Die vorliegende, gleichnamige Publikationsreihe stellt die Konzepte, Ergebnisse und Erfahrungen der Akteure in sechs Einzelbänden ausführlich dar. Im Einzelnen gliedert sich die Reihe in: Konzept – Organisation – Ergebnisse (Band 1), Portraits der Länder (Band 2), Unterstützungssysteme & Netzwerke (Band 3), Lernen – leisten – bewerten & Anschlüsse – Übergänge (Band 4), Schulaufsicht und Schulleitung (Band 5) und schließlich Standards und Kompetenzen & Evaluation (Band 6). Damit umfassen die Bände das gesamte Spektrum schulischer Qualitätsentwicklung, das von QuiSS abgedeckt werden sollte. Herausgegeben wird die Reihe von Bernhard Brackhahn, dem Programmdirektor und Vorsitzenden des Lenkungsausschusses des Modellprogramms, und Rainer Brockmeyer, dem Vorsitzenden des wissenschaftlichen Beirats. Bei einigen Bänden finden sich zudem Co.-Herausgeber.
Band 1
Der erste Band will einen „Überblick über Konzeption, Durchführung und Ergebnisse (geben). Er will Neugier wecken auf die fachlichen und planerischen Erfahrungen und Empfehlungen der Beteiligten“ (Umschlag).
Und tatsächlich: Dieser erste Band hält, was er verspricht. Kaleidoskopartig stellen Rainer Brockmeyer, Ulrike Rieger, Bernhard Brackhahn, Manfred Prenzel, Michael Jäger und Maike Reese die Grundlagen des Projekts anschaulich und doch wissenschaftlich fundiert dar. Was bei der Lektüre zunächst auffällt, ist das breite Spektrum der Schulformen, Projektinhalte und -ziele, Leitideen und Herangehensweisen, die hier in einem Projekt gebündelt wurden. Das Themenspektrum reicht vom Länderprojekt Baden Württembergs, das auf interne und externe Evaluation von Schlüsselqualifikationen mittels schulischer Assessment-Center fokussiert, über Rheinland-Pfalz, das Schulmoderatoren für Qualitätsentwicklungsprozesse ausbildete bis zum Berliner Projekt, in dem die Kommunikation und Kooperation der Lehrer/innen in und zwischen den Schulen trainiert wurde. QuiSS soll jedoch eine gemeinsame Klammer für die Ansätze bieten. Verbindende Momente finden sich in den übergreifenden Leitvorstellungen des Gesamtprogramms, die darauf abzielen,
- durch hohe Selbstgestaltungsverantwortung die Beteiligten zu Akteuren zu machen,
- die Unterrichts- und Erziehungssituation bzw. deren Rahmenbedingungen zu verbessern,
- eine systemische Entwicklung einzuleiten,
- Netzwerke zwischen Schulen zu bilden,
- die Entwicklungssystematik 'Schulprogramm – Umsetzung – Evaluation – Rechenschaftslegung' zu berücksichtigen,
- Schulebene und Schulsystemebene zusammenzuführen und
- den eigenen Entwicklungsprozess kritisch zu begleiten (Selbstevaluation).
Kritisch könnte lediglich angemerkt werden, dass die inhaltliche Gestaltung der Einzelprojekte Fragen, die seit PISA im Zentrum der Bildungsforschung stehen, nur sehr marginal berühren: Die Frage nach der Leistungssteigerung der Schüler/innen und nach der Entkopplung von sozialer Herkunft und Lernerfolg. Verständlich wird dieses vor dem Hintergrund der Tatsache, dass das Projekt bereits in den Jahren 1997/98 konzipiert wurde: Der 'PISA-Schock' hatte noch nicht aufgerüttelt.
