Fast jede wissenschaftliche Disziplin hat ihre Konjunkturen. Der Allgemeinen Didaktik geht es nicht anders. Mit Werner Janks und Hilbert Meyers "Didaktischen Modellen" schien 1991 die über dreißigjährige Diskussion um das Selbstverständnis und den Stellenwert einer Allgemeinen Didaktik im Rahmen der erziehungswissenschaftlichen Disziplinen zu einem Ende gekommen. Und wie es am Ende oft so ist, schien die Didaktik auch am Ende [1] zu sein.
Ihr wurde von zwei Seiten Sterbehilfe angeboten: Die Fachdidaktiken versuchten sich mit einer Theorie der "Allgemeinen Fachdidaktik" [2] von der aus ihrer Sicht unerträglichen Bevormundung durch die Erziehungswissenschaften zu befreien, indem sie deren Fragestellungen gleich mit erledigten, während die sich etablierende, psychologisch ausgerichtete Lehr-Lernforschung der Allgemeinen Didaktik – wie der schulpädagogischen Forschung insgesamt –, Empirieferne und damit Unwissenschaftlichkeit vorwarf. Der Vorwurf traf vor allem im Anschluss an die mittlerweile bekannten Vergleichsstudien (TIMSS, PISA etc.) auf einen fruchtbaren bildungspolitischen Boden, erhofften sich doch Bildungspolitiker von empirisch gehaltvollen Strategieangeboten einen gangbaren Weg aus der zuvor konstatierten Schulmisere. Wissenschaftspolitisch erlebten die Allgemeine Didaktik wie auch die Schulpädagogik ein fast existentielles Desaster. Ehemals schulpädagogische Stellen wurden für die Bildungsforschung, ehemals allgemein didaktischen Stellen wurden zur Lehr-Lernforschung umgewidmet. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Ob er im Sinne einer besseren Schule zum Erfolg führen wird, darf angesichts vieler unerfüllter Erwartungen, die vor allem in der Nach-PISA Diskussion virulent wurden, bezweifelt werden.
Ewald Terhart schlug schließlich vor, den Forschungsanteil in der bildungs- und schulrelevanten Erziehungswissenschaft der Lehr-Lernforschung zuzuschlagen und die Allgemeine Didaktik zu einer Ausbildungsdisziplin für die Lehrerbildung zu ernennen [3]. Eine überaus zweifelhafte Ernennung, weil sie im Reigen universitärer Disziplinen einer glatten Degradierung gleichkommt und langfristig nur die Vertreibung aus der in den 1970-er und vor allem 1980-er Jahren mühsam erkämpften Integration in die Universitäten zum Ziel haben kann.
Um so bemerkenswerter ist es, dass die Allgemeine Didaktik sich gegenwärtig gleich mit mehreren Titeln zurückmeldet, von denen hier vier besprochen werden sollen. Bemerkenswert ist das nicht nur, weil Totgesagte bekanntlich lange leben und weil eine Teilhabe am gegenwärtigen bildungspolitischen Diskurs für die Disziplin selbst wichtig ist, sondern auch und vor allem, weil die Allgemeine Didaktik sich bei dieser Gelegenheit auch des Vorwurfs der Empirie- und damit auch der Forschungsferne – was oft, wenn auch unzulässigerweise als Ein und das Gleiche gehandelt wird, – erwehren könnte. Das indessen kann ihr nur gelingen, wenn sie darzulegen mag, welches ihre differentia spezifica gegenüber den konkurrierenden Disziplinen, vor allem zur Lehr-Lernforschung ist.
Die wichtigste Frage an die hier besprochenen Einführungen in die Didaktik ist deshalb die nach dem jeweiligen Verständnis der Didaktik als wissenschaftliche Disziplin. Der besondere Ausbildungscharakter der Didaktik ist nicht zu leugnen. Das hängt vor allem damit zusammen, dass sie über Bildung, das Lehren und das Lernen redet und dass die Abnehmer ihrer Erkenntnisse, LehrerInnen und Schüler, manchmal auch Bildungspolitiker, zugleich auch für sie Forschungsfeld und -gegenstand darstellen. Vor allem aber erweist sich in der Güte der Weitergabe der Forschungsergebnisse, die immer eine Verbesserung des didaktischen Handelns zum Ziele hat, die eigene Güte als wissenschaftliche Disziplin. Paul Heimann hat diese Doppelleben der Didaktik schon 1962 auf die knappe Formel von der "Didaktik als Theorie und Lehre" [4] gebracht. Die Didaktik ist deshalb eine überaus praktische Wissenschaft. Das hat sie in der Vergangenheit allzu oft vergessen gemacht. Nicht selten hat sie sich gerade in der Phase ihrer Etablierung und Expansion, vor allem in der unmittelbaren "Nach – Blankertz – Heimann – Klafki – Ära", fast ausschließlich mit sich selbst, mit ihrer Theoretisierung und Etablierung als wissenschaftlicher Disziplin beschäftigt und darüber ihren Anwendungsbezug vergessen. Schließlich wurde er nicht mehr erwartet. Eine Einschätzung, die bei den meisten Lehrern zu einer allgemeinen didaktischen Abstinenz führte. Außer in den universitären und schulpraktischen Seminaren spielte Allgemeine Didaktik kaum noch eine Rolle.
