EWR 4 (2005), Nr. 4 (Juli/August 2005)

Alfred K. Treml
Pädagogische Ideengeschichte
Ein Ăśberblick
Stuttgart: Kohlhammer 2005
(326 S.; ISBN 3-17-017227-8; 21,00 EUR)
Pädagogische Ideengeschichte Weil sie zeitlich nahe bei einander liegen und inhaltlich durch eine eigene „einflussreiche Semantik“ in Zusammenhang gebracht werden können, lassen sich die jüngsten drei Monographien von Alfred K. Treml fast schon als Trilogie bezeichnen. Was mit der „Allgemeinen Pädagogik“ 2000 begann und sich in der „Evolutionären Pädagogik“ 2004 fortsetzte, wird mit der Pädagogischen Ideengeschichte komplettiert. Die theoretischen Grundlagen für das Verständnis der dabei zugrunde gelegten „einflussreichen Semantik“ sind in den ersten beiden Bänden gelegt und werden im dritten Band nicht noch einmal wiederholt. Was unter Evolution im sozialen Zusammenhang zu verstehen ist, darüber muss der Leser oder die Leserin informiert sein oder zunächst dem Hinweis auf die einschlägige Vorgängerliteratur folgen.

In dieser Abhandlung zur Ideengeschichte der Pädagogik geht es – im Gegensatz zu den Bänden von 2000 und 2004 – nicht um die Beobachtung des Sachverhaltes der Erziehung, sondern um die Beobachtung der Genese von diesen Sachverhalt begründenden übergeordneten Motiven. Was gleich ist, das ist die Perspektive der Beobachtung: Es ist Tremls Interesse, die Ideengeschichte der Pädagogik unter evolutionärer Perspektive zu beobachten. Dazu ist es notwendig, die Rechtfertigung des beobachtenden Standpunktes dadurch zu gewinnen, dass er in Beziehung zu den Standpunkten der maßgeblichen Bezugsdisziplin, der Geschichtswissenschaft, gesetzt wird. Der gemeinsame Angelpunkt ist Tremls Feststellung, dass die traditionelle Geschichtsforschung nicht anders kann als zu akzeptieren, dass sie ihre Theorien und Themen durch Differenz und Selektion gewinnt. Differenz und Selektion aber sind die zentralen Mechanismen der Evolution. Geschichte als Evolution zu begreifen, ist dennoch, so Treml, bisher in der Geschichtswissenschaft eher unüblich. Und das, so Treml, aus einem einfachen Grund, der auch in anderen Feldern – etwa der Pädagogik oder der Didaktik - der Gegenspieler der Evolutionären Betrachtung ist: denn diese (Pädagogik und Didaktik) ebenso wie die historische Betrachtung arbeiten sich traditionell an den handelnden Akteuren ab, rücken also als Handlungstheorie „große Männer“ (10) ins Zentrum ihrer Betrachtung und der daraus resultierenden Beurteilung.

Warum das so ist und welchen Vorteil oder Nachteil das bringt, darauf geht Treml nicht ein, fest steht nur, dass Evolution nicht handlungstheoretisch oder intentional gedacht werden kann. Dass der Begriff der „Entwicklung“ durch die Jahrhunderte in Geschichte und Politik gerade auch in der Weise benützt wurde, dass sich mit ihm der Lauf der Welt unabhängig von menschlichem Zutun als Eingriff bezeichnen ließ, lässt Vorbehalte gegen Tremls Argumentation in dieser Sache aufkommen. Beispielhaft sei der Grundlagenstreit der Historiker in der Wilhelminischen Zeit genannt, bei dem sich eine Sicht zur Geltung bringen wollte, die Geschichtswissenschaft als Suche nach allgemeinen inneren Zusammenhängen zu betreiben suchte. Aber ohne den handlungstheoretischen Gegenspieler fehlt der evolutionstheoretischen Begründung der Widerpart.