Band 2
Der zweite Band präsentiert die Selbstberichte von 13 am Projekt beteiligten Ländern. Verantwortlich für die Darstellungen zeichnen Personen, die an der Durchführung der Programme beteiligt waren. So kann es nicht verwundern, dass die einzelnen Texte auch ein Stück Rechtfertigung und Rechenschaftslegung sind. Aber auch wenn sie kaum als Projektevaluationen zu klassifizieren sind, eröffnen die durchaus auch selbstkritischen Berichte interessante Einblicke in die nicht immer unproblematische Umsetzung von guten Absichten. Interessant ist, wie oben schon angedeutet, die thematische Breite der Vorhaben: Externe und interne Evaluationen, Kontroll- und Unterstützungssysteme, Schulaufsicht oder Regionalisierung sind Begriffe, die das Interesse viele Einzelprojekte an der organisatorischen Seite der Qualitätsentwicklung markieren, pädagogische Interessen manifestieren sich in Arbeitschwerpunkten wie Lernkultur in der Schuleingangsphase, Lehrplanentwicklungen, Sachunterricht und Lehrerhandeln oder der Frage, wie der Erwerb von Schlüsselqualifikationen zu erfassen ist.
Selbstverständlich muss man die Vielfalt nicht positiv bewerten. Man hätte sich auch vorstellen können, dass ein länderübergreifendes Projekt lediglich wenige zentrale Aufgabenstellung bzw. Herausforderungen formuliert hätte, die dann in dem von den Ländern ja so häufig beschworenen Wettbewerb mittels alternativer Ansätze hätten gelöst und dann systematisch evaluiert werden können.
Band 3
Dieser Band stellt zwei derzeit äußerst aktuelle Fragen in den Mittelpunkt der Betrachtung: die nach schulischen Unterstützungssystemen und nach Netzwerkbildung. Unterstützungssysteme meint hier ganz konkret die Qualifizierung bestimmter Zielgruppen, Beratung/Coaching von Personen, Gruppen und Gremien, Ausbildungen für Lehr- und Führungspersonal, Bereitstellung von Informationsmaterialien, Projektmanagement, Evaluation, Vernetzung zwischen Schulen und mit externen Partnern sowie Bereitstellung von Ressourcen (Finanzmitteln, Anrechnungsstunden, Personal usw.). Letzteres scheint in dem QuiSS-Projekt – anders als in der sonstigen Praxis der Schulentwicklung – keine besonders große Rolle gespielt zu haben: Bei einem Finanz-Projektvolumen von ca. 14 Millionen Euro scheint manches möglich gewesen zu sein, von dem andere Schulentwicklungsprojekte nicht zu träumen wagen. So stellt der Band – wiederum sehr systematisch und stringent – verschiedene, anscheinend gut gelungene – Unterstützungssysteme vor, bei denen die sorgfältige Bedarfsanalyse und die Wirkungsmessung durch formative Evaluation fester Bestandteil der Implementation waren.
Doch bei der Schilderung der gelungenen Länder-Beispiele bleiben die Autoren nicht stehen: Sowohl an die einzelnen Länderstudien, als auch an die gesamte Vorstellung der Länderprojekte schließen sich reflektierende Kapitel an, die aus den Projekterfahrungen heraus Empfehlungen für die weitere Arbeit mit Unterstützungssystemen ableiten. So führt Jens Reissmann in dem diesbezüglichen Kapitel aus, die Unterstützungsangebote müssten modellhaft Qualitätskriterien wie Transparenz, Zielklarheit, Partizipation, sorgfältige Dokumentation und Evaluation der Prozesse und Ergebnisse 'praktizieren' (103). Was so lapidar als eine von vielen Forderungen angeführt wird, enthält richtungsweisendes und wohl auch konflikthaftes Potenzial: Welches groß angelegte Unterstützungssystem lässt Effektivitätsprüfungen und Partizipation als wesentliche Kriterien gelten?
Für den zweiten Teil des Bandes gilt, dass er weniger Konflikthaftes präsentiert: Der Terminus 'Netzwerk' ist alltagssprachlich sehr positiv besetzt. Systematisch geht es auch hier vor sich: Die Grundlagen der Netzwerkbildung werden erläutert, bundesweite, landesweite, regionale und lokale Netzwerke in vielfältigen Schaubildern, Tabellen und Graphiken vorgestellt und übergreifende Empfehlungen zur Netzwerkbildung abgeleitet. Das gemeinsame Aushandeln von Zielen und Planungselementen sowie der Wille, zum gegenseitigen Nutzen zu interagieren, scheinen die wichtigsten Instrumente der Netzwerkbildung zu sein.
