Der hier vorliegende Herausgeberband ist im Kontext des Forschungsprojekts „Krise und Kontinuität in Bildungsgängen: Der Übergang Schule – Hochschule“ entstanden, welches an der wissenschaftlichen Einrichtung des Oberstufen-Kollegs der Universität Bielefeld durchgeführt wurde. Datengrundlage bilden jährliche Erhebungen von 2005 bis 2010 bei Schüler/innen der Klasse 13, die unmittelbar vor der Zulassung zum Abitur standardisiert befragt wurden. Daran anschließend fand für die ersten drei Schulkohorten jeweils zwei Jahre später eine zweite Befragung statt. Es handelt sich damit um ein kombiniertes Längsschnitt- und Trenddesign. Hintergrund ist das von den Herausgebern identifizierte Forschungsdefizit, dass in der bisherigen Forschung „meist nur eine geringe Bandbreite an Faktoren genannt bzw. in den jeweiligen Analysen berücksichtigt [wird], die für die Entscheidungsfindung von Abiturientinnen und Abiturienten relevant sind“ (11). Außerdem bleibe bisher sowohl unter theoretischen wie auch empirischen Gesichtspunkten in der Regel ungeklärt, welche Wirkung die einzelnen in die Untersuchung eingezogenen Faktoren aufeinander und auf die Entscheidung für oder gegen den Beginn eines Hochschulstudiums bzw. einer beruflichen Ausbildung zukomme. Das Ziel des Bandes ist sodann auch, „die Forschungslücke der empirischen Bildungsforschung auf dem Feld des Übergangs Schule – Hochschule weiter zu schließen. Die einzelnen Artikel untersuchen dazu detailliert, wie sich institutionelle Lernbedingungen und -strukturen, sozioökonomische und soziokulturelle Lebensbedingungen sowie individuelle Ressourcen und Persönlichkeitsmerkmale auf die Lern-, Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse der Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe II auswirken“ (11).
Damit zeigt sich, dass die Basis für die vorliegenden Beiträge zum einen aus einer theoretischen Perspektive elaboriert und anspruchsvoll ist, zum anderen ein Datensatz vorliegt, der mit einer Stichprobe von gut 2000 Schüler/innen und einer Ausschöpfungsquote von 80% hervorragende Längsschnitt- und Trendanalysen mit empirisch belastbaren Aussagen erlaubt. Genauer analysiert wurden die Daten der Befragungen aus den Jahren 2006 bis 2008. Die detaillierte Dokumentation des methodischen Vorgehens, der Datenerhebungs- und Datenauswertungsverfahren verweist insgesamt auf eine sehr solide Studie. Allerdings werden einzig Angaben zur Gesamtstichprobe gemacht, nicht aber zu den einzelnen Kohorten. Ebenso wenig gibt es Hinweise darauf, wie viele Kurse oder Klassen untersucht worden sind. Diese Mehrebenenperspektive ist im ganzen Band kein Thema, was einigermaßen erstaunt, da die Bedeutung von Lernumwelten „eine Ebene oberhalb der Individuen“ in vielen Studien dokumentiert werden kann. Die Analysen sind damit diesbezüglich nur begrenzt anschlussfähig an den aktuellen methodischen Standard. Keine Angaben werden gemacht zur Befragung der Probandinnen und Probanden nach dem Abitur bzw. zum Zeitpunkt von zwei Jahren nach der Erstbefragung. Dies hängt aber vermutlich damit zusammen, dass im vorliegenden Herausgeberband keine Auswertungen präsentiert werden, die diese Längsschnittperspektive berücksichtigt, was aus Sicht der Leserin durchaus schade ist, da genau dies letztlich auch einer der Mehrwerte gegenüber bisherigen Studien darstellt. Somit basieren die dokumentierten Analysen vor allem auf einer Querschnittperspektive, da auch die Trendanalysen über mehrere Kohorten nicht im Zentrum stehen.
