Unter der Prämisse, "in der aktuellen Debatte um den Lehrer und seine Bildung für einen nüchternen, realistischen Blick auf diesen vielfach verzeichneten und überlasteten, gleichzeitig unter- wie überschätzten Beruf zu werben" (S. 10), bietet Terhart insgesamt elf Beiträge an, die er den beiden Kategorien Lehrerberuf und Lehrerbildung unterordnet. Die Zusammenstellung bereits in früherer Zeit veröffentlichter Aufsätze oder Reden greift neuralgische Punkte auf.
Im ersten Beitrag, den Theorie- und Forschungsansätzen zum Beruf des Lehrers im Zeitraum von 1970 bis 1990, arbeitet Terhart die Schwächen des rollentheoretischen sowie konflikttheoretischen Bezugsrahmens auf und zeigt am Beispiel der "Konstanzer Wanne", dass die Einstellung des Lehrers zu seinem Beruf phasenabhängig ist, wobei die universitäre Ausbildung lediglich die Phase der Initiation in die Profession darstellt und aufgrund empirischer Untersuchungen mit einem "low impact enterprise" verglichen werden kann. Den Grund für die relativ geringe Wirksamkeit universitärer Ausbildung sieht Terhart u.a. in der Hochschuldidaktik, wenn der Berufsfeldbezug zu wenig berücksichtigt wird.
Lehrer werden wird nicht allein als eine Frage der richtigen Ausbildung oder der Anpassung an bestehende Verhältnisse gesehen, sondern als ein lebenslanger Entwicklungsprozess, der schließlich zu einer beruflichen Identität führt. In Bezug auf die Ausbildung wertet Terhart das Verhältnis von Lehrerentwicklung und Lehrerausbildung als verkehrt herum organisiert, da zu Beginn des Studiums anspruchsvolle didaktische Theorien und Konzepte angeboten würden, die noch nicht genügend mit praktischen Erfahrungen vernetzt werden können. Wenn dann jedoch praktische Kompetenzen erworben worden sind, fehle weitgehend die pädagogische und didaktische wissenschaftliche Begleitung.
Mit diesem bereits 1990 veröffentlichten Beitrag wurden Ansätze vorgestellt, die sich auch in den Ergebnissen der KMK-Kommission unter dem Vorsitz von Terhart wiederfinden.
Der zweite Beitrag ist ein Literaturbericht zur Lehrerprofessionalität, der auf dem Stand von 1995 "eine Übersicht über neuere Forschungskonzepte und Resultate zum Lehrerberuf" (S. 41) vermittelt. Er liefert zu den einzelnen Schwerpunktsetzungen (Rollentheorie, berufliche Sozialisation, Psychologie, Erziehungswissenschaft etc.) zudem wichtige Literaturangaben, die ein intensives Selbststudium ermöglichen. Dass die Literatur nicht über 1995 hinausreicht, erklärt sich zwar mit dem Jahr der Erstveröffentlichung diese Textes, ist aber um so bedauerlicher, als sich im Bereich der Professionstheorie seit 1995 sehr viel getan hat. Hier wäre ein Anhang mit weiterführender und neuerer Literatur zum Verständnis von Professionalität als berufsbiographischem Entwicklungsproblem hilfreich gewesen.
Mit dem nächsten Beitrag zur Berufskultur und dem professionellen Handeln bei Lehrern wird die Professionalisierungsdebatte vom Ende der 1960er Jahre aufgegriffen und der Begriff der Berufskultur definiert: "Er bezeichnet die für einen bestimmten Beruf bzw. für ein Berufsfeld typischen Wahrnehmungsweisen, Kommunikationsformen und langfristigen Persönlichkeitsprägungen derjenigen Personen, die in diesem Beruf arbeiten." (S. 95) Während diese Definition natürlich weitgehend auf jede andere Berufsgruppe auch zutrifft, untersucht Terhart die Rahmenbedingungen, die einen schnellen Wandel der Lehrer-Berufskultur erkennen lassen (Verständnis von Unterricht, Abkehr von zentralistischer Curriculumreform, Erkenntnisse der Kindheits- und Jugendforschung, Verständnis von Schule etc.). Angesichts angloamerikanischer Ergebnisse um die gute Schule und den guten Unterricht tritt Terhart unter diesem Aspekt der Berufskultur und der Professionalisierung für eine Kultur der professionellen Kooperation ein, die sich gegen den beklagten Lehrerindividualismus wendet.
Die nächsten Beiträge beschäftigen sich mit Problemen der Professionalisierung von Gymnasial- und Grundschullehrern. Terhart belegt, dass sich die historische Polarisierung – Fachwissenschaftler vs. Pädagoge - aufgrund der geänderten Verhältnisse und der neuen Anforderungen an die Lehrerbildung nicht mehr aufrecht erhalten lässt. So sei einerseits die fachliche Qualifikation des Gymnasiallehrers durch die pädagogische Seite des Tuns ergänzt worden und habe andererseits das Ansehen des Grundschullehrers stark an Prestige gewonnen, weil die "Grundschularbeit stärker noch als die Lehrerarbeit in Sekundarschulen von Komplexität, Vielschichtigkeit, widersprüchlichen Anforderungen und Kooperationsnotwendigkeiten bestimmt" (S. 139) ist. Aufgrund dieser Voraussetzungen und Bedingungen kann sich der Grundschullehrer – entgegen dem Anschein einer semiprofessionellen Tätigkeit – zu einem professionell Verantwortlichen entwickeln. Voraussetzung hierfür ist wiederum, dass Professionalität als berufsbiographisches Entwicklungsproblem verstanden wird.
