese "Zeitdiagnose" auf Erwachsenenbildung zu übertragen, ist von Beginn an von Skepsis durchzogen. Der Verabschiedung bzw. Relativierung von sozialstrukturellen Analysekategorien zugunsten solcher, die die Ästhetisierung des Alltags in den Vordergrund rücken, können sie sich nur insoweit anschließen, als damit durchaus demonstriert zu werden vermag, dass es zwar Grenzen der Individualisierung gibt - Alltagsästhetisierung und Lebensstilisierung entlang von Erlebnismilieus können ohne soziale Gruppenzusammengehörigkeiten nicht stattfinden -, dass aber andererseits "Erlebnisgesellschaft" die ökonomische Seite des Lebens, Verelendungstendenzen, die materiellen Nöte vollkommen ignoriert. Durch Hinzufügung der Daten aus der SINUS-Studie und weiterer Informationen aus der entwickelten Lebensstilforschung (etwa Bourdieus) kommen die Autoren zu der Überzeugung, dass Ästhetisierungsprozesse von der Erwachsenenbildung dann fruchtbringend aufgegriffen und didaktisch umgesetzt werden können, wenn sie in den Horizont von "Geschmackskulturen", die man nicht unabhängig von Sozialisations- und Bildungsprozessen analysieren kann, eingerückt werden; hier könne man sehen, dass Milieustudien sozialisationstheoretische Lücken aufwiesen (empfohlen wird eine erneute Lektüre der klassischen Arbeit von Berger/Luckmann zur Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit), die Forschungsbedarf signalisieren. Hilfreich könne überdies sein, die in der Erwachsenenbildung schon fortgeschrittene Biographieforschung mit Milieustudien und Untersuchungen zu Geschmackskulturen zu verbinden. Was sich damit im Ergebnis aber zeigt, ist, dass "Erlebnisgesellschaft" als "Zeitdiagnose" allenfalls einen Impuls zu geben vermocht hat, sich in einem sozialwissenschaftlich umfassenderen Sinne mit kulturellen Milieus und deren Relevanz für Erwachsenenbildung zu beschäftigen: "Erlebnisgesellschaft" wird somit zeitdiagnostisch unerheblich.

Sigrid Nolda (S. 91-117) setzt sich mit der "Wissensgesellschaft" auseinander und bringt zunächst in Erinnerung, dass "Wissen" und "Wissenschaft" im Diskussionsraum der Erwachsenenbildung problematische Bezugspunkte bezeichnen, weil sie - und hier stimmt Nolda mit Kades "Wissensordnungen" überein - das Spannungsverhältnis von "Disziplin/Forschung" und "Praxis/Profession" tangieren. Diese Spannung hat auch die Rezeption des Topos von der "Wissensgesellschaft" in der Erwachsenenbildung beeinflusst. Nach einer Zusammenfassung der klassischen wissenschaftsgesellschaftlichen Arbeiten von Bell, Machlup und Stehr und unter Hervorhebung der immer deutlicher werdenden Relevanz "wissensbasierter Arbeit", S. 93), pointiert Nolda die doppelte Kontingenz, die in der "Wissensgesellschaft" steckt: nämlich die des Wissens selbst (je mehr Wissen wir produzieren, desto ungewisser wird dieses Wissen) und die der sozialen Beziehungen (je mehr kontingentes Wissen die Gesellschaft durchzieht, desto unsicherer werden auch die auf Wissen bauenden Beziehungen zwischen den Menschen). In gewissem Sinne hat die "Wissensgesellschaft" auf die Kontingenzsteigerung der beiden Pole - Produktion und Verwendung des Wissens - mit der Entstehung eines intermediären Wissenssektors reagiert: der Komunikation von Wissen über Wissen, die dem "knowledge worker" eigentümlich sei. Wissen sei mithin eine "Handlungsressource" (Stehr), in der sich auch Strukturen sozialer Ungleichheit einnisten, die sowohl weitere Risiken bergen wie auch neue Chancen offerieren. Insofern kann Nolda durchaus begründet davon ausgehen, dass nicht nur mit der Entstehung einer "selbstreferenziellen Wissenschaftsforschung", sondern auch mit der Entwicklung eines "systemtheoretisch inspirierten Begriffs Wissensgesellschaft" (Willke) konzeptuelle Überlagerungen einer Theorie der Wissensgesellschaft mit der reflexiven Modernisierung (inklusive Individualisierung und Pluralisierung) und der Risikogesellschaft eingetreten sind. Damit bröckeln zumindest im Hinblick auf drei "Zeitdiagnosen" die vermeintlich hohen Trennmauern zwischen Wissensgesellschaft, Risikogesellschaft und reflexive Moderne erkennbar und nachvollziehbar ab und auch Arbeitsgesellschaft, Erlebnisgesellschaft und Transformationsgesellschaft dürften sich bei gezielterer Analyse gegenüber den wissensgesellschaftlichen Theoremen nicht als so resistent erweisen, dass eine - wenn vielleicht auch nur mosaikartige - Zusammenführung ihrer je zentralen Annahmen - gerade im Hinsicht auf Konsequenzen für die Erwachsenenbildung - zu einer Zeitdiagnose aussichtslos erscheint; dies wäre auch dann als eine Kritik an der Vielfalt von "Zeitdiagnosen" zu