Kooperation gehört in vielfältiger Weise zum schulischen Aufgabenspektrum. Gleichwohl gehört die Einstellung von Lehrerinnen und Lehrern zur Kooperation untereinander sowie mit Eltern, das Wechselspiel von individuellen und organisationalen Einflussparametern auf ihr Kooperationsverhalten sowie die Art und das Ausmaß der im Schulalltag stattfindenden Kooperation zu den wenig erforschten Feldern. Hier setzt die 2009 an der Universität Rostock als Dissertation angenommene und 2012 veröffentlichte (und zu diesem Zweck um ein Viertel gekürzte) Studie von Sabine Schütt an. Sie bewegt sich damit in einem zunehmend an Bedeutung gewinnenden Diskurs.
Schütt exploriert in ihrer Studie das Kooperationsverständnis von Lehrkräften an fünf Schulen in Mecklenburg-Vorpommern, ihre Begründungen für kooperatives Handeln wie für fehlende Kooperationsbereitschaft, und zwar bezogen auf Kollegen, Eltern und außerschulische Partner. Sie möchte so die Diskrepanz zwischen (gesellschaftlich) erwarteter und realiter stattfindenden Kooperation im Schulalltag erhellen, indem sie die subjektiven Sichtweisen von Lehrerinnen und Lehrern erhebt und in Beziehung setzt zu kooperationsfördernden oder kooperationshindernden institutionellen Bedingungen. Die Datenerhebung erfolgte durch Leitfadeninterviews mit 25 Lehrerinnen und Lehrern an den ausgewählten Schulen, ergänzt durch Dokumentenanalyse, Experteninterviews mit den Schulleitungen sowie einen Kurzfragebogen, wiederum für die Lehrerschaft.
Die Autorin systematisiert auf der ersten Ebene die Vielzahl der von den Lehrerinnen und Lehrern genannten Anlässe, bei denen sie mit Kollegen zusammenarbeiten, zunächst nach Feldern: unterrichtsbezogene Kooperation, schülerbezogene Kooperation, klassenbezogene Kooperation, schul(entwicklungs)bezogene Kooperation, elternbezogene Kooperation und selbstbezogene Kooperation. Auf der nächsten Ebene prüft sie die von den Lehrkräften beschriebene Kooperationspraxis bezüglich ihres Institutionalisierungsgrades, d.h. bezüglich vorhandener Team- und Konferenzstrukturen. Die dritte Ebene dient schließlich der Erhellung von Kooperationsformen: Zielautonomie versus Zielkoordination, Handlungsautonomie oder Verzahnung und positive Abhängigkeit (der Begriff der positiven Abhängigkeit wird hier voraussetzungslos eingeführt).
Im ersten Kapitel expliziert Schütt ihren Kooperationsbegriff und dessen Verortung in der Schul- und Professionsforschung. Dabei setzt sie sich u.a. mit schulstukturellen Kooperationshindernissen auseinander. Dies ist insofern bedeutsam, als Schütt Wechselwirkungsbeziehungen individueller und institutioneller Einflussgrößen verdeutlichen möchte, um Perspektiven für die Förderung (oder gar Steuerung) von Lehrerkooperation zu gewinnen.
Kapitel 2 besteht aus nicht einmal zwei Seiten und enthält die Fragestellungen, nämlich danach, über welche kooperativen Handlungen die einzelnen Lehrer berichten, welche subjektiven Begründungen und Kooperationskonzepte die Lehrer angeben und systemische und institutionelle sowie berufsbiographische Faktoren Lehrerkooperation beeinflussen. Überraschend ist die Anmerkung Schütts, dass sie „Modelle des Konstrukts Kooperationskultur nur im wirtschaftsbezogenen Kontext gefunden“ habe (48), obwohl der eben dies fokussierende us-kanadische Ansatz des Cooperative Learning in der deutschen Forschungslandschaft etabliert ist und obwohl sie selbst an verschiedenen Stellen im Band auf die Bedeutung formeller Kooperationsstrukturen verweist.
Kapitel 3 beschreibt das Untersuchungsdesign, Kapitel 4 die Ergebnisse der themenanalytischen Auswertung, das umfangreiche Kapitel 5 die Ergebnisse der fallanalytischen Auswertung, Kapitel 6 enthält die Ergebnisdiskussion sowie Perspektiven für eine Kooperative Arbeitskultur an der Schule.