Die selbst-verliebten Didaktiker hatten sich ohnehin schon wieder angeblich profitableren Wissenschaftsbereichen zugewandt, z.B. der Bildungsphilosophie, der pädagogischen Anthropologie und eben jetzt der Bildungsforschung, um nur einige Beispiele zu nennen. Es gab Phasen, da wies die Didaktik den Titel der Berufswissenschaft für Lehrer empört zurück, nun läuft sie Gefahr, ihn an die dafür sicherlich nicht zuständige Allgemeine Erziehungswissenschaft zu verlieren.
Die zweite wichtige Frage an die Neuerscheinungen muss deshalb die nach dem Selbstverständnis der Didaktik als Berufswissenschaft für Lehrer sein. Oder anders formuliert: lassen sich ihre Entwürfe überhaupt bei und von denen, für die sie gedacht sind, verwenden?
Drittens ist jede Rede über Unterricht notwendigerweise eine normengebundene, weil sie immer zugleich auch eine Rede über ´guten Unterricht´ ist. Es machte im pädagogischen Diskurs kaum Sinn, über Unterricht zu reden, wenn er nicht vor dem Maßstab eines Bildes von gelingendem oder eben misslingendem Unterrichts geführt würde mit dem Ziel, die Qualität des Unterrichts zu steigern. Der von der Lehr- Lernforschung an die Didaktik immer wieder erhobenen Vorwurf, sie sei normativ, macht deshalb nur einen sehr bedingten Sinn. Er ist richtig, wenn er auf die Notwendigkeit verweist, dass jede Didaktik, die ihre Entwürfe nicht immer auch an die jeweils gegebenen historisch gesellschaftlich und individuell vorfindbaren Bedingungen knüpft, als normative zum Scheitern verurteilt ist. Darauf hat zuallererst Herwig Blankertz in seiner Kritik normativer Didaktiken hingewiesen [5]. Er ist umso falscher, wenn er – was häufig genug vorkommt – lediglich dazu dienen soll, Empirieferne schon dadurch zu belegen, dass auf präskriptive Aussagen über Unterricht hingewiesen wird. Im pädagogischen Diskurs ist der Zusammenhang von Empirie und Norm, von Tatsachenfeststellungen und Sollensaussagen eben unhintergehbar. Auch darauf hatte Herwig Blankertz schon 1969 in seiner Kritik an der Heimannschen lerntheoretischen Didaktik aufmerksam gemacht. Berechtigt sind indessen wohl die Fragen nach dem empirischen Gehalt der didaktischen Aussagen. Sie müssen an jeden neueren Didaktikentwurf gestellt werden.
Eng zusammen mit den gerade getroffenen Feststellungen hängt indessen noch eine vierte Frage. Paul Heimann hatte schon 1962 in einem frühen Vorwurf der Empirieferne der Klafkischen bildungstheoretischen Didaktik unterstellt, sie sei eher bildungsphilosophisches Stratosphärendenken als wirkliche Wissenschaft. Auch diesen Vorwurf hatte Blankertz schon früh kritisiert, weil es den Bildungsgedanken aus der Didaktik hinweg zu eskamotieren trachtete. Der aber ist zumindest im System und in der Historie der aufgeklärten europäischen Pädagogik nicht nur unhintergehbar als Maßstab für pädagogisches Denken und Handeln überhaupt, sondern eben auch für die Frage nach dem ´guten Unterricht´. Freilich kann damit in keiner Weise eine pädagogische Handlungsanweisung gegeben sein. Das wäre im Blankertzschen Sinne zutiefst normativ und damit unzulässig. Wohl aber kann Bildung einen Maßstab zur Differenzierung des pädagogischen Handelns selbst abgeben. Ein Pädagogik ohne den Maßstab der Bildung liefe immer der Gefahr, mehr oder weniger bewusstlos pädagogisch unzulässigen Zielen wie Indoktrination, Bevormundung oder bloßer ökonomischer Optimierung nachzugehen. Die hier verhandelten vier Didaktiken müssen sich deshalb auf ihren expliziten oder eben auch impliziten Bildungsbegriff befragen lassen.