verstehen. Das aber haben die Autoren im Sinne einer eigenständigen "Theoriebeobachtung" übersehen; Wittpoth greift den Gedanken als Anregung in seinem zusammenfassenden Artikel wenigstens auf (S. 176). Was die Verwendung der Begriffe des Wissens und der Wissensgesellschaft in der Erwachsenenbildung anbelangt, so muss Nolda konstatieren, dass überwiegend deren Schlag- und Reizwortcharakter präsent ist bzw. gar in der Stilisierung des Wissensbegriffs in seiner "naiven utilitaristischen" Lesart zu sorgenvollen Abwehren in der allgemeinen Erwachsenenbildung führt. In der forschenden Erwachsenenbildung hingegen habe man die - hauptsächlich in der Psychologie gewonnenen - Erkenntnisse zu Wissenserwerb und -vermittlung ignoriert und stattdessen soziologische Wissenskonzepte rezipiert, die wiederum nur geringe Resonanz in der Praxis gefunden hätten. Demgegenüber nun macht Nolda zwei Perspektiven, in denen produktiv mit Wissen/Wissensgesellschaft in der Erwachsenenbildung umgegangen werden könne, stark. Zum einen solle Erwachsenenbildung sich als "knowledge work" verstehen - damit könnten die in der Professionalisierungsdebatte gepflegten Selbstillusionierungen verabschiedet werden. Zum zweiten ginge es um eine zeitgemäße Ergänzung der "Adressaten-, Teilnehmer- und Unterrichtsforschung" durch "Wissensforschung", die sich besonders mit den zu vermittelnden Wissensinhalten zu befassen habe (S. 111). Auch an dieser Stelle wäre es innerhalb einer diskursiven Auseinandersetzung zwischen den "Zeitdiagnosen" gewiss weiterführend, wenn mit diesen beiden von Nolda pointierten Perspektiven die erwachsenenbildnerisch gewendeten Essentials der anderen "Zeitdiagnosen" in Beziehung gesetzt würden.

Peter Faulstich (S.118-138) hat die undankbare Aufgabe übernommen, die "Zeitdiagnose" der "Arbeitsgesellschaft", gegen die im Grunde sich all die anderen "Zeitdiagnosen" positioniert haben, nicht der Vergessenheit anheimfallen zu lassen. Ausgehend von der Diskrepanz, die nach Faulstich zwischen der Publizität des "Abschieds von der Arbeitsgesellschaft" und der Bedeutung von Arbeit bestehe, möchte er prüfen, welche Relevanz einem erweiterten und differenzierten Arbeitsbegriff als Grundlage von "Bildung" weiterhin zukommen könne. Wenn man den zeitgenössischen Wandel der Arbeit und die Historizität des Arbeitsbegriffs berücksichtigt - Faulstich spricht hier nur nebenbei von "Wissensarbeit" und von "Wissensgesellschaft" als einer "Variante der Arbeitsgesellschaft" (S. 124), ohne systematisch auf den Wissensbegriff einzugehen -, müsse man zwangsläufig für eine "Erweiterung des Arbeitsbegriffs" plädieren (S. 127-130) und könne dann auch "Arbeitsorientierung und Bildungskonzeption" zusammenfügen (S. 130-134). Im Gestus appelativ gibt sich dann auch die Verbindung von "Interessenorientierung des Lernens im Arbeitsbezug" (S. 134-136), denn über die Thematisierung von "Arbeitspolitik" als Zentrum von Bildungskonzeptionen wird ein Teilbereich traditioneller Erwachsenenbildung (Arbeiterbildung, gewerkschaftliche Bildungsarbeit und deren Aufhänger) zum Ganzen gegenwärtiger Erwachsenenbildung ausgedehnt. Hier hätte etwas mehr Berücksichtigung der Ungewissheits- und Unsicherheitsbedenken des von Schäffter präsentierten Transformationsansatzes gut getan. Der (intern) erweiterte Arbeitsbegriff (neben "Erwerbsarbeit" auch "Hausarbeit" oder "Eigenarbeit" zu berücksichtigen), bleibt plakativ und gewinnt analytisch kaum Schärfe; gleiches gilt von der (externen) Abgrenzung vom "Tätigkeitsbegriff", die in den einschlägigen Diskussionen bereits vor dreissig Jahren eingeführt worden ist und insofern kaum zeitdiagnostische Aktualität beanspruchen kann. Die "erhebliche Bedeutung" schließlich, die ein veränderter Arbeitsbegriff "für die Diskussion um Bildung" besitzen soll, führt bei Faulstich nicht über traditionelle Bildungssemantik hinaus und bleibt postulatorisch: "Das zentrale Bildungsproblem", so Faulstich (S. 136), "die Perspektive der Entfaltung von Persönlichkeit, ist gebunden an die Gewinnung zunehmender Souveränität in der Arbeit für das eigene Leben". Das Gewicht, das im Hinweis auf die "Umbrüche der Erwerbsarbeit" so schwer wog, löst sich angesichts des "zentralen Bildungsproblems" offensichtlich in das luftige Gebilde der Selbstarbeit auf. Sehr deutlich wird hier, dass die Rehabilitation der Bedeutung von "Arbeit" für die Erwachsenenbildung nach Ergänzung durch wissens- und risikogesellschaftliche, aber auch erlebnisgesellschaftliche Denkrichtungen - wenn sie auf die Ebene der Geschmackskulturen und der sozial-kulturellen Milieus bezogen werden - verlangt hätte.

