Wer derzeit ein Buch über Bildung, Lehrpläne und Schulorganisation herausgibt, rückt automatisch in den Kontext der aktuellen bildungspolitischen Debatte. Obwohl Arnhardt und Reinert in erster Linie einen historischen Überblick über die Geschichte der drei sächsischen Landes- und Fürstenschulen liefern, möchten sie ausdrücklich auf die Nachhaltigkeit der Bildung hinweisen, die sich aus der dort gepflegten humanistischen Tradition ergibt. Das Buch versteht sich als Mahnung (s. Vorwort) für eine humanistische Bildung gegen ein rein utilitaristisches Bildungsideal. Die Gymnasien in Schulpforta und Grimma bekennen sich auch heute ausdrücklich zu ihrer humanistischen Tradition, während das neu entstehende Elitegymnasium in Meißen, in dem Hochbegabte unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten ihrer Eltern gefördert werden sollen, der ursprünglichen Konzeption der Fürsten- und Landesschulen am nächsten kommt.
Mit dem vorliegenden Band möchten Arnhardt und Reinert auf die historische Reichweite der Fürstenschulen, die sie als einmalige Symbole hoher pädagogischer Leistungsfähigkeit sehen, aufmerksam machen. In diesem Sinne soll bislang wenig überschaubares Material aufgehellt werden. Trotz der Fülle an Quellen und Informationen gelingt den Autoren eine detaillierte und dichte, aber dennoch übersichtliche Darstellung der Schulgeschichte. Durch das gesamte Buch hindurch lässt sich ein großes persönliches Engagement für die Humaniora und eine positive Haltung zu den Schulen und ihrem Bildungsauftrag bemerken. Irritierend sind allerdings für den an aktuelle sozialwissenschaftliche Texte gewöhnten Leser Formulierungen wie "Drei Klosteranlagen ... wurden ... Heimstätten und nährende Mütter für die pädagogische Leistungsfähigkeit der Renaissencestiftungen..." (22), die "kleine, bescheiden ausgeführte Klosteranlage der Augustiner Eremiten an der Mulde klammerte sich erschöpft in angestammten Boden" (30) oder "Jubiläen hatten ehemalige Schüler auch während der letzten drei Jahrzehnte regelmäßig in den vertrauten Lebensraum zurückgeführt, um immer aufs Neue aus diesem Jungbrunnen zu schöpfen und ihr Vermächtnis an die Nachwachsenden weiterzugeben" (198).
In ihrer Darstellung gehen die Autoren chronologisch vor. Zu Beginn werden in einem Glossar heute nicht mehr geläufige Begriffe aus der Schulgeschichte erläutert.
Jedes Kapitel beginnt mit der Beschreibung des historischen Kontextes, im Anschluss daran werden jeweils getrennt voneinander die Entwicklungen der drei Schulen geschildert. Arnhardt und Reinert beginnen mit der Darstellung der Anfänge des höheren Bildungswesens in Sachsen, als Mitte des 16. Jahrhunderts aus den Klosteranlagen in Schulpforta, Grimma und Meißen drei innovative Erziehungsanstalten hervorgingen. Das sächsische Schulwesen war zur Zeit des Renaissancehumanismus stark von Melanchthons Bildungsideen geprägt, so dass die Schulen schon zu ihrer Gründungszeit zu "Pflanzstätten" humanistischen Geistes wurden. Obwohl es derzeit noch keine fest umrissenen Bildungsinhalte an den Schulen gab, bestand Einigkeit darüber, dass sie hochschulvorbereitenden Charakter haben sollten.
Die Zeit zwischen 1770 und 1820 wird von Arnhardt und Reinert als die progressivste und streitbarste Epoche der Schulen beurteilt, denn neuhumanistische Bildungsideen hatten große Auswirkungen auf die Konzeptionen der Schulen. Während allgemein die Naturwissenschaften einen immer größeren Stellenwert bekamen, blieben die Fürstenschulen ihrer humanistischen Tradition treu und sahen im Studium der Antike nach wie vor die beste Form der Hochschulvorbereitung. So blieben die traditionellen philologischen, philosophischen, historischen und mathematischen Bildungsgüter in den Schulen bewährte Elemente der Studiumsvorbereitung, deren Fundament nach wie vor der altsprachliche Unterricht war. Auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Politik Sachsens zunehmend von Preußen mitbestimmt wurde, wollten sächsische Pädagogen entgegen dem realistischen Trend die Humaniora im Zentrum der Bildung sehen. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewannen die Naturwissenschaften und modernen Sprachen an Bedeutung und wurden als grundlegend für die Hochschulvorbereitung gesehen. Tiefe Einschnitte erfuhr das Schulleben im 20. Jahrhundert durch den 1. Weltkrieg und die Machtübernahme der Nationalsozialisten.
In den 40er Jahren hatte sich das Nazi-Gedankengut auf alle Schulen erstreckt, so dass die humanistische Bildungskonzeption von "Menschlichkeit, Freiheit und Selbständigkeit" in "faschistische" Werte umfunktioniert wurde. Der Versuch nach 1945 an die 400jährige Bildungstradition anzuknüpfen scheiterte, denn mit der Gründung der DDR wurden die Lehrpläne erneut politisiert. Meißen wurde direkt nach dem Krieg geschlossen, Grimma und Schulpforte wurden zu "Erweiterten Oberschulen".
Seit der Wiedervereinigung versuchen alle drei Schulen nun an ihre humanistische Tradition anzuknüpfen.
Die sehr dichte und damit für Studienanfänger zu voraussetzungsreiche Darstellung wird ergänzt und illustriert durch zahlreiche Abbildungen und Tabellen zur Entwicklung der Schulen. Die Reflektionen berühmter ehemaliger Fürstenschüler wie Klopstock, Lessing und Fichte geben neben den Speise- und Lektionsplänen einen anschaulichen Einblick in den Schulalltag. Im Anhang findet sich eine Auswahl an Literatur zu den Fürstenschulen, eine Übersicht über Schulärzte aus Meißen, Grimma und Schulpforta und eine sehr detaillierte Chronik mit den für die Schulen wichtigen historischen Daten.
Insgesamt ist das Buch eine komplexe und detailreiche Informationsquelle zur Geschichte der drei Fürstenschulen, die durch die engagierte Haltung der Autoren für eine Erziehung zur Menschlichkeit auch einen Überblick über die Entwicklung humanistischer Pädagogik gibt.
EWR 1 (2002), Nr. 4 (September 2002)
Die Fürsten- und Landesschulen Meißen, Schulpforte und Grimma
Lebensweise und Unterricht über Jahrhunderte
Weinheim und Basel: Beltz Verlag 2002
(271 Seiten; ISBN 3-407-32015-9; 34,00 EUR)
Christiane Ruberg (Dortmund)
Zur Zitierweise der Rezension:
Christiane Ruberg: Rezension von: Arnhardt, Gerhard / Reinert, Gerd-Bodo: Die Fürsten- und Landesschulen Meißen, Schulpforte und Grimma, Lebensweise und Unterricht über Jahrhunderte, Weinheim und Basel: Beltz Verlag 2002. In: EWR 1 (2002), Nr. 4 (Veröffentlicht am 01.09.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/40732015.html
Christiane Ruberg: Rezension von: Arnhardt, Gerhard / Reinert, Gerd-Bodo: Die Fürsten- und Landesschulen Meißen, Schulpforte und Grimma, Lebensweise und Unterricht über Jahrhunderte, Weinheim und Basel: Beltz Verlag 2002. In: EWR 1 (2002), Nr. 4 (Veröffentlicht am 01.09.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/40732015.html