Welches wissenschaftliche Selbstverständnis haben die Didaktiken?
Ich unterscheide drei Ebenen didaktischer Theoriebildung. Die Handlungsebene zielt auf den konkreten Vollzug des Unterrichts durch Lehrer und Schüler. Didaktiken, die sich ausschließlich hier ansiedeln, sind eher mit Kochbüchern, weil sie in der Regel Rezepte anbieten, mit IKEA, weil sie Gebrauchsanweisungen anbieten und mit dem Papst, weil sie sich oft katechetisch gebärden, zu vergleichen als mit wissenschaftlichen Werken. Didaktiken indessen, die diese Ebenen gar nicht erst betreten, bleiben in der Regel folgenlos.
Die zweite, die Analyse- und Planungsebene ist der Tummelplatz für alle jene Didaktiken, die Unterricht vor allem über ausgefeilte Analyseinstrumente und Planungsschemata beeinflussen wollen. Wenn sie dort verharren, erreichen sie den Unterricht fast nur in Vorführstunden. Ihnen fehlt nämlich jedes Gespür für die vielfältigen Einflüsse, denen das didaktisch-unterrichtliche Handeln von Lehrern und Schülern ausgesetzt ist.
Ausschließlich auf der Metaebene angesiedelt sind jene Didaktiken, die den Beschwernissen des schulischen Alltags entflohen sind. Die Kritik mehr oder weniger verzweifelter Lehrer in den 1970-er und 1980-er Jahren richtete sich vor allem auch gegen solche Theorieentwürfe, die oft noch nicht einmal versprachen, die Handlungsmöglichkeiten verbessern zu wollen.
Jeder Erneuerungsversuch der Allgemeinen Didaktik kann mit einiger Aussicht auf Erfolg nur auf allen drei Ebenen zugleich beginnen. Das jeweilige Konzept muss nach dem Gesagten seinen wissenschaftstheoretischen Standort bestimmen, das Verhältnis zu seinen Bezugsdisziplinen und zu den Fachdidaktiken klären. Es muss ein Raster für die Analyse und Planung von Unterricht in diese Position einbinden und es muss schließlich eine Idee davon geben, wie Unterricht nach diesen Reflexionsvorgaben aussehen könnte. Und wenn es den Unterricht wirklich erreichen will, muss es die LehrerInnen bevollmächtigen und animieren, auch anders zu handeln.
Die hier behandelten Einführungen kommen den oben beschriebenen Anforderungen nicht in jedem Fall nach:
Alle vier sind eindeutig auch der Metaebene zuzuordnen, insofern sie u.a. "über Ursprünge und Aufgaben der Didaktik" reflektieren (Tulodziecki/Herzig/Blömeke), die "Didaktik als Wissenschaft" darstellen (Kron), die "Entwicklung der Pädagogik und Didaktik in der Geschichte" nachzeichnen (Riedl) oder das Verhältnis von Allgemeiner und Fach-Didaktik klären (Kiper/Mischke). Ihre Elaboriertheit auf dieser Ebene ist indessen recht unterschiedlich.
Kiper/Mischke fassen ihre wissenschaftstheoretischen Überlegungen zusammen in der Aussage, dass es in der Didaktik darauf ankomme, die didaktischen Aussagen mit unterschiedlichen (empirischen, hermeneutischen und kritischen) Methoden auf ihre Gültigkeit zu überprüfen. Wissenschaftsmethodisch ist ihr eigener vorgestellter Ansatz einer "integrativen Didaktik"(71ff.), der sich zudem als handlungstheoretisch fundiert (60) begreift, entsprechend umfassend. Der Rekurs auf die Handlungstheorie verweist indessen trotz der von den Autoren mitgeteilten Absicht, Lehrer "zum kompetenten Lehren und zum Arrangieren von Lehr-Lernprozessen (zu befähigen)" (59) vor allem auf den Charakter didaktischer Theoriebildung: sie soll das didaktische Handeln in seiner ganzen Komplexität aufnehmen und analysieren und aufgrund dieser Analysen auch Planungs- und Durchführungshilfen geben. Dazu gehören beispielsweise auch Zielanalysen. An der Behandlung dieses Themas indessen wird die eher zweckrational orientierte Grundkonzeption des Ansatzes deutlich: Eine Entscheidung über die Ziele und Inhalte des Unterrichts treffen ausdrücklich nicht die LehrerInnen (90). Sie spezifizieren nur die gesellschaftlich irgendwie entschiedenen Zielsetzungen für die Belange ihrer Unterrichtsplanung. Den Anspruch anderer, früherer Didaktiken, selbst in die Aushandlung von Zielen einzugreifen, haben die Autoren offensichtlich, und damit wohl dem Zeitgeist entsprechend, aufgegeben.
