Erstens soll in den Begriff sowie in die Methoden der Hermeneutik eingeführt werden.
Zweitens sollen Forschungserfahrungen mit der Intention präsentiert werden, die "besondere Feinheit des Geistes" (Gadamer) (wieder) zu schulen.
Schon im Vorwort distanzieren sich die Autoren Rittelmeyer und Parmentier von einem hermeneutischen Methodenverständnis, das in technischer Manier einem Reglement folgt. Vielmehr verlange Hermeneutik die Schulung eines integrativen Urteilsvermögens und befände sich damit in direkter Analogie zum pädagogischen Takt, durch den bekanntlich Herbart die Vermittlung von Theorie und Praxis in der Pädagogik zu erfassen suchte. Hermeneutikschulung als Sensibilisierung zur Bewältigung pädagogischer Situativität - ein nachdenkenswerter Ansatz!
Wohltuend ist dann auch zu konstatieren, daß zur Beantwortung der Frage, was Hermeneutik sei, viele Interpretationsbeispiele gegeben und zur Schulung geistiger Verfeinerung dem Nachvollzug anheim gestellt werden.
Ob dies aber schon reicht, dem hermeneutischen Anfänger - und für diesen soll ja wohl eine Einführung geschrieben werden – einen Einblick in Geschichte und Richtungen der Hermeneutik zu geben? Sicher führt Christian Rittelmeyer sehr anschaulich in die Ursprünge antiker und theologisch-mittelalterlicher Hermeneutik ein. Spätestens aber bei den lebensphilosophischen Quellen der Hermeneutik des 19. und 20sten Jahrhunderts wird es für den Anfänger eng: Dort werden auf ca. 25 Zeilen Dilthey, Heidegger, Gadamer, Rorty und Derrida abgehandelt (vgl. S. 15f) – Wilhelm Dilthey kommt übrigens im Literaturverzeichnis nicht vor – Schleiermacher wird am Rande erwähnt, aber in keiner Weise dargelegt. Darüber hinaus ist es zumindest verwirrend, wenn ein Begriff wie "Tiefenhermeneutik", im Anschluß an Gadamers "Wahrheit und Methode", im Sinne von tiefer gehenden Analysen verwendet wird (vgl. S. 41) - aber die explizite Einordnung zu psychoanalytischen Interpretationsverfahren vollkommen fehlt.
Bei der Darstellung der unterschiedlichen Forschungsansätze (gegenwärtiger) Hermeneutik dürften es ferner die Vertreter der Biographieforschung nur schwerlich bejahen, wenn sie unter der Rubrik Jugendforschung/Sozialpädagogik geführt werden, der ganze Bezug zur Bildungstheorie und –forschung aber unerwähnt bleibt.
Nach dieser allgemeinen Einführung, die so nur bedingt eine ist, werden drei Forschungsbereiche pädagogischer Hermeneutik an Beispielen vorgestellt:
- Texthermeneutik
- Bildhermeneutik
- Dinghermeneutik
Dann folgt durch Michael Parmentier die Dinghermeneutik am Beispiel. Wo aber sind nun die fünf Interpretationsschritte, wird sich der nun schon sensibilisierte Leser fragen? Darauf findet er aber keine Antwort, denn Michael Parmentier geht auf seine Weise vor, ohne direkte Bezüge oder Abgrenzungen zu Vorausgegangenem vorzunehmen. Genau genommen, ist auf den in die Dinghermeneutik einführenden Seiten überhaupt nicht die Rede von Hermeneutik – eher von Semiologie bzw. vom Dingverstehen als "eine Form der aufdeckenden Archäologie" (S. 111) – armer hermeneutischer Anfänger! Da hilft es dann auch wenig, wenn am Schluß des Buches Wolfgang Klafkis Aufsatz: "Hermeneutische Verfahren in der Erziehungswissenschaft" von 1971 wieder abgedruckt wird. Die hier gegebenen Beispiele aus der Bildungsdiskussion der 60iger Jahre dürften zumindest den jungen Leser von heute irritieren. Insbesondere problematisch für eine Einführung ist es aber, daß Klafkis Aufsatz kommentarlos auf die Dinghermeneutik Michael Parmentiers folgt – Sinn und Zusammenhang bleiben auch hier wieder völlig ungeklärt.
Hätten die Autoren Christian Rittelmeyer und Michael Parmentier ihre hermeneutischen Forschungsbeispiele unter dem Titel "Aktuelle Topoi hermeneutischer Reflexion in der Erziehungswissenschaft" veröffentlicht – und sich den Nachdruck von Klafkis Aufsatz geschenkt – wäre diese Publikation als anregend zu bejahen – als Einführung ist sie methodisch verwirrend und begriffsgeschichtlich unzureichend erschließend.