Nach der Ablehnung der historischen Perspektive als Handlungstheorie scheint noch eine weitere Problemstellung klärungsbedürftig zu sein, die einer evolutionären Betrachtung als Differenz und Selektion nicht zugänglich erscheint. Gemeint ist die Frage, ob es in der historischen Betrachtung so etwas wie die Dauer eines Allgemeinen gibt. Aus dem Begriff der Idee, so Treml, lasse sich bereits entnehmen, dass es ein Allgemeines und Dauerhaftes geben müsse, denn der Begriff „Idee“ bedeute, dass ein Sachverhalt sich über lange Zeit erhalten hat. Man mag diese Erklärung für tautologisch halten, das sei nur am Rande erwähnt. Sie führt über Variation und Selektion hinaus zu einem dritten Schritt im evolutionären Denken, der das Selektierte auf Dauer stellt und mit dem Begriff der Stabilisierung die evolutionstheoretische Begrifflichkeit komplettiert.

Somit lässt sich dem ersten Kapitel neben diesen wissenschaftstheoretischen Klärungen das Anliegen Tremls entnehmen: Es geht um die Geschichte der pädagogischen Meme, besser, ausgewählter pädagogischer Meme. Meme oder Ideen sind die evolutionären Selektionseinheiten, die neben den Genen und den Phänen im Rahmen der kulturellen Evolution von Bedeutung sind. Dass Treml nur erfolgreiche Meme in seine Beobachtung einschließt, ist selber Beihilfe zur Evolution, denn der evolutionäre Erfolg der Meme bemisst sich neben dauerhafter Funktionserfüllung an dem Tatbestand, dass sie „immer wieder diskutiert und kommuniziert“ (21) werden. So ist es letztlich auf eine Kombination von thematischen und pragmatischen Gründen zurück zu führen, auf welche Meme Treml durch Selektion von Räumen und Zeiten zurückgreift. Wofür er sich entschieden hat, das stellt er in 7 Kapiteln vor, deren möglicher innerer Zusammenhang am Ende seine Wahl begründet erscheinen lässt. Dies allerdings wäre im Sinne Tremls nicht wünschenswert, denn Voraussetzung für die zu gewinnende Erkenntnis ist, „dass man die Antwort nicht schon weiß, bevor man zu arbeiten anfängt und das Ergebnis damit a priori determiniert“ (17f.).

Treml setzt einen Anfang, indem er im zweiten Kapitel die altägyptische Hochkultur vorstellt, die er als die erste Kultur mit planmäßiger, intentionaler Erziehung identifiziert. Den entscheidenden Grund dafür sieht er in der Erfindung der Schrift, genauer in der allmählichen Umschaltung der Schrift von der bildlichen auf die akustische Repräsentation der Gedanken. Dies ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass das Denken abstrahiert und subjektiviert wird und damit nicht mehr die erkannte Umwelt als Objekt, sondern das erkennende System als Subjekt „zum Fixpunkt schriftlicher Äußerungen“ (32) wird. Diese Subjekt-Objekt-Differenz als Aufweis einer bipolaren Differenz, um es gleich vorweg zu benennen, ist der entscheidende formale Vergleichspunkt, der sich durch die folgenden Darstellungen ziehen wird. Für Treml ist die altägyptische Kultur die Erfinderin der „(evolutionären) Memtheorie“, denn mit der Verschriftlichung ist es möglich, das Andenken an einen Menschen über dessen Tod hinaus zu erhalten, wenngleich auch nur über die „Unwahrscheinlichkeit einer (schulischen) Bildung durch den Staat“ (43).

