EWR 6 (2007), Nr. 2 (März/April 2007)

Bruno Hamann
Bildungssystem und Lehrerbildung im Fokus aktueller Diskussionen
Bestandsaufnahme und Perspektiven
(Erziehungskonzeptionen und Praxis Bd. 67)
Frankfurt a.M.: Peter Lang 2006
(77 S.; ISBN 3-631-55788-4; 14,80 EUR)
Den Themen Bildungsniveau deutscher Schüler, Leistungsfähigkeit des Bildungssystems und Qualität der Lehrerbildung wurde in den letzten Jahren eine große öffentliche Aufmerksamkeit zu Teil. Die Diskussionen zu diesem Themenbündel sind bisher nicht zuletzt auch wegen der diesbezüglich geleisteten Forschungs- und Entwicklungsarbeit enorm facettenreich geworden. Populäre Massenmedien erhellen diese Themen allenfalls schlaglichtartig. Es ist relativ aufwendig, sich darüber hinausgehend zu informieren, da keine kurzen und kompakten Darstellungen existieren, welche die Aspekte des Reformdiskurses prägnant und qualifiziert aufarbeiten. Diese Lücke schließt nun die vorliegende Veröffentlichung Bruno Hamanns. Sie möchte Kernfragen des Problemkomplexes zeitgemäße Bildung, situative Gegebenheiten und Neuerungsbestrebungen im Bildungswesen aufgreifen und hierzu mit dem dezidierten Fokus auf Schul- und Lehrerbildung Überblicke bieten. Die Publikation richtet sich primär an all jene, die ein vertieftes Interesse an Bildungsfragen haben, allerdings keine Bildungs- oder Erziehungswissenschaftler im engeren Sinne sind – Studierende der Pädagogik, Lehrkräfte, Lehrerbildner, Schuladministratoren, Bildungspolitiker und interessierte Eltern.

Die Veröffentlichung wendet sich zunächst den Kennzeichen einer modernen Schulentwicklung zu. Sie geht dabei kritisch auf die Leistungsvergleichsstudie PISA ein, greift Gesichtspunkte einer qualitativen zukunftsfähigen Bildung auf und kreist lebensdienliche Schlüsselqualifikationen ein. In Verbindung mit dem Leitbild einer zukunftsgerichteten Schule werden Tendenzen der Schulentwicklung und Qualitätsmerkmale thematisiert – z.B. mehr Eigenverantwortung, weniger Hierarchien, weniger Bürokratie und ein größerer Gestaltungswille der Akteure. Aus diesem Leitbild ergeben sich Schlussfolgerungen für die Qualifizierung der Lehrenden, welche zusammenfassend dargestellt, dann in den folgenden beiden Kapiteln teilweise wieder aufgenommen und vertieft werden.

Dort wird der Lesende über Problemfelder und Entwicklungen in den drei Bereichen der Lehrerbildung – Aus-, Fort- und Weiterbildung – informiert. Relativ detailliert sind die Einzelkomponenten des Lehramtsstudiums – Fachwissenschaft, Fachdidaktik, Erziehungswissenschaft und Schulpraxis – sowie einzelne Kompetenzbereiche und Standardisierungstendenzen ausgeführt. Die Veröffentlichung zeigt, dass in den letzten Jahren viel Bewegung in den lange vernachlässigten Fort- und Weiterbildungsbereich gekommen ist. Wichtige Trends sind hier z.B. die Gestaltung der Berufseingangsphase, die Qualifizierung von Seiteneinsteigern, der Aufbau von Moderatorensystemen oder die Entwicklung netzbasierter Angebote. Die Publikation arbeitet das derzeit verbreitete übergreifende Bemühen heraus, die gesamte Lehrerbildung stärker an der Lehrerprofessionalität auszurichten und insgesamt effektiver zu gestalten. Diese Lehrerprofessionalität wird dann im vierten Kapitel unter Rückgriff auf aktuelle kategoriale Kompetenzkonzepte weiter vertieft. Zentrale Entwicklungstendenzen sind die Etablierung von Standards für professionelles Handeln und die damit in Verbindung stehende Erarbeitung von Kernlehrplänen für die Lehrerbildung.

Ausgehend von der Reflexion über eine zeitgemäße Bildung erörtert der Autor im letzten Kapitel die Effektivität des Schulsystems, Gestaltungsfaktoren der Schulqualität und Determinanten der Schulleistungen von Schülern. Dann werden Koordinaten einer neuen Lernkultur ausgewiesen, in deren Kontext als zentrales Bildungsziel Lernfähigkeit zu realisieren ist.

Hamanns Veröffentlichung ist eine um Überblick über die Reformtendenzen bemühte Skizze und als solche wird sie ihrem im Vorwort artikulierten Anspruch durchaus gerecht. Es wird die Anstrengung erkennbar, aus einem extrem weit gefassten und hoch komplexen Feld situative Gegebenheiten und zentrale Neuerungsbestrebungen herauszukristallisieren. Im Interesse der Verständlichkeit des Gesamtkomplexes gegenwärtiger Entwicklungen können stärkere Bezüge der Kapitel aufeinander als wünschenswert empfunden werden. Unter dem Anspruch einer Analyse wirkt Hamanns Veröffentlichung partiell etwas zu unkritisch. So können z.B. im Hinblick auf die Themen Effizienz, Standardisierung oder Kompetenzorientierung, die sich an verschiedenen Stellen der Veröffentlichung sehr neutral vermitteln, Verweise auf kritische Positionen vermisst werden, die einer „Ökonomisierung“ des Bildungssystems oder „technokratischen Umsteuerungsversuchen“ Skepsis entgegenbringen und welche die gegenwärtigen Reformtendenzen nicht vordergründig nur von Motiven der Qualitätsverbesserung getragen sehen. Auch Hamanns Ausführungen zur Lehrerausbildung nehmen leider etwas zu wenig Bezug auf die Implementierung des BA/MA-Systems und gehen zu wenig auf den Vorbereitungsdienst ein.

Insgesamt liegt die eigentliche Leistung der Veröffentlichung sicherlich nicht in einer Überprüfung bzw. kritischen Analyse, wie dies etwa auf der Rückseite ihres Einbandes angedeutet wird, sondern darin, der interessierten Öffentlichkeit in attraktiver Kürze eine Zusammenschau über die gegenwärtigen Entwicklungen im Bildungssektor zu bieten und Argumentationsmaterial an die Hand zu geben. Die Veröffentlichung Hamanns stellt somit einen dringend benötigten Beitrag zur Qualifizierung des öffentlichen Diskurses über Bildungsfragen und zur Partizipation der Öffentlichkeit an Bildungsreformen dar.
Jörn Schützenmeister (Münster)
Zur Zitierweise der Rezension:
Jörn SchĂĽtzenmeister: Rezension von: Hamann, Bruno: Bildungssystem und Lehrerbildung im Fokus aktueller Diskussionen, Bestandsaufnahme und Perspektiven (Erziehungskonzeptionen und Praxis Bd. 67). Frankfurt am Main: Verlag Peter Lang 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 2 (Veröffentlicht am 28.03.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/63155788.html