EWR 6 (2007), Nr. 4 (Juli/August 2007)

Andreas Hadjar / Rolf Becker (Hrsg.)
Die Bildungsexpansion
Erwartete und unerwartete Folgen
Wiesbaden: VS Verlag fĂĽr Sozialwissenschaften 2006
(362 S.; ISBN 3-531-14938-7; 27,90 EUR)
Die Bildungsexpansion Der von Andreas Hadjar und Rolf Becker, Bildungssoziologen an der Universität Bern, herausgegebene Band „Die Bildungsexpansion. Erwartete und unerwartete Folgen“ knüpft an Walter Müllers 1998 erschienenen „wegweisenden Aufsatz“ (Hadjar/Becker) „Erwartete und unerwartete Folgen der Bildungsexpansion“ an [1] und zielt auf die Deutung der erwarteten und unerwarteten Folgen einer „der bedeutendsten gesellschaftlichen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts“ (11), nämlich der Expansion des Bildungswesens.

In der Einleitung zu dem Band identifizieren Hadjar/Becker aus wirtschaftspolitischer Sicht den „Sputnik-Schock“, also den vermeintlichen oder tatsächlichen technologischen Rückstand des Westens gegenüber der Sowjetunion und aus gesellschaftspolitischer Sicht defizitäre Bürgerrechte in der Folge der ungleichen Verteilung von Bildungschancen als zentrale Mängel des bundesdeutschen Bildungssystems.

Die Bildungspolitik nahm diese Mängel zum Anlass, Reformen des Bildungssystems in Angriff zu nehmen, mit denen einerseits die „Höherbildung der Bevölkerung“, andererseits der „Abbau von Bildungsungleichheiten“ erreicht werden sollte. Ein wenig missverständlich ist an dieser Stelle die Argumentation der Autoren wenn sie diese Ziele einer Bildungsreform als „erwartete Folgen der Bildungsexpansion“ (Hervorhebung E.R.) benennen. Ist die Expansion, soweit sie über eine „demographische Komponente“ [2]) hinausgeht, nicht eine Folge der bildungspolitisch initiierten Reform?

Auch wenn mit Müller et al. auf „drei Phasen der Bildungsentwicklung“, gleichsam „Etappen der Bildungsexpansion“ verwiesen wird, sind die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes um „die dritte Etappe der Bildungsexpansion“ zentriert.

„Wenn von Bildungsexpansion die Rede ist, wird in der Regel auf gestiegene Bildungsbeteiligung, längere Verweildauer im Bildungssystem und beschleunigte Zunahme höherer Schulabschlüsse nach den Bildungsreformen in den 1960er und 1970er Jahren verwiesen“ (12). Als „erwartete und intendierte Folgen“ werden eine bessere Qualifizierung der Bevölkerung und „damit einhergehender technologischer und wirtschaftlicher Fortschritt“ sowie auch der „Abbau sozialer Ungleichheiten“ benannt. Im Zusammenhang mit nicht beabsichtigten, „wenngleich nicht vollkommen unerwarteten Konsequenzen der Bildungsexpansion“ (14) wird auf Absenkung von Standards, Verdrängungswettbewerb, soziale Schließungen, die Inflation von Bildungsabschlüssen und wachsende Arbeitsmarktprobleme verwiesen.

Im Blick auf die Deutung der Folgen der Bildungsexpansion wird konstatiert, „dass ein generelles, allumfassendes Erklärungsmodell (…) schwerlich möglich ist“ (18). Gleichwohl wollen die Autoren den Versuch einer theoretischen und empirischen Annäherung an die Deutung unternehmen. Sie beziehen sich in diesem Zusammenhang auf „das struktur-individualistische Erklärungsschema nach Coleman“: „Nach diesem Modell sind die Folgen der Bildungsexpansion auf der gesellschaftlichen Ebene über die individuelle Ebene zu erklären, weil sie mehr oder weniger intendierte wie unintendierte Konsequenzen absichtsvollen Handelns sozialer Akteure – seien es Individuen oder seien es korporative Akteure – sind“ (ebd.).

Die politisch initiierte Bildungsexpansion wird also über Einrichtungen des Bildungssystems an Familien und andere soziale Gebilde und über diese an die Individuen vermittelt. Analytischer Ausgangspunkt ist „der jeweilige individuelle Bildungsstand“, der über spezifische Prozesse, die Gegenstand der Beiträge des Sammelbandes sind, sozialstrukturelle oder auch kulturelle Konsequenzen für das Individuum hat. In ihrer Wirkung soll die Summe der individuellen Folgen Relevanz für „andere Ebenen“, „die Sozialstruktur und die Kultur auf der Ebene der Gesellschaft“ haben (18).