Im dritten Kapitel betrachtet Treml die griechische Antike, in der er die „erste Aufklärung“ verortet. Aus dem Blickwinkel der evolutionären Betrachtung ist sie ein Musterbeispiel für die Evolution des menschlichen Geistes, denn Evolution speist sich aus der Kontingenz der Ideen, die Kennzeichen der griechischen Kultur, so Treml, ist. Ihren Anfang nimmt die Differenz der Ideen damit, dass die Griechen die „Warum-Frage“ erfunden haben, denn mit ihr wird jede Einheit in die Differenz von Etwas in Bezug auf ein Anderes überführt. „Das, was ist, wird als etwas Vordergründiges behandelt, das auf ein Hintergründiges zurückgeführt wird“ (52). Treml gibt dem Vordergründigen als dem Bestehenden den (dem philosophisch Bewanderten nicht fremden) Namen „das Seiende“ und dem Hintergründigen als dem nicht unmittelbar Wahrnehmbaren den Namen „das Sein“. Diese Differenz sei der Motor der Philosophie und der gesamten Wissenschaft, fordere sie doch ununterbrochen dazu auf, nach den sinnlich nicht wahrnehmbaren Gründen für das Erkannte zu suchen. Sie kann in zwei prototypischen Gegensätzen in der griechischen Philosophie als „Zwei-Welten-Lehre“ (54) aufgefunden werden, die sich in Person und Lehre von Platon einerseits und Aristoteles andererseits darstellen. So verortet Treml Platon auf der Seite des Seins, weil er z. B. mit dem bekannten Höhlengleichnis die in der menschlichen Vernunft verborgen liegenden Ideen als Allgemeine betont, die theoretisch geschaut und deduktiv auf den besonderen Fall bezogen werden können. Aristoteles dagegen steht für die Seite des Seienden, da er die Bedeutung der sinnlichen Wahrnehmung für die Erkenntnis betont und erst durch Abstraktion, also induktiv, zum Allgemeinen kommt. Somit sei „Platon der Stammvater der Geisteswissenschaften, Aristoteles der Stammvater der Naturwissenschaften“ (76). Beide Richtungen haben ihre jeweils eigene pädagogische Ausrichtung, die bei Platon im Motiv der Bildung als geistiger Umkehr und bei Aristoteles in der Form der Erziehung als Handlung kulminiert. Aristoteles, so Treml, verdanke die Erziehung die Handlungsorientierung, bei der Erziehung intentional, also teleologisch, gedacht werden muss.

Beide bisher aufgefundenen Ideen, die bipolare Differenz wie die teleologische Orientierung findet Treml auch in der römischen Antike, so in der Stoa in der Differenz von Physis und Nomos, in der er die Anfänge der modernen Anlage-Umwelt-Differenz identifiziert, und deren frühe Form der Subjektbetonung die teleologische Annahme der Höherentwicklung der Natur nach ihr innewohnenden Gesetzen beinhalte.

Das christliche Mittelalter – der Inhalt des vierten Kapitels – radikalisiert das dualistische Weltbild durch die Unterscheidung in Gott und Welt und sprengt durch die Differenz von Transzendenz und Immanenz, so Treml, die Vorstellung des antiken Kosmos, in dem Sein und Seiendes noch aufgehoben waren. Fortan gebe es darauf zwei Reaktionen: Weltflucht (die Lösung des Mittelalters) und Weltzuwendung (die Lösung der Neuzeit). Evolutionär erklärungsbedürftig scheint die erste Lösung zu sein, denn Weltflucht und ihre Orientierung an einem jenseitigen Leben scheinen auf den ersten Blick dem evolutionären Grundmodus des Überlebens zu widersprechen und in der Verherrlichung des Todes Jesu dies exemplarisch kund zu tun. Treml löst diesen Widerspruch mit dem Hinweis auf das Handicap-Prinzip in der Verhaltensforschung, das darauf verweist, dass durch Signalwirkung die Ernsthaftigkeit der eigenen Intention nach außen gebracht werden kann. Freiwillige Opfer unterstützten die Glaubwürdigkeit und damit den Überlebenserfolg des geistigen Mems, so Treml, was sich in der Realgeschichte des Christentums an vielen Beispielen belegen lasse.

An Augustinus verdeutlicht Treml beispielhaft, wie sich die Differenz von Gott und Welt von der platonischen Ergänzung der zwei Welten zur christlichen Gegenüberstellung zweier Lebensweisen, des falschen und des richtigen Lebens, entwickelt hat. Bedeutsam für pädagogisches Denken sei, dass auch im Hinblick auf die Möglichkeit von Erkenntnis der äußeren Welt die innere Welt gegenüber gestellt wird. Die Einkehr in das eigene Ich wird zum Ausgang der Erkenntnis erhoben, den modernen Gedanken der Subjektzentrierung vorbereitend, die aber auch als Selbsterkenntnis auf die erleuchtende Kraft Gottes angewiesen bleibt, die Teil dieses menschlichen Inneren ist.

