Das Buch versteht sich als ein Beitrag zur Debatte um eine Neubestimmung des Zusammenhangs von schulischer und außerschulischer Pädagogik. Ein wesentlicher Beitrag des Buches besteht darin, dass bisher weitgehend defizitorientierte Verhältnis zwischen Schule und Pädagogik auf eine positive Grundlage zu stellen und dieses bedeutet für Coelen: eine Gemeinsamkeit des Sozialraumes, einer daran gebundenen Identität und des daraus erwachsenen gemeinsamen Bildungsauftrages. Auf dieser Grundlage entwickelt er das Konzept einer kommunalen Jugendbildung als gemeinsamer Basis und Aufgabe schulischer und außerschulischer Pädagogik.
In einem ausgefeilten historischen Exkurs entwirft Thomas Coelen die gesellschafts- und bildungstheoretischen Grundlagen von außerschulischer und schulischer Pädagogik: Unter der Überschrift "Haben Jugendarbeit und Schule ein Verhältnis?" begründet er die systemischen Unterschiede zwischen Jugendarbeit und Schule aus der jeweiligen Entwicklung der Institution. John Deweys "Idee der Schule" wird ebenso rekonstruiert wie Gertrud Bäumers Begriff der Sozialpädagogik. Unter dem Stichwort "Traditionslinien" wird auch auf das Bildungssystem der DDR eingegangen – ein sehr interessanter Einblick in ein völlig anderes Mit- und Nebeneinander von Sozialpädagogik und Schule, das bis heute in den neuen Bundesländern eine gewisse Wirkung hat.
Nach diesem historischen Diskurs, der auch die Entwicklung der Schulsozialarbeit aufzeigt, wird die aktuelle schulpädagogische Diskussion beschrieben mit den wichtigen Begriffen der Schulentwicklung und der Öffnung von Schule. Der Blick in die Jugendhilfe stellt dann schulbezogene Formen der Jugendhilfe vor, aber auch die Jugendarbeit, Jugendverbandsarbeit etc. Kritisch geht Coelen mit den zahlreichen Kooperationsprojekten zwischen Schule und Jugendhilfe um, die allesamt das Dilemma der Sozialpädagogik übernehmen: "Für Probleme zuständig zu sein und auf Grund dessen allzu oft für diese zuständig gemacht zu werden."
Coelen beschreibt danach interessante Analogien in der Fachdiskussion in außerschulischer und schulischer Pädagogik: So zieht er etwa Verbindungen zwischen Konzepten der Öffnung von Schule und einer sozialräumlichen Jugendarbeit. Er stellt fest, dass "Jugendarbeit und Schule in unterschiedlichen Ausprägungen die Ansprüche auf Gemeinschaft und Gerechtigkeit verkörpern, aber in der Umsetzung genau dieser Ansprüche auch ihre jeweiligen Mängel liegen." Er beschreibt genau die Differenz einer auf Freiwilligkeit orientierten außerschulischen Pädagogik, die dem Muster der Integration folgt und einer auf Pflicht basierenden schulischen Pädagogik, die dem Muster der Selektion gesellschaftlich verhaftet ist.
In beiden Bereichen haben sich gemeinwesenbezogene Orientierungen entwickelt, die von Coelen unter dem Stichwort der "Kommunalpädagogik" aufeinander bezogen werden. Der von Helmut Richter stammende Ansatz versucht, den Kontrast zwischen Politik und Pädagogik "als Differenz von Handlungszwang und Handlungspause zu übersetzen." Dieser interessante Ansatz wirkt allerdings etwas unvermittelt und bestärkt den Eindruck, der an einigen Stellen des Buches entstehen kann: Verwirrung! Dies ist sicher eine Kehrseite einer hochlaborierten, theoretisch in zahlreiche Richtungen ausgewiesenen Dissertation, die es einem eher auf Praxiskonzepte orientierten Leser an manchen Stellen sehr schwer macht.