Insgesamt wird dabei ein „empirischer Forschungsansatz“ verfolgt, der sich auf Daten des ALLBUS, des Wohlfahrtssurveys, des Sozioökonomischen Panels (SOEP) oder auch der amtlichen Statistik gründet. Explizit will sich der Band „von essayistischen Zeitdiagnosen oder hermeneutischen Prophezeiungen“ abheben, die „Sichtweise der „konstruktiven Skeptiker“ vertreten“, keine „Wahrheits- bzw. Allgemeinheitsansprüche“ stellen, sondern „vorläufige – wenngleich methodisch sorgfältig und reflektiert durchgeführte Analysen und Diagnosen rund um die Bildungsexpansion“ (19) präsentieren.

Die Herausgeber haben die Beiträge des Bandes in drei Teile gruppiert: In einem ersten Teil werden unter der Überschrift „Bildungsungleichheit und Höherbildung“ die „hauptsächlichen Erwartungen an die Bildungsexpansion“ abgehandelt. Rolf Becker weist in seinem Beitrag nach, „dass auch mit fortschreitender Bildungsexpansion die Bildungschancen weiterhin stark durch die soziale Herkunft geprägt sind“ (20). Er konstatiert, dass präzise Beschreibungen zu Expansion und Bildungsungleichheit vorliegen, dass Mechanismen und Prozesse der Entstehung und Reproduktion von Ungleichheit fundiert diskutiert sind, dass aber weiterhin qualifizierte Daten fehlen, mit denen Hypothesen zur Bildungsexpansion, zu Disparitäten im Bildungsbereich und zum sozial ungleichen Zugang zu höherer Bildung überprüft werden können. Nach mehr als 40 Jahren der Bildungsreform und -expansion erscheint ein Resümee, nachdem auch zukünftig „eher plausible Ad-hoc-Annahmen über empirisch abgesicherte Aussagen dominieren“ (54) werden als fatal. Insbesondere auch deshalb, weil festgestellt wird, „letztere wären zwingend notwendig, um rationale gesellschafts- und bildungspolitische Reformen durchführen zu können, die den Abbau sozialer Ungleichheiten von Bildungschancen zum Ziel haben“ (54).

Der zweite Beitrag dieses Abschnitts, der Aufsatz von Michael Becker et al. befasst sich mit der „Bilanz der Bildungsexpansion in Hinblick auf die kognitive Mobilisierung“ und „einer kritischen Bestandsaufnahme der Veränderungen in den kognitiven Kompetenzen der Schülerschaft an deutschen Schulen über die vergangenen Jahrzehnte“ (63), wobei die angekündigte Erklärung der Differenz zwischen „kognitiver Mobilisierung“ und „kognitiven Kompetenzen“ nicht geliefert wird. In drei Schritten werden der Prozess der Mobilisierung höherer Bildungsbeteiligung, die Folgen unterschiedlich komponierter Schülerschaften und schließlich „Wirkfaktoren“ der Veränderung kognitiver Leistungen in unterschiedlichen Schülerkohorten untersucht: „curriculare Veränderungen und Änderungen der Unterrichtskultur“, „Veränderungen außerhalb des schulischen Kontextes“ sowie „länderübergreifende gesellschaftliche Entwicklungen“. Als Ergebnis wird festgestellt, „dass positive Entwicklungen neben negativen stehen“ (82). Die „Domäne kognitiver Kompetenzen“ spielt eine ausschlaggebende Rolle. Für verbindliche Aussagen fehlt es offenkundig an einer „adäquaten Datengrundlage.“ Unter Verweis auf die international vergleichenden Schulleistungsstudien werden hier für die Zukunft bessere Ergebnisse erwartet.