Das fünfte Kapitel befasst sich mit der „zweiten Aufklärung“, dem Übergang vom Mittelalter zum Humanismus. Für die evolutionäre Perspektive erscheint dabei herausragend und bedeutsam, was durch seine Dauer erfolgreich gewesen sein muss. Dazu zählt für Treml die karolingische Bildungsreform, als deren Folge für über tausend Jahre die europäische Bildung durch die lateinische Sprache und die Bibel bestimmt war. Nicht weniger bedeutsam und für Tremls Differenzgedanken einschlägig denkt Thomas von Aquin mit seiner Trennung der Vernunft als Grundlage der Sprache in zwei Bereiche: in den Bereich der Möglichkeit (intellectus possibilis) und den Bereich der Aktualisierung (intellectus agens), die beide, so Treml, modern mit Begabung einerseits und Selbsttätigkeit andererseits in Verbindung gebracht werden können. Im Unterschied noch zu Augustinus ist der Mensch nun über Selbsttätigkeit im Sinne einer causa secunda selber an der Erkenntnis beteiligt, für die Gott lediglich als Ermöglichungsgrund (causa prima) in Erscheinung tritt. Diese Entwicklung setze sich bei Wilhelm von Ockham fort, der die Analogie zwischen Denken und realer Welt aufhebt. Damit werde der Menschen zum „fabricator mundi“, dessen Geist fähig ist, Allgemeines zu denken, das notwendig außerhalb der Realität sein muss, weil es in der Realität nur Einzeldinge gibt.

Zum Programm wird diese Tendenz der Fokussierung auf den Menschen, so Treml, dann im Humanismus, denn mit ihm vollziehe sich durch die Erneuerung des antiken Menschenbildes der Wandel von der theozentrischen zur anthropozentrischen Weltsicht. Die dualistische Differenz erscheint dabei in Bezug auf den Menschen als innere Natur, die als Charakterbildung die inneren Triebe zu zivilisieren sucht, und als äußere Natur des Körpers, den es durch Leibesübungen zu kultivieren gilt. Realgeschichtlich begründet im Leistungsgedanken des Bürgertums, lasse sich, so Treml, diese Differenz in eine zwischen Charakterbildung als – modern gesprochen – Allgemeinbildung einerseits und Kompetenzvermittlung als Arbeits- oder Berufsbildung andererseits transformieren. Das durch die Orientierung an einem zurückliegenden Denken ausgebildete Zeitempfinden präge dazu zwei weitere Differenzen: im Leben jedes Menschen zwei Phasen als Kindheit und Erwachsensein und in der Weltgeschichte als zeitliche Differenz von Vergangenheit und Zukunft, befördert von der Vorstellung, dass das Neue der Zukunft das Bessere sein wird.

Erst mit Martin Luther und der Reformation aber, so zeigt Treml im sechsten Kapitel, wird die Neubestimmung des Verhältnisses von Gott und Welt breitenwirksam. Dabei werde ein evolutionärer Mechanismus offensichtlich, den Treml an verschiedenen Stellen bereits benützt und als „re-entry“ bezeichnet hat: Die Unterscheidung in zwei Seiten tritt in die eine Seite der Unterscheidung wieder ein. Die Unterscheidung zwischen Gott und Welt wiederholt sich im Menschen selber noch einmal, so dass der Mensch in einen göttlichen und menschlichen Teil eingeteilt wird. Das ist, so Treml, die Grundfigur für Luthers Zwei-Reiche-Lehre, die eine duale Anthropologie als vertikalen Gottesbezug und als horizontalen Weltbezug enthält. Im vertikalen Gottesbezug, der unmittelbar und ohne Vermittlung auskommt, verstärkt sich die bereits erwähnte Stabilisierung des Subjekts, ohne jedoch dem modernen Gedanken der Pluralität Rechnung zu tragen, dem ein ontologischer Wahrheitsbegriff, so Treml, noch im Wege steht. Die „halbe Befreiung“ (189) bereitet dennoch den Weg zur Fokussierung auf den Weltbezug, der sich in Kunst und Wissenschaft seine jeweilige Ausprägung sucht, oder, evolutionstheoretisch gesprochen, Selektionsofferten durch Ideenvarianz produziert. Dies zeigt Treml in den beiden letzten Kapiteln an wenigen, aber zu Klassikern gewordenen Positionen.