Die auf der Grundlage des Zusammenhangs von Identität und Raum gewonnene Perspektive einer Identitätsbildung in "kommunaler Öffentlichkeit" dient schließlich als Grundlage des relativ übersichtlichen empirischen Teils, der aus "handlungsentlasteten Einzel- und Gruppengesprächen" in Institutionen der Jugendarbeit und Schule im Hamburger Stadtteil Horn besteht. Das Ziel dieser Forschungsmethode der "Handlungspausenforschung" ist die Motivierung einer kommunalen Öffentlichkeit mittels diskursiver Interviews und deren argumentativer Validierung.
Wohlwissend um das hohe Niveau und die Schwierigkeit der Lesbarkeit seiner Argumentation baut Coelen an vielen Stellen Zusammenfassungen ein. Am Schluss fasst er nicht nur seine gesamten Argumentationslinien zusammen, sondern gibt auch einen Ausblick auf sein Konzept "kommunaler Jugendbildung als gemeinsamer Basis und Aufgabe schulischer und außerschulischer Pädagogik." Hier entwickelt er sein Konzept kommunaler Jugendbildung als Segment einer Kommunalpädagogik in arbeitsteiliger Trägerschaft. In diesem Modell verbinden sich außerschulische und schulische Pädagogik in einer praktischen Zusammenarbeit, in der "vormittags der verpflichtende Schulunterricht stattfindet und am späteren Nachmittag die freiwillige Offene Jugendarbeit." In der Zwischenzeit – so der Vorschlag Coelens – würden in den Räumen von Jugendeinrichtungen bzw. Vereinen und Verbänden Mittagessen, Freizeitmöglichkeiten und Hausaufgabenbetreuung angeboten. Gerade diese "Mittagsangebote" sieht er als gemeinsame Brücke zwischen Jugendarbeit und Schule. Verdienstvoll ist seine Forderung nach einer Umverteilung außerunterrichtlicher Ressourcen, über die eine strukturelle Brücke zwischen Jugendarbeit und Schule gebildet werden können. Aber Jugendhilfe bzw. außerschulische Pädagogik wird in diesem Kontext oft auf Jugendarbeit reduziert. Die Frage ist: wo bleiben die anderen Bereiche der Jugendhilfe wie die Hilfen zur Erziehung, Kindergarten, Tagesstättenbereich etc., die große Felder der außerschulischen Pädagogik darstellen. Insofern ist es etwas unschlüssig und unzulässig, dass Coelen hier allzu schnell die außerschulische Pädagogik auf Jugendarbeit reduziert.
Fazit: Ein anstrengendes und anspruchsvolles Buch mit vielen theoretisch interessanten und praktischen Facetten, das einen Beitrag zur Entwicklung eines neuen Verhältnisses zwischen schulischer und außerschulischer Pädagogik liefert.
EWR 1 (2002), Nr. 5 (Oktober - Dezember 2002)
Kommunale Jugendbildung
Raumbezogene Identitätsbildung zwischen Schule und Jugendarbeit
Frankfurt/M. u.a.: Peter Lang 2002
(313 Seiten; ISBN 3-631-38711-3; 45,50 EUR)
Ulrich Deinet (MĂĽnster)
Zur Zitierweise der Rezension:
Ulrich Deinet: Rezension von: Coelen, Thomas: Kommunale Jugendbildung, Raumbezogene Identitätsbildung zwischen Schule und Jugendarbeit, Frankfurt/M. u.a.: Peter Lang 2002. In: EWR 1 (2002), Nr. 5 (Veröffentlicht am 01.12.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/63138711.html
Ulrich Deinet: Rezension von: Coelen, Thomas: Kommunale Jugendbildung, Raumbezogene Identitätsbildung zwischen Schule und Jugendarbeit, Frankfurt/M. u.a.: Peter Lang 2002. In: EWR 1 (2002), Nr. 5 (Veröffentlicht am 01.12.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/63138711.html