Der zweite Teil des Bandes versammelt Beiträge zu „Berufsstruktur und Arbeitsmarkt“, die nach den Konsequenzen höherer Qualifizierung von Beschäftigten für den Arbeitsmarkt, der „Wechselwirkung zwischen Bildungsexpansion und Ausdehnung der Beschäftigung im öffentlichen Dienst“ (Schubert/Engelage), der gewandelten Erwerbsbeteiligung von Frauen im Zuge der Bildungsexpansion, dem Niederschlag des „höhere(n) Bildungsniveau(s) einerseits auf die Arbeitsmarktsegregation und das Berufswahlverhalten, andererseits auf den Berufsstatus von Frauen“ (Hecken) und nach den (finanziellen) Erträgen der Expansion des Bildungswesens, der „Entwicklung der qualifikatorischen Einkommensabstände zum Zeitpunkt des Berufseinstiegs sowie im 30. Lebensjahr über mehrere Geburtskohorten hinweg“ (Pollmann-Schult) fragen.

In allen Beiträgen werden jeweils einschlägige theoretische Perspektiven und der jeweilige Forschungsstand referiert, das methodische Vorgehen und die Datenbasis skizziert und schließlich die empirischen Ergebnisse, die Antworten auf die Ausgangsfragestellungen präsentiert.

Unvermeidlich hängt der Erkenntnisgewinn wohl mit dem Kenntnisstand des Lesers zusammen, wobei ja davon auszugehen ist „dass der Kritiker immer klüger als der Autor“ (v. Müller) ist. Insgesamt überrascht es aber nicht, dass sich meist „das in den Hypothesen erwartete Bild“ zeigt. Dies gilt wohl auch für die Erkenntnis, dass „die Bildungsexpansion (…) dazu geführt (hat), dass immer mehr Schulabgänger über immer bessere Bildungsabschlüsse verfügen“ (117).

Hecken zeigt mit Daten für die Schweiz, dass für Frauen „trotz schulischer und beruflicher Höherqualifizierung der Beruf eine modifizierte Form von Nebenberuf geblieben“ (150) ist. Es ist ihnen bislang nicht gelungen, ihre „überdurchschnittlichen Erfolge im Bildungssystem“ in adäquate Beschäftigungsverhältnisse und Beschäftigungschancen umzusetzen. „Die bisherige Bildungsexpansion (…) scheint nicht ausreichend zu sein, um die geschlechtsspezifischen Disparitäten von Berufschancen und beruflichem Erfolg endgültig verschwinden zu lassen“ (150). Dass dafür andere Ursachen als wachsende Bildungsteilhabe verantwortlich sein können (sind!), wird hier dann aber nicht mehr thematisiert.

Pollmann-Schult hält am Ende seiner Analyse fest, „dass sich die Bildungsrenditen in den letzten Jahrzehnten tatsächlich verringerten, jedoch keine Anzeichen einer drastischen Entwertung der Bildungszertifikate erkennbar sind.“ (174) Die hier gewählte Bewertung der Einbußen lässt meines Erachtens einen zu großen Interpretationsspielraum, um der Tendenz der gemachten Aussage bedenkenlos folgen zu können. Die Feststellung, dass Hochschulabsolventen auch heute „über deutlich bessere Arbeitsmarktchancen als Personen mit einer nicht akademischen Ausbildung“ (174) verfügen, ist sicher unstrittig, aber eben auch trivial.

Im dritten Teil schließlich werden „kulturelle Folgen der Bildungsexpansion“ abgehandelt. Mit weitgehend identischem Zugriff – Hypothesenbildung, Allbus-Daten von 1980-2002, Kohortenbildung und Analysen von „Alters-Perioden-Kohorteneffekten („A-P-K-Analysen“) – untersuchen Hadjar/Becker Veränderungen des politischen Interesses, Hadjar den Wandel sozialer Werte und Susanne Rippl „die Abnahme der Fremdenfeindlichkeit als denkbaren Effekt der Bildungsexpansion“.

Annette Spellerberg analysiert die Veränderung von Lebensstilen, Timm „die Veränderung des Heirats- und Fertilitätsverhaltens“ unter dem Einfluss gestiegener Bildungsteilhabe und Klein et al. schließlich mögliche Zusammenhänge von „Bildungsexpansion und Lebenserwartung“.

Hadjar/Becker fragen, „inwieweit Bildung und politisches Interesse sowie politische Partizipation miteinander verknüpft sind und welche Veränderungen dieser Zusammenhänge im Zuge der Bildungsexpansion zu konstatieren sind“ (179) und antworten nach recht aufwendiger Analyse eher lapidar „das von Dahrendorf (1965) propagierte Ziel der Förderung politischen Interesses und politischer Partizipation hat sich tendenziell realisiert (…)“ (201).

