Die DGfE verhandelt das Thema Lehrer/innen-Bildung als zuständige Scientific Community in einer Kommission der Sektion Schulpädagogik. Sie hat inzwischen drei Publikationen zu diesem Fragenkreis vorgelegt: 2003 erschien der Band „Lehrerbildung in der Diskussion“, 2004 folgte „Lehrerbildung: IGLU und die Folgen“, jeweils herausgegeben vom derzeitigen Vorsitzenden der DGfE Hans Merkens (erschienen bei Leske + Budrich). In der nun 2005 vorgelegten Schrift sind grundlegende Überlegungen und zahlreiche Erfahrungsberichte zum Thema „Zentren für Lehrerbildung“ versammelt (erschienen nunmehr im VS Verlag für Sozialwissenschaften). Der Band enthält einerseits theoretisch-konzeptionelle Überlegungen zum Thema „Zentren für Lehrerbildung“ und stellt andererseits fünf bereits bestehende Zentren und eines im Aufbaustadium vor.
Merkens stellt eingangs die Zentren für Lehrerbildung als eine organisationale Antwort auf den Reformbedarf von Schule und Lehrer/innen-Bildung vor. Zentren für Lehrer/innen-Bildung folgen dabei unterschiedlichen Konzeptionen und bieten verschiedene Reformansätze: Sie können die Verantwortung für Lehrer/innen-Bildung bündeln, Bildungsforschung betreiben, Ausbildungsleistungen für „Quereinsteiger/innen“ sowie Weiterbildung für Lehrer/innen anbieten oder sogar zur Schulentwicklung in der jeweiligen Region beitragen – je nach Konzeption, Zuschnitt und organisationaler Verortung der Zentren. Vor dem Hintergrund dieser Bandbreite an Funktionen und Zielen bestehender und zukünftiger Zentren stellt Merkens das Interdisziplinäre Zentrum für Lehr-Lern-Forschung (IZLL) an der FU Berlin vor, das verschiedene Forschungsvorhaben koordiniert, eigene Forschung betreibt und deren Ergebnisse der Fachöffentlichkeit in geeigneter Weise (Vortragsreihen, Workshops, Symposien) wieder zur Verfügung stellt.
Terharts theoretisch-systematischer Zugang zum Thema beginnt mit einer Bestandsaufnahme: Zentren für Lehrerbildung werden seit ca. zehn Jahren bundesweit eingeführt und in allen Reformprogrammen als ein Verbesserungsvorschlag für die erste Phase der Lehrer/innen-Bildung vorgetragen. Neu ist jedoch nicht die Idee als solche, sondern ihre Realisierung als zentrale wissenschaftliche Einrichtung, wodurch sie näher an das Kerngeschäft der Universität, die Wissenschaft, heranrückt. Die Zentren geben der Lehrer/innen-Bildung gleichsam einen Ort an der Universität, indem sie die Aktivitäten der zahlreich beteiligten Institutionen koordinieren. Diese „Einführung neuer Querstrukturen in bestehende Organisationsgefüge“ (19) kann jedoch auch zu Abgrenzungs- und Kompetenzkonflikten führen – und diese beruhen nicht zuletzt auf Machtfragen. Dass die neuen Zentren hier erst noch ihren Platz in der Groß- und Komplexorganisation Universität finden müssen, wird dabei ebenso deutlich wie die situations- und standortangemessene Umsetzung. Die Standardlösung gibt es also nicht. Terhart stellt im zweiten Teil seines Beitrags die Situation der Lehrerbildung an der Universität Münster als Beispiel dafür vor, wie ein neu eingerichtetes Zentrum bisherige Organisationsstrukturen integriert und weiter entwickelt, um für die aktuelle Bedarfslage sinnvolle Lösungen zu generieren. Wie die Neueinrichtung dieser Zentren nun von den Hochschulen rezipiert wird, fasst Terhart unter „organisationsinteren Deutungen“ dreifach:
- Sie verbinden mit den Zentren Hoffnungen auf die Verbesserung der Lehrerbildung im Besonderen und einen Beitrag zur Organisationsentwicklung der Universität im Allgemeinen;
- Sie erwarten weiterhin Entlastung bei der ressourcenintensiven Aufgabe Lehrerbildung;
- Zentren für Lehrerbildung werden schließlich mancherorts als Ärgernis im Sinne weiterer Komplikationen der ohnehin lästigen Aufgabe Lehrerbildung aufgefasst.
