Lehr- und Lernstrategien sind im Unterricht der Berufsfachschulen in allen Lehrplänen ein präsentes Thema. Gerhard Steiner hat im Auftrag des schweizerischen Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie am Institut für Psychologie Basel den Elfenbeinturm verlassen, um mit Expertinnen der Wissenschaft Fachpersonen der Praxis zu befragen. Das Buch setzt sich zum Ziel in Zusammenarbeit mit den Fachleuten aus der Praxis zu verdeutlichen, was Lernen für den Erwerb hoher beruflicher Qualifikation bedeutet.
Sechs Kapitel widmen sich dem Lernen im beruflichen Umfeld und dem Aufbau von Wissen bis hin zur erfolgreichen Umsetzung in der Realität. Jedes Kapitel enthält ein Fallbeispiel aus dem Unterricht, das von den Lehrpersonen der berufsbildenden Schulen aus ihrer Unterrichtspraxis zur Verfügung gestellt wurde. Den Fallbeispielen geht ein Steckbrief voraus, der über die diesbezüglichen lernpsychologischen Themen im Kapitel informiert und den geschilderten Fall analysiert. Die Fallbeispiele werden in drei Teilen aufgebaut (Aufbau, Konsolidierung und Optimierung der Lernprozesse), lernpsychologisch analysiert und für den Unterricht neu zugänglich gemacht. Auf der zum Buch gehörenden CD sind zusätzliche Fälle aus dem berufsbildenden Unterricht zu finden.
Das erste Kapitel ist dem Lernen im beruflichen Umfeld gewidmet. Die Ausbildungsrealität der Lernenden im Lehrbetrieb ist eine wesentliche Komponente für das schulische Lernen. Am Arbeitsplatz findet der Lernprozess in einer realen Arbeitssituation statt. Ein systematischer Wissensaufbau ist aber aufgrund der laufenden Arbeiten im Lehrbetrieb, dem Alltagsgeschäft, eher selten. In vielen Fällen fehlt dazu die Systematik und Strukturiertheit. Im Gegensatz dazu sind Lernprozesse in den Berufsfachschulen aufgrund der Curricula meistens sehr systematisch und kohärent. Die Inhalte entbehren aber begründet oder unbegründet der Praxisnähe und demotivieren die Lernenden. Aufbauprozesse werden zwar sorgfältig gesteuert und führen zu den erwünschten Ergebnissen; die Zeit für das Repetieren und Konsolidieren wird aber selten gewährt oder ist knapp bemessen. Hier wäre es sinnvoll, den Hausarbeiten mehr Beachtung zu schenken und diese als ein Gefäß für nachhaltiges Behalten und „Wieder-Abrufen“ zu nutzen. Von großem Wert wären eine klare Rückmeldung und eine sinnvolle Verarbeitung und Gewichtung der Hausaufgaben. Für einen erfolgreichen Lernprozess im schulischen Umfeld sind klare Ziele, eine sinnvolle Binnendifferenzierung, rasche Rückmeldungen und sinnstiftende Aufgabenstellungen von großer Bedeutung.
Im zweiten Kapitel behandelt Steiner das Thema „Begriffe aufbauen, Verstehen als Lernziel“. An einem Beispiel aus dem allgemeinbildenden Unterricht wird anhand einer Unterrichtssituation Einführung und Festigung des Begriffs „Testament“ zur Veranschaulichung erläutert. Für die Lehrpersonen ist es wichtig, dass einzelne Begriffe, die in vielen Fällen im Hinblick auf Prüfungen isoliert memoriert werden, in einer semantischen Nachbarschaft zu anderen Begriffen stehen. Lernpsychologisch und didaktisch gesehen, sind zwei Prozesse notwendig: der Aufbauprozess (Verständnis der Begriffe) und eine Konsolidierungsphase, die ein Behalten, Abrufen und korrektes Verwenden garantiert.
Kapitel 3 greift die Leseförderung zur Bewältigung von Stoffmengen auf. Im Berufskunde-Unterricht mühen sich Lernende oft mit unübersichtlichen Lehrmitteln und komplexen Erklärungsansätzen ab. Es handelt sich also um ein Lernen aus geschriebenen Texten. Hier wird auf nützliche Strategien hingewiesen wie „Vorwissen aktivieren“, „Markieren während des Lesens“, „Herstellen von Lernkarten“, „Verräumlichung von Wissensstrukturen in Form von Diagrammen“ oder „Mind Map“. Dabei gilt es zu beachten, dass beispielsweise Arbeitsblätter den Lernenden die Eigenaktivität ermöglichen, wenn sie z.B. Inhalte in Grafiken transformieren, Tabellen versprachlichen oder Stichwörter zu einprägsamen Merksätzen verbinden.
