Phillip Jones, Professor an der erziehungswissenschaftlichen Fakultät der University of Sydney, gehört zu den profundesten Kennern internationaler Bildungsbeziehungen. Seine bedeutenden Studien zur Weltbank und zur UNESCO finden im vorliegenden Band durch die Einbeziehung von UNICEF und dem United Nations Development Programme (UNDP) nicht nur ihre Ergänzung, sondern die historisch-systematische Behandlung dieser „Großen Vier“ führt zu einer gelungenen Synthese multilateraler Bildungspolitik seit 1945. Der anhand der einzelnen Organisationen unternommene Streifzug überzeugt dabei nicht allein durch die kenntnis- und detailreiche Narration, sondern vor allem durch die Kontextualisierung internationaler Bildungspolitik: Der Multilateralismus des UN-Systems, seine Entwicklung und Globalisierung reflektieren den realgeschichtlichen Hintergrund und bilden zugleich den konzeptionellen Ausgangspunkt dieser Studie.
Das erste Kapitel führt in das Thema der internationalen Bildungspolitik ein, indem Jones hier die verschiedenen politikwissenschaftlichen Modelle zur Erklärung von Internationalisierungsprozessen und des Multilateralismus vorstellt. Aus historischer Perspektive setzt er sich zunächst ideologiekritisch mit idealistischen Internationalismusauffassungen und anschließend der realistischen Denkschule im Bereich der internationalen Beziehungen auseinander. Weltsystemtheorie und verschiedene Erklärungsansätze von Globalisierung und Neoliberalismus werden anschließend ebenso erörtert wie Konzepte von Zivilgesellschaft und gegenwärtige Debatten um eine Revision der eurozentristischen und hegemonistischen Grundlagen westlicher Theorien der internationalen Beziehungen. Jones selbst favorisiert keinen dieser Ansätze, sondern argumentiert, dass das Verständnis multilateraler Kooperation im Bildungsbereich nur über ein Amalgam staatszentrierter, transnationalistischer und strukturalistischer Perspektiven erklärbar ist.
Im zweiten Kapitel gibt Jones einen prägnanten historischen Überblick über die Entwicklung multilateraler Bildungspolitik seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Einen wichtigen Aspekt sieht er darin, dass diese im Kontext des nach 1945 neu etablierten Systems der Vereinten Nationen entstanden ist und damit dem Wertekanon der Vereinten Nationen – der Verbindung von Frieden und Sicherheit mit Menschenrechten, Demokratie und internationalem Recht – unterlag. In der UN-Menschenrechtserklärung von 1948 wurde Bildung erstmals als Menschenrecht programmatisch formuliert, und dies bedeutete de facto den take off multilateraler Bildungspolitik, beginnend mit der UNESCO, dann gefolgt von UNDP, UNICEF und Weltbank. Während also Recht und Universalität die zentralen Motive in der Nachkriegszeit darstellten, begann sich der Fokus in den 1960er Jahren auf Entwicklungspolitik und Armutsbekämpfung zu verlagern. Damit rückte nun neben den politischen der ökonomische Multilateralismus.
Die Einheit von liberalen wirtschaftlichen und sozialen Werten bestimmte die Bildungspolitik mit dem Anspruch, die Bildungsbedürfnisse der Dritten Welt zu befriedigen. Multilaterale Bildungspolitik zielte darauf ab, bildungsbezogene Entwicklungshilfe mit dem universalen Recht auf Bildung zu verbinden und damit ökonomische Modernisierung zu ermöglichen. Letztere sollte durch Schlüsselprogramme zu fundamental education, zur Universalisierung der Grundschulbildung und zur Alphabetisierung befördert werden. Schon bald zeigte sich allerdings, dass die Idee, Bildung bereite den Weg zu wirtschaftlicher Prosperität und Nationsbildung, nicht der Realität entsprach. Das auf der Humankapitaltheorie beruhende Konzept westlicher Modernisierung geriet angesichts des Aufbruchs in der Dritten Welt in eine Krise. Mit dem von kritischen Weltsystemtheorien ausgehenden Anspruch eines radikalen politischen Wandels des Weltsystems als Voraussetzung effektiver Bildungspolitik war die Trennung der Bildungsentwicklung von ökonomischer Modernisierung verbunden. Dies führte zu einer Politisierung – insbesondere im Fall der UNESCO – multilateraler Bildungsorganisationen, aber zugleich auch zu einem Wechsel ihrer Politikmechanismen, zu denen nun die Kooperation mit den nationalen Partnern, die Berücksichtigung der spezifischen nationalen Bedürfnisse und die Dezentralisierung der bildungspolitischen Aktivitäten gehörten.