Katrin Beyer kommt in ihren 'Empfehlungen' schließlich zu dem Schluss, Netzwerkarbeit könne nicht verordnet werden. Für die Mitarbeit in einem Netzwerk könne allerdings geworben werden. Schulen würden sich dann darauf einlassen, wenn ihre Interessen bei der Zielfindung für das Netzwerk berücksichtigt würden und externe Koordinierung und Bereitstellung von Ressourcen den Prozess erleichterten (167).
Band 4
Weniger überzeugend wirkt unseres Erachtens der 4. Band der Reihe, der sich mit zwei wichtigen Problemen der Weiterentwicklung des Schulwesens befasst: mit Leistungen und deren Bewertung sowie mit Anschlüssen und Übergängen innerhalb des Schulsystems. Übergänge sollten möglichst ohne Brüche gestaltet werden.
Der Band ändert nun die bisher in der Reihe üblich Konzeption. Ein allgemeiner, theoretischer Einstieg in die Themen fehlt, und auch die aus den geschilderten Modellprojekten abgeleiteten Empfehlungen gestalten sich recht knapp: zum ersten Thema gerade mal sechs Seiten, zum zweiten Thema ganze anderthalb. Der Rest des 240 Seiten starken Bandes schildert ausgiebig vier Länderprojekte: Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg zum Lernschwerpunkt des Bandes, Nordrhein-Westfalen und Frankfurt a.M. mit Projekten zu schulischen Übergängen. So interessant ein detaillierter Einblick sein kann, so ermüdend wirkt er, wenn er nicht für den theoretischen Diskurs fruchtbar gemacht, sondern – quasi als Selbstzweck – dargestellt wird. Der unseres Erachtens spannendste Teil des Bandes ist der ausführliche Einblick, den Claus Buhren dem Leser in die Evaluationswerkstatt zum Schleswig-Holstein-Projekt gewährt. Ansonsten bleibt vieles in diesem Band auf der Ebene der reinen Deskription von Einzelprojekten stehen.
Band 5
Erhöhte Eigenverantwortlichkeit der Einzelschule erfordert eine neue Art der Steuerung. Es müssen neue Konzepte gefunden werden sowohl für Selbststeuerung als auch das „Steuern aus Distanz“ (vgl. 4). Dem Thema der „Doppelsteuerung“, der Schulleitung auf der einen Seite und der Schulaufsicht auf der anderen sowie ihrem gegenseitigen Verhältnis widmen sich die Texte des fünften Bandes. Sicher, die Beiträge können die hiermit verbundenen Fragen (Wie steuern? Wie Qualität sichern? Wie qualifizieren? Wie neue Berufsbilder entwerfen?) nicht beantworten, aber sie zeigen Möglichkeiten auf realem Terrain.
Im Kapitel „Empfehlungen“ wird schließlich auch der Versuch unternommen, Konsequenzen aus den Berichten zu ziehen. Es wundert nicht, dass der Schulaufsicht eine Neuorientierung verordnet wird. „Das Aufgabenspektrum der staatlichen Schulaufsicht und damit des Schulaufsichtspersonals bedarf dringend einer grundsätzlichen Überprüfung“ (204). Sie solle ziel- und ergebnisorientierte Steuerungsverfahren entwickeln (205). Schulische Ergebnisse sollen dann als Basis für Beratung dienen. Ansprechpartner sei nicht der einzelne Lehrer, sondern die Schulleitung. Und damit wird auch die Schulleitung neu definiert. Sie soll nun die Gesamtverantwortung tragen für Qualitäts- und Personalmanagement. Dafür müssten Voraussetzungen geschaffen werden wie die Eröffnung von Handlungsspielräumen z.B. für Personalrekrutierung, Budgetierung, Lehrerfortbildung. Der Skeptiker mag fragen, ob diese Freiräume für die Organisation eines so komplexen Gebildes, wie eine Schule es ist, tatsächlich ausreichen. Müsste ein verantwortlicher Manager nicht mehr an Kompetenzen im Sinne von Berechtigungen benötigen?
Dass Kompetenzen im Sinne von Befähigungen sowohl für den neuen Typus Schulleiter als auch für den neuen Typus Schulaufsichtsbeamter nötig sind, beleuchten die „Empfehlungen“, wenn sie die systematische Führungskräfteentwicklung anmahnen. Personaldiagnostik, -qualifizierung und -rekrutierung seien die gemeinsame Aufgabe der Schulämter und der für Lehrerfort- und Ausbildung zuständigen Organisationen. Ob das Personal dort hierfür qualifiziert und rekrutiert ist, fragt man besser nicht.