Im Kapitel 4 werden mentale Modelle aufgebaut mit Veranschaulichung und multimedialem Lernen. Für den Fall im Unterricht „Pneumatische Schaltpläne verstehen“ weist der Autor darauf hin, dass Lernprozesse optimiert werden können, wenn die Situationen erfasst werden, die eine mentale Simulation zulassen und sich weniger auf animierte Visualisierungen zu verlassen, da diese eine hohe Belastung des Arbeitsgedächtnisses erfordern und das Lesen von Schaltplänen auf einem hohen Niveau entwickelt sein muss.
Kapitel 5 befasst sich mit dem Lernen von Handlungsabläufen, die in der beruflichen Ausbildung der Fertigung von Produkten dienen. An Fallbeispielen wird gezeigt, dass Handarbeit Kopfarbeit erfordert. Begriffliches Wissen begleitet die Handlungssequenzen, die automatisiert zur Routine werden.
Kapitel 6 zeigt die Schwierigkeiten der Lernenden mit mathematischen Formeln und Operationen. Das Üben als Konsolidierungsmöglichkeit wird zu Unrecht als altmodisch und verstaubt qualifiziert; gerade in Aufbauprozessen unterstützt ein sinnvolles Üben begriffliche und operative Konstruktionen.
Steiners theoriegestütztes praxisnahes Buch ist allen Lehrenden zu empfehlen, die sich mit Lehr- und Lernprozessen auseinandersetzen. Die 30 Fälle aus dem Unterrichts- und Berufsalltag sind eine wegweisende Darstellung des schulischen und beruflichen Lernens in der Berufsbildung. Es gelingt Steiner, eine Unterrichtshilfe für gewerblich-industrielle, kaufmännische und gesundheitliche Berufe zu konzipieren, die Lehrpersonen und Ausbildungsverantwortlichen die Relevanz der Lernorte – Schule und Arbeitsplatz – überzeugend zu vermitteln weiß.
Fundierte Kenntnisse im Hinblick auf Lernprozesse erlauben auch Berufsresignierten die Erkenntnis der Machbarkeit in einem lernpsychologisch wirksamen Umfeld.
Die absolute Stärke der Publikation liegt in der Vielfalt der dokumentierten Fälle aus dem Alltag der Berufsbildung: Fälle, die explizit aus dem Fokus der Lehr- und Lernsituationen beleuchtet, erhellt und fachmännisch kommentiert werden. Wer eine wirksame und nachhaltige Ausbildung beansprucht, wird Steiners Werk mit Genugtuung lesen. Synergien im Bezug auf das Lehren und Lernen finden sich in allen Fallbeschreibungen; denn gelernt wird überall und immer. Diese auf den ersten Blick banale Erkenntnis hat Steiner wissenschaftlich überzeugend dargelegt und der beruflichen Ausbildung den Weg zur Bildung geebnet. Lehrende und Lernende, die Lernen trainieren, evaluieren und somit auf die herausfordernden Lebenssituationen reagieren, verlernen den oft bemühenden ökonomischen Diskurs, der sich darin erschöpft, die Frage nach dem „Wozu“ zu stellen.
EWR 7 (2008), Nr. 2 (März/April)
Der Kick zum effizienten Lernen
Erfolgreich und nachhaltig ausbilden dank lernpsychologischer Kompetenz
- vermittelt an 30 Beispielen
- vermittelt an 30 Beispielen
Bern: hep 2007
(419 S.; ISBN 978-303905-346-9; 29,00 EUR)
Daniela PlĂĽss (ZĂĽrich)
Zur Zitierweise der Rezension:
Daniela PlĂĽss: Rezension von: Steiner, Gerhard : Der Kick zum effizienten Lernen, Erfolgreich und nachhaltig ausbilden dank lernpsychologischer Kompetenz - vermittelt an 30 Beispielen. Bern: hep 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 2 (Veröffentlicht am 15.04.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/303905346.html
Daniela PlĂĽss: Rezension von: Steiner, Gerhard : Der Kick zum effizienten Lernen, Erfolgreich und nachhaltig ausbilden dank lernpsychologischer Kompetenz - vermittelt an 30 Beispielen. Bern: hep 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 2 (Veröffentlicht am 15.04.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/303905346.html