Im siebten Kapitel behandelt Treml den „pädagogischen Optimismus“ des 17. Jahrhunderts an zwei, aus seiner Sicht herausragenden und für die Pädagogik einflussreichen Denkern: an Jan Amos Comenius und Gottfried Wilhelm Leibniz. Bei Comenius stehen Fragen der Erziehung und Bildung im Mittelpunkt seines Denkens, denn Weltverbesserung vollzieht sich über Bildung. Treml bezieht sich neben der Darstellung des theoretischen und didaktischen Werkes wieder auf die Frage nach der Differenz von Gott und Welt bei Comenius, die er einerseits als Befreiung des Ichs von der Welt bezeichnet, das aber andererseits dennoch in die Ordnungen der Welt eingebunden bleibt. Mit dieser Umklammerung scheint es für das Neue, das sich in der Gesellschaft Platz sucht, einen festen Rahmen zu geben. Treml sieht darin einen anerkennenswerten Versuch, mit der Kontingenz der neuen Zeit umzugehen, indem ihr thematisch, anders als bei Descartes, eine Grenze gesetzt wird. Darin zeigt sich aus seiner Sicht bereits die moderne Umkehr von der Weltflucht des Mittelalters zur Weltoffenheit der Moderne.

Für Treml erscheint Leibniz als Vermittler zwischen Tradition und Moderne und das beweist sich wieder in dem von ihm benützten zentralen Motiv, dem Verhältnis zwischen Gott und Welt. Während, so Treml, seit der Scholastik und bis Comenius die Vernunft als göttlich begründet wurde, versuche Leibniz dagegen, Gott als vernünftig zu beweisen. In den Ausführungen von Leibniz zum Verhältnis von Mensch und Welt spiegelt sich die von Treml benützte Differenz in sofern wider, als Leibniz die fensterlose Monade Mensch mit einer göttlich prästabilisierten weltlichen Ordnung in Beziehung setzt, die als Möglichkeit auf ihre Realisierung durch menschliches Handeln angewiesen ist. Durch menschliche Vernunft und praktisches Handeln kommt die Verbesserung der Verhältnisse bei Leibniz zustande. Treml findet seine Differenz in Leibniz Trennung in Tatsachenwahrheiten und Vernunftwahrheiten wieder, die er einerseits mit Wirklichkeit als Natur und andererseits mit Möglichkeit als Kultur deutet. Darin sieht Treml erneut den bereits beschriebenen Vorgang des re-entrys realisiert, indem in die eine Seite der Unterscheidung zwischen Gott und Welt, nämlich in die Welt, erneut eine Unterscheidung eingeführt wird, die Unterscheidung zwischen Natur und Kultur, die zur „Leitdifferenz“ (251) der folgenden Jahrhunderte werden wird. Man kann auf die Differenz von Natur und Kultur durch Nähe oder Ablehnung je eines der Pole reagieren, so Tremls einfache Erklärung. Das zeigt er im nächsten Kapitel an Rousseau und Kant.

Mit Rousseau ist die naturfreundliche und kulturdistanzierte Position, mit Kant die Umkehrung als Gegenteil derselben gewählt. Die gute Natur des Menschen als Opposition zur schlechten Gesellschaft ist das, was Rousseau zu erhalten und durch „Nicht-Erziehung“ zu stärken suche, damit sie dann dem Einfluss der Kultur standhalten kann. Anders bei Kant, der mit Erziehung Hilfestellung beim Vorwärtsschreiten in Richtung auf ein aufgegebenes Gutes versteht. In beiden Fällen greift aber derselbe Mechanismus, den Treml als Kennzeichen der Moderne festhält: Natur wie Kultur sind „Kontingenzunterbrecher“, die notwendig wurden, um die leere Stelle des „Schöpfungsgottes“ einzunehmen. Zwischen beiden Polen, also zwischen pädagogischem Naturalismus und pädagogischem Kulturalismus bewegen sich, so Treml, alle theoretischen Orientierungen des 19. und 20. Jahrhunderts mit unterschiedlichen Akzentuierungen. Sie alle versuchen Antworten auf die grundlegende Differenz der Moderne zu finden, die sich gleichzeitig als eine pädagogische Aufgabe herausstellt, nämlich dem Individuum, das sich durch Exklusion definiert, bei seiner Inklusion in die Gesellschaft Hilfe zu leisten. Differenz ist dabei der für Treml leitende Begriff, denn es gilt, „dass es das Denken in Differenzen, und nicht das Denken von Einheiten (Werten, Ideen, Zielen), ist, das die Welt bewegt“ (313).