Das Zentrum für Lehrerbildung der Universität Kassel (vorgestellt von Wolfgang Gabler und Bernd Wollring) hat zum Ziel, strukturelle und inhaltliche Reformen der Lehrerbildung, aber auch der Unterrichts- und Schulentwicklung zu fördern. Eine Netzwerkstruktur, in die die Beteiligten der Universität und die relevanten regionalen Institutionen eingebunden sind sowie universitätsübergreifende Projekt- und Arbeitsgruppen ermöglichen eine Lehrerbildung, die sich eng am Reformbedarf von Schule und Unterricht ausrichtet und zugleich entwickelnd wirkt. Über Innovationsthemen werden Veränderungen punktuell und konzentriert initiiert, die dann zu breiteren Synergie-Effekten führen können.
Das Paderborner Lehrerausbildungszentrum (Beitrag von Gerhard Tulodziecki) hat zum Ziel, die Studienorganisation und Koordination der an der Lehrerbildung beteiligten Institutionen zu verbessern, innovative Lehre zu fördern und interdisziplinäre Schulforschung und -entwicklung zu unterstützen. Thematische Schwerpunkte sind die Implementierung von Beratungssystemen, die Nutzung von neuen Medien im Lehramtsstudium, die Studiengangentwicklung, die Mitgestaltung der schulpraktischen Anteile und die regionale Zusammenarbeit.
Das Zentrum für Schulforschung und Fragen der Lehrerbildung der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg (Aufsatz von Sibylle Reinhardt) versteht sich – wie der Name schon sagt – als Forschungsinstitut. Das Zentrum unterstützt in seinem primären und angestammten Gebiet „Forschung“ seine Mitglieder durch Beratung bei der Planung und Antragstellung von Forschungsvorhaben, durch internationale Fachtagungen, methodische Fortbildungen und durch eine Schriftenreihe. Neben den Forschungsaktivitäten gibt es das Aufgabenfeld „Nachwuchsförderung“ im Bereich empirischer Schul- und Bildungsforschung. Der dritte Tätigkeitsbereich des Zentrums ist die Lehrerbildung; hier versteht sich das Zentrum als Kommunikations- und Reflexionsforum für Fragen der Lehrerbildung, nicht jedoch für deren Koordination und Organisation. Dafür dienen Arbeits- und Gesprächskreise. Die Verbindung zwischen dieser kommunikativen Verhandlung der Lehrerbildung und ihrer konkreten Durchführung entsteht durch die beteiligten Personen, die z. T. hier wie dort wirken.
Das Zentrum für Lehrerbildung in Bielefeld (dargelegt von Volker Möhle) wurde bereits 1980 eingerichtet und hat die Funktion, fakultätsübergreifende „Dienstleistungsaufgaben“ (71) zentral zu verankern. Inzwischen ist das Zentrum „die zentrale Anlaufstelle für vielfältige Fragen und Probleme in der Lehreraus-, Fort- und Weiterbildung“ (ebd.) und folgt den operativen Grundformen: Unterstützen, Beraten, Koordinieren und Initiieren. Sein „Erfolgsrezept“ ist es, den Gedanken der Lehrer/innen-Bildung als eigenständige und maßgebliche Aufgabe der Universität stark zu machen.
In Göttingen (Beitrag von Doris Lemmermöhle und Roland Brünken) hat das Zentrum für empirische Unterrichts- und Schulforschung die Aufgabe, Lehrer/innen-Bildung konzeptionell weiter zu entwickeln sowie Forschung, Lehre und Strukturen besser zu vernetzen. Es hat insofern eine Doppelfunktion, weil es einerseits für Lehre und Studium in der Lehrer/innen-Bildung verantwortlich ist, andererseits Forschungsvorhaben initiiert und koordiniert. Es konnten zwei neue Studiengänge eingerichtet werden, die auch bereits akkreditiert sind: Der „Master of Arts in Education“ und der Intensivstudiengang „Schulpädagogik und Didaktik“.
Im abschließenden Teil nimmt Franziska Wilke eine Bestandaufnahme vor: Die von bereits bestehenden Zentren im Internet zugänglichen Informationen wurden ausgewertet und systematisiert. Die Autorin stellt Korrelationen zwischen verschiedenen Aufgabenkomplexen der Zentren her und teilt diese in zwei Typen ein: Zentren mit hoher Forschungsqualität und Zentren mit Koordinations- und Organisationsaufgaben. Leider werden dazu keine quantitativen Angaben gemacht. Fraglich erscheint, ob aus den Eigenaussagen der Zentren objektive Korrelationen abgeleitet werden können. Dass die Zusammenhänge nicht eben verständlich vorgetragen werden, macht die Aussagen nicht valider.