Ebenfalls handlungstheoretisch fundieren Tulodziecki, Herzig und Blömeke ihr eigenes didaktisches Modell (33ff.), das den Schwerpunkt des Buches ausmacht. Insofern reden sie über ihre Sicht der "Gestaltung von Unterricht" (das ist der Haupttitel). Indessen liefern sie nicht wirklich eine Einführung in DIE Didaktik, wie der Untertitel suggeriert, sondern in ihre Didaktik. Die Darstellung anderer wissenschaftlicher Didaktikansätze tritt entsprechend in den Hintergrund. Die eigene Position wird dabei wohltuend offen und zurückhaltend zugleich bezeichnet als eine, die keinen Alleinvertretungsanspruch hat (193). Dem Leser/Studierenden wie Lehrer wird nahe gelegt, seine eigene Entscheidung zu treffen. Das gilt, wiederum am Beispiel der Zielbestimmungen für den Unterricht, indessen nicht nur für die Lehrer, sondern auch für die Schüler. Mit Ihnen sollen die LehrerInnen Zielvereinbarungen treffen, die damit beginnen, dass SchülerInnen ihre Zielvorstellungen artikulieren, um so die Bedeutsamkeit des Gelernten als eine der wichtigsten Voraussetzungen für nachhaltiges Lernen überhaupt herzustellen bzw. zu erhöhen.
Friedrich Kron behandelt die Fragen nach dem wissenschaftstheoretischen Standort didaktischer Modelle ebenfalls ganz ausführlich (41ff.). Aber er bezieht keine explizit eigenen Position. Das muss er auch scheinbar nicht, weil er kein eigenes Modell vorstellt, sondern gleichsam im Charakter eines Kompendiums eine möglichst umfassende Vielfalt von Ansätzen vorstellt. Seine Tabelle zur gegenstandtheoretischen Bestimmung der didaktischen Modelle (70) umfasst nicht weniger als vierzig Ansätze. Zugleich liegt in dieser wissenschaftstheoretisch abstinenten und mehr auf enzyklopädische Vollständigkeit zielenden Darstellungsweise auch eine Schwäche, die dazu führt, Didaktiken nach äußeren Kriterien und nicht jeweils ihren eigenen wissenschaftlichen Standortbestimmungen entsprechend einzuordnen. So ist der den systemtheoretischen Ansätzen zugeschlagene strukturtheoretische Ansatz von D. Lenzen ausdrücklich systemkritisch – weil damals noch an der wissenschaftstheoretischen Position von Jürgen Habermas orientiert – aufzufassen und damit eher den bildungstheoretischen Modellen subsumierbar. Am Beispiel der Zielbestimmung des Unterrichts wiederum wird der Kompendiencharakter deutlich: Die Zielbestimmung als wichtige didaktische Handlung taucht lediglich in der Beschreibung der vielfältigen Ansätze auf. Eine eigene Empfehlung zum Umgang mit den Zielen des Unterrichts findet in keiner Weise statt.
Bar jeder wissenschaftstheoretischen Positionsbestimmung schließlich ist das Buch von Alfred Riedl, das sich mit den "Grundlagen der Didaktik" ausschließlich in dem Sinne befasst, dass es Ergebnisse von Forschungen referiert. Dabei lehnt er sich eng an Jank/Meyer (2002) an [6], die er ausgiebig zitiert und oft als Aufhänger für die einzelnen Kapitel nutzt. Aber eine wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung mit den einzelnen Ansätzen findet anders als bei Jank/Meyer nicht statt. Vielleicht wollte er seinen Adressaten diese wichtige aber eben auch schwierige Positionsbestimmung nicht zumuten. Konsequenterweise verzichtet er deshalb auch ganz auf einen Bezug oder nur einen Verweis auf Blankertz. Die Folgen werden wiederum am Beispiel des Umgangs mit dem Thema "Lernziele" deutlich: Zwar gibt es eine ausführliche Darstellung der Lernzielbestimmung und -ordnung, bezogen wird sie aber lediglich auf die – vorgegebenen – Lehrpläne, womit die Frage nach den Zielen des Unterrichts der aktiven Auseinandersetzung durch die Lehrer entzogen wird.
