Hier setzt nun die Auseinandersetzung mit dem inhaltlichen und wissenschaftlichen Ertrag des Sammelbandes an. Das Genre der Festschrift – für viele Verlage in der Perspektive der Vermarktung offenbar eher ein Alptraum – bringt hier nämlich etwas hervor, das ansonsten eher selten zu finden ist: Insgesamt 33 Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Kontexten der Kooperation beziehen ihre eigenen Arbeiten auf die Forschungsgebiete und Erkenntnisinteressen einer befreundeten Wissenschaftlerin (so etwa Norbert Schwarte mit seiner Skizze „Makarenko und die Frauen“), und unternehmen auf diese Weise einen ernsthaften Versuch der Verknüpfung „weiblicher und männlicher Entwürfe des Sozialen“. Dieser Versuch allein lohnt schon die Lektüre des Sammelbandes, und meine Kommentierung des Buches konzentriert sich vor allem auf diesen Aspekt. Indem die einzelnen Beiträge auf die fokussierende Fragestellung nach einer „Wohlfahrtsgeschichte im Spiegel der Geschlechterforschung“ bezogen werden, zeigt sich deren Schwierigkeit ebenso wie ihre Notwendigkeit: Als (systematische) Schwierigkeit würde ich die Überlappung ganz unterschiedlicher Bezugnahmen auf ‚Geschlecht’ bezeichnen, wie sie sich in den Themen und Thematisierungen der einzelnen Aufsätze finden: So werden
- Frauen als konkrete individuelle (bei Kurt Schilde etwa die KPD-Sozialpolitikerin Martha Arendsee) und
- als kollektive historische / gesellschaftliche Akteurinnen in den Blick genommen (bei Barbara Stambolis die katholischen Frauenorganisationen),
- ‚geschlechtsspezifische’ Praktiken oder Erfahrungen rekonstruiert (bei Gudrun Maierhof am Beispiel führender Frauen der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland 1939-1943), und
- ‚Gender’ im Kontext von Vermittlungs- und Aneignungsprozessen im Kontext der Hochschullehre erörtert (Elke Kruse; Elena Iarskaia-Smirnova und Pavel Romanov in ihrem Beitrag „Gender in Russian Textbooks on Social Policy and Social Works“).
Wenn die unterschiedlichen Beiträge des Sammelbandes quer zur Einteilung in die von den Herausgeberinnen gewählte Systematik gelesen werden, ergeben sich im Übrigen einige interessante Verbindungslinien: So kann der Text von Rudolph Bauer über „Frauen im Verein. Zur Sozialgeschichte und -psychologie des Weiblichen in der Bürger/innen/gesellschaft“ etwa mit dem Text von Regina Rätz-Heinisch und Wolfgang Schröer zu „Bürgergesellschaft und Soziale Arbeit?“ in Zusammenhang gebracht werden: Während Bauer die starke Beteiligung von – nicht nur bürgerlichen – Frauen als kollektiven Akteur/innen an der Entstehung unterschiedlichster Trägerorganisationen Sozialer Arbeit hervorhebt und dabei die Ambivalenzen des „Weiblich-Mütterlichen“ als Begründungs- und Verhaltensmuster problematisiert, verdeutlichen Rätz-Heinisch und Schröer die Ambivalenzen der Vorstellung von „Bürgertum“ und „Bürgerlichkeit“ vor dem Hintergrund der deutschen Nationalgeschichte, um so – auf andere Weise – kritische Perspektiven auf eine Auseinandersetzung mit Diskursen um eine „Bürgergesellschaft“ zu eröffnen.
Der Beitrag von Leonie Wagner („Integration, Emanzipation, und wie weiter?“) liest sich spannend im Verhältnis zu Silvia Staub-Bernasconis Text „Integration, Soziale Arbeit und Toleranz in der Einwanderungsgesellschaft“, aber auch zu Susanne Karstedts Beitrag „Frauen, Recht und Gerechtigkeit“ über den „Justizalltag in der DDR“ – jeweils geht es um mit Sozialer Arbeit oder „FürSorge“ verknüpfte Strategien gesellschaftlicher Integration, wenn auch mit recht unterschiedlichen Bezugspunkten. Ein Problem der Festschrift sei hier nicht verschwiegen: Da die einzelnen Beiträge zum Teil aus Kurzvorträgen eines entsprechenden Symposiums hervorgegangen sind, bleiben sie oft auch recht kurz. Sie deuten Perspektiven mehr an, als sie sie ausführen, erproben und kritisch überdenken können. Gleichwohl ist der wissenschaftliche Ertrag des Sammelbandes in meinen Augen vor allem derjenige einer vernetzten Formulierung von Forschungsdesiderata, und einer vernetzten Erinnerung an bereits Geleistetes – denn über die Literaturbezüge und selbst durchgeführten Studien der einzelnen Beiträger/innen (so etwa Dietlind Gipsers Studie zur Forschungsbiographie von Lieselotte Pongratz) erschließt sich eine heute noch zu wenig bekannte und (auch zu wenig in die Hochschullehre) integrierte Forschungslandschaft, in der das Feld einer Geschlechterverhältnisse kritisch reflektierenden Wohlfahrtsgeschichte durchaus erkennbar wird. Sie systematisch weiter zu entfalten und zu begründen bleibt eine Aufgabe der Zukunft.