Im Zehnjahresrhythmus befasst sich der deutsche Fürsorgetag mit Europa. 1990 waren die "offenen Grenzen Europas" noch so beeindruckend gewesen, dass sie zumindest das Motto des Fürsorgetags bestimmten. Zehn Jahre später geht es um die soziale Gestaltung des neuen Europas, so wie auch beim 4. Bundeskongress Soziale Arbeit 2001 in Mainz und Wiesbaden. Die kleine Akzentverschiebung im Rahmenthema versucht aber, auf die großen Veränderungen im durch Markt und Geld integrierten Europa einzugehen. Schon lange soll die Wirtschafts- und Währungsunion durch eine Bürger- und Sozialunion komplettiert werden, unübersehbar sind doch die einschneidenden Folgen der neoliberal gefärbten Marktintegration.
Die Dokumentation ist ein typischer Tagungsbericht. Neben dem Eröffnungsvortrag des Direktors des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Sozialrecht Hans Zacher und den Eröffnungsreden werden die Beiträge zu zehn Symposien dokumentiert. Die 53 Beiträge verteilen sich recht ungleich auf die Themenbereiche. Die "Konturen einer europäischen Sozialpolitik und eines europäischen Sozialrechts", die "Motive und Rahmenbedingungen freiwilligen Engagements" oder die Jugendhilfe werden umfangreich in mehreren Beiträgen erörtert, dagegen gibt es zur sozialen Entwicklung in Mittel- und Osteuropa, zur Qualitätsentwicklung oder zur Altenhilfe weniger Beiträge. Auch die methodische Anlage der Referate ist recht unterschiedlich: Sie reicht vom Bericht über die Situation in einem Land über den Ländervergleich bis hin zur systematischen Untersuchung einer gesamteuropäischen Entwicklung. Manche Themenbereiche (Jugendarbeitslosigkeit, Jugendhilfe, Behindertenpolitik. Sozialräumliche Konzepte der Altenhilfe) werden sehr praxisnah und in Berichten über konkrete Projekte behandelt, andere Themen wie die sozialpolitische Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshof (M. Heinze), die Europäische Sozialpolitik (B. Schulte), die Armut im europäischen Vergleich (W. Honesch) oder die Modelle der Grundsicherung (K. Hinrichs) werden systematisch und materialreich abgehandelt.
Die Internationalität der Beiträge bewegt sich – trotz des Rahmenthemas – auf einem bescheidenen Niveau. Aus dem ganzen Süden Europas kommt gerade einmal ein Beitrag aus Spanien und der Norden ist auch nur mit zwei Beiträgen aus Finnland vertreten. Insoweit dokumentiert der Band den wenig entwickelten Stand eines kontinuierlichen europäischen Austausches – angesichts der Internationalität der Sozialen Arbeit in den 1920er Jahren ein bemerkenswerter Umstand. Dabei schreitet die "Europäisierung" (Pfaffenberger) des Sozialen kontinuierlich voran, auch wenn nur ein geringer "Verstaatlichungsprozess" der Sozialpolitik zu beobachten ist. Europa ist – wie Zacher in seinem informativen und orientierenden Überblick zeigt – vor allem ein gemeinsamer Markt und darüber hinaus eine "Einflussverwertungsanlage", die noch lange auf die Sozialpolitik der Nationalstaaten angewiesen bleibt. Die Wirtschafts- und Währungsunion der Armen und Reichen hat diesen aber enge Grenzen gesetzt.
EWR 1 (2002), Nr. 2 (April/Mai 2002)
Europa sozial gestalten
Dokumentation des 75. Deutschen FĂĽrsorgetages 2000 in Hamburg.
Frankfurt a.M.: Eigenverlag des Deutschen Vereins 2001
(607 Seiten; ISBN 3-17-006856-3; 35,60 EUR)
Franz Hamburger (Mainz)
Zur Zitierweise der Rezension:
Franz Hamburger: Rezension von: Deutscher Verein fĂĽr öffentliche und private FĂĽrsorge (Hg.): Europa sozial gestalten, Dokumentation des 75. Deutschen FĂĽrsorgetages 2000 in Hamburg., Frankfurt a.M.: Eigenverlag des Deutschen Vereins 2001. In: EWR 1 (2002), Nr. 2 (Veröffentlicht am 00.04.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/17006856.html
Franz Hamburger: Rezension von: Deutscher Verein fĂĽr öffentliche und private FĂĽrsorge (Hg.): Europa sozial gestalten, Dokumentation des 75. Deutschen FĂĽrsorgetages 2000 in Hamburg., Frankfurt a.M.: Eigenverlag des Deutschen Vereins 2001. In: EWR 1 (2002), Nr. 2 (Veröffentlicht am 00.04.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/17006856.html