Hadjar sucht in seinem Beitrag nach „Antworten auf die Frage, inwieweit die Bildungsexpansion zu einem Wandel von Werten – speziell zur Verschiebung vom Materialismus zum Postmaterialismus nach Inglehart – geführt hat“ (206). Die Antwort, die er findet, besagt, „dass der Bildungsexpansion ein substantieller Anteil am Wertewandel zukommt“ (226), aber auch, dass „Wertewandel mehrdimensional“ (227) ist (nur am Rande erwähnt werden soll, dass die Abbildungen 1 und 2 des Beitrages etwas schwer zu lesen sind).

Susanne Rippl untersucht „Mechanismen hinter dem Zusammenhang von Bildung und Fremdenfeindlichkeit“ und geht der Frage nach, „inwieweit diese vor dem Hintergrund der Bildungsexpansion wirksam werden bzw. sich verändert haben“ (231). Auch hier kann nicht überraschen, dass Effekte der Bildungsexpansion auf den Rückgang von Fremdenfeindlichkeit konstatiert werden. Interessanter ist dann eben auch der Verweis auf weitere Wirkungen. „Stärker als der Effekt der Bildungsexpansion erweist sich die Wirkung der veränderten Werthaltungen. Die Zunahme postmaterialistischer Werthaltungen trägt deutlich mehr zum Rückgang der Fremdenfeindlichkeit bei als die Bildungsexpansion“ (246).

Im Beitrag von Annette Spellerberg wird „die These einer bildungsabhängigen Lebensstilausprägung gestützt“. Im Detail kann aber auch gezeigt werden, dass „Alter, Geschlecht, Haushaltskontext oder Berufsprestige“ zur Identifizierung und Abgrenzung von „Lebensstiltypen“ herangezogen werden sollten; weil sich nämlich erweist, dass diese Faktoren – in durchaus unterschiedlicher Weise – Einfluss auf die Ausprägung spezifischer Lebensstile nehmen. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Verweis auf unterschiedliche Einflüsse in Ost- und Westdeutschland.

„Welche Rolle über die Geburtskohorten hinweg hat die zunehmende Bildungsbeteiligung gespielt“ fragt Timm in seinem Beitrag und findet mit Daten des Sozio-ökonomischen Panels von 2004 und einer „empirischen Längsschnittanalyse“ heraus, „dass die Bildungsexpansion für westdeutsche Frauen und Männer negativ auf die Heiratsneigung wirkt“, es in Ostdeutschland demgegenüber keinen „Bildungsexpansionseffekt zu geben scheint“ (306f.).

Dass „höher gebildete Frauen“, weniger (und später) Kinder bekommen ist mit Sicherheit eine „nicht intendierte Folge“ der Bildungsexpansion, deren Konsequenzen mittlerweile fast schon Tagesgespräch sind und phasenweise politischen Aktionismus produzieren.

Klein et al. stellen fest, dass „Bildung in modernen Gesellschaften zu den wichtigsten sozialen Determinanten von Morbidität und Mortalität gehört“ (313). Dieser Feststellung schließen sie – mir nicht ganz nachvollziehbar – die Frage an, „inwieweit die allgemeine Höherqualifizierung der Bevölkerung im Zuge der Bildungsexpansion seit dem Ende der 1960er Jahre zu den gewonnenen Lebensjahren beigetragen hat“ (313). Zugespitzt will der Beitrag untersuchen, „in welchem Maße die Bildungsexpansion zu dem beobachteten Anstieg der Lebenserwartung beigetragen hat“ (313). „Auswertungen und Simulationen der Daten des sozioökonomischen Panel“ basieren die Untersuchung.

„Weil du arm bist, musst du früher sterben“ weiß der Volksmund – mit dem Beitrag von Klein et al. wissen wir nun nicht nur – auch im Zusammenhang mit den Ergebnissen der anderen Beiträge - dass „der Reiche“ länger lebt, nicht zuletzt auch weil er länger, wohl auch besser gebildet ist, sondern wir wissen auch, „dass sich beachtliche zwei Drittel der (…) beobachteten Erhöhung der Lebenserwartung, um insgesamt drei Jahre, mit der Bildungsexpansion in Verbindung bringen lassen.“ (326f.) Auch dies muss man wohl als „unerwartete Folge der Bildungsexpansion“ bewerten.

