Die Arbeit gliedert sich in vier GroĂźkapitel. In einem ersten Teil zur Lehrerbildung in Deutschland und Ungarn
- skizziert Andrea Óhidy das deutsche Bildungswesen. Ewald Terhart stellt Problemfelder der Lehrerbildung in Deutschland und mögliche Lösungswege vor;
- umreiĂźt Andrea Ă“hidy auch das ungarische Bildungssystem. Die offenen Fragen um die ungarische Lehrerbildung werden von JĂłzsef Zsolnai thematisiert;
- vergleicht Gabriella Bikics konsequent beide Lehrerbildungs-Systeme und zeigt Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede auf.
- zeichnet Hermann Giesecke ein Idealbild des Lehrers in Deutschland. Exemplarisch erläutern ihr Begründer, Hartmut von Hentig, und Wiltrud Döpp das Lehrerbild der Bielefelder Laborschule;
- stellt korrespondierend dazu Zoltán Poór den „idealen Lehrer“ aus ungarischer Sicht vor. Gründervater József Zsolnai und Éva Kiss geben Einblick in das Lehrerbild des ungarischen ÉKP-Programms („Pädagogik der Wertevermittlung und Fähigkeitsförderung“);
- werden beide Lehrerbilder zuletzt von Dietrich Lemke miteinander verglichen.
- wird von Andreas Bergheim mit einer Skizze der nordrhein-westfälischen Situation der Praxishasen an den Universitäten eröffnet und um einen Beitrag von Franz-Josef Bölting und Stephan Thomas zur Struktur, den Vorteilen und Problemen der zweiten Phase ergänzt;
- stellt parallel dazu die ungarische Situation an der Universität (Lenke Kocsis Fábiánné) und die Praxisphasen in der Lehrerausbildung (Márta Lóczi) vor.
- wird von Volker Möhle Länder vergleichend resümiert.
- In die wichtigsten Zielsetzungen des Bologna-Prozesses wird von Kerstin Wedekämper eingeführt.
- Dagmar Hänsel zeigt am „Bielefelder Modell“ den Umgang mit der Erklärung.
- Die wesentlichen Kritikpunkte von „Bologna“ aus deutscher Sicht werden durch Dietrich Lemke zusammengefasst.
- Endre Barkó versucht zu klären, ob im Anschluss an Bologna eine einheitliche und zweistufige Struktur der Lehrerbildung und bildungspolitische Zielsetzungen vereinbar sind.
- Die Auswirkungen von „Bologna“ in Ungarn beschreibt Mária Mátyási.
- Cecilia Tusi diskutiert vergleichend die beobachteten Veränderungen.
Die deutsche und ungarische Lehrerbildung haben im Kern ihre vier inhaltlichen Hauptelemente gemeinsam: fachwissenschaftliche, erziehungswissenschaftliche und fachdidaktische Studien sowie das Schulpraktikum. Während sich in Deutschland jedoch ein zweiphasiges Ausbildungsmodell etabliert hat, bedeutet der Bologna-Prozess für das ungarische System eine erhebliche Herausforderung: Die Lehrerbildung ist hier traditionell einphasig und muss nun auf das europäisch einheitliche Zweiphasenmodell umgestellt werden (116). Die schulpraktische Ausbildung ist in Deutschland stark reflexiv, während in Ungarn ein vorbildorientiertes Lernen in Ausbildungsschulen dominiert. Zugleich stellt sich in beiden Ländern die Frage nach der systematischen Qualifikation der Praxisausbilder, die meist entweder Dozenten mit wenig eigener Schulerfahrung sind oder aber Praktiker ohne besondere wissenschaftliche Qualifikation (118). Die deutsche Ausbildung legt insgesamt größeren Wert auf das Erlernen einer vielfältigen Unterrichtsmethodik. Die in Ungarn durchschnittlich jüngeren Referendare stehen in ihrer Anwärterzeit unter geringerem Leistungsdruck und werden besser benotet.