Die 1980er Jahre, so Jones, waren durch die Abwendung von einer kapitalismuskritischen Auffassung und die Durchsetzung des Neoliberalismus gekennzeichnet, der als ökonomische Variante des Globalisierungsprozesses den edukativen Multilateralismus bis heute dominiert. Die zentralen Implikationen dieses Wandels bestehen in der Reduktion der Rolle des Staates, die zunehmende Bedeutung des Lernens in der Wissensgesellschaft und die wachsende Mobilität als Reflex auf die Herausbildung eines globalen Arbeitsmarktes. Während sich die UNESO in den 1970er Jahren zum Hauptträger multilateraler Bildungspolitik entwickelt hatte, avancierten die Weltbank und – in geringerem Maße – das UNDP zum Protagonisten neoliberaler Bildungspolitik. Vor allem angesichts der Vorbehalte von UNESCO und UNICEF gegenüber einer neoliberalen Bildungsagenda konnte von einer einheitlichen Politik dieser Organisationen kaum die Rede sein. Die Ambivalenz von Kooperation und Wettstreit kennzeichnete daher das Verhältnis der „Großen Vier“, wobei mit der Education for All-Bewegung seit 1990 ein Terrain gefunden wurde, auf dem die unterschiedlichen normativen und entwicklungsorientierten Strategien eine gemeinsame Zielsetzung gefunden haben und damit die Möglichkeit einer einheitlichen multilateralen Bildungspolitik eröffnet ist.
Die folgenden vier Kapitel behandeln die Geschichte und Bildungspolitik von UNESCO, Weltbank, UNICEF und UNDP. Basierend auf den Kernthemen Multilateralismus, Entwicklung und Globalisierung wird ihre jeweils spezifische Rolle in der im zweiten Kapitel skizzierten Entwicklung multilateraler Bildungspolitik untersucht. Insbesondere im Fall von UNESCO und UNICEF kann Jones dabei auf eine gut dokumentierte Geschichte beider Organisationen zurückgreifen; bezogen auf UNESCO und Weltbank auf eigene Forschungen. Die Stärken der Organisationsanalysen bestehen so vor allem in der Darlegung aktueller Bildungsstrategien und -politiken, die auf der Auswertung aktueller Dokumente und einer Vielzahl von Experteninterviews beruhen. Jones geht chronologisch vor, wobei er die Periodisierung entlang der jeweiligen Generalsekretäre der Organisationen vornimmt. Dies ermöglicht eine lebendige Darstellung anhand der key players, erschwert allerdings durch die daraus resultierende diachrone Anordnung den Vergleich. Die systematische Behandlung der Strukturen, Finanzen und Politikmechanismen der jeweiligen Organisation, ihrer bildungsrelevanten Programme und realen Bildungspolitik verhindert aber eine personenzentrierte, zentrale institutionsspezifische Aspekte multilateraler Bildung ausblendende Erzählung.
Besonderes Interesse ruft das dem Leser wohl wenig bekannte UNDP hervor. UNDP wurde 1965 als Zusammenschluss des Expanded Programme of Technical Assistance und dem UN Special Fund gebildet. Neben UNICEF gehört UNDP zu den zentralen Fonds und Programmen der Vereinten Nationen, während UNESCO und Weltbank als Sonderorganisationen einen anderen Status im UN-System einnehmen. UNDP ist für Technical Assistance auf Länderebene zuständig. Der Hauptfokus liegt zum einen auf dem Aufbau der Infrastruktur für Analyse, Planung und Entwicklung, zum anderen auf der Bereitstellung großformatiger Anschubprojekte. Ein Großteil der Mittel fließt dabei in andere UN-Organisationen wie FAO, ILO, WHO und UNESCO. Wie auch Weltbank, UNESCO und UNICEF durchlief das UNDP im Laufe seiner Entwicklung verschiedene Wechsel in Politikausrichtung und Fokus, wobei Bildung nur einen kleinen Sektor im Arbeitsprogramm der Organisation – allgemeine Hilfskoordination, technische Zusammenarbeit, Entwicklungshilfe – ausmachte. Erst seit den 1990er Jahren, vor allem im Kontext von Education for All, wandte sich UNDP verstärkt dem Bildungsbereich zu, ohne ihm allerdings bisher eine zentrale Rolle zukommen zu lassen.
