
Das Ziel des BVJ, von der Soziologin Heike Solga prägnant als „Rückkehr in die Normalbiographie“ bezeichnet, soll den Anschluss an bzw. Einstieg in die Berufsausbildung als Voraussetzung eines Zugangs zur Arbeitswelt ermöglichen. Eine kurzfristige „Auszeit“ soll sinnvoll genutzt und damit die qualifikatorischen und motivationalen Voraussetzungen für eine Bildungs- und Erwerbskarriere eröffnet werden. Dieses als kompensatorische schulische Maßnahme gedachte Konzept hat sich, so Stephan Schumann einleitend, zu einem Parallelsystem entwickelt, zumal in den neuen Bundesländern das betriebliche Lehrstellenangebot spärlich bleibt und auch in den anderen ein Rückgang zu beobachten ist.
Die Auswertung der sekundärstatistischen Befunde wie auch der eigenen erhobenen Daten belegen, dass dieses Ziel nur ansatzweise gelingt: Nur gerade - oder anders betrachtet immerhin – weniger als der Hälfte der Jugendlichen gelingt eine nachhaltige Eingliederung in eine Berufsausbildung. Vier von fünf Befragten verfügen über „strukturbezogene Brucherfahrungen“, sprich sie mussten bereits vor dem BVJ mindestens eine Klasse wiederholen oder aber wurden in einen anderen Schultypus abgestuft. Das Mehr an Zeit in der Schullaufbahn vor dem BVJ gestattet einem beträchtlichen Teil zumindest auf der Ebene der Zertifikate einen Schulabschluss nachzuholen. Der Warteschleifen-Charakter der Maßnahme allerdings wird gleichsam verstärkt und setzt sich in der Regel fort. Dies begründet sich mit einem knappen (etwa 3 monatigen) Zeitfensters, in welchem nach Abschluss ein Einstieg gefunden werden muss, ehe ein neues Schuljahr beginnt. Findet ein Jugendlicher keinen Ausbildungsplatz so bleibt ihr oder ihm der Weg in die Arbeitslosigkeit oder eine erneute einjährige Warteschlaufe nicht erspart. Aber selbst diejenigen, die den Transit in einen beruflichen Ausbildungsgang schaffen, verbleiben größtenteils in einer außerbetrieblichen bzw. vollzeitschulischen Ausbildung und damit wird die Übergangproblematik nicht aufgehoben. Angesichts hoher Standardisierung und beruflicher Spezifität eröffnet sich für die Erfolg- oder Glücklosen in der Regel eine Zukunft als Jobber in prekärer Stellung mit hohem Risiko von Arbeitslosigkeitsphasen. Der Autor fragt auch nach soziokulturellen Erklärungsmerkmalen. Hier wird insbesondere deutlich, dass der Migrationshintergrund nicht im allgemeinbildenden vorgängigen Schulsystem bedeutsam ist, jedoch nach dem Schulabgang im Zeitverlauf zunehmend hinsichtlich Erfolgschancen negativ zu Buche schlägt.
Die Studie von Stephan Schumann gibt also vertieften Einblick in einen Bereich der Berufsbildung und ihre schulsystemischen Zubringer, der gekennzeichnet ist durch bildungsbiographische Brüche und Misserfolge. Jugendliche vor Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit zu bewahren, ist nicht nur ein Thematik die durch internationale Erhebungen wie PISA für so benannte Risikogruppen identifiziert wurde, sondern in der Fortsetzung eine Problematik, die eine Flexibilisierung des Übergangs – z.B. durch Modularisierung und curriculare Neugestaltung von zertifizierbaren Bausteinen nahe legt.
Die Arbeit überzeugt durch ihre sorgfältige Analyse und Reflexion des Untersuchungsvorgehens, ihre methodische Differenziertheit und umsichtige Entfaltung der Argumentation. Nicht eingehalten ist leider die Ankündigung, dass der Fragebogen und das Codesystem im Anhang einsehbar sei (161, Fußnote). In der vorliegenden gedruckten Fassung der Dissertation ist sie nicht auffindbar, was insofern schade ist, als die ansprechende Auseinandersetzung hinsichtlich empirischer Methode und Analyse für Interessierte transparenter geworden wäre. Der gut lesbaren Untersuchung und klaren Gliederung tut dies allerdings keinen Abbruch.