An welchen Adressaten wenden sich die Einführungen?
Diese Frage zu stellen heißt, auf ein schon fast historisches Missverständnis der Allgemeinen Didaktik hinzuweisen: Sie hat sich lange über weite Strecken verstanden als eine Disziplin, die sich lieber mit sich selbst befasste, als dass es ihr um Veränderung des Unterrichtes ging. Die Selbstbeschäftigung war zwar auch in dem Sinne notwendig, wie Blankertz es mit seinen Theorien und Modellen vorgemacht hatte, nämlich als notwendige wissenschaftliche und wissenschaftstheoretische Grundlage für die weitere Beschäftigung mit Schule, mit Unterricht und Lehren und Lernen, indessen gingen viele Autoren nicht über diese Ebenen hinaus. Die vielen sogenannten Einführungen in die Didaktiken der 1970-er und 1980-er Jahre, die lediglich Blankertz vervielfältigten, sind dafür ein Beispiel einerseits und die vielen didaktischen Modelle und Unterrichtskonzeptionen, die erst gar nicht darauf angelegt waren, unterrichtspraktische Folgerungen zu zeitigen, sind andere Belege der Selbstgenügsamkeit der Didaktiken. Für das letztere steht beispielsweise der Strukturgitteransatz, der Anfang der 1970-er Jahre im Gestus des aufgeklärten Reformators daherkam, der aber noch nicht mal von seinen eigenen Erfindern zur Anwendung gebracht wurde. Der Bedeutungsverlust der Allgemeinen Didaktik liegt nicht zuletzt hier, im Unwillen ihrer Protagonisten, sich in die Niederungen des Lehreralltags hinab zu lassen, begründet. Die LehrerInnen fühlten sich – vermutlich zu recht – alleine gelassen mit einem Wust von Denkanstößen, die zu kaum etwas führten.
Die Reaktion war eine verständliche: LehrerInnen verweigerten sich dem zumeist als einseitig erkannten Diskurs, was sich besonders heftig in den rapide sinkenden Auflagen der Bücher und einschlägigen Zeitschriften bemerkbar machte und fingen an, das didaktische Geschäft selbst zu betreiben. Die Vielzahl von Berichten aus dem eigenen Unterricht, wie sie vor allem im Umfeld des Offenen Unterrichts geschrieben wurden, legen davon Zeugnis ab.
Auch der zweifache Universalitätsanspruch, der die Didaktiken in den 1980-er Jahren auszeichnete, nämlich für jeden denkbaren Unterricht zuständig zu sein und das Lehrerhandeln umfassend steuern zu können, konnte erfahrbar für die Lehrer nicht eingehalten werden. Erfahren wurde vielmehr das Unvermögen der Didaktiken, in jeder Situation, in der Unterricht im Alltag durchgeführt werden musste, die geeignete Perspektive und das passende Reflexionsinstrumentarium zu liefern. Hilbert Meyer hat die didaktischen Modelle der Zeit deshalb auch zu recht als Feiertagsdidaktiken apostrophiert, die wenig mit dem Alltag der LehrerInnen zu tun hatten.
Es kann mittlerweile als Konsens gelten, dass Didaktiken, die halbwegs erfolgreich im Sinne von ´den Unterricht tatsächlich erreichend´ sein wollen, den Anspruch auf Allumfassendheit aufgeben müssen. Sie können auch nicht mehr mit dem Anspruch auftreten, das Handeln der LehrerInnen in einer bestimmten Weise lenken zu können. Die ´subjektive Didaktik´ Kösels (1993) beispielsweise hat daraus die Konsequenz gezogen, didaktisches Handeln nur noch subjektiv, also je aus der Sicht der Mitspieler des Unterrichts, zu betrachten. Seine Didaktik hat die Funktion, die Reflexion des Handelns anzuleiten und zu gewährleisten, dass jeder Beteiligte die ihm adäquaten Schlüsse zieht. Damit geht der Didaktik indessen das Allgemeine verloren, wenn es mehr sein soll als nur die Nicht-Fachbezogenheit. Und weil die hier zu besprechenden Allgemeinen Didaktiken den Anspruch nicht wirklich aufgeben, schlagen sie auch einen (mehr oder weniger) großen