Jürgen Wittpoth (S. 139-154) greift dann noch einmal die "Zeitdiagnose" der Reflexiven Moderne" gesondert heraus, um sie in ihrer Mehrdeutigkeit aufzuschlüsseln. Er gruppiert die drei möglichen Perspektiven je um einen Zentralbegriff: "Nebenfolgen" für Beck, "Tradition" für Giddens sowie "Mimesis" für Lash und gibt für sie "Anschlussmöglichkeiten des erwachsenenpädagogischen Diskurses" an: In Fortführung Beckscher Gedanken sei es geboten, sich mit den möglichen "Nebenfolgen institutionalisierter Weiterbildung" zu beschäftigen (S. 143); die Giddens´schen Voten für die Entscheidungsabhängigkeit des gesamten sozialen Lebens und die Besonderheiten des Expertenwissens legten der Erwachsenenbildung nahe, sich für die "Wiederaneignung des Expertenwissens" zu engagieren; und die von Lash herausgehobene um die "Zeichen" kreisende "ästhetische Reflexivität" müsse im Raum von Weiterbildungsinstitutionen auf deren eigentümliche "Inszenierungsformen" bezogen werden. So böten diese drei Ansätze "Reflexiver Modernisierung" trotz aller Unterschiedlichkeit Chancen einer "kritischen Betrachtung der Weiterbildung" (S. 152), die eingespielte Antworten auf den gesellschaftlichen Sinn von Weiterbildung und seine subjektiven Wahrnehmungsweisen (zumindest) irritieren könnten.

Abschließend widmet sich der Herausgeber zusammenfassend, kritisch und perspektivisch noch einmal den sechs vorgestellten "Zeitdiagnosen" und den Erträgen, die sie für die Erwachsenenbildung liefern (S. 155-178). Im einzelnen muss diese Lektüre hier nicht nachvollzogen werden, zumal kritische Anmerkungen zu den einzelnen Beiträgen im vorstehenden bereits artikuliert wurden. Wittpoth bekräftigt am Ende noch einmal seine Skepsis gegenüber dem wissenschaftlichen Gehalt von "Zeitdiagnosen" überhaupt und warnt die Erwachsenenbildung davor, sich vorbehaltlos dem "Sog" von deren "Ganzheits- und Neuigkeitsannahmen" auszuliefern (S. 173); doch ignorieren ließen sie sich ebenso wenig. Was also wäre eine angemessene Umgangsform mit "Zeitdiagnosen" - wenn es nicht Perspektive der Erwachsenenbildung sein könne (Wittpoth: "unrealistisch", S. 176), "Zeitdiagnosen" selbst zu produzieren? Es bliebe das zu tun, was keine "Zeitdiagnose" tun kann: Die Relationierung ihrer zentralen Konzepte und Kategorien mit denen der anderen "Zeitdiagnosen". Solche "Relationierungsarbeit" müsse die Erwachsenenbildung selbst leisten - und zwar durch "Forschungsfragen", die aus den eigentümlichen Arbeitsfeldern der Erwachsenenbildung entstünden. "Zeitdiagnosen" besäßen allenfalls "als Quellen der Inspiration" und "als Deutungs-Angebote" Wert. "Theoretische Mehrsprachigkeit" wäre dann der Preis, den nicht nur die erwachsenenbildnerische, sondern auch die "erziehungswissenschaftliche Reflexion" insgesamt - wie Wittpoth meint (S. 176) - zu entrichten hätte. - Schon längst aber - blickt man über den Rand des hier dargestellten Bandes hinaus - ist Babel zum Synonym für den erziehungswissenschaftlichen Diskurs geworden: vielleicht muss dies die Erwachsenenbildung erst noch registrieren.
Andreas von Prondczynsky (Flensburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Andreas von Prondczynsky: Rezension von: Wittpoth, Jürgen (Hg.): Erwachsenenbildung und Zeitdiagnose, Theoriebeobachtungen, Bielefeld: Bertelsmann Verlag 2001. In: EWR 1 (2002), Nr. 1 (Veröffentlicht am 01.01.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/76391831.html