Schütt zeigt zunächst einen bemerkenswerten Unterschied in der Einschätzung der 67 (mittels Kurzfragebogen) befragten Lehrerinnen und Lehrer bezüglich der Wichtigkeit von Kooperation mit Kollegen. 66, d.h. fast alle halten sie für wichtig bzw. sehr wichtig. Die Zufriedenheit mit der realen Kooperation im Schulalltag ist dagegen deutlich geringer und zudem an den einzelnen Schulen sehr unterschiedlich. Hinsichtlich der abgefragten Kooperation mit der Schulleitung variieren die Äußerungen der Lehrerinnen und Lehrer an einer Schule stärker als unter den Schulen. Insgesamt am zufriedensten zeigten sich die Lehrkräfte mit einer (in den Interviews) als sehr engagiert und führungsstark beschriebenen Schulleiterin. An dieser Schule halten sämtliche Lehrerinnen und Lehrer die Kooperation mit der Schulleitung für sehr wichtig (75%) oder wichtig (25%). An einer anderen Schule, an der die Schulleitung als vom Kollegium getrennt und als abstinent bezüglich der pädagogischen und inhaltlichen Gestaltung dieser Schule wahrgenommen wird, sind es lediglich 50%. Bezüglich der Kooperation mit Eltern präsentiert Schütt ein ähnlich differenziertes Bild.
Somit lässt sich die Annahme, dass das kooperative Handeln von Lehrkräften durch ihre je subjektiven Einschätzungen und Einstellungen dazu, durch schulische Systemstrukturen (wie Konferenz- und Teammodelle, Schulleitung) und durch im Bildungssystem gegebene Rahmenbedingungen (wie Teilzeitbeschäftigung) beeinflusst werden, im Rahmen dieser Studie bestätigen und die von Schütt eingangs beschriebene Diskrepanz von Kooperationserfordernis und Kooperationspraxis beleuchten. Deutlich wird zugleich, dass Lehrerinnen und Lehrer mit dem Begriff Kooperation sehr unterschiedliche Handlungsformen und –konfigurationen verbinden.
Die Ergebnisse münden einerseits in eine achtstufige Typologie zum Kooperationshabitus von Lehrerinnen und Lehrern sowie in fünf Kurzportraits der ausgewählten Schulen. In der ausführlichen Darstellung der subjektiven Sichtweisen und Kooperationsmuster der interviewten Lehrkräfte und deren Wechselwirkungsbeziehungen mit den jeweiligen schulischen Bedingungen (Schütt nutzt hierfür den Kulturbegriff) liegt der eigentliche Ertrag der Studie. Das dabei entstandene Modell ist nicht nur schultheoretisch interessant, sondern bietet auch Ansatzpunkte für eine kollegiale Selbstreflexion im Kontext von allgemeinen oder inklusiven Schulentwicklungsprozessen.
Schütts Typologie beginnt mit dem „Entkräfteten“ (C-3) und führt zum „Teambegründer“ (A-1). Dazwischen bewegen sich „Alleinarbeiter“, „Konformist“, „Arrangierer“, „Mitmacher“, „Problemlöser“ und „Teamarbeiter“. Die acht Grundtypen werden Merkmalsräumen zugeordnet, wobei im Merkmalsraum A „umfassendes kooperatives Handeln“ lediglich zwei anzutreffen sind, nämlich der Teamarbeiter (A-2) und der Teambegründer (A-1), im Merkmalsraum B „basales kooperatives Handeln“ und C „geringes kooperatives Handeln“ jeweils 3. (111). Der von Schütt gewählte Zugang erweiterter Erkenntnismöglichkeiten durch unterschiedliche Datenquellen, also der Triangulation, macht Wechselwirkungsbeziehungen des jeweiligen Kooperationshabitus der befragten Lehrkräfte und der schulischen Gegebenheiten sichtbar. Bezogen auf ihre Stichprobe kann Schütt zeigen, dass der Kooperationshabitus von Lehrerinnen und Lehrern durch den jeweiligen institutionellen Kontext beeinflusst wird.
Anders gesagt: Anspruchsvolle und dauerhafte Kooperation von Lehrerinnen und Lehrern entwickelt sich in einem konzeptionell wie strukturell begründeten schulischen Organisationsrahmen. Fehlt ein solcher, bleibt es überwiegend bei informellen, wenig abgestimmten und in ihrer Reichweite begrenzten Kooperationshandlungen und bei der Initiative Einzelner, im besten, aber seltenen Fall entsteht eine Collaborative Culture, d.h. ein spontanes, intensives freiwilliges aufgaben- und entwicklungsorientiertes Kooperieren zum Wohle einer Schule bzw. einer Organisation. Eine zelluläre Schule mit fragmentierten Aufgabenbereichen und eine das Unterrichtsgeschehen als Privatangelegenheit auffassende Berufskultur stehen einer schulischen Kooperationskultur, so Schütt, entgegen.
