Die vorliegende Dissertation von Iris Schröder unternimmt den Versuch, die Aktivitäten der ersten deutschen Frauenbewegung im Bereich der Sozialen Arbeit in den Gesamtrahmen bürgerlicher Reformprojekte einzuordnen. Zentral für den spezifischen Beitrag zu diesem Projekt ist nach Schröder die Kritik an einer versteckt parteiischen Auslegung des "Gemeinwohls", das durch Arbeiten für das "Frauenwohl" ergänzt werden sollte, sowie die Absicht, "Klassensolidarität" durch die "Geschlechtersolidarität" zu ergänzen.
Im ersten Teil der Studie stellt die Autorin zunächst die einzelnen Reformprojekte vor: die Hauspflegevereine, die Rechtsschutzstellen, die Arbeiterinnenklubs, die Vereine für Familien- und Volkserziehung und Frauengewerbevereine. Dabei vertritt sie u.a. die These, dass sich im Rahmen dieser Projekte die Grenzlinie zwischen den sog. "gemäßigten" und den "radikalen" aufhob und die Frauenbewegung (um 1900) zu einer eigenständigen sozialen Bewegung wurde, die in der bisherigen Geschichtsforschung zu Unrecht als "konservativ" abqualifiziert wurde (vgl. S. 54). Die Autorin arbeitet in ihrer intensiven Quellenanalyse heraus, dass die Protagonistinnen der sozialen Reformprojekte diese nicht als "Caritas" von oben herab konzipierten, sondern dass sie ihre Arbeit als einen gegenseitigen Erziehungs- und Bildungsprozess zwischen Hilfesuchenden und Helferinnen sahen (S. 81), deren Notwendigkeit aus der kritischen Sicht auf die eigene bürgerliche Herkunft entstand.
In ihrem zweiten Abschnitt weist die Autorin exemplarisch anhand von Quellen aus Frankfurt, Leipzig und Berlin nach, wie unterschiedlich und damit wie willkürlich den Frauen der offizielle Zugang zur Sozialen Arbeit – in Gestalt des Ehrenamts des Armenpflegers - versperrt wurde. Auch bei diesen Kämpfen war die Kritik der Frauen an der Anmaßung von Männern, sich in den "weiblichen" häuslichen Bereich einzumischen, zentral, vor allem, weil die Unterstützten fast ausschließlich Frauen waren.
Im dritten Teil führt Schröder aus, wie das Erstarken konfessioneller Frauenbünde die Reformprojekte abbremste, indem zuvor überwundene Unterschiede zwischen Frauen neu betont wurden. Anschließend wird das Experiment der sozialen Frauenbildung als das zentrale Bildungsprojekt der Frauenbewegung dargestellt und in einem letzten Schritt die Grundsatzkonflikte zwischen Frauenbewegung und Sozialreform vorgestellt (Erwerbsberuf contra Freiwilligkeit).
So treffend die Historikerin Schröder das Projekt der feministischen Sozialreform auch skizziert, so hätte die Interpretation von zwei Konfliktlinien zugespitzt werden können, um hier einen Erkenntnisgewinn für die sozialpädagogische Disziplin zu erzielen: erstens war die Kritik der jüngeren Sozialarbeiterinnen am politisch motivierten Ehrenamt um 1914 nicht nur ein Generationenkonflikt, sondern vor allem dem Umstand geschuldet, dass die Frauen sozusagen "den Marsch durch die Institutionen" antraten. Auf dem Weg von der politischen Initiative zur sozialpädagogischen Institution geschieht notwendigerweise eine fachliche Einbindung, und damit ist meist eine Entpolitisierung der Bewegung verbunden. Ähnliches hat die Frauenhausbewegung etwa 70 Jahre später erlebt.
Zweitens ist das Festhalten von Alice Salomon und anderen an Bereichen ehrenamtlicher sozialer Arbeit durchaus weitsichtig gewesen: heute würde niemand mehr die Bedeutung des Ehrenamtes in Zweifel ziehen. Die damals angeführten Argumente sind – trotz der Ambivalenz, die die Koexistenz von professioneller und ehreamtlicher Arbeit mit sich bringt – bis heute überzeugend. Danach hatte die ehrenamtliche Arbeit dort ihren Platz, wo neue Notstände entstanden sind und wo die Soziale Arbeit als innovativer Motor zur weiteren Entwicklung des Sozialstaates auftritt.
Insgesamt ist die Arbeit von Schröder eine lesenswerte Aufarbeitung und Zusammenfassung von Quellen des sozialreformerischen Flügels der Frauenbewegung und ein weiterer überzeugender Beitrag zur Widerlegung der These von ihrem angeblich "eigentümlich konservativen Emanzipationsideal" (Sachße).
EWR 1 (2002), Nr. 1 (Januar bis März 2002)
Arbeiten für eine bessere Welt
Frauenbewegung und Sozialreform 1890 - 1914
Frankfurt/M. u.a.: Campus 2001
(368 Seiten; ISBN 3-593-36783-1; 39,90 EUR)
Carola Kuhlmann (Münster)
Zur Zitierweise der Rezension:
Carola Kuhlmann: Rezension von: Schröder, Iris: Arbeiten für eine bessere Welt, Frauenbewegung und Sozialreform 1890 - 1914, Frankfurt/M. u.a.: Campus 2001. In: EWR 1 (2002), Nr. 1 (Veröffentlicht am 01.01.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/59336783.html
Carola Kuhlmann: Rezension von: Schröder, Iris: Arbeiten für eine bessere Welt, Frauenbewegung und Sozialreform 1890 - 1914, Frankfurt/M. u.a.: Campus 2001. In: EWR 1 (2002), Nr. 1 (Veröffentlicht am 01.01.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/59336783.html