Walter Müller, dessen „wegweisender Aufsatz“ (Hadjar/Becker) einen Anstoß für die Arbeiten des vorliegenden Bandes gegeben hat, hatte in seinem Aufsatz unter Verweis auf „Kultur und Politik – noch viele blinde Flecken der Forschung“ identifiziert und Untersuchungen zu Zusammenhängen von Bildungsexpansion und „Veränderungen in der Lebensführung und den Lebensstilen“, mit „Wissen und allgemeinen Kulturfertigkeiten, Wertorientierungen und gesellschaftlichen Einstellungen sowie politischem Interesse, politischer Beteiligung und politischen (Partei-) Präferenzen“ angemahnt [3].

Diese Mahnung hat der Band aufgegriffen und ist solchen Zusammenhängen nachgegangen. Verschiedentlich etwas vorschnell und apodiktisch, manchmal auch sehr zurückhaltend und übervorsichtig werden jeweilige Zusammenhänge, also Effekte der Bildungsexpansion für „Kultur und Politik“ (Müller) belegt.

Für den bildungssoziologisch interessierten, für einen einigermaßen informierten Leser werden mit den vorgetragenen Ergebnissen allerdings keine sensationellen Neuigkeiten verkündet. Ein neugieriger Laie andererseits – so fürchte ich – wird an den elaborierten methodischen Passagen und den durchaus anspruchsvollen Theoriebezügen verzagen. Letzterem wäre mit etwas griffigeren Passagen und Ausführungen, zugespitzten Verweisen besser gedient. Erstere würden von einer stärker differenzierenden Argumentation, von dem profitieren, was Walter Müller schon als „außerordentlich schwierig“ bezeichnete, nämlich „die Effekte der Bildungsexpansion eindeutig zu trennen von den Folgen anderer gleichzeitiger Veränderungen, z.B. des veränderten Angebots in den Massenmedien und ihrer veränderten Nutzung, der vermehrten freien Zeit, der langfristig verbesserten ökonomischen Ressourcen und der veränderten Arbeitwelt“ [4]. Manchen der präsentierten Ergebnisse würde dann der Geruch der ach so vermeintlichen Vertrautheit verloren gehen, sie könnten Neugier wecken, neue Fragen provozieren.

Gerade auch Müllers Verweis auf Entwicklungen, die den Zusammenhang von Bildungsexpansion und der zunehmenden „Mündigkeit des Bürgers“ (Dahrendorfs Hoffnung!) in Frage stellen („wenn man beobachtet, wie gegenwärtig in Deutschland Wahlkämpfe geführt werden, käme man nicht auf die Idee, dies sei eine Veranstaltung in der Parteien und Politiker versuchen, Stimmen von mündigen Bürgern zu gewinnen“ [5]), hätte nachgegangen werden können. Dies wäre dann aber wohl ein anderes Buch geworden.

Gleichsam als post skriptum soll auf den, den Band abschließenden Beitrag von Sigrid Haunberger, eingegangen werden. Haunberger fragt, ob „die Bildungsexpansion die Entwicklung zu einer Bildungsgesellschaft angestoßen“ hat. Der Stellenwert und die Platzierung des Beitrags am Ende des Bandes ist nicht nachvollziehbar. Er wirkt ein wenig wie der Entwurf zu dem Theorieteil einer zu verfassenden Dissertation, der zumindest einer stark redigierenden Überarbeitung bedürftig wäre.

[1] Müller, W. (1998): Erwartete und unerwartete Folgen der Bildungsexpansion. In: Friedrichs, J. u.a. (Hrsg.): Die Diagnosefähigkeit der Soziologie. Opladen: Westdeutscher Verlag (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 38), 81-112.
[2] HĂĽfner, K./Naumann, J. (1977): Konjunkturen der Bildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Band I: Der Aufschwung (1960-1967). Stuttgart: Klett.
[3] Müller, W. (1998): Erwartete und unerwartete Folgen der Bildungsexpansion. In: Friedrichs, Jürgen u.a. (Hrsg.): Die Diagnosefähigkeit der Soziologie. Opladen: Westdeutscher Verlag (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 38), 100.
[4] ebd., 104.
[5] ebd., 105.
Einhard Rau (Berlin)
Zur Zitierweise der Rezension:
Einhard Rau: Rezension von: Hadjar, Andreas / Becker, Rolf (Hg.): Die Bildungsexpansion, Erwartete und unerwartete Folgen. Wiesbaden: VS Verlag fĂĽr Sozialwissenschaften 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 4 (Veröffentlicht am 26.07.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/53114938.html