EWR 2 (2003), Nr. 2 (März/April 2003)

Fritz Oser / Jürgen Oelkers (Hrsg.)
Die Wirksamkeit der Lehrerbildungssysteme
Von der Allrounderbildung zur Ausbildung professioneller Standards
Chur, Zürich: Rüegger 2001
(605 Seiten; ISBN 3-7253-0692-3; 47,20 EUR)
Die Wirksamkeit der Lehrerbildungssysteme Das Buch ist Ergebnis eines Projekts, das sich im Rahmen des Schweizerischen Nationalen Forschungsprogramms "Die Wirksamkeit unserer Bildungssysteme" mit Fragen des Erfolgs der Lehrerbildung beschäftigt hat. In seinen Erhebungen ist es auf den deutschsprachigen Teil der Schweiz beschränkt, in den Aussagen über die Wirksamkeit der Lehrerbildung aber reicht es deutlich darüber hinaus. Auch ist die Ähnlichkeit mit Ergebnissen der Lehrerbildungs-Forschung in Deutschland nicht zu übersehen, was auf die systematischen Probleme des Untersuchungsgegenstandes verweist.

Wirksamkeit und Wirkungen von Bildungsinstitutionen oder auch ‚nur‘ Ausbildungsanstrengungen zu erfassen, das weiß man, ist schwierig. Wie haben sich die Mitarbeiter des Projekts um Jürgen Olkers (Bern, jetzt Zürich) und Fritz Oser (Fribourg und Neuchatel) ihrem Gegenstand genähert, wie "Wirksamkeit" definiert, erforscht und schließlich analysiert?

Nach einer Einleitung (Teil 1) von Oser und Oelkers, die den Problemkreis Lehrerbildung erörtert, die Anlage des Projekts erklärt und die Einzelstudien vorstellt, werden zunächst die Motive und Voraussetzungen der Untersuchung benannt. Dabei geht es (Teil 2) zum einen um die historische Konstruktion "Lehrerbildung", die, wie Oelkers auf erhellende Weise herausarbeitet, "auf Wirksamkeit (zielt), ohne dass je kontrolliert worden wäre, was genau sie ausmacht" (61), und zum anderen, darauf aubauend, um die begriffliche Bestimmung von Wirksamkeit, die Oser auch mit "Qualität" übersetzt. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist, dass jede Überprüfung von Qualität ein bestimmtes Qualitätsverständnis voraussetzt, das aber – wie er an sieben Modellen für die Überprüfung von Wirksamkeit (71) zeigt - sehr verschieden sein kann.

Das Modell, das das Forschungsdesign stützt, wird als "Professionsgenerierungs-Modell" bezeichnet und damit von anderen wie z.B. dem "Unser-Ziel-Modell" oder dem "Andachtsmodell der Wirksamkeit", das sich auf "Schulkultur und Sozialklima" richte, abgegrenzt. Damit ist dann auch die Absicht benannt: Die Ergebnisse, auf die das Projekt abzielt, sind Standards oder auch Kompetenzen (Oser), die, aus der Evaluation von Bestehendem abgeleitet, in der Lehrerbildung angebahnt und entwickelt werden müssen und die den Gegebenheiten der Berufsarbeit von Lehrerinnen und Lehrern entsprechen sollen. Um diese Berufsarbeit zu charakterisieren, begibt sich Oser sprachlich auf medizinisches Terrain und bemüht den Begriff des "Emergency-Rooms". Der Begriff mag - v.a. auch in der Häufung und Varianz (als Emergency-Room-Situation, Emergency-Room-School oder Emergency-Room-Gegebenheit) sowie seiner zweifachen Bezugspunkte (Unterricht der Lehrer aber auch Ausbildung von Lehrern) - irritieren, ist aber zur Kennzeichnung der Gleichzeitigkeit von sehr verschiedenen, oftmals störenden Einflüssen auf unterrichtliches Handeln durchaus plausibel. Ob und wie angehende Lehrer auf dieses Phänomen vorbereitet werden und lernen, damit professionell umzugehen, steht im Mittelpunkt des Interesses.

Den 3. Teil (Anlagen und Befunde des Projekts) einleitend, erörtert Lucien Criblez zunächst das Forschungsfeld, für das er Heterogenität und Harmonisierungsbemühungen zugleich konstatiert. Vor dem Hintergrund, dass "Lehrerin oder Lehrer zu werden (...) in der Schweiz sehr Unterschiedliches bedeuten (kann)" (101), erhält die Frage nach der Wirksamkeit der Lehrerbildungssysteme noch einmal eine besondere Dimension. Bei der Erfassung von "Wirksamkeit" konzentrierte sich das Projekt darauf, in Erfahrung zu bringen, wie Studierende und Absolventen die jeweils erlebte Ausbildung im Hinblick auf die Herausforderungen des Unterrichtsalltags einschätzen. Das Mittel, um dies zu eruieren, waren Befragungen zu einzelnen Qualitätskriterien, die von der "Einschätzung der fachlichen Anforderungen (Über/Unterforderung)" über "Methodenkultur" und "Unterrichtsklima" bis zum "erwartete(n) Nutzen für die Unterrichtspraxis" (116) reichten. Es wurden demzufolge nicht die realisierten Kompetenzen, sondern Erinnerungen an die Qualität der Ausbildung erfasst. Trotz dieser forschungsmethodisch begründeten Einschränkung liegen interessante Ergebnisse vor, die die verschiedenen Optiken der Befragtengruppen zeigen. (Befragt wurden Studierende kurz vor sowie Lehrerinnen und Lehrer ein Jahr und zwei bis fünf Jahre nach Abschluss ihrer Ausbildung, desweiteren Ausbilder und Ausbilderinnen und verschiedene Akteure der Lehrerbildung: Erziehungsdirektoren, Leiterinnen von Lehrerbildungsinstitutionen und Einrichtungen der Kindergärtnerinnenausbildung, die in der Schweiz im Unterschied zu Deutschland zur Lehrerbildung gezählt werden.)