Der Versuch, ein „Normalbild“ der Lehrerschaft in Deutschland und Ungarn zu zeichnen, ist aufgrund der Differenzen in der Auffassung der Lehrerrolle auf individueller Ebene, auf Ebene der Einzelschulen und schließlich auch zwischen den Schulformen kaum möglich. Am ehesten lässt sich das Lehrerbild aus erziehungswissenschaftlicher Sicht insgesamt wohl als dominant, stoffzentriert und unflexibel beschreiben (179). Die Lehrkräfte der Bielefelder Laborschule, wie auch jene im ungarischen ÉKP-Programm, lassen sich durch die Gemeinsamkeit der Hinwendung zu einer induktiven Unterrichtsmethodik und einer Schüler unterstützenden Grundeinstellung charakterisieren. Die ungarischen Lehrpersonen werden jedoch – und dies wird von Dietrich Lemke als bemerkenswerter Vorteil gesehen – in nicht zu engen Fachgrenzen, wohl aber mit einer fächerübergreifenden Perspektive ausgebildet, die zu einem pädagogisch motivierten Denken anleitet (183).
Die ungarische Universität versteht sich mehr als die deutschen Hochschulen auch als Einrichtung der Weiterbildung und damit zugleich als Institution der Erwachsenenbildung. Jenseits dieses strukturellen Unterschiedes zeigen sich, gerade aufgrund des Bologna-Prozesses, aber auch deutliche Gemeinsamkeiten (241): Die Studiengänge werden modularisiert, es finden (mehr) studienbegleitende Prüfungen statt, ein neues System für die Leistungsbeurteilung und den Transfer von „credits“ wird eingeführt und das Studium ist zunehmend am Kompetenzerwerb ausgerichtet (Outputorientierung). Ob die damit einhergehenden größeren (finanziellen) Freiheiten der Universitäten zugleich auch zu einer höheren Qualität in der Lehre führen, wird sich noch zeigen. In Ungarn ergeben sich aus „Bologna“ besonders das zunehmende Selbstverständnis der Lehrerbildung als Aus-, Fort- und Weiterbildung unter Betonung des „Lebenslangen Lernens“ sowie eine Neudefinition des „Lehren und Lernens“, der Einsicht, dass an der Hochschule neue Unterrichtsformen Einzug halten müssen, wenn diese sich auch im Klassenzimmer widerspiegeln sollen. Diese Schwerpunkte zeigen, dass die Erziehungswissenschaft – im Gegensatz zu deren Randständigkeit in Deutschland – inhaltliche und organisatorische Leitdisziplin der Lehrerbildung in Ungarn ist (242f.). In Deutschland macht sich die bildungspolitische Diskussion oftmals an der Quantität statt der Qualität der Praxisanteile in der Ausbildung fest. Teils erscheinen die vorgesehenen Praxisanteile der Ausbildung zwar als ausreichend, können aber aufgrund mangelnder Kapazität oder Ressourcen nicht realisiert werden.
Im Kern hat der „Bologna-Prozess“ die „Harmonisierung der europäischen Hochschullandschaft“ (13) zum Ziel. Dazu gehören insbesondere die Einführung der BA- und MA-Studienstruktur, die Vergleichbarkeit von Studienleistungen (ECTS-System) und eine Erhöhung der Mobilität Studierender zwischen Hochschulen. In Ungarn werden die konsekutiven Studiengänge erst seit dem Jahr 2006 systematisch etabliert, während in Deutschland schon um das Jahr 2000 einige BA/MA-Studiengänge angeboten wurden. Außerdem besteht aufgrund der Strukturen in Ungarn besonders die Gefahr einer bloßen Umbenennung, statt Umstrukturierung der Studiengänge im Zuge der Reform. Während in Deutschland die Zulassung zum grundständigen Lehramtsstudium weitgehend formalen Kriterien (Numerus clausus etc.) unterliegt, besteht in Ungarn, vor wie auch nach „Bologna“, ein kriterienbasiertes Auswahlverfahren (329). In Deutschland gibt es Eignungsfeststellungsverfahren für die Aufnahme in den Master-Studiengang. Offen bleibt, welche beruflichen Perspektiven sich für BA-Absolventen in den Lehrämtern überhaupt ergeben, gerade unter der Berücksichtigung, dass nicht alle unter ihnen auch in das MA-Studium aufgenommen werden. Die Ausbildung eröffnet in beiden Ländern die Möglichkeit einer stärkeren Spezialisierung: Das MA-Studium kann häufig in einem verwandten, aber doch anderen Fachgebiet gewählt werden. Dazu wird zugleich jedoch ein im Lehramt ebenfalls wünschenswerter breiter Kompetenzerwerb eingeschränkt.