Der Band integriert sechs inhaltliche Beiträge, die je unterschiedliche Aspekte untersuchen, teilweise aber deutliche Überschneidungen aufweisen. In allen Beiträgen wird eine sehr fundierte Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand sichtbar, wobei sehr sorgfältig die Begriffe geklärt, die theoretischen Modelle und, daraus abgeleitet, die Hypothesen sowie die empirischen Modelle präsentiert werden. Empirisch dominieren multiple Regressionsanalysen, die teilweise ergänzt werden mit Pfadanalysen (Philipp Bornkessel & Sebastian U. Kuhnen) und Strukturgleichungsmodellen (Hans-Georg Pütz, Sebastian Kuhnen & Johanna Lojewski). Gerade die durchgeführten Pfad- und Strukturgleichungsmodelle sind sicherlich besonders geeignet, die komplexen Zusammenhänge, die theoretisch postuliert werden und empirisch untersucht werden sollen, differenziert zu analysieren. Schade ist, dass im ersten Modell von Bornkessel und Kuhnen keine Angaben gemacht werden können zum Fit des Modells (zur Güte, "wie gut" ein statistisches Modell das geschätzte Modell erklären kann), zumal denkbar ist, dass gerade Interkorrelationen zwischen den Struktur- bzw. den Prozessmerkmalen des familiären Hintergrundes die Effekte auf die Studienintention mitbeeinflussen (93). Beim Strukturgleichungsmodell von Pütz, Kuhnen und Lojewski, die den Einfluss von Schulklima und sozialer Herkunft auf die Selbstwirksamkeit, das Selbstwertgefühl und die soziale Selbstwirksamkeit untersucht haben, werden latente Faktoren modelliert (177). Die Zusammenhänge sind interessant. Allerdings erstaunt, dass anscheinend ein „integrales“ Strukturgleichungsmodell gerechnet worden ist, d.h. alle drei abhängigen Variablen sind gleichzeitig integriert worden, ohne allerdings die gegenseitigen Abhängigkeiten dieser drei Variablen in Rechnung zu stellen (z.B. über Korrelationen zwischen diesen Variablen), obwohl dies theoretisch absolut plausibel wäre. Vielmehr scheint es, als wenn drei isolierte Analysen gerechnet worden wären, je eine für Selbstwirksamkeit, Selbstwertgefühl und soziale Selbstwirksamkeit. Auch bei den integrierten Prozessvariablen zum Schulklima ist vorstellbar, dass diese in einem systematischen Verhältnis zueinander stehen, was, zumindest entsprechend der Dokumentation des Modells, anscheinend so nicht Eingang in die Analysen gefunden hat. Damit besteht die Gefahr, dass diese Analysen nur bedingt einen Beitrag zur Klärung der im Beitrag formulierten Fragestellungen leisten können.
Inhaltlich interessant sind die Analysen von Philipp Bornkessel, Brigitte Holzer und Sebastian U. Kuhnen, die das Ziel verfolgt haben, differenzielle Lernmilieus zwischen Gymnasium, Gesamtschule und Oberstufen-Kolleg hinsichtlich des erlebten Schulklimas zu identifizieren und ihre Bedeutung für die Studienzuversicht herauszuarbeiten. Als Ergebnis kann beispielsweise gezeigt werden, dass Schüler/innen des Oberstufen-Kollegs über eine höhere fachspezifische Studienzuversicht verfügen, da sie im Vergleich zu den anderen Typen ein positiveres Schulklima erleben (130). Auch im Beitrag von Jupp Asdonk und Carmen Sterzik erhält das Schulklima eine besondere Bedeutung in den Analysen. Es geht im Kern um die Aufklärung der Varianz in den Abiturnoten und den selbsteingeschätzten fachlichen Kompetenzen der Schüler/innen, wobei neben dem Schulklima der Oberstufentypus und der familiäre Bildungshintergrund berücksichtigt werden (225ff). Varianz- und regressionsanalytische Betrachtungen lassen vermuten, dass schulklimatische Aspekte nur bedingt die Einschätzung der eigenen fachlichen Kompetenzen und der Abiturnote beeinflussen. Allerdings ergeben sich differenzielle Effekte in Abhängigkeit der Fächer, wobei es interessant gewesen wäre zu überlegen, wie diese Effekte erklärt werden könnten. Zudem wären hier vermutlich ebenfalls Strukturgleichungsmodelle die Methode der Wahl gewesen, zumal das theoretische Modell, das den Analysen zugrunde liegt (216), kaum über Regressionsanalysen abgebildet werden kann.