Differenz aber hat mit Evolution zu tun, um am Ende auf den Anfang zurück zu kommen und die Frage zu stellen, worin nun der Ertrag besteht, so man, wie Treml, die Geschichte der pädagogischen Ideen unter evolutionärer Perspektive betrachtet. Man wird Treml wohl nicht Unrecht tun, wenn man den Begriff der „Evolution“ bescheiden oder großzügig als Entwicklung versteht. Entwicklungen kann man feststellen und zwischen erfolgreichen und nicht erfolgreichen Entwicklungsverläufen unterscheiden. Dafür gibt die Ideengeschichte mit einer bewusst gewählten Schlagseite zu den erfolgreichen Ideen ein Beispiel ab, das lehrreich und informativ ist. Weniger überzeugend erscheint ein Verständnis von Evolution, das im Sinne des biologischen Evolutionsbegriffs verstanden werden will, als ein nicht intentionaler Prozess, bei dem sich im Rückblick herausstellt, was erfolgreich war. Eine Gleichzeitigkeit beider Ansätze scheint bei Treml immer wieder vorzuliegen. Sie verwirrt den Lesenden und lässt Ratlosigkeit zurück, spätestens dann, wenn sie so offen zutage tritt, wie in folgendem Satz: „Differenzen bewegen die Welt, weil ihre Grundform die der Varianz ist, die Evolution nicht nur voraussetzt, sondern unter Umständen auch stimulieren kann“ (313).

Die Doppeldeutigkeit des Evolutionsbegriffs als nachträgliche Einsicht in das Erfolgreiche wie als vorsätzliche Aussicht in das Erfolgversprechende fällt bei Treml nicht erst in seinem letzten Band auf. Von daher ist sie nicht neu, sondern durchzieht alle drei Bände dieser Trilogie. Offensichtlich ist damit ein grundsätzlicher Widerspruch der evolutionären Theoriebildung in der Pädagogik berührt: sie lehnt Handlungstheorie als „Schöpfung“ ab, kann aber als prospektive pädagogische Theorie nicht von der retrospektiven evolutionären Annahme leben. Dies wird derzeit besonders an einer Diskussion deutlich, die die Grenzen der evolutionären Theoriebildung für die Erklärung moralischen Verhaltens diskutiert.

Der Blick für die Differenz und ihren Zusammenhang in Raum und Zeit, so könnte man den übergeordneten Ertrag der Pädagogischen Ideengeschichte benennen. Treml eröffnet ihn mit fundierter Detailkenntnis einzelner Stationen der europäischen Bildungsgeschichte als Ideengeschichte, die das vorliegende Buch zu einer lehrreichen und gewinnbringenden Lektüre macht. Darüber könnte man fast vergessen, auf die Unfreundlichkeit gegenüber den Lesern hinzuweisen, die angesichts beträchtlicher Literaturverweise immer wieder vergeblich nach der Literaturliste am Ende des Buches suchen werden.

Ursula Pfeiffer (Weingarten)
Zur Zitierweise der Rezension:
Ursula Pfeiffer: Rezension von: Treml, Alfred K.: Pädagogische Ideengeschichte, Ein Ăśberblick, Stuttgart: Kohlhammer 2005. In: EWR 4 (2005), Nr. 4 (Veröffentlicht am 10.08.2005), URL: http://klinkhardt.de/ewr/17017227.html