Im siebten und letzten Kapitel greift Jones neueste Entwicklungstendenzen in der multilateralen Bildungspolitik auf, die unter den Begriffen von global civil society und transnationaler sozialer Bewegung bereits Eingang in die Forschung gefunden haben. Gemeint sind neue, nichtstaatliche Akteure in der internationalen Bildungspolitik, die über transnationale Netzwerke, globale Kampagnen oder soziale Bewegungen zunehmenden Einfluss auf die bisher von staatlichen Organisationen und Regierungen dominierten Bildungsbeziehungen ausüben. Nichtstaatliche Regierungsorganisationen (NGOs) bilden das Gerüst einer internationalen Zivilgesellschaft, die sich neben dem tradierten System der Vereinten Nationen etabliert. Jones zeigt, wie UNESCO, Weltbank, UNICEF und UNDP auf diese Entwicklung reagierten. Deutlich wird dabei, dass die Beziehungen zwischen internationalen Organisationen und NGOs seit 1945 komplex und nicht selten kompliziert waren. Die Gründe für eine Kooperation mit NGOs sind für die vier Bildungsorganisationen durchaus verschieden. Auch wenn alle Organisationen, vor allem UNICEF, in geringerem Ausmaß UNDP und Weltbank, mit NGOs zusammenarbeiten, agieren staatlicher und nichtstaatlicher Sektor – selbst im Fall von Education for All – noch weitestgehend nebeneinander, wobei die staatlichen Organisationen die Bedingungen dieser Zusammenarbeit definieren. Während die Schwäche staatlicher Regulierungsmechanismen internationaler Beziehungen, vor allem im Gefolge vom September 2001, deutlich ist, haben die zivilgesellschaftlichen Akteure allerdings – über die Rhetorik hinaus – bisher keine Alternativen von global governance entworfen.
So überzeugend die Struktur des Buches ist, so hat der organisationszentrierte Zugang einen großen Nachteil: Er erschwert die Behandlung und damit das Verständnis organisationsübergreifender Themen. So wird etwa an verschiedenen Stellen auf Education for All eingegangen, ohne dass eine systematische Behandlung erfolgt. Ähnliches ließe sich von der Lehrerbildung, der Erwachsenenbildung oder der Grundbildung sagen. Unklar bleibt, warum die OECD nicht zu den „großen“ bildungsrelevanten Organisationen gezählt wird, auch wenn sie nicht zum UN-System gehört. Das Kapitel über die NGOs bleibt auf einer sehr allgemeinen Stufe stehen, ohne auf spezifische Organisationen oder Kampagnen und deren Einfluss einzugehen. Auch wenn der von Jones favorisierte Theorieneklektizismus verschiedene Facetten multilateraler Bildungsbeziehungen aufzuzeigen vermag, bleibt am Ende der Lektüre doch der Wunsch, Geschichte und Mechanismen internationaler Bildungspolitik auf einem höheren Abstraktionsgrad theoretisch zu reflektieren. Mancher Leser mag zudem eine kritischere Auseinandersetzung mit den Bildungsorganisationen – vor allem der Weltbank – erwartet haben, aber gerade die sachlich-nüchterne, von Polemik freie Darstellung macht den Wert dieses Buches aus. Für den Bereich der international education und das Studium internationaler Bildungspolitik stellt es schon jetzt ein Standardwerk dar.
EWR 6 (2007), Nr. 1 (Januar/Februar 2007)
The United Nations and Education
Multilateralism. Development and Globalisation
London: Routledge 2005
(288 S.; ISBN 0-415-33630-9; 117,50 EUR)
Eckhardt Fuchs (Mannheim)
Zur Zitierweise der Rezension:
Eckhardt Fuchs: Rezension von: Phillip-W. Jones (with David Coleman): The United Nations and Education, Multilateralism. Development and Globalisation. London: Routledge 2005. In: EWR 6 (2007), Nr. 1 (Veröffentlicht am 30.01.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/41533630.html
Eckhardt Fuchs: Rezension von: Phillip-W. Jones (with David Coleman): The United Nations and Education, Multilateralism. Development and Globalisation. London: Routledge 2005. In: EWR 6 (2007), Nr. 1 (Veröffentlicht am 30.01.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/41533630.html