Bei der Untersuchung Gudrun Wansings zur sozialen Teilhabe behinderter Menschen handelt es sich um ihre Dissertation, die an der FakultĂ€t fĂŒr Rehabilitationswissenschaften der UniversitĂ€t Dortmund 2004 eingereicht wurde. Gudrun Wansing zeigt vor dem Hintergrund systemtheoretischer Ăberlegungen auf, inwiefern Exklusionsprozesse in den Bildungs- und Sozialsystemen fĂŒr Menschen mit Behinderungen erfolgen können. Dazu wird zunĂ€chst recht grundlegend Luhmanns SystemverstĂ€ndnis dargelegt, und in diesem Sinne Inklusion als soziale Teilhabe entlang âthemenspezifischer Kommunikationâ bestimmt und dabei zugleich auf die bekannte Problematik verwiesen, dass Luhmanns Inklusionsbegriff fĂŒr eine Erfassung sozialer Ungleichheit unzureichend ist. Von daher schlĂ€gt Wansing vor, die Ebene sozialer Lebenslagen hinzuzuziehen, um das Konzept funktionaler Differenzierung fĂŒr die Perspektive individueller LebenslĂ€ufe zu öffnen (vgl. 53). Entlang der Fokussierung auf soziale Organisationen, die im Eigentlichen in modernen Gesellschaften fĂŒr Exklusionsprozesse sorgen, werden vielfĂ€ltigste Formen sozialer AusschlieĂung ausgemacht, die sich u.U. auch gegenseitig verstĂ€rken und so auf ökonomischer, sozialer und kultureller Ebene nur knappe Ressourcenbildungen zulassen.
Auf diesem differenzierten theoretischen Hintergrund wird nun das âExklusionsrisiko Behinderungâ untersucht. Hier wird einleitend zu Recht auf die Schwachstelle der SonderpĂ€dagogik verwiesen, die das Problem Behinderung auf der Ebene der Ungleichheitsforschung nur unzureichend thematisiere aufgrund ihrer langen Tradition einer âindividualisierenden Sicht auf Behinderungâ (78). Vorgeschlagen wird stattdessen, Behinderung als âunzureichende Passung zwischen einer Person und den Umweltfaktorenâ zu begreifen (79). Im Folgenden wird dann das PhĂ€nomen Behinderung entlang verschiedener statistischer Untersuchungen in seinen ökonomischen, sozialen und kulturellen Dimensionen aufgefĂ€chert.
Der dritte Teil der Arbeit beschĂ€ftigt sich mit den Aufgaben des Wohlfahrtstaates, dessen Grundproblematik in seiner Reparatur- (und nicht Vermeidungs-)funktion sozialer Exklusionen liege. Entlang der Zusammenstellung staatlicher Rehabilitationsaufgaben zeigt Gudrun Wansing allerdings auf, dass inzwischen auch ein Perspektivwechsel hinsichtlich der Exklusionsvermeidung beobachtbar ist, ablesbar am Gleichstellungsgesetz und den Hilfen zur Eingliederung. Daran schlieĂt sich ein Katalog von Zielen sozialer Dienstleister an, die diesen Zielen entsprechen sollen, wie Lebensweltorientierung, Normalisierung, Selbstbestimmung. Auch hier wird mit den Angeboten von offenen und ambulanten Hilfen auf ein inzwischen verĂ€ndertes SelbstverstĂ€ndnis sozialer Dienste verwiesen, das jedoch das Problem der Exklusion nach wie vor durch seine Orientierung am individuellen Hilfebedarf personalisiert.
Im vierten Kapitel wird daher noch einmal problematisiert, dass soziale Dienste kaum in der Lage sind, Exklusionen prinzipiell zu vermeiden, sondern vielmehr stellvertretend Inklusionen vollziehen â und dies zum Teil sogar dauerhaft (185). Verlangt wird daher im abschlieĂenden Fazit, die Exklusionsproblematik fĂŒr Menschen mit Behinderung in den Diskurs um eine BĂŒrgergesellschaft aufzunehmen.
Die Untersuchung von Wansing hat ihre StĂ€rken einerseits in der theoretischen Aufbereitung des Exklusionsproblems und andererseits in der hierauf bezogenen Zusammenstellung vielfach verstreuten statistischen Materials und kann daher als solide aktuelle sozialwissenschaftliche Bestandsaufnahme des PhĂ€nomens Behinderung gelten. Sie ist aufgrund ihrer klaren Argumentation und guten Lesbarkeit auch Studierenden als Grundlagenwerk zu empfehlen â und bereichert die SonderpĂ€dagogik um eine grĂŒndliche soziologische Studie.
EWR 5 (2006), Nr. 2 (MĂ€rz/April 2006)
Teilhabe an der Gesellschaft
Menschen mit Behinderung zwischen Inklusion und Exklusion
Wiesbaden: VS Verlag fĂŒr Sozialwissenschaften 2005
(233 S.; ISBN 3-531-14439-1; 24,50 EUR)
Vera Moser (GieĂen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Vera Moser: Rezension von: Wansing, Gudrun: Teilhabe an der Gesellschaft, Menschen mit Behinderung zwischen Inklusion und Exklusion. Wiesbaden: VS Verlag fĂŒr Sozialwissenschaften 2005. In: EWR 5 (2006), Nr. 2 (Veröffentlicht am 04.04.2006), URL: http://klinkhardt.de/ewr/53114439.html
Vera Moser: Rezension von: Wansing, Gudrun: Teilhabe an der Gesellschaft, Menschen mit Behinderung zwischen Inklusion und Exklusion. Wiesbaden: VS Verlag fĂŒr Sozialwissenschaften 2005. In: EWR 5 (2006), Nr. 2 (Veröffentlicht am 04.04.2006), URL: http://klinkhardt.de/ewr/53114439.html