Zur Beschreibung letzterer bedient sich Schütt (in Anlehnung an Gräsel) eines Modells von Kooperationsformen, dessen drei Stufen als „Austausch, Koordination und Kokonstruktion“ beschrieben und durch jeweils vier Aspekte charakterisiert werden. Bezogen auf Kokonstruktion wären das die Aspekte Effektivität erhöhen, Entwicklung von gemeinsamem Neuem, integrative Handlungen und Feinzielkonkordanz. Zwar ist auch dieses Modell im Kontext der Studie sinnvoll, aber in sich nicht ganz schlüssig. Das lässt Vermutungen Schütts in diesem Bereich schwieriger werden, etwa wenn sie feststellt, dass sich die Kooperationspraxis einiger Lehrer grundsätzlich auf Austauschprozesse beschränke, die dann als erfolgreiche Zusammenarbeit bezeichnet und durch keine Vorstellung von intensiveren Verzahnungsprozessen mit Partnern flankiert und somit ein unzureichendes professionelles Verständnis spiegeln würden. In solchen Passagen gerät Schütt in eben den Duktus, gegen den sie ihre differenzierte Betrachtung setzt: eine Rückführung auf personale Disposition und fehlende Bereitschaft.
Differenziert erörtert wird hingegen wiederum das Verständnis der je eigenen Zuständigkeit als Definitionskriterium für den Handlungsrahmen – vom Erteilen von Fachunterricht (und nur das wird herangezogen) bis zur Mitverantwortlichkeit für Schulentwicklung, also das eigene Schul- und Aufgabenverständnis der befragten Lehrerinnen und Lehrer, ihr Rollenverständnis gegenüber Kollegen, Schulleitung und Eltern. Die daraus abgeleiteten Kooperationsnotwendigkeiten werden wiederum durch schulische Kontexte beeinflusst. Hier setzt Schütt in ihrem Ausblick auf Voraussetzungen für eine kooperative Arbeitskultur in der Schule wiederum an, um Gestaltungsvorschläge zu formulieren.
Diese oszillieren – wie die Studie an sich – zwischen der individuellen Reflexion der eigenen Berufsvorstellungen bis zur schulischen Organisationsentwicklung einschließlich der Entwicklung von Teams als professionelle Lerngemeinschaften sowie auf der Ebene des Bildungssystems bis zum Überdenken derzeitiger, finanzpolitisch determinierter Modelle von Lehrerarbeit. Anders gesagt: Auch diesbezügliche Regelungen beeinflussen die Entwicklung – oder das Ausbleiben – kooperativer Arbeitskulturen an Schulen.
Schütt gelingt es mit ihrer Studie, die Diskrepanz zwischen dem Sollen und Wollen schulischer Kooperation nachvollziehbarer zu machen. Mit ihrer Typologie des Kooperationshabitus sowie ihrem Modell von Kooperationsformen hat sie ihr Anliegen, nämlich förderliche institutionelle Strukturen zu beschreiben, um nicht auf der Ebene vorfindlicher individueller Kooperationsbereitschaft zu verharren, erreicht. Insofern trägt die Studie zu einer Verringerung der angedeuteten Forschungslücke bei und bringt Reflexionsansätze und -instrumente ein, um die schulinterne Vergewisserung über die je eigene Kooperationskultur – oder über deren Gegenteil – zu unterstützen.
EWR 12 (2013), Nr. 2 (März/April)
Kooperation in der Schule
Eine Untersuchung der Orientierungs- und Handlungsmuster von Lehrern
Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang 2012
(253 S.; ISBN 978-3631607930; 41,80 EUR)
Dietlinde H. Vanier (Braunschweig)
Zur Zitierweise der Rezension:
Dietlinde H. Vanier: Rezension von: SchĂĽtt, Sabine: Kooperation in der Schule, Eine Untersuchung der Orientierungs- und Handlungsmuster von Lehrern. Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang 2012. In: EWR 12 (2013), Nr. 2 (Veröffentlicht am 03.04.2013), URL: http://klinkhardt.de/ewr/3631607930.html
Dietlinde H. Vanier: Rezension von: SchĂĽtt, Sabine: Kooperation in der Schule, Eine Untersuchung der Orientierungs- und Handlungsmuster von Lehrern. Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang 2012. In: EWR 12 (2013), Nr. 2 (Veröffentlicht am 03.04.2013), URL: http://klinkhardt.de/ewr/3631607930.html