Der Beitrag von Johanna Gold geht über die traditionell in der empirischen Bildungsforschung untersuchten Konzepte hinaus. Es geht um die Capability-Perspektive, also die Befähigung der Schüler/innen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Diese grundlegende Befähigung im Hinblick auf den weiteren Ausbildungsweg weisen in dieser Studie ca. 20% der Schüler/innen nicht auf. Die Ergebnisse zeigen, dass die Abiturnote erwartungsgemäß ein wesentlicher Prädiktor ist, die entsprechende Entscheidung zu treffen (272). Zudem spielen auch soziale (elterliche Lernunterstützung) und psychologische Faktoren (Selbstwirksamkeit) eine Rolle. Interessant wäre gewesen, wenn in diesem Beitrag noch ein systematischerer Vergleich des hier verwendeten Ansatzes mit den anderen Konzepten in diesem Band realisiert worden wäre.
Der letzte Beitrag von Johanna Lojewski untersucht den Zusammenhang zwischen Geschlecht und Studienfachwahl und fragt danach, ob die Studienfachwahl eher geschlechtsspezifischen oder eher fachspezifischen bzw. fachkulturellen Einflüssen unterliegt. Er zeichnet sich durch seine sehr differenzierte theoretische Fundierung der zu untersuchenden Fragestellungen, eine systematische Beschreibung des methodischen und statistischen Vorgehens sowie einer differenzierten theoretischen Auseinandersetzung mit den empirischen Befunden aus. Als Ergebnis zeigt sich, dass „Männer sich vornehmlich für Fächer entscheiden, die mit hohen Berufs- und Einkommenschancen sowie hohem gesellschaftlichen Ansehen verbunden sind, während Frauen vornehmlich in prestigearmen Fächern mit geringen Aufstiegsmöglichkeiten zu finden sind“ (340).
Welches Fazit kann am Ende des Herausgeberbands gezogen werden? Kann dieser Band dem zu Beginn formulierten – sehr hohen – Anspruch gerecht werden? Als eine besondere Stärke der Analysen kann sicherlich die sehr differenzierte theoretische Arbeit hinsichtlich der Fragestellungen hervorgehoben werden. Gerade auch der Anspruch, schulische Prozessfaktoren und Faktoren des familiären Bildungshintergrundes, operationalisiert über Struktur- und Prozessfaktoren, systematisch mit wesentlichen Bildungszielen (Selbstwert, Selbstwirksamkeit, Studienzuversicht, Entscheidungsfähigkeit etc.) in Beziehung zu setzen, ist ein großer Gewinn der Beiträge. Die Ansprüche an die methodischen Verfahren sind hoch, allerdings scheint mir, dass hier der eine oder andere Beitrag über die Verwendung alternativer methodischer Verfahren einen substanzielleren Beitrag zur Klärung der offenen Forschungsfragen hätte leisten können. Aus einer inhaltlichen Perspektive wäre ein Abschlusskapitel hilfreich gewesen, in dem es möglich geworden wäre, im Hinblick auf die zentralen Forschungsfragen (21ff) Bilanz zu ziehen. Insgesamt gibt dieser Band aber einen sehr interessanten und lesenswerten Einblick in eine große Studie, deren Längsschnitt- und Trendergebnisse, so die Hoffnung, an anderer Stelle veröffentlicht werden. In diesem Sinne kann man gespannt sein auf die zukünftigen Publikationen, in denen der Datensatz vollständig ausgeschöpft wird.
EWR 12 (2013), Nr. 2 (März/April)
Der Übergang Schule – Hochschule
Zur Bedeutung sozialer, persönlicher und institutioneller Faktoren am Ende der Sekundarstufe II
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2012
(350 S.; ISBN 978-3531182735; 39,95 EUR)
Katharina Maag Merki (Zürich)
Zur Zitierweise der Rezension:
Katharina Maag Merki: Rezension von: Bornkessel, Philipp / Asdonk, Jupp (Hg.): Der Ãœbergang Schule – Hochschule, Zur Bedeutung sozialer, persönlicher und institutioneller Faktoren am Ende der Sekundarstufe II. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2012. In: EWR 12 (2013), Nr. 2 (Veröffentlicht am 03.04.2013), URL: http://klinkhardt.de/ewr/3531182735.html
Katharina Maag Merki: Rezension von: Bornkessel, Philipp / Asdonk, Jupp (Hg.): Der Ãœbergang Schule – Hochschule, Zur Bedeutung sozialer, persönlicher und institutioneller Faktoren am Ende der Sekundarstufe II. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2012. In: EWR 12 (2013), Nr. 2 (Veröffentlicht am 03.04.2013), URL: http://klinkhardt.de/ewr/3531182735.html