Dass sich im Kontext neuer Steuerung gerade auf den Ebenen der Schulleitung und der Aufsicht vieles tun muss, dürfte unbestritten sein. Ob die Schulaufsichtsorgane den Schulleitern tatsächlich „wirklich verantwortungsvolle Aufgaben überlassen“, wie Petra Gruner und Klaus Suckow im Schlusskapitel fordern, ist so fraglich wie die Hypothese, dass sich die Schulaufsicht nicht nur wandelt, sondern womöglich auch auflöst (216 f). Ist der Eindruck falsch, dass die Länder zur Zeit Schulinspektionen entwickeln, die eben nicht nur auf Ergebnisse fokussieren und die genau das nicht leisten, was hier gewünscht wird, nämlich sich als Berater und nicht als „Fremdaufseher“ zu verstehen?
Band 6
Der sechste Band greift zwei Themen auf. Im Teil 1 werden die pädagogischen Schlüsselkonzepte Schulprogramm, Profilbildung, schulinterne Curricula, Standards und Lehrpläne diskutiert. Dabei werden grundsätzliche Fragen erörtert wie auch Praxisbeispiele geliefert, die zeigen, wie individuell die Aufgabe der Gestaltung von Unterrichtsvorgaben bewältigt wird. Die Beispiele liefern auch Indizien dafür, dass die Arbeit mit und an Lehrplänen durchaus stimulierend sein kann.
Der zweite Teil befasst sich, wieder sowohl allgemein als auch bezogen auf konkrete praktische Projekte, mit der Aufgabe der Bewertung pädagogischer Arbeit. Zunächst werden Konzepte und Kennzeichen von Evaluation beschrieben, dann folgen zehn Praxisbeispiele (z.B. Evaluation von Schlüsselqualifikationen, Evaluationen von Kooperationen zwischen Schulen und Moderatoren, Überprüfung der Wirksamkeit vernetzten Unterrichts). Das Kapitel zu Empfehlungen formuliert u.a. Thesen zu unverzichtbaren Rahmenbedingungen von Evaluationen, erläutert die Notwendigkeit, den Nutzen zu klären, Ziele zu präzisieren oder die Instrumenten sorgfältig auszuwählen. Fragen des Verhältnisses von externer und interner Evaluation greift das Schlusskapitel von Hornsteiner und Suckow auf: „Die Einzelschule vergewissert sich der Qualität ihrer pädagogischen Arbeit durch Selbstevaluation und erhält Informationen über ihren Entwicklungsstand im Vergleich zu anderen Schulen durch die externe Evaluation“ (338).
Man darf schon vermuten, dass diejenigen, die sich über mehrer Jahre intensiv bemüht haben, im Sinne eines Projektes wie QuiSS erfolgreich zu sein, einen positiven Eindruck davon bekommen haben, was in Schulen alles möglich ist und wie harmonisch neue Steuerung trotz des damit verbundenen dramatischen Wandels des gesamten Systems funktionieren kann. Angesichts der vielen Negativschlagzeilen darf man sich darüber freuen. Und dennoch muss man fragen, was denn nun genau folgt aus QuiSS: Was haben wir (empirisch belegbar) gelernt? Und was soll denn nun wer, wann und mit welchen Zielen tun, damit wir mit unseren Schulen wieder zufrieden sein können?
Was den Bänden also fehlt, ist eine umfassende Conclusio des Projekts, die die Interventionen und Entwicklungen an den bereits durch die School-Improvement-Forschung eruierten Kriterien ‚guter Schulentwicklung’ misst, wie z.B. an analytischer Reflexion der eigenen Unterrichtspraxis, gemeinsam getragenen Zielvorstellungen, Leistungsstandards, Kollegialität und Zusammenarbeit, gründlichen Fortbildungen oder Partizipation der Beteiligten. Vielleicht verliert sich die ‚Essenz’ des Projekts auch einfach zwischen der Vielzahl der Materialien, die in dieser Reihe präsentiert werden. Schade ist das. – Ansonsten haben wir es hier mit einer äußerst erfreulichen, wissenschaftlich fundierten Reihe zur Schulentwicklung zu tun.