Merkens räumt zu Beginn seines Ausblicks auch ein, dass die Empirie diffus bleibe, weil die Praxis der Zentren so vielfältig sei, was wiederum auf die unterschiedlichen Bedarfslagen und Zielvorstellungen an den jeweiligen Standorten zurückzuführen ist (103). Merkens schlägt nun den Bogen von den hinlänglich bekannten Desiderata der drei Phasen der Lehrerbildung zur Umstellung auf Bachelor- und Masterstrukturen. Merkens – und hier spricht er für die DGfE – favorisiert ein integriertes Modell mit der notwendigen Berufsqualifizierung (Bachelor-Stufe) und der wissenschaftlichen Qualifikation (Master) in höchstmöglicher Vernetzung von Berufswissenschaft und Fachwissenschaft, wobei die Berufswissenschaft um pädagogisch-diagnostische Anteile zu erweitern wäre. Die Forschungserfordernisse für den Master lassen sich unschwer aus den PISA-Ergebnissen ableiten: Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund im Elementarbereich, neue Unterrichtsformen im Primarbereich und bessere pädagogische Qualifizierung der Lehrkräfte im Sekundarbereich. Während der Beitrag der Zentren für die erste Phase der Lehrer/innen-Bildung noch hinreichend evident ist – interdisziplinäre Neuordnung der Lehrerausbildung mit Binnendifferenzierung nach Schulstufen sowie sinnvoller Theorie-Praxis-Bezüge –, werden darüber hinaus auch Aufgaben hinsichtlich der zweiten und dritten Phase benannt. Ihr Beitrag für Referendariat und Fort- und Weiterbildung ist es, aktuelle Forschungsergebnisse an die Praxis weiterzugeben und neue Forschungsfragen aus der Praxis zu generieren. Hinsichtlich der Professionalisierung von Managementaufgaben in der Schule hätten die Zentren das Mandat, internationale Vergleichbarkeit herzustellen. Zusammenfassend charakterisiert Merkens die Aufgabe der Zentren wie folgt:
- Lehre;
- Forschung: Grundlagenforschung, angewandte Forschung, Entwicklungsforschung und Handlungsforschung;
- Dienstleistung: z. B. interne Evaluation und Schulentwicklung.
Damit ist zugleich das Spannungsfeld benannt, in dem sich die größtenteils neu eingerichteten und noch einzurichtenden Zentren bewegen: Gemäß des hohen Reformdrucks, der an das Bildungssystem derzeit gerichtet wird, stehen sie unter ebenso hohem Erwartungsdruck – was ihnen an ihrem jeweiligen Standort möglich sein wird, muss jedoch hochschulintern ausgehandelt, ja ausbalanciert werden.
Die Vorstellung der verschiedenen Zentren macht schon bei der Ausstattung erhebliche Unterschiede deutlich. Die Heterogenität der Zentren insgesamt ist einerseits eine Chance, weil auf diesem Wege unterschiedliche Konzepte erprobt werden können. Andererseits könnte sie dann zu einem Problem werden, wenn die Lehrer/innen-Bildung dadurch wiederum unübersichtlicher und uneinheitlicher würde. Im Sinne von Professionalisierung und Standards sind also die Ränder so zu konturieren, dass bei aller wünschenswerten Vielfalt die notwendige Einheit gewährleistet ist. Einen Beitrag dazu legt die DGfE mit diesem Sammelband, insbesondere durch die Beiträge von Terhart und Merkens, hier vor: Die Zentren müssen „mehr sein (…) als bloße Koordinationsbüros, aber weniger als Quasi-Fakultäten“ (Terhart, 20; Hervorhebungen im Original).
Innerhalb dieses Rahmens sind standortgemäße Lösungen zu finden, die im Aushandlungsprozess mitunter zu unvermeidlichen Reibungen und Konflikten führen werden: „Diese Balance (zwischen bloßem Koordinationsbüro und Quasi-Fakultät, K. R.) zu finden und durchzuhalten ist sicherlich ein schwieriger Prozess, der – wie in solchen Fällen üblich – sehr viel mit den agierenden Personen, ihrem Geschick und ihrem standing innerhalb der Universität zu tun hat“ (Terhart, ebd., Hervorhebung im Original). Den Akteuren/innen vor Ort ist in dieser doppelten Hinsicht viel Erfolg zu wünschen.