Bogen um die subjektive Didaktik Kösels. Kron ist sie nur eine halbe Zeile wert (68). Tulodziecki/Herzig/Blömeke erwähnen ihn nicht, Riedl handelt ihn, wohl kaum wirklich verarbeitend, auf einer halben Seite ab, aber subsumiert die subjektive Didaktik immerhin richtig unter die konstruktivistischen Modelle (82). Kiper/Mischke bringen ihre Geringschätzung hingegen auf den zweckrationalen Punkt: "In der Subjektive Didaktik" verabschiedet sich die Lehrkraft von der Aufgabe, Auswahlentscheidungen über Bildungsinhalte zu treffen und den Unterricht mit dem Ziel der Beförderung von Lernprozessen zu organisieren. Peter Bichsels Kurzgeschichte, ein Tisch ist ein Tisch, in der es um die Übereinstimmung von Zeichen, Bedeutungen und Bezeichnetem geht, muss schließlich als Metapher für die Folgerung herhalten, dass die subjektive Didaktik nicht gewährleistet oder sogar verhindert, dass "verantwortliche Lehrkräfte subjektive Konstruktionen der Kinder durch Einführung von Falsch/Richtig-Unterscheidungen korrigieren" (34). Das ist erstens ein Missverständnis der subjektiven Didaktik [7] und zweitens, und das ist in diesem Zusammenhang wichtiger, wird aus der im Kontext der konstruktivistischen Didaktik gewollten Außerkraftsetzung der Apodiktik von "richtig" oder "falsch", die ja im Einzelfall nicht ein knappes "falsch" durch die Lehrkraft verhindern muss, wieder eine ausschließlich lehrerbestimmte Sichtweise von "richtig" oder "falsch" im Unterricht. Wie schon zuvor im Berliner Modell von Heimann/Otto/Schulz geraten die Schüler lediglich zu einem Beeinflussungsfaktor des Unterrichts, regredieren zur anthropogenen Größe: "Die integrative Theorie der Didaktik wird als Instrument professionellen Wissens und Handelns von LehrerInnen und Lehrern entfaltet und enthält daher die Schülersicht als Teil der von den Lehrkräften beim Planen zu berücksichtigenden Situation" (Kiper/Mischke, 74).
Die von Kiper/Mischke angebotene Didaktik ist eine der Lehrkräfte. Ob sie damit den LehrerInnen einen wirklichen Dienst erweisen, darf bezweifelt werden, weil jeder Unterricht nur im Einvernehmen mit den Schülern gehalten werden kann. Überhaupt entwickeln die beiden Autoren in ihrer "integrativen Didaktik", die im wesentlichen auf den Erkenntnissen der psychologischen Lehr-Lernforschung beruht, eine unübersichtlich Scheu, die Mitverantwortung der Schüler für den Unterricht zu akzeptieren. Zu groß scheint die Angst vor einem Lernen und Lehren, das Interesse und Bedürfnisse der Schüler in den Mittelpunkt stellt. Sie ist auch der Ansatz zur sicherlich beifälligen, aber wenig zutreffenden, Kritik an Reformpädagogik (24) und Konstruktivismus (32). In diesem Sinne haben Kiper/Mischke eine lehrerorientierte Didaktik entworfen, die bis auf die Ebenen der Unterrichtsplanung, des methodischen Arrangements und schließlich des Leitens einer Klasse herunterdekliniert wird und mit Beispielen gespickt ist und – nebenbei bemerkt – aber ganz bezeichnend, großen Wert auf Planbarkeit und Überprüfbarkeit des Lernens in der Schule legt: "Mithilfe der im Handlungsplan angegebenen Kontrollprozesse sollten die Handlungsausführung und die Handlungseffekte überwacht werden. Bei Abweichung ist zu entscheiden, ob diese tolerierbar sind oder ob in dieser Situation eine Umplanung vorgenommen werden muss" (90). Das ist insofern richtig, als jedem Lehrer auf das Scheitern seines Planes Handlungsalternativen zur Verfügung stehen müssen. Aber die Autoren vergessen in ihrem unübersichtlichen Bemühen um eine Didaktik als Berufswissenschaft der Lehrers, dass Lernen nun mal etwas ist, für das die Schüler die Verantwortung tragen.