Leider haben sich aufgrund der Übersetzung zahlreicher Beiträge einige Orthographiefehler und gelegentlich auch semantische Ungereimtheiten in der Publikation niedergeschlagen. Dies ändert aber nichts an der durchweg guten Lesbarkeit der zumeist knappen und gleichzeitig inhaltlich dichten Beiträge. Sie wird durch den weitgehenden Verzicht auf Abbildungen etwas eingeschränkt. Inhaltlich hätte allenfalls die Darstellung der beiden Bildungssysteme zugunsten ihres großen Vergleichspotenzials etwas knapper ausfallen können. Die exemplarischen Ausführungen zur Laborschule und zum ÉKP-Programm dienen zwar einer unerlässlichen Veranschaulichung und Konkretisierung, bringen aber zugleich die Gefahr einer Verallgemeinerung dieser innovativen Einrichtungen und des Bildes ihrer Lehrkräfte auf die gesamte ungarische bzw. deutsche Situation mit sich. Um ein realistisches Bild der „deutschen“ oder „ungarischen“ Lehrerschaft zu gewinnen, ist sicherlich auch ein Blick in die Breite notwendig. Hier wäre, wie im Bezug auf die Praxisphasen der Lehrerbildung, eine verstärkte Rezeption empirischer Forschung hilfreich gewesen [1,2]. Auch die wichtige Frage nach der Wirksamkeit der Lehrerbildung bleibt weitgehend unbehandelt [3,4].
Obwohl sich das Buch an ein deutsch-ungarisches Fachpublikum wendet, sind insbesondere die Ausführungen zum Bologna-Prozess durchaus als knappe und allgemeinverständliche Einführung zu lesen. Auch unabhängig von der Frage nach Lehrerbild und Lehrerbildung sind die kompakten Beiträge über die Ziele (Kerstin Wedekämper) und Kritikpunkte (Dietrich Lemke) der Erklärung von Bologna äußerst hilfreich. Der gut strukturierte Aufbau des Buchs und eine knappe Übersicht über die Kapitelinhalte durch die Herausgeber (13-15) sowie ein gerade aufgrund der internationalen Perspektive notwendiges und ausführliches Autorenverzeichnis (333-336) sind wertvoll; ein Register ist nicht vorhanden.
Die größte Leistung des Sammelbands besteht meines Erachtens im konsequenten erziehungswissenschaftlichen Vergleich durch direkte Gegenüberstellung ausgewählter deutscher und ungarischer Aspekte von Lehrerbild und Lehrerbildung. Der Band verbindet so in erstmaliger Weise eine gleichermaßen schulpädagogische wie vergleichend-erziehungswissenschaftliche Auseinandersetzung im Zwei-Länder-Vergleich von Deutschland und Ungarn. Er schließt damit eine Lücke in der Lehrerbildungs-Diskussion, die oftmals zu national oder an den skandinavischen Vorbildern ausgerichtet ist. Unterstützend kommt hinzu, dass Expertinnen und Experten schreiben, die für die Innensicht der jeweiligen Systeme einstehen. Erst der abschließende Vergleich am Ende der vier Teilkapitel erfolgt auf der Metaebene. Es bleibt zu hoffen, dem Wunsch der Herausgeber folgend (15), dass die skizzierten Anstöße ein weiteres international vergleichendes Nachdenken und fruchtbare Reformanstöße für die Lehrerbildung mit sich bringen. Der vorliegende Band hat dazu einen großen Beitrag geleistet.
[1] Allemann-Ghionda, C./ Terhart, E. (Hg.): Kompetenzen und Kompetenzentwicklung von Lehrerinnen und Lehrern: Ausbildung und Beruf. 51. Beiheft der Zeitschrift für Pädagogik. Weinheim: Beltz 2006.
[2] LĂĽders, M./ Wissinger, J. (Hg.): Forschung zur Lehrerbildung. Kompetenzentwicklung und Programmevaluation. MĂĽnster: Waxmann 2007.
[3] Terhart, E.: Wirkungen von Lehrerbildung. Perspektiven einer an Standards orientierten Evaluation. In: Journal fĂĽr LehrerInnenbildung 3, 2003, 8-19.
[4] Blömeke, S.: Empirische Befunde zur Wirksamkeit von Lehrerbildung. In: Blömeke, S. u.a. (Hg.): Handbuch Lehrerbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2004, 59-91.