Im Zusammenhang mit dem Lehrberuf greift Terhart, das erste Kapitel abschließend, die verstärkte Forderung nach mehr Schulautonomie auf, wobei er konstatiert, dass für eine Gruppe von Lehrern Autonomie weniger als Chance denn als Belastung empfunden wird, während die andere Gruppe von Lehrern ihren Handlungsspielraum voll ausschöpft und keinen Diskussionsbedarf nach mehr Autonomie sieht. In Bezug auf den Ausbau von Professionalität solle deswegen zunächst die bereits vorhandene pädagogische Autonomie konstruktiv genutzt werden, da mehr Autonomie nicht gleichsam identisch ist mit einer höheren Qualität der Arbeit.
Dem zweiten Kapitel zur Lehrerbildung kann man durchgängig zwei Aussagen entnehmen: Zum einen, dass Lehrerausbildung "grundsätzlich ein Handeln unter Unsicherheit" (S. 167) bedeutet, zum zweiten, dass im Zuge der Reformen zur Lehrerbildung Gelassenheit notwendig ist. (S. 193, 210). Aufgrund der vielfältigen neuen Anforderungen einer veränderten Kindheit, einer Verschiebung zentraler Werthaltungen und der Ab- und Aufwertungsdiskussion um den Lehrer stellt Terhart vier Kompetenzbereiche des Lehrerhandelns heraus: Die Kompetenz zur Organisation von Lernprozessen, die Fähigkeit zur kontinuierlichen Überprüfung und Erweiterung der beruflichen Kompetenz, die Kompetenz zur Befähigung des selbstorganisierten Lernens bei den Schülern und die Kompetenz der Interaktion und Beratung. Zur Beobachtung der Kompetenzentwicklung votiert Terhart für die Institutionalisierung empirischer Forschung, die eine "wirklich wissenschaftlich abgesicherte Basis über den Zustand der Lehrerausbildung oder gar über den Zusammenhang zwischen der Situation der Lehrerausbildung und der Qualität der Schularbeit" (S. 192) liefern könnte.
Im abschließenden Kapitel zu den Strukturproblemen der Lehrerbildung werden die gegenwärtigen Reformbemühungen um die Lehrerbildung diskutiert. Terhart bezieht – trotz aller bestehenden Strukturprobleme – eindeutig Stellung für die universitäre Ausbildung der künftigen Lehrer, mahnt aber auch die Universitäten an, die lehrerausbildende Verpflichtung ernster zu nehmen als bisher und fordert im Gegensatz zu einer konsekutiven Ausbildung eine Verstärkung der Fachdidaktiken und einen Auf- und Ausbau von Zentren für Lehrerausbildung. Erst wenn es gelänge, Lehrer (-aus-)bildung in allen drei Phasen als berufsbiographisches Entwicklungsproblem zu verstehen, würden sich die Bemühungen der inneren Schulentwicklung nachhaltig zum Positiven wenden. In diesem Sinne ist der Ruf nach mehr Gelassenheit verständlich, da voreilige Kurskorrekturen und rasche Strukturveränderungen den gewünschten Erfolg offensichtlich nicht garantieren können.
Das Buch ist eine empfehlenswerte Lektüre und richtet sich sowohl an Lehramtsstudierende als auch an Dozenten in der Lehrerbildung. Da die universitäre Lehrerbildung gegenwärtig wieder heftig in der Diskussion ist, bietet es eine umfangreiche Diskussionsgrundlage.
EWR 1 (2002), Nr. 2 (April/Mai 2002)
Lehrerberuf und Lehrerbildung
Forschungsbefunde, Problemanalysen, Reformkonzepte
Weinheim und Basel: Beltz Verlag 2001
(246 Seiten; ISBN 3-407-25249-8; 34,00 EUR)
Norbert Seibert (Passau)
Zur Zitierweise der Rezension:
Norbert Seibert: Rezension von: Terhart, Ewald: Lehrerberuf und Lehrerbildung, Forschungsbefunde, Problemanalysen, Reformkonzepte, Weinheim und Basel: Beltz Verlag 2001. In: EWR 1 (2002), Nr. 2 (Veröffentlicht am 00.04.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/40725249.html
Norbert Seibert: Rezension von: Terhart, Ewald: Lehrerberuf und Lehrerbildung, Forschungsbefunde, Problemanalysen, Reformkonzepte, Weinheim und Basel: Beltz Verlag 2001. In: EWR 1 (2002), Nr. 2 (Veröffentlicht am 00.04.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/40725249.html