Die didaktische Diskussion war und ist da weiter, wie das Buch über die "Gestaltung von Unterricht" zeigt. Gestaltet wird der Unterricht nämlich, geht es nach Tulodziecki/ Herzig/Blömeke, von beiden: Lehrern wie Schülern. Das legt schon das favorisierte konstruktivistische Lernmodell nahe (32ff.), das Lernen als eine Eigenaktivität der Lerner sieht. Indessen: Verantwortlich für einen gelingenden Unterricht bleibt die LehrerIn. Für sie sind die Schülerinnen letztlich interessant unter dem Blickwinkel der mitgebrachten Lernvoraussetzungen (183). Das scheint überhaupt ein Trend der "Nach – Pisa – Zeit" im öffentlichen Diskurs der Didaktik und der Schulpädagogik zu sein, die ihr Heil ganz offensichtlich in Planung und Planbarkeit des Unterrichts suchen; wohl in der Hoffnung, die in die gleiche Richtung zielende "PISA – und – die – Konsequenzen – Diskussion" auf das (schnell) Machbare und nicht auf das Perspektivenreiche zu lenken. Nur so ist es m.E. auch erklärlich, dass in allen hier besprochenen Einführungen in die Didaktik der Begriff des "Offenen Unterrichts" und erst recht nicht die wichtige Literatur dazu auftauchen. "Offener Unterricht" trägt schon in seinem Namen den Makel des Nicht-Planbaren, des Unabgeschlossenen, des nicht bis wenig Überprüfbaren.
Lehrerfreundlich sind die Bücher allemal, weil sie durchweg mit Beispielen, Problemstellungen und Merksätzen bestückt sind. Im Sinne der Selbstständigkeit der Lehrer bei der Wahl dessen, was sie aus vorhandenen Didaktiken für ihre eigenes didaktische Handeln nehmen wollen, bietet Riedl in etwas kürzerer Form eine hinreichende, Kron in frappierender Vollständigkeit, eine ausgezeichnete Grundlage.
Welches Bild von ´gutem Unterricht´ zeichnen die Autoren?
Das dritte oben entwickelte Kriterium, nach dem die vier Didaktiken beurteilt werden sollen, ist das nach dem ´guten Unterricht´. Jeder Didaktik liegt ausgesprochen oder nicht ein Bild von gelungenem und auch nicht gelungenem Unterricht zugrunde. Die Frage nach der Güte des Unterrichts wiederum geht eng zusammen mit dem Maßstab ihrer Beurteilung. Und der ist die Bildung. Auf eine ausführliche Entfaltung des eigenen Bildungsbegriffes verzichten alle hier vorgestellten Autoren. Die beiden Darstellungen von didaktischen Positionen (Kron und Riedl) befassen sich zwar ausführlich mit dem Bildungsbegriff, indessen lediglich referierend. Das führt sehr schnell zu dem Eindruck eigener Standpunktlosigkeit und führt im Weiteren dazu, dass der Leser sich am Ende der Lektüre keinen wirklichen Reim auf die Frage machen kann, wie denn nun – nach Vorstellung der Autoren – ein guter Unterricht auszusehen habe.
Anders sieht es bei Tulodziecki/Herzig/Blömeke und Kiper/Mischke aus. Die ersteren setzen darauf, dass ein ´guter Unterricht´ hinreichend "Anregung und Unterstützung von Lern- und Entwicklungsprozessen" (9) gibt. Die Richtpunkte sind Chancengerechtigkeit und hohe Unterrichtsstandards; individuelle Förderung und ein hohes Niveau. Aufgrund dieser Setzungen entwickeln sie eine – über mehrere Kapitel elaborierte – Modellvorstellung von Unterricht. Diese vor allem lern- und lehrtheoretisch unterfütterten Kapitel zur Planung, Durchführung und Reflexion von Unterricht, sind die für den Leser (und Lehrer) ertragreichsten. Sie bilden eine gelungene Integration von Lehr-Lernforschung und didaktischem Denken.
Ganz anders Kiper und Mischke. Bei ihnen wird man den Verdacht nicht los, dass sie auf den traditionellen Begriff der Bildung am liebsten ganz verzichten würden, so wie sie auch den ´guten Unterricht´ durch den erfolgreichen Unterricht ersetzen (78): "Die Qualität von Unterricht besteht aus Prozessqualität und Produktqualität, also aus jenen erreichten Zielen, den entfalteten Schülerleistungen und der mehr oder weniger geglückten Zeitnutzung". Das klingt nach viel Effizienz, aber nur wenig nach didaktischem Denken. Aufgabe der Didaktik, die ihre spezifische Sichtweise von Unterricht charakterisiert, ist eben nicht nur die Organisation eines effektiven Unterrichts. Das wäre viel zu kurz gedacht. Denn jeder Didaktiker, und damit jeder Lehrer, weiß, dass ein guter Unterricht auch mal der sein kann, der im Sinne von überprüfbaren Bildungsstandards nicht effektiv, aber eben bildend ist.