Obwohl viele Befunde vertraut wirken, verblüffen der empirische Rückhalt und die Deutlichkeit, mit der vor allem die kritischen Einschätzungen artikuliert werden, dann doch (z.B. "Alles, was nicht am kurzfristigen Bewältigen der Praxis orientiert ist, wird als unnütz und als Trödelei betrachtet", 171) - nicht zuletzt, weil die Differenz zur Qualitätseinschätzung durch die Ausbilder noch einmal besonders klar wird.

Ohne auf weitere Details einzugehen, sei damit angedeutet, dass sich das Lesen lohnt, zumal es nicht bei der Deskription bleibt, sondern die Rückbindung der Analysen an ein Strukturmodell diskutiert wird, das den Zusammenhang von Person, Organisation und Ausbildungsprozess (Martin Wild-Näf) zu erfassen sucht. Über die Befragungen der Lehrerinnen und Lehrer im Einzelnen berichtet Bernd Kersten; über die der Ausbilderinnen und Ausbilder wiederum Lucien Criblez, der neben Christine Hofer und Annette Gasser-Dutoit auch Mitautor des Kapitels über die Interviews mit Expertinnen und Experten der Lehrerbildung ist. Die Kapitel über die "Bedeutung von Motivation in der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung" (Christian Brühwiler) und über "Standards: Kompetenzen von Lehrpersonen" (Fritz Oser) widmen sich noch einmal spezifischen Aspekten des Themas, die am Ende mit Annahmen, Hoffnungen, Wünschen und Vorschlägen für eine Reform der Lehrerbildung verknüpft werden.

Von besonderem Interesse dürfte Osers Versuch sein, Standards für professionelles Handeln zu benennen, die begrifflich nicht allein für Kompetenzen stehen, sondern auch für deren optimale Erreichung. In dieser nicht unproblematischen, weil unscharfen Fassung des Begriffs werden Standards als eine besondere Qualität bezeichnet, die mehr oder weniger gut erreichbar ist (z.B. "Eine Leistung bewerten und sie fördernd zurückmelden", 217). Ermittelt wurden die in 12 Gruppen klassifizierten Standards wiederum per Befragungen und verschiedene Überprüfungen, wobei sich nicht klar erkennen lässt, wie durch Komplexitätsreduktion aller Nennungen im Ergebnis exakt 88 Standards übrig bleiben, von denen dann 30 in einer künftig modularisierten Lehrerbildung ausgebildet werden sollen.

Wenn das aktuelle Geschehen des Umbaus der Lehrerbildung an deutschen Universitäten nicht so ernst und so immens anstrengend wäre, könnte man versucht sein, sich zurückzulehnen, geht man doch hierzulande von ‚nur‘ fünf Kern-Kompetenzen des Lehrerberufs aus, die zu entwickeln schon schwer genug ist - was würde es bedeuten, sich das Sechsfache vorzunehmen! Doch, Ironie ist hier sicher nicht angebracht: Wie treffsicher auch immer die vorgeschlagenen Standards sein mögen, stellen sie doch den Versuch dar, Lehrerbildung nicht allein von Wünschen und normativen Zielsetzungen her zu betrachten, sondern konsequent von den Anforderungen des Berufs her zu denken. Inwiefern die Überlegungen, die in dem Projekt entwickelt wurden, Einfluss auf die derzeitige Neugestaltung der Lehrerbildung in der Schweiz, wie sie in der Errichtung von Pädagogischen Hochschulen zum Ausdruck kommt, haben und damit die "Überprüfung des Alten als Basis für Neues" (15 ff.) Früchte trägt, kann von hier aus nicht beurteilt werden. Anregend für ähnlich evaluativ angelegte Untersuchungen sind die vorgelegten Studien allemal, zumal sie mit der Diskrepanz von subjektiven Einschätzungen einer recht guten Ausbildung und dem gleichzeitigen Nichtausbilden notwendiger Kompetenzen vor Augen führen, dass "die Diskussion über Strukturen der Ausbildung nie fruchtbar sein kann, solange man nicht weiss, was die wichtigsten Ziele der Ausbildung überhaupt sind" (585). Mit diesem Fazit sind die Schweizer Kollegen dicht am Nerv der Zeit.
Heidemarie Kemnitz (Braunschweig/Berlin)
Zur Zitierweise der Rezension:
Heidemarie Kemnitz: Rezension von: Oser, Fritz / Oelkers, Jürgen (Hg.): Die Wirksamkeit der Lehrerbildungssysteme, Von der Allrounderbildung zur Ausbildung professioneller Standards, Chur, Zürich: Rüegger 2001. In: EWR 2 (2003), Nr. 2 (Veröffentlicht am 01.04.2003), URL: http://klinkhardt.de/ewr/72530692.html