Fazit:
Die eingangs gestellte Frage, ob wir gerade einen didaktischen Frühling erleben, ist nicht eindeutig zu beantworten. Der notwendige Modernisierungsschub ist durch die umfassende Hereinnahme der Ergebnisse der psychologischen Lehr-Lernforschung vollzogen. Daraus entwickeln sich wichtige, weitreichende Anregungen der didaktischen Reflexion. Wenn die Didaktik sich aber lediglich als schultheoretisch organisierte Lehr-Lernforschung gebärdet, folgt, was die Didaktik als wissenschaftliche Disziplin angeht, auf den Frühling unmittelbar der Winter. Gelingt ihr aber, wie von Tulodziecki/Herzig/Blömeke als machbar vorgeführt und exemplarisch gezeigt, die Integration der Lehr-Lernforschung, ohne die eigenen traditionellen Positionen und Fragestellungen aufzugeben, stehen wir am Beginn eines didaktischen Frühlings.
[1] Heursen, Gerd (1994): Gebrochenes Herz. Didaktik zwischen Marginalisierung und Impulsivität. In: Neue Sammlung 34 (3), S. 499ff.
[2] Heursen, Gerd (1984): Fachdidaktik auf dem Weg zu ihrer Eigenständigkeit. In: Heursen, Gerd: Didaktik im Umbruch. Forum Academicum in der VerIagsgruppe Athenäum: Königstein/TS, S. 1ff.
[3] Terhart, Ewald (2002): Fremde Schwestern. Zum Verhältnis von Allgemeiner Didaktik und empirischer Lehr-Lernforschung. In: Zeitschrift für Pädagogische Psychologie 16 (2), S. 77ff.
[4] Heimann, Paul (1962): Didaktik als Theorie und Lehre. In: Die Deutsche Schule 54 (9), S. 409ff.
[5] Blankertz, Herwig (1969): Theorien und Modelle der Didaktik. München: Juventa.
[6] Jank, Werner/Meyer, Hilbert (1991/2002): Didaktische Modelle. Frankfurt a.M../Berlin.
[7] Heursen, Gerd (1997) : Die Person stärken. Schülerorientierte didaktische Ansätze zu einer neuen Lernkultur. In: Heursen, Gerd: Ungewöhnliche Didaktiken. Hamburg, Bergmann + Helbig, S. 45ff.
EWR 4 (2005), Nr. 3 (Mai/Juni 2005)
Didaktischer Frühling oder ein Abschied in den Winter? - Eine Sammelbesprechung über vier neue Einführungen in die Didaktik und ebenso viele Fragen
Einführung in die Allgemeine Didaktik
Weinheim/Basel: Beltz 2004
(194 S.; ISBN 3-407-25356-7; 14,90 EUR)
Grundwissen Didaktik
München/Basel: Reinhardt (UTB) 2004
(266 S.; ISBN 3-8252-8073-X; 29,90 EUR)
Grundlagen der Didaktik
Wiesbaden: Franz Steiner 2004
(162 S.; ISBN 3-515-8589-0; 18,00 EUR)
Gestaltung von Unterricht
Eine Einführung in die Didaktik
Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt 2004
(290 S.; ISBN 3-7815-1356-4; 19,00 EUR)
Gerd Heursen (Berlin)
Zur Zitierweise der Rezension:
Gerd Heursen: Rezension von: Kiper, Hanna / Mischke, Wolfgang: Einführung in die Allgemeine Didaktik, Weinheim/Basel: Beltz 2004. Kron, Friedrich W.: Grundwissen Didaktik, München/Basel: Reinhardt (UTB) 2004. Riedl, Alfred: Grundlagen der Didaktik, Wiesbaden: Franz Steiner 2004. Tulodziecki, Gerhard / Herzig, Bardo / Blömeke, Sigrid: Gestaltung von Unterricht, Eine Einführung in die Didaktik, Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt 2004. In: EWR 4 (2005), Nr. 3 (Veröffentlicht am 20.05.2005), URL: http://klinkhardt.de/ewr/40725356.html
Gerd Heursen: Rezension von: Kiper, Hanna / Mischke, Wolfgang: Einführung in die Allgemeine Didaktik, Weinheim/Basel: Beltz 2004. Kron, Friedrich W.: Grundwissen Didaktik, München/Basel: Reinhardt (UTB) 2004. Riedl, Alfred: Grundlagen der Didaktik, Wiesbaden: Franz Steiner 2004. Tulodziecki, Gerhard / Herzig, Bardo / Blömeke, Sigrid: Gestaltung von Unterricht, Eine Einführung in die Didaktik, Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt 2004. In: EWR 4 (2005), Nr. 3 (Veröffentlicht am 20.05.2005), URL: http://